Bernd Seufert, Handelsexperte der Managementberatung Horváth & Partners, sieht den prognostizierten Niedergang des stationären Handels differenziert. Während im Elektronik- oder Mode-Business bereits bis zu 50 Prozent der Umsätze online laufen, kommt der Lebensmittelhandel im Netz kaum voran. [...]
Die Digitalisierung des Sektors gehe jedenfalls weit über den reinen Online-Shop hinaus: „Man muss diesen Prozess umfassend betrachten, mit dem Ziel, flexibel zu sein für künftige Kundenanforderungen und Erwartungen“, so Seufert.
Hand in Hand mit dem Trend zu immer mehr Ein-Personen-Haushalten und einer zunehmenden Aufspaltung der Gesellschaft in Mikro-Zielgruppen, muss der Handel in der Lage sein, neue Angebote für die neuen Anforderungen zu schaffen. Hinzu kommt die immer größere Differenzierung zwischen „Stadt“ und „Land“ oder „Jung“ und „Alt“. Das digitale Know-how habe zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt, „multichannel“ zu agieren, sei für den Handel daher „völlig normal“. Die digitale Transformation sei letztlich auch eine Chance, mit den Wünschen der Kunden einherzugehen.
Kunde zahlt für Lieferung noch nicht
Der Lebensmittelhandel über das Internet ist bis jetzt noch nicht profitabel, das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben. Grund dafür ist unter anderem die fehlende Bereitschaft des Kunden, für den Transport der Lebensmittel ins Haus zu bezahlen. Kommissionierung und Transport übernehmen die Handelsketten bisher selbst. Doch die Rahmenbedingungen werden sich ändern, ist Seufert überzeugt. Große Händler sind bereits dabei, die kostenlose Lieferung zu überdenken.
Es wird ein harter Kampf
Online und stationär sind laut Seufert schon heute gleichwertig, doch das Mindset komplett unterschiedlich. Während Online-Shops eher datengetrieben sind, arbeiten herkömmliche Märkte mit Emotionen. Es sei wahrscheinlich für Amazon und Co einfacher, in den stationären Handel einzusteigen als umgekehrt. Seufert warnt den Handel deshalb, allzu optimistisch zu sein oder gar die Entwicklungen zu verschlafen, die mit den großen Playern ins Haus stehen. In den USA wird viel experimentiert, die F&E-Investitionen seien unvorstellbar hoch. REWE, SPAR und Co seien daher gut beraten, wenn sie in diese Richtung investieren. „Ich glaube, es wird ein harter Kampf“, so Seufert.
Transformation in den Köpfen
Seufert glaubt nicht daran, dass durch die zunehmende Verlagerung des Handels ins Internet unmittelbar Massenarbeitslosigkeit droht. Allerdings verändern sich die Aufgaben, und daher sei es auch so wichtig, die Mitarbeiter mitzunehmen beziehungsweise die Online-Kompetenz auch im stationären Handel zu schulen. Investitionen in Mitarbeiter und die Schaffung einer positiven Atmosphäre könnten die Umsätze mit Zusatzverkäufen um bis zu 30 Prozent steigern, ist der Horváth-Berater überzeugt. Die digitale Transformation müsse nicht nur in den Prozessen, sondern auch in den Köpfen der Belegschaft erfolgen.
Die Zukunft wird flauschig
Ganz allgemein zeigt sich Seufert zuversichtlich, dass die laufende Automatisierung und Digitalisierung des Handels noch mehr Komfort und Nutzen für die Verbraucher bringen wird. Der Mehrwert zählt. „Das war schon in der Vergangenheit so, dass der Fortschritt immer auch mehr Bequemlichkeit für den Konsumenten gebracht hat – egal, ob beim Automobil, bei der Waschmaschine oder bei den Fertiggerichten aus dem Kühlschrank.“ Auf der anderen Seite werde es auch vielfältige, wachsende Nischen wie neue Wochenmärkte, Tastings, Curated Shopping und so weiter zur Entschleunigung geben, mit denen ein anderer Lifestyle kultiviert wird. „Die Zukunft wird flauschig.“
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