Supraleitung: Der Wasserstoff ist schuld

Nickel soll ein neues Zeitalter der Supraleitung einläuten – das gestaltet sich allerdings schwieriger als gedacht. An der TU Wien konnte man nun erklären, woran das liegt. [...]

Bei der Herstellung von Nickelas-Supraleitern können zwei Endprodukte entstehen. Wenn Wasserstoff eingeschlossen wird, ist das Material supraleitend.
Bei der Herstellung von Nickelas-Supraleitern können zwei Endprodukte entstehen. Wenn Wasserstoff eingeschlossen wird, ist das Material supraleitend. (c) Grafik: TU Wien

Im vergangenen Sommer wurde ein neues Zeitalter für die Hochtemperatur-Supraleitung ausgerufen – das Nickel-Zeitalter. Man hatte entdeckt, dass es in einer speziellen Klasse von Materialien, den sogenannten Nickelaten, vielversprechende Supraleiter gibt, die auch bei hoher Temperatur elektrischen Strom immer noch völlig ohne Widerstand leiten können.

Allerdings zeigte sich bald, dass die zunächst so spektakulären Ergebnisse aus Stanford von anderen Forschungsgruppen nicht reproduziert werden konnten. An der TU Wien hat man nun den Grund dafür gefunden: Bei manchen Nickelaten werden zusätzliche Wasserstoffatome in die Materialstruktur eingebaut. Dadurch ändert sich das elektrische Verhalten des Materials völlig. Bei der Produktion der neuen Supraleiter muss man diesen Effekt nun im Auge behalten.

Die Suche nach den Hochtemperatur-Supraleitern

Manche Materialien sind nur in der Nähe des absoluten Temperatur-Nullpunkts supraleitend – für technische Anwendungen sind solche Supraleiter nicht zu gebrauchen. Daher sucht man seit Jahrzehnten nach Materialien, die auch bei höheren Temperaturen noch supraleitend bleiben. In den 1980er Jahren wurden „Hochtemperatur-Supraleiter“ entdeckt. Unter „hohen Temperaturen“ versteht man aber in diesem Zusammenhang immer noch eisige Kälte: Auch Hochtemperatur-Supraleiter müssen stark gekühlt werden, um ihre supraleitenden Eigenschaften zu bekommen. Die Suche nach neuen Supraleitern bei noch höherer Temperatur geht daher weiter.

„Lange Zeit konzentrierte man sich ganz besonders auf sogenannten Cuprate, also kupferhaltige Verbindungen. Man spricht daher auch vom Kupfer-Zeitalter“, erklärt Prof. Karsten Held vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien. „Mit ihnen gelangen einige wichtige Fortschritte, auch wenn es in der Theorie der Hochtemperatur-Supraleitung bis heute viele offene Fragen gibt.“  

Doch seit einiger Zeit dachte man auch über andere Möglichkeiten nach. Es gab bereits ein sogenanntes „Eisen-Zeitalter“, basierend auf eisenhaltigen Supraleitern. Im Sommer 2019 gelang der Forschungsgruppe von Harold Y. Hwang aus Stanford dann, Hochtemperatur-Supraleitung in Nickelaten nachzuweisen. „Aufgrund unserer Rechnungen haben wir bereits vor zehn Jahren Nickelate als Supraleiter vorgeschlagen, allerdings etwas andere als die, die man jetzt entdeckt hat. Sie sind mit den Cupraten verwandt, enthalten aber  Nickel statt der Kupfer-Atome„, sagt Karsten Held.

Bei der Herstellung von Nickelas-Supraleitern können zwei Endprodukte entstehen. Wenn Wasserstoff eingeschlossen wird, ist das Material supraleitend. (c) Grafik: TU Wien

Der Ärger mit dem Wasserstoff

Nach anfänglicher Begeisterung zeigte sich aber in den vergangenen Monaten, dass Nickelate doch schwieriger herzustellen sind als anfangs gedacht. Andere Forschungsgruppen berichteten, dass ihre Nickelate keine supraleitenden Eigenschaften haben. Dieser scheinbare Widerspruch konnte nun an der TU Wien aufgeklärt werden.

„Wir haben die Nickelate mit Hilfe von Supercomputern analysiert und haben dabei festgestellt, dass sie extrem empfänglich für Wasserstoff sind“, berichtet Liang Si (TU Wien). Bei der Synthese bestimmter Nickelate können Wasserstoffatome mit eingebaut werden, das ändert die elektronischen Eigenschaften des Materials völlig. „Allerdings passiert das nicht bei allen Nickelaten“, sagt Liang Si. „Unsere Berechnungen zeigen, dass es bei den meisten von ihnen energetisch günstiger ist, Wasserstoff einzubauen, bei den Nickelaten aus Stanford allerdings nicht. Auch geringfügige Änderungen der Synthesebedingungen können einen Unterschied ausmachen.“ Am 24. April 2020 konnte die Gruppe um Ariando Ariando von der NUS Singapore dann berichten, dass es ihr auch gelungen ist, supraleitende Nickelate zu herzustellen. Sie ließ den freiwerdenden Wasserstoff schon direkt bei der Produktion entweichen.

Mit Supercomputern die kritische Temperatur berechnen

An der TU Wien entwickelt und verwendet man neue Computerberechnungsmethoden, um die Eigenschaften von Nickelaten zu verstehen und vorherzusagen. „Nachdem hier immer eine große Zahl quantenphysikalischer Teilchen gleichzeitig eine Rolle spielt, sind die Rechnungen extrem aufwändig“, sagt Liang Si. „Durch die Kombination verschiedener Methoden gelingt es uns nun aber sogar, die kritische Temperatur abzuschätzen, bis zu der die verschiedenen Materialien supraleitend sind. Solche zuverlässigen Berechnungen waren bisher nicht möglich.“

So konnte das Team an der TU Wien etwa berechnen, in welchem Bereich sich die Strontium-Konzentration in den Nickelaten bewegen darf, um Supraleitung zu erlauben – und diese Vorhersage wurde jetzt im Experiment bestätigt.

„Hochtemperatur-Supraleitung ist ein äußerst komplexes und schwieriges Forschungsgebiet“, betont Karsten Held.  „Durch die neuen Nickelat-Supraleiter sowie unser theoretisches Verständnis und die Vorhersagekraft der Computerrechnungen eröffnet sich eine ganz neue Perspektive dem großen Traum der Festkörperphysik näher zu kommen: einem Supraleiter bei Umgebungstemperatur, also ohne Kühlung.“


Die Originalpublikation fimdem interessierte Leserinnen und Leser unter folgendem Link: Liang Si et al., Topotactic Hydrogen in Nickelate Superconductors and Akin Infinite-Layer Oxides ABO2, Phys. Rev. Lett. 124, 166402 (2020).


Mehr Artikel

Die Teilnehmer des Roundtables (v.l.n.r.): Roswitha Bachbauer (CANCOM Austria), Thomas Boll (Boll Engineering AG), Manfred Weiss (ITWelt.at) und Udo Schneider (Trend Micro). (c) timeline/Rudi Handl
News

Security in der NIS2-Ära

NIS2 ist mehr ein organisatorisches Thema als ein technisches. Und: Von der Richtlinie sind via Lieferketten wesentlich mehr Unternehmen betroffen als ursprünglich geplant, womit das Sicherheitsniveau auf breiter Basis gehoben wird. Beim ITWelt.at Roundtable diskutierten drei IT-Experten und -Expertinnen über die Herausforderungen und Chancen von NIS2. […]

Christoph Mutz, Senior Product Marketing Manager, AME, Western Digital (c) AME Western Digital
Interview

Speicherlösungen für Autos von morgen

Autos sind fahrende Computer. Sie werden immer intelligenter und generieren dabei jede Menge Daten. Damit gewinnen auch hochwertige Speicherlösungen im Fahrzeug an Bedeutung. Christoph Mutz von Western Digital verrät im Interview, welche Speicherherausforderungen auf Autohersteller und -zulieferer zukommen. […]

Andreas Schoder ist Leiter Cloud & Managend Services bei next layer, Alexandros Osyos ist Senior Produkt Manager bei next layer. (c) next layer
Interview

Fokus auf österreichische Kunden

Der österreichische Backup-Experte next layer bietet umfassendes Cloud-Backup in seinen Wiener Rechenzentren. Im Interview mit ITWelt.at erläutern Andreas Schoder, Leiter Cloud & Managed Services, und Alexandros Osyos, Senior Produkt Manager, worauf Unternehmen beim Backup achten müssen und welche Produkte und Dienstleistungen next layer bietet. […]

Miro Mitrovic ist Area Vice President für die DACH-Region bei Proofpoint.(c) Proofpoint
Kommentar

Die Achillesferse der Cybersicherheit

Eine immer größere Abhängigkeit von Cloud-Technologien, eine massenhaft mobil arbeitende Belegschaft und große Mengen von Cyberangreifern mit KI-Technologien haben im abgelaufenen Jahr einen wahrhaften Sturm aufziehen lassen, dem sich CISOS ausgesetzt sehen. Eine große Schwachstelle ist dabei der Mensch, meint Miro Mitrovic, Area Vice President DACH bei Proofpoint. […]

Alexander Graf ist Geschäftsführer der Antares-NetlogiX Netzwerkberatung GmbH. (c) Antares-NetlogiX Netzwerkberatung GmbH
Interview

Absicherung kritischer Infrastrukturen

NIS2 steht vor der Tür – höchste Zeit, entsprechende Maßnahmen auch im Bereich der Operational Technology (OT) zu ergreifen. »Wenn man OT SIEM richtig nutzt, sichert es kritische Infrastrukturen verlässlich ab«, sagt Alexander Graf, Experte für OT-Security (COSP) und Geschäftsführer der Antares-NetlogiX Netzwerkberatung GmbH, im ITWelt.at-Interview. […]

Brian Wrozek, Principal Analyst bei Forrester (c) Forrester
Interview

Cybersicherheit in der Ära von KI und Cloud

Die Bedrohungslandschaft im Bereich der Cybersicherheit hat sich zu einer unbeständigen Mischung von Bedrohungen entwickelt, die durch zunehmende Unsicherheit und steigende Komplexität bedingt ist. Zu diesem Schluss kommt der Report »Top Cyber-security Threats In 2024« von Forrester. ITWelt.at hat dazu mit Studienautor Brian Wrozek ein Interview geführt. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*