Um den agilen Modus der bimodalen IT bei Lonza in Schwung zu bringen, stellte CIO Diane Bitzel einen jungen Data Scientist aus China ein. Er startete ohne Job-Description. Der mit ihm entwickelte Service bescherte dem IT-Team eine Silbermedaille beim internen CFO-Award. [...]
Wer in Basel unterwegs ist, kennt das Lonza-Hochhaus. Stolze 68 Meter ragt der moderne Bau des Chemie- und Pharmaunternehmens in den Himmel. Unter Architekturfans bleibt er ein Klassiker, für Diane Bitzel ist er nur einer von mehreren Arbeitsorten. „Wir sind als Unternehmen und als IT sehr global aufgestellt“, sagt die CIO, „Unternehmenssprache ist Englisch.“ Nahtlos wechselt sie zwischen den USA, der Schweiz und China hin- und her, und mit derselben Leichtigkeit hat sie in China einen Data Scientist eingestellt. Ein Experiment, wie sie sagt – mit bisher guten Ergebnissen.
Bitzel war in derselben Ausgangslage wie viele CIOs großer Konzerne: Mit der Digitalisierung wächst die Notwendigkeit einer bimodalen IT. Modus 1 – bei dem es salopp gesagt darum geht, den Betrieb am Laufen zu halten – funktioniert bei der klassisch aufgestellten Lonza-IT gut. Wie aber geht man Modus 2 an mit den Erwartungen, das Unternehmen innovationsfähiger zu machen?
Bitzel sah sich an, was Analysten wie Gartner empfehlen. Immer wieder stieß sie auf das neue Buzzword Data Scientist. Dann meldete sich ihr IT-Leiter in China. Er habe einen jungen Data Scientist an der Hand, berichtete er seiner Chefin. Die reagierte: der junge Mann wurde im Herbst 2015 eingestellt. „Wir wussten zu Beginn ehrlich gesagt nicht, was genau er machen sollte“, sagt Bitzel offen, „und eine echte Job Description hatten wir auch nicht.“
Silbermedaille beim internen CFO Award
Von den Hard Skills her ist James (Name aus Datenschutzgründen geändert) Mathematiker und Statistiker. Seine Soft Skills liegen in Flexibilität, Eigenständigkeit und Höflichkeit. „James ist das Ganze mit Design Thinking angegangen“, sagt Bitzel. Er habe viele Fragen gestellt, wollte wissen, wo bei Lonza Big Data stattfindet. Dann hat er begonnen, Use Cases zu identifizieren.
Daraus entstanden Einsichten, die das Unternehmen vorher nicht hatte. „Als Ergebnis konnten wir zum Beispiel das Inventory Management verbessern. Außerdem haben wir Market Research und in der Folge auch das Marketing optimiert“, zählt Bitzel auf. Dabei bildete James mit zwei Kollegen aus den USA und China ein kleines Team. Krönender Abschluss einer ersten Etappe: Im Juni qualifizierte sich das Data Scientist Team für den internen CFO Award und holte die Silbermedaille – zum ersten Mal erreichte ein Team aus der IT eine solche Auszeichnung.
Inzwischen wurde der zweite Data Scientist eingestellt. Den Service, den James und seine Kollegen entwickelt haben, bietet Bitzel heute als „Enterprise Analytics“ firmenweit an. „Das ist einer unserer erfolgreichsten Services“, sagt sie. Und stellt fest: „Wir werden plötzlich als innovativ wahrgenommen!“
Technologisch gehen der junge Data Scientist und seine Kollegen so vor, dass sie strukturierte mit unstrukturierten Daten verbinden, wobei sie interne und externe Datenquellen integrieren. Daraus entstehen Algorithmen, die businesstaugliche Fragestellungen abbilden wie eben zum Beispiel rund um Marketing und Produktion.
Bitzel will jetzt ein Innovation Lab aufbauen
„Sie sehen also, dass das Ganze zunächst gar nicht in Europa stattgefunden hat“, schmunzelt Bitzel. Natürlich kamen James und seine Mitstreiter dann und wann nach Basel, aber alle Projekte sind global. Im April wird das kleine Team zumindest vorerst für länger in die Schweiz kommen, denn die CIO möchte nun die nächste Etappe starten und ein Innovation Lab aufbauen.
James hat mit seinen Kenntnissen mittlerweile Einfluss auf strategische Projekte und Initiativen, erkennt Bitzel an. Dass er sich damit eine erhebliche Bedeutung erarbeitet hat, wird in der IT beobachtet, weiß die IT-Chefin. In der klassischen IT fühlt sich mancher langjährige Mitarbeiter ein bisschen bedroht. Hier hilft James‘ höfliche, zurückhaltende Art. „Er ist nicht der ,Hoppla, jetzt komm ich‘-Typ“, sagt Bitzel.
Und so schnell wird die „Modus-1-IT“ ja auch nicht verändert. Aber der IT-Managerin ist klar: „SAP ist nicht mehr unsere einzige Zukunft. Wir müssen die alten Zöpfe abschneiden!“ Dass das möglichst schmerzfrei geht, schreibt sich Bitzel selbst auf die Fahnen. „Es ist meine Aufgabe, den Cultural Change zu kommunizieren“, sagt sie. Immerhin fangen schon die ersten Mitarbeiter aus dem SAP-Team an, sich weiterzuqualifizieren.
Wer seinen Data Scientist unbedingt von der Uni Karlsruhe will, wird scheitern
Das Experiment mit dem Data Scientist gilt bei Lonza als geglückt. Die These diverser Analysten, wonach der Bedarf an solchen Kräften steigen wird, würde Bitzel sofort unterschreiben. Wo aber findet ein CIO Data Scientists? „Überall da, wo es gute IT-ler gibt“, überlegt Bitzel. Sie richtet ihren Blick erst einmal gen Asien, will sich aber global nicht festlegen. Sie weiß jedoch: „Wer sagt, es muss jemand von der TU Karlsruhe sein, der wird scheitern.“
Neben dem fachlichen Profil, das sich angesichts der Kürze dieser beruflichen Rolle noch entwickeln muss, findet Bitzel die Einstellung und Herangehensweise der Data Scientists sehr wichtig. Nicht nur die CIO hat sich auf das Experiment eingelassen, James seinerseits ja auch. Dessen Flexibilität, ohne klares Aufgabenfeld loszulegen, weiß die Managerin zu schätzen. Ein Data Scientist muss auf jeden Fall eine Meta-Perspektive einnehmen können. Und dazu eignet sich das Lonza-Hochhaus mit seinen 68 Metern ja sehr gut.
* Christiane Pütter schreibt für Computerwoche und CIO.de.
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