Streaming mit Seele

Für fast alles gibt es bereits Streaming-Dienste, nur nicht für Liveshows wie Konzerte, Theater oder Performance-Kunst. Vier Unternehmensgründer schaffen mit true-live! jetzt eine solche Plattform in einem Projekt des IT-Clusters mit Unterstützung der FH Oberösterreich. [...]

Jörg Pfaffenzeller, selbst Musiker, hat mit drei Kollegen die Streaming-Plattform true-live! für das Live-Streaming von Konzerten entwickelt. © True GmbH

Sport, Serien, Filme – dafür gibt es bereits unzählige Streaming-Dienste, die teilweise auch live übertragen. Was fehlt, ist eine digitale Streaming-Plattform für Liveshows wie Konzerte, Zirkus, Lesungen, Theater, Oper oder Performance-Kunst. Vier Unternehmensgründer schaffen mit true-live! jetzt eine solche Plattform und entwickeln sie in einem Projekt des IT-Clusters der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria mit Unterstützung der FH Oberösterreich. Jörg Pfaffenzeller ist einer der vier Geschäftsführer der True GmbH, selbst Musiker und erzählt im Interview die Entstehungsgeschichte der Streaming-Plattform.

Wie kam es zur Idee für dieses Projekt?

Man will einen Künstler sehen, aber es geht sich zeitlich nicht aus oder man ist zu weit weg. Pain. Zu Hause hat man den Flatscreen mit guter Bild- und Tonqualität. Es wäre doch so einfach… Vereinzelt werden große Konzerte, Festivals etc. auf den großen Streaming-Plattformen angeboten. Was fehlt, ist ein eigener Streaming-Dienst für alle Formen, Genres und Größen professioneller Performance-Kultur. Die vielen herausragenden Künstler, aber auch die kulturellen Orte, an denen die große Vielfalt an künstlerischen Aufführungen stattfindet, bleiben digital bisher unsichtbar.

Aus Sicht des Musikfans gibt es keinen digitalen Ort, an dem sie die Shows ihrer Lieblingskünstler von ihrem Lieblingsclub „on demand“ und/oder „echt live“ abrufen können. Bei Live-Kunst- und -Kultur gibt es noch keinen hochwertigen Content und damit unzufriedene Fans. Wir bieten deshalb eine Plattform, die eine bekannt gute User Experience wie Netflix oder DAZN hat. Nämlich: Redaktionell betreutes Musikprogramm. Künstler, Locations – akkreditiert – liefern mit unserer Unterstützung (Technik- und Schulungspakete) gute Qualität. Das neue Netflix bzw. DAZN für Liveshows – Konzerte, Theater, Oper, Kleinkunst, Zirkus, Lesung und mehr.

Wie beurteilt ihr das wirtschaftliche Potenzial?

Der Markt ist groß: 2021 lag der Umsatz der Musikindustrie weltweit bei 25,9 Milliarden US-Dollar mit zweistelligen Wachstumsraten. Spotify hat 138 Millionen Abonnenten. 90 Prozent der Streams kommen von „nur“ 100.000 Artists. Jeder Einzelne hört maximal 100 verschiedene Künstler, eingefleischte Fans vielleicht zehn. Der Musikmarkt ist sehr divers. Es ist nicht mehr wie früher, wo die Plattenläden voll waren. Der Kuchen teilt sich auf viele mehr auf – das hat Streaming ermöglicht. Und der Streamingmarkt wächst.

Wie weit fortgeschritten ist das Projekt?

Die Plattform läuft seit einem halben Jahr in der Betaphase. Eine Location in London, eine deutsche und zwei aus Österreich sind Partner. Bei 30 gestreamten Performances waren bereits 2.500 Zuschauer live dabei. Wir kommen alle aus der Branche – Musiker, Webspezialisten, Techniker, Datenspezialisten -– und wissen, wo die Bedürfnisse liegen. Unsere Plattform hat sich in der österreichischen Musikszene schon herumgesprochen. Künstler wie Hubert von Goisern oder Parov Stelar haben uns ermuntert, unbedingt dranzubleiben.

Die Plattform steht, jetzt geht es ans Rollout. Die nächsten Challenges sind dann der Vertrieb – das Akquirieren der Kanalpartner – und das Online-Marketing, um weitere User zu gewinnen. Auch die Personalressourcen müssen wir schaffen. Wir wollen im D-A-CH-Raum anfangen. Von dort aus bis in die EU in den nächsten fünf Jahren. Und dann möglichst weltweit. Hoch gesteckte Ziele, das wissen wir.

Wie wollt ihr das angehen bzw. schaffen?

Jetzt gilt es, die Kunst- und Kultur zu überzeugen. Die Künstler müssen keine Angst haben, dass sie dann keine realen Zuschauer mehr haben. Dort, wo die Aufmerksamkeit ist, wo die Kamera ist, ist das Live-Publikum und bleibt es auch. Die finnische Metalszene hat gezeigt: In Finnland ist sie am größten, aber die meisten Fans leben in Südamerika. Und auch im Sport funktioniert das über die Grenzen hinweg. Warum also nicht auch in der Kunst- und Kulturwelt?

Was waren bisher die größten Herausforderungen?

Die größte technische Herausforderung: Die Plattform braucht wahnsinnig viele Daten. Streaming an sich ist sehr komplex und muss von den Kanalpartnern selbst gewartet werden. Das haben bisher wir gemacht. Aber für Tausende können wir die Konzert-Streamings nicht anlegen. Das müssen die Channelpartner selbst machen. Und das muss so einfach sein wie die Bedienung von Facebook. Das zu programmieren war die größte Herausforderung, die AWS Amazon gemeistert hat.

Die Verwirklichung dieser Plattform nach einem dirigierten Zusammenspiel vieler Beteiligter: Künstler, Veranstalter, Webprogrammierer, KI-Programmierer, Film- und Tontechniker, Kameraleute, Regisseure, Redakteure, Streaming-Techniker, IT-Techniker, Software Developer, Social Media Experts, Marketingexperten, Rechtsanwälte, Unternehmensberater. Unsere Clusterkooperation mit Spezialisten und Experten aller notwendigen Disziplinen, gepaart mit einem guten Projektmanagement, kann zum Erfolg unserer Streaming-Plattform mit rasch wachsendem Content und viraler Verbreitung führen.

Ist true-live! kostenpflichtig?

Bisher ist der Zugang gratis. Das soll umgewandelt werden in ein Abo- und Ticketingsystem. Das Zahlungsmodell dahinter ist ebenfalls herausfordernd. Es ist noch ein Stück zu gehen bis zum Rollout. Aber wir sind ziemlich knapp dran. Wir hoffen, dass die Kunst- und Kulturbranche mitzieht und ein zusätzliches digitales Geschäftsmodell auf die Beine stellt.

Warum haben sich die „Großen“ noch nicht herangewagt?

Es gab vereinzelt Versuche. Amazon zum Beispiel hat Künstler in Studios aufgezeichnet. Aber da fehlt die Seele. Es fehlt das Wesen der Livekultur. Warum gehen wir in Konzerte? Es ist das Prickeln, die Spannung, das live Dabeisein. Bei Amazon war das viel zu steril. Die Erstinvestition ist meist eine Hürde. Und das Know-how. Mit unseren Technikpaketen und Schulungspaketen schafft es auch ein kleiner Kulturverein, coole Streamings zu machen. Es gab bisher niemanden, der die Veranstalter unterstützt.

Alle sind bisher auf die Künstler zugegangen, die sind aber aus unserer Sicht nicht der Schlüssel. Kunst- und Kulturveranstalter haben viel zu tun – es muss leicht sein, das aufzusetzen. Auch das Abrechnungssystem muss easy sein, mit Analyse, etc. Alles automatisiert – das bieten wir mit der Plattform an. Weg von verwackelten Handyvideos – hin zu guter Qualität in Bild und Ton.

Wie war die Zusammenarbeit im Projektteam?

Das war eine sehr gute Zusammenarbeit. Die Förderung, die wir mithilfe des IT-Clusters erhalten haben, hat uns massiv geholfen, vor allem hat dies die Zusammenarbeit mit IT-Experten ermöglicht. Das Forschungsinstitut von Dr. Ullrich Bodenhofer hat sehr dazu beigetragen, dass unsere Recommendation funktioniert – das ist ein sehr ausgeklügeltes System und war ganz wichtig dafür, dass wir schon so weit sind. Wir haben noch einen weiten Weg zu gehen, aber die Marktreife ist da. Wir sind wahnsinnig froh über die Unterstützung von Business Upper Austria!

Wer ist eure Zielgruppe? Werden die Nutzer eure Kunden sein?

Wir werden eine Mischung aus Kleinen und Großen brauchen – wir richten uns nicht direkt an die Künstler. Die Veranstalter sind die Profis. Der größte Teil der Einnahmen geht an die Veranstalter.

Besonderheiten von true-live!

  • Bestmögliche Streaming-Qualität durch optimierte Codecs und Algorithmen
  • Hoher Bedienkomfort und breite Verfügbarkeit – Apps für alle Plattformen: Smart-TV, Android, Apple, Web…
  • Entwicklung einer Vision Profiling Engine auf Basis von KI mit der FH OÖ – Intelligente Algorithmen schlagen passende Shows nach den eigenen Sehgewohnheiten vor, nach Künstler, Location, City, Alter, Geschlecht, Beruf, Jahreszeit, Wetter etc.
  • Nicht nur kommerzielle Spitze, sondern alle künstlerisch relevanten Acts
  • Redaktionsteam sorgt für Qualitätssicherung und Ausgewogenheit des Contents
  • Features wie Trailer, Fotos, Beschreibung Hintergrundinfos lassen die Fans in die Original-Kulturszene eintauchen
  • Chat und Community-Tools

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