Studie: Umsätze von Telkos bis 2015 im Sinkflug

Bis 2015 droht dem Telekom- und Pay-TV-Sektor europaweit ein Rückgang der Umsätze im Kerngeschäft um -1,8 Prozent jährlich. In Österreich könnte dieser Rückgang noch gravierender sein, denn die Umsätze sind etwa im Mobilfunkmarkt zwischen 2010 und 2011 laut Analysten um 5,8 Prozent geschrumpft und auch für 2012 wird ein Rückgang von vier Prozent erwartet. [...]

Die technische Entwicklung hin zu einer komplett vernetzten „Pan-IP-Welt“ stellt für die Umsätze der Telekommunikationsunternehmen eine große Bedrohung dar. Die Verschiebung der Technologie entzieht den „Telkos“ europaweit große Teile ihrer Geschäftsgrundlage, weil vor allem Umsatztreiber wie Sprachtelefonie und SMS zunehmend über IP geführt werden. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse der neuen Studie „Telecom Operators: Let’s Face it“, der 11. Auflage der jährlichen europaweiten Studie der globalen Managementberatung Arthur D. Little und dem Equity Broker Exane BNP Paribas.

Die neue „IP-Welt“ bezeichnet den zunehmenden Gebrauch der Internet Protocoll- (IP) Technologie zur Kodierung von Sprachsignalen in digitale Pakete, um diese über das Internet zu verschicken – und eben nicht über die kostenpflichtigen Netze der herkömmlichen Telefontechnologien. Bis 2015 droht dem Telekom- und Pay-TV-Sektor europaweit daher ein Rückgang der Umsätze im Kerngeschäft um -1,8 Prozent jährlich. In Österreich könnte dieser Rückgang noch gravierender sein, denn die Umsätze sind etwa im Mobilfunkmarkt zwischen 2010 und 2011 laut Analysten um 5,8 Prozent geschrumpft und auch für 2012 wird ein Rückgang von 4 Prozent erwartet. „Ursachen für ein Anhalten dieses Minus sind neben einem schwierigen makroökonomischem Umfeld und regulatorischen Eingriffen ein stärkerer Wettbewerb durch sogenannte ‚Over-The-Top“ (OTT)-Player‘, sagt Karim Taga, Geschäftsführer von Arthur D. Little Austria und Global Practice Leader des Bereichs TIME (Telekommunikation, Information, Medien und Elektronik). OTT-Player sind Unternehmen wie Google, Apple oder Skype, die ihre Services kostenlos oder zumindest günstiger als die klassischen Telekommunikationsunternehmen über das Internet anbieten.

Die Studie zeigt, dass insbesondere Telkos von einer noch stärkeren Bedrohung durch OTT-Angebote im Mobilbereich (Sprachtelefonie und SMS) ausgehen müssen. Das Resultat: Regulierungsbehörden und Wettbewerbsdruck sorgen dafür, dass die Preise für das Telefonieren mit dem Smartphone bzw. Handy jedes Jahr durchschnittlich um 10 Prozent sinken. Auch das Wachstum mit SMS-Diensten ist in den vergangenen Quartalen europaweit zurückgegangen.

PLUS BEI DATENDIENSTEN
Auf der anderen Seite wächst der Umsatz mit reinen Datendiensten in Österreich derzeit um 6 bis 7 Prozent pro Quartal, wenngleich dieses Wachstum bereits deutlich unter jenem des deutschen Marktes liegt (ungefähr 20 Prozent). Das Dilemma: Dieses Wachstum bei den IP-Datendiensten „kannibalisiert“ die Nutzung von SMS, da man seit geraumer Zeit Kurznachrichten unbegrenzt und ohne weitere Kosten über Messenger-Dienste wie z. B. WhatsApp verschicken kann. Mit diesem Wendepunkt zugunsten von Datendiensten sehen sich auch die österreichischen Anbieter konfrontiert. „Die befragten Telko-Manager gehen aber davon aus, dass durch speziell gebündelte Angebote der Umsatzverlust durch eine sinkende Nutzung von SMS Diensten teilweise aufgefangen werden kann“, so Taga. Dafür spricht auch die rasant steigende Penetrationsrate bei Smartphone Tarifen in Österreich, die im 4. Quartal 2011 bereits bei 41 Prozent liegt. Dies ist eine Steigerung von sieben Prozentpunkten gegenüber dem vorangegangenen Quartal.

Knapp drei Viertel der Studienteilnehmer – bestehend aus Telekommunikations- und Kabelnetzunternehmen (59 Prozent), Medien- und Softwareunternehmen (19 Prozent), Regulierungsbehörden und anderen (15 Prozent), sowie Ausrüstungs- bzw. Netzinfrastruktur-Unternehmen (6 Prozent) – sehen vor allem den Umsatztreiber „Mobilfunkgespräche“ gefährdet, die den Telkos derzeit noch hohe Margen einbringen – wie etwa Auslandsgespräche. Wer diese über Skype führt, spart sich sowohl die Roaming-Gebühren als auch die regulären Kosten.

Besser sieht es im Segment Festnetz aus, dem zweiten Standband vieler europäischer Telkos. Hier eröffnet OTT-TV, also das Fernsehen über die heimische Internetverbindung, neue Chancen. So können die Telkos einerseits zusätzliche Marktanteile mit eigenen TV-Angeboten gewinnen. Zudem werden sie von einer wachsenden Zahl an TV-Angeboten profitieren, die über das Internet verbreitet werden, da diese Entwicklung eine größere Bandbreite notwendig macht, was wiederum die Nachfrage auf der Konsumentenseite nach Glasfasernetz-Angebote befeuern dürfte.

Österreichische Marktteilnehmer sehen sich insgesamt gut aufgestellt gegen diese neue Konkurrenz aus der Internetbranche. Dies vor allem durch einen direkteren Zugang zum Kunden und insgesamt höheres entgegengebrachtes Vertrauen in Bezug auf Datensicherheit und den Schutz der Privatsphäre.

STRATEGIEN GEGEN UMSATZRÜCKGÄNGE
Konkret bieten sich für die Telekommunikationsunternehmen nach Ansicht der Studienautoren vier Strategien an, um auf die Trends zu reagieren: Im Hinblick auf die Preisbildung bietet sich an, unterschiedliche Mehrwertdienste zu bündeln und zum monatlichen Festpreis anzubieten. Dies ist allerdings nur sinnvoll, solange der Kunde immer noch den Mehrwert gegenüber den IP-Lösungen wahrnehmen kann. Eine zweite mögliche Reaktion, die ebenfalls beim „Pricing“ ansetzt, sind höhere Preisen für schnellere Downloadgeschwindigkeiten. Auf Produktebene läge eine mögliche Reaktion nach Ansicht der Strategieexperten im Anbieten von zusätzlichen Features, die über eine Schnittstelle laufen können. Weiteres Differenzierungspotenzial bieten Qualität beim Service und lokale Shops. Alternativ könnten die Telkos auch eigene OTT-Services anbieten, was einige österreichische Unternehmen bereits aktiv betreiben.

Für die Telkos bieten sich für die kommenden Jahre zudem noch einige angrenzende Märkte, mit denen sie – sofern sie dort investieren – den Rückgang ihrer Umsätze abschwächen können: So benötigt die Energiebranche Dienstleistungen rund um die Smart Meter und allgemein beim Handling des Smart Grids.

Im neuen, intelligenten Zuhause warten beispielsweise automatisierte Anwendungen und die persönliche Sicherheit/Überwachung darauf, von den Telkos „entdeckt“ zu werden. Blickt man auf die Automotive-Branche, kommen hier nicht nur die vielen Möglichkeiten der „connected cars“ als neues Geschäftsfeld für die Telkos in Frage, sondern auch Dienstleistungen mit Flottenmanagement, bei der Verfolgung von Fracht und Containern sowie anderen logistischen Prozessen.

Ähnliche Beispiele für ein realistisches künftiges Engagement der Telkos gibt es für industrielle Prozesse, den Healthcare-Markt, das mobile Bezahlen im Einzelhandel und für mobile Endgeräte. Im österreichischen Markt wird von den Interviewteilnehmern insbesondere Wachstumspotential in den Bereichen Over-the-top content, Smart metering/ Energy und E-Health gesehen. „Angesichts der rückläufigen Umsätze im Kerngeschäft und der großen Herausforderungen durch Over-the-Top-Player werden europäische Telekommunikationsbetreiber neue Geschäftsmodelle entwickeln und umsetzen müssen und sich zudem mit Umsatzquellen in angrenzenden Märkten auseinandersetzen“, sagt Karim Taga.

Nach Berechnungen von Arthur D. Little könnten die potenziellen Umsätze sich bis zum Jahr 2015 auf 4 bis 9 Prozent des Gesamtumsatzes großer Telkos belaufen. Allerdings reicht dieser Wert nicht für die vollständige Kompensation des insgesamt negativen Trends aus. Daher müssen sie zudem noch weiter ihre Kosten optimieren, sowohl im Hinblick auf operative Kosten als auch auf Investitionsebene.

KÜNFTIGE STRUKTUR DER TELKO-BRANCHE
Vor dem Hintergrund des wegbrechenden SMS- und Telefoniegeschäfts und den neuen Chancen in den angrenzenden Märkten geht man bei Arthur D. Little davon aus, dass sich die europäischen Telkos künftig für eins von drei unterschiedlichen Modellen entscheiden und ihre Strategie entsprechend anpassen werden:

– Mega-Betreiber, die auf lokaler und globaler Ebene nicht nur eine Netzinfrastruktur, sondern auch gleich verschiedene Services und Inhalte anbieten. Diese „Mega-Betreiber“ gibt es in allen Ländern Europas. Zunehmend sind sie in sogenannten „Verticals“ aktiv, also in Branchen wie Energie, Einzelhandel oder Medizintechnik, in denen die neuen Möglichkeiten der Mobilfunktechnologien den Bedarf nach neuen Telekommunikations-Dienstleistungen geweckt haben. Durch Dienstleistungen in diesen „Verticals“ können die Telkos ihr brüchiges Geschäft wieder stabilisieren.

– Alternativ könnte sich ein Unternehmen auf eines oder wenige Länder beschränken und in der Wertschöpfungskette breit aufgestellt bleiben.

– Ein dritter strategischer Weg liegt in der Konzentration der Angebote auf Infrastruktur wie etwa das Festnetz oder das Mobilfunknetz auf lokaler oder nationaler Ebene.

„Investitionen in die Infrastruktur werden der Schlüssel zur Differenzierung sein. Um auf diese Weise ihre strategische Position zu erhalten, ist es für Telekommunikationsunternehmen zunehmend wichtiger, die Struktur ihrer operativen Kosten zu optimieren. Wir gehen zudem von einer lokalen Marktkonsolidierung aus“, erklärt Taga. Auch die österreichischen Marktteilnehmer gehen generell von einer weiteren Konsolidierung aus, sehen diese jedoch eingeschränkt durch regulatorische Maßnahmen und die geringe Marktgröße, was sich aktuell am Beispiel der geplanten Übernahme von Orange durch Hutchinson 3G Austria zeigt. (pi)


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