Software soll frühkindliche Hirnblutungen vorhersagen

Viele Frühgeborene – Babys, die zwischen der 22. und 34. Schwangerschaftswoche geboren werden – erleiden eine Hirnblutung. Das Risiko dafür liegt, je nach Geburtsgewicht und Schwangerschaftsdauer, zwischen 30 und 55 Prozent. [...]

Die Forscher haben ein mathematisches Modell entwickelt, das den zerebralen Blutfluss simuliert. (c)
Die Forscher haben ein mathematisches Modell entwickelt, das den zerebralen Blutfluss simuliert. (c)

Der Schaden ist immens: Etwa 25 Prozent aller lebenslangen Körper- und Mehrfachbehinderungen gehen auf eine frühkindliche Hirnblutung zurück. Renée Lampe, Professorin für Orthopädie an der TU München, und ihr Team haben gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Mathematische Modellierung an der TU München ein mathematisches Modell und eine darauf basierende Software entwickelt, die helfen soll, Hirnblutungen Frühgeborener vorherzusagen – und im Optimalfall zu verhindern. Ziel ist ein System, in das Ärzte klinische Daten der kleinen Patienten eingeben und darüber ermitteln können, welches Risiko für eine Hirnblutung besteht und wie es gesenkt werden könnte. Das Forschungsprojekt wird von der Klaus Tschira Stiftung (KTS) gefördert.

Frühkindliche Blutungen nehmen ihren Ursprung in der sogenannten „germinalen Matrix“, einer kleinen Zellschicht im Gehirn, durchzogen von kleinsten, fragilen Blutgefäßen, die ab der 34. Lebenswoche verschwindet. Solange die „germinale Matrix“ aber vorhanden ist, besteht das Risiko einer Hirnblutung.

„Wir haben ein mathematisches Modell entwickelt, das den zerebralen Blutfluss simuliert, also die Versorgung des Gehirns mit Blut innerhalb eines bestimmten Zeitfensters. Die Blutversorgung bildet die Grundlage für die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung der Nervenzellen des Gehirns. Wir simulieren den zerebralen Blutfluss im Gehirn im Allgemeinen und in der germinalen Matrix im Besonderen“, erklärt die Kinderorthopädin. Im klinischen Alltag findet sich bislang keine einfach anzuwendende Messmethode für den zerebralen Blutfluss in der medizinischen Versorgung von frühgeborenen Kindern, obwohl dies eine sehr wichtige Aufgabe sei. Das Modell identifiziert Risikofaktoren, zum Beispiel Schwankungen des Blutdrucks, die Einfluss auf die kleinen Gefäße haben und im schlimmsten Fall dazu führen, dass sie reißen.

Um zu überprüfen, wie realistisch die Berechnungen des Blutflusses sind, hat das Münchner Team, das aus vier Mathematikern, einem Physiker und einer Neurowissenschaftlerin besteht, 6000 Messungen von 265 Frühgeborenen mit und ohne Hirnblutung zusammengetragen und in das System eingespeist“. Das Ergebnis: „Unser Modell zeigt eine gute Übereinstimmung mit den experimentellen Messungen aus der Literatur, die auf aufwändigen Untersuchungen fußen und nicht zur klinischen Routine gehören, zum Beispiel die Nah-Infrarotspektroskopie“, sagt Renée Lampe.

Als nächsten Schritt visiert das interdisziplinäre Team um die Medizinerin Lampe den Einsatz des Modells im Klinik-Alltag samt Blindstudie an. „Wir haben das komplexe mathematische Modell in eine benutzerfreundliche Software überführt und über Maschinelles Lernen ergänzt“, sagt Lampe. Kinderärzte könnten Daten wie Körpergewicht oder Blutdruck und andere Parameter in das System eingeben, das daraufhin den zerebralen Blutfluss im Gehirn und der germinalen Matrix berechnet und anzeigt, ob das Risiko einer Hirnblutung besteht und welche Risikofaktoren wie verändert werden können, um das Risiko zu senken.

„Das Forschungsprojekt ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Mathematik und Medizin dabei helfen können, die medizinische Versorgung zu verbessern. Insbesondere bei Frühgeborenen sind beide Disziplinen wichtige Helfer, da die meisten Untersuchungen eine erhebliche körperliche Belastung für sie bedeuten“, sagt Beate Spiegel, Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung.


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