Sudien: Einzelhändler wollen Supply-Chain-Strategie zukunftsorientierter gestalten

Nur ein kleiner Teil der Unternehmen hält sich für ausreichend agil, um die sich verändernden Geschäftsanforderungen zu meistern, so ein Report von Capgemini Research Institute. Eine neue Alvarez & Marsal-Studie sieht einen starken Trend in Richtung Risikominimierung, was die Modernisierung der Supply Chain bremsen könnte. [...]

Wolfgang Mandl, Sales Director bei Capgemini in Österreich (c) Capgemini
Wolfgang Mandl, Sales Director bei Capgemini in Österreich (c) Capgemini

ine neue Studie des Capgemini Research Institute hat die Beeinträchtigungen des vergangenen Jahres auf die Lieferketten von Konsumgütern und Einzelhandel untersucht. 66 Prozent der Unternehmen geben an, dass sie ihre Strategie in den nächsten drei Jahren erheblich ändern werden, um sich an die Auswirkungen der Pandemie anzupassen und die Resilienz ihrer Betriebsabläufe zu stärken. Nur 23 Prozent der Konsumgüterunternehmen und 28 Prozent der Einzelhändler glauben, dass ihre Lieferkette agil genug ist, um den sich verändernden Geschäftsanforderungen gerecht zu werden. Für die Studie wurden 400 Führungskräfte aus 11 verschiedenen Ländern zwischen August und September 2020 befragt.

COVID-19 war ein Weckruf für Konsumgüter- und Einzelhandelsunternehmen: 85 Prozent der Konsumgüterunternehmen und 88 Prozent der Einzelhändler geben an, dass sie mit Beeinträchtigungen konfrontiert waren. 63 Prozent der Konsumgüterunternehmen und 71 Prozent der Einzelhändler sagten, dass es drei Monate oder länger dauerte, bis sich ihre Lieferketten von den Störungen erholt hatten. Infolgedessen richten die Unternehmen ihre Strategien neu aus und legen den Fokus auf drei kritische Bereiche: Bedarfsanalyse, Lieferkettentransparenz und Regionalisierung.

Der Wechsel zur Bedarfsanalyse

Mehr als zwei Drittel der Unternehmen (68 Prozent) geben an, dass sie Schwierigkeiten bei der Bedarfsplanung hatten, weil ihnen genaue und aktuelle Informationen über die schwankende Kundennachfrage während der Pandemie fehlten. Inzwischen geben 54 Prozent an, dass sie Analytik mit künstlicher Intelligenz bzw. maschinellem Lernen für die Nachfrageprognose einsetzen werden, um die Auswirkungen von COVID-19 zu meistern.

Transparenz ist entscheidend

75 Prozent der Konsumgüterhersteller hatten Schwierigkeiten, als sie aufgrund von COVID-19 die Produktionskapazität schnell erhöhen oder verringern mussten. Um die Agilität dafür zu entwickeln, sollten Hersteller die Transparenz innerhalb ihrer Lieferkette optimieren, empfehlen die Studienautoren. Dieses Vorgehen kann dabei helfen, operative Entscheidungen strategischer bzw. taktischer Art auch in Echtzeit zu treffen.

„Konsumgüterunternehmen und Einzelhändler erkennen das große Risiko zukünftiger Beeinträchtigungen. Die meisten wollen daher agiler werden, um ihre Lieferketten schnell anpassen zu können und so Resilienz zu entwickeln. Die Pandemie wirkt letztlich als Beschleuniger der Digitalisierung“, betont Wolfgang Mandl, Sales Director bei Capgemini in Österreich. „Unternehmen haben festgestellt, dass neue Technologien die dringend benötigte Agilität ermöglichen – von der Verbesserung der Nachfrageprognose und der Beschleunigung der Auftragsabwicklung bis hin zu schnelleren, kosteneffizienten Lieferungen auf der letzten Meile.“

Unternehmen erkennen die Bedeutung von Investitionen in digitale Lösungen zur Verbesserung der Planbarkeit. 58 Prozent der Einzelhändler und 61 Prozent der Konsumgüterunternehmen international beabsichtigen, verstärkt in die Digitalisierung der Lieferketten zu investieren. Im Einzelnen planen 47 Prozent der Unternehmen Investitionen in die Automatisierung, 42 Prozent in Robotik und 42 Prozent in künstliche Intelligenz. 64 Prozent bzw. 63 Prozent der Unternehmen haben außerdem vor, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen in den Bereichen Transport- und Preisoptimierung umfassend einzusetzen.

Regionalisierung statt Globalisierung

Um Störungen in Zukunft zu vermeiden, wechseln Konsumgüter- und Einzelhandelsunternehmen von der Globalisierung zur Regionalisierung ihrer Lieferanten- und Produktionsbasis. 72 Prozent der Konsumgüterunternehmen und 58 Prozent der Einzelhändler geben an, dass sie aktiv in die Regionalisierung ihrer Produktionsstätten oder die Verlagerung der Fertigung ins nahegelegene Ausland investieren.

65 Prozent der Konsumgüter- und Einzelhandelsunternehmen investieren zudem in die Regionalisierung ihrer Lieferantenbasis; in Großbritannien tun dies sogar 83 Prozent und in Indien 73 Prozent. Entsprechend dieser Strategien werden globale Lieferanten in drei Jahren nur noch 25 Prozent der Einzelhandelskapazitäten ausmachen – gegenüber aktuell 36 Prozent. Bei den Konsumgütern wird der Anteil globaler Hersteller von heute 25 Prozent auf 17 Prozent sinken.

Im Einklang mit dem Trend zur Regionalisierung und da die Laufkundschaft im stationären Einzelhandel zurückgeht, werden sogenannte Dark Stores zu einer immer nützlicheren Alternative bei der Bearbeitung von Online-Bestellungen. Denn diese Distributionszentren für den Online-Handel verfügen über eigenständige Betriebseinheiten, die näher an den Lieferadressen liegen. Frühere Studien von Capgemini zeigten, dass bei einer Steigerung der Anzahl der Lieferungen von Dark Stores um 50 Prozent die Gewinnmargen um sieben Prozent steigen könnten. Die Gründe dafür sind niedrigere Lieferkosten und ein höherer Lieferdurchsatz im Vergleich zu den Filialen – wobei der Filialbetrieb nicht beeinträchtigt wird.

Risikominderung

Eine neue Studie von Alvarez & Marsal (A&M) widmet sich ebenfalls der Zukunft des Einzelhandels und den Auswirkungen der Covid-19-Krise auf die Lieferketten. Unter dem Namen „The Shape of Retail: COVID-19 and the Future of Retai Supply Chains“ betätigt die Londoner Unternehmungsberatung, dass die Krise Unternehmen gezwungen hat, eine Diversifizierung der Lieferanten und sogar Dual-Sourcing in Betracht zu ziehen, um die Kontinuität der Versorgung sicherzustellen.

Die Untersuchung ergab, dass fast 70 Prozent der befragten Einzelhändler als direkte Folge von COVID-19 eine Überprüfung ihrer Lieferketten durchgeführt haben. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der befragten Einzelhändler gaben an, dass sie bereits eine Reihe ihrer Lieferketten diversifiziert haben. Weitere Maßnahmen waren die Reduzierung der Produktpalette (30 Prozent), Nearshoring (23 Prozent), Diversifizierung der Beschaffungsländer (15 Prozent), Onshoring (14 Prozent) und die Erhöhung der Lagerbestände (5 Prozent). Allerdings gab es einen deutlichen Unterschied zwischen Lebensmittel- und Nicht-Lebensmittel-Einzelhändlern, wobei die Lieferketten der Agrar- und Ernährungswirtschaft viel flexibler zu sein scheinen, was den Wechsel von Lieferanten und Beschaffungsländern angeht.

Die Umfragedaten zeigen auch, dass Strategien zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der Lieferkette nicht in gleichem Maße in allen Teilen der Einzelhandelsbranche angewendet werden. Maßgeschneiderte Lösungen werden je nach Standort des Einzelhändlers, Produkttyp, Produktionskomplexität, Saisonalität, Produktionskosten, Materialqualität, Automatisierungsgrad, Logistik, Gewinnmargen und vielen anderen Faktoren formuliert. Daher werden sich die Lieferkettenstrategien je nach Branche, Land und einzelnen Einzelhändlern stark unterscheiden und in unterschiedlichem Tempo erfolgen.

Einige Teile des Marktes sind jedoch unverhältnismäßig stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen, wobei die Einzelhändler im Überlebensmodus bleiben, indem sie die Kosten senken und das Betriebskapital schonen. Für diese Unternehmen wird ihre betriebliche Flexibilität durch die kommerziellen Realitäten eingeschränkt, so dass sie weniger Möglichkeiten haben, ihre Lieferketten neu zu gestalten, so die A&M-Studie.

Die Einzelhändler und ihre Kompetenz zur Diversifizierung der Beschaffungsländer, zum Near- und On-Shoring werden immer stärker unter die Lupe genommen. Zahlreiche Hindernisse verhindern jedoch eine scharfe und plötzliche Verlagerung hin zu einer stärkeren Beschaffung aus europäischen Binnenländern.

Einzelhändler nannten höhere Kosten als Haupthindernis für die Verlagerung von Lieferketten ins Ausland, aber auch mangelnde Spezialisierung, die Auswahl der Lieferanten und Bedenken hinsichtlich der Kapazitäten dürften das Tempo dämpfen. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Beschaffungsstrategien wird letztendlich die Entscheidungsfindung der Unternehmen bestimmen, aber es gibt eindeutig den Wunsch der Einzelhändler, mehr lokal zu beschaffen, wenn es die Wirtschaftlichkeit des Einzelhandels erlaubt.


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