T-Systems: „Es ist falsch zu warten, bis der große Plan steht“

Telekom-Vorstand und T-Systems-Chef Adel Al-Saleh über die Lage der IT, die Corona-Folgen und die Rolle von GAIA-X. [...]

(c) Deutsche Telekom/Norbert Ittermann

Die vergangenen eineinhalb Jahre waren für viele Unternehmen eine Bewährungsprobe – auch für T-Systems: Mitten im Umbau der Geschäftsstruktur des deutschen IT-Dienstleistungsriesen schlug die CoronaPandemie zu und wirbelte die gesamte Weltwirtschaft durcheinander.

Adel Al-Saleh, Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom und CEO von T-Systems, zeigt auf, wo die IT-Branche gerade steht, wie es um die Chancen europäischer Unternehmen im Wettbewerb mit Amerikas Cloud-Giganten  bestellt ist und wie es T-Systems geht.

com! professional: Herr Al-Saleh, Deutschland hinkt – trotz des quasi erzwungenen Booms wegen Corona – in Sachen Digitalisierung weiter hinterher. Sie haben bei T-Systems einen ganz guten Überblick darüber, wie es bei den Unternehmen da draußen läuft. Was ist bei uns so schwer an der Digitalisierung? In anderen Ländern scheint es doch auch zu klappen …

Adel Al-Saleh: Ich sehe das nicht so negativ. Ja, wir haben Nachholbedarf und müssen die Digitalisierung beschleunigen. Aber es ist noch nicht zu spät. Deutschland muss sich an digitalen Vorreitern orientieren. Das können andere Länder sein, wenn es um die Digitalisierung der öffentlichen Hand geht, oder Unternehmen, wo höhere Produktivität, bessere Kundenbeziehungen oder digitale Geschäftsmodelle gefragt sind. Überall gilt es, die Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien zu prüfen. Cloud-Services beispielsweise werden heute in vier von fünf Unternehmen genutzt. Die öffentliche Hand tut sich damit jedoch noch schwer.

com! professional: Laut dem „Digitalisierungsindex Mittelstand“ der Telekom erreichen deutsche Unternehmen 58 von 100 möglichen Punkten. Da ist noch deutlich Luft nach oben. Was sind denn die Hindernisse? Die Unternehmenskultur, die typisch deutsche Skepsis gegenüber Neuem, die Mitarbeiter, die Kunden?

Al-Saleh: Tatsache ist: Der Index steigt. Im vergangenen Jahr gab es ein Plus von zwei Indexpunkten. Es handelt sich bei den 58 Punkten um einen Branchendurchschnitt. Industrie, Informationstechnik, Transportwesen oder der Bankensektor liegen deutlich darüber. Schlusslichter sind – noch – Handel und Dienstleistungen und das Baugewerbe.

„Deutschland muss sich konsequent an digitalen Vorreitern orientieren.“

com! professional: In vielen Branchen, vor allem dem von Ihnen erwähnten Handel, hat die Krise mehr oder weniger zwangsweise für einen gewissen Digitalisierungsschub gesorgt. Da ging es für viele Betriebe in den vergangenen Monaten ums Überleben …

Al-Saleh: Die Corona-Krise hat generell einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Viele Unternehmen mussten sich neu erfinden. Zum Beispiel kämpften Restaurants ohne Take-out- oder Online-Bestellmöglichkeit ums Überleben. Vor der Krise dachten viele nicht mal an digitale Services. Das Gleiche gilt für Unternehmen, heute nutzt fast jeder Tools für die digitale Zusammenarbeit. Ich bin sehr gespannt, wie sich der Index in den nächsten Jahren entwickelt. Ich erwarte deutliche Zuwächse in allen Branchen. Denn es hat sich gezeigt, dass digitale Vorreiter besser durch Krisen kommen als die Nachzügler.

com! professional: Welche Rolle spielt dabei die Politik? Digitalisierung beginnt ja zuerst im Kopf. Wer ist da weiter – die Politiker oder die Manager?

Al-Saleh: Ich schiebe niemandem den schwarzen Peter zu. Es ist das Gebot der Stunde, IT-Kompetenz zu stärken und digitale Transformation zur Chefsache zu machen. Und statt ewig langer Planung und Detailarbeit den Digitalisierungserfolg in kleinen, schnellen Schritten zu suchen. Rechtliche Rahmenbedingungen können für die Beschleunigung der Digitalisierung hilfreich sein, aber Manager können für ihre eigene Untätigkeit nicht die Politik verantwortlich machen.

com! professional: Also mehr probieren statt studieren?

Al-Saleh: Es lohnt sich zu starten, sobald etwas gut genug für einen Versuch ist. Dann ist kontinuierliches Finetuning natürlich Pflicht. Aber zu warten, bis endlich der große, ulti­mative Plan steht, ist für mich der falsche Weg.

„Könnte man soziale, wirtschaftliche oder politische Rahmenbedingungen außen vor lassen? Sicher nicht! “

com! professional: Letztlich stellt uns die Digitalisierung vor soziale, wirtschaftliche und politische Herausforderungen. Sind das weitere Faktoren, die uns ausbremsen?

Al-Saleh: Könnte man soziale, wirtschaftliche oder politische Rahmenbedingungen außen vor lassen? Sicher nicht! Das würde die Akzeptanz und den Erfolg einer Digitalisierungsmaßnahme unmöglich machen. Es lässt sich nicht alles bis ins kleinste Detail vorausplanen. Meine Devise: Mit etwas Mut früher starten, auch wenn noch nicht alle Fragen geklärt sind. Dann schnell lernen und stets verbessern.

com! professional: Aber ist die Digitalisierung immer die Lösung für alles? Vielleicht ist eine Digitalisierung „auf Teufel komm raus“ nicht immer zielführend …

Al-Saleh: Es heißt ja immer: Alles, was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert. Die Technik ist aber nicht der entscheidende Faktor. Mein bester Rat: Digitalisieren Sie nur, wenn Sie damit Ihren Kunden oder Ihrem Geschäft direkt oder indirekt einen Mehrwert verschaffen. Ein konsequenter Kundenfokus ist das A und O der Digitalisierung.

com! professional: Schauen wir in die Praxis: Die Cloud ist ohne Frage eines der Zugpferde der Digitalisierung. Welche weiteren Technologien sorgen für einen Boom?

Al-Saleh: Voraussetzung für eine effiziente Nutzung der Cloud ist Cloud-Connectivity, also die notwendige Bandbreite für schnellen Datenfluss. Der neue Mobilfunkstandard 5G ermöglicht ganz neue Anwendungen. Etwa sogenannte Campus-Netze für Unternehmen, zum Beispiel Netze zum Steuern von Maschinen, Robotern und autonomen Transportern in der Fabrikhalle oder auf weitläufigen Betriebsgeländen.

Eng damit verbunden ist Edge-Computing. Für geringe Latenzen braucht es Rechenpower vor Ort, direkt in der Produktionsstätte. Nur ausgewählte Daten müssen dann noch zur weiteren Verarbeitung in eine zentrale Cloud übertragen werden. Die Software-Technologie hat in den letzten 20 Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht und ist ein weiterer Motor der Digitalisierung. Man kann einen digitalen Zwilling von allem bauen. Damit eröffnen sich viele Möglichkeiten.

com! professional: Gibt es auch Technologien, die eher als Bremsklötze wirken?

Al-Saleh: Bremsklötze sind eher das Verharren im Status quo und das Nichterkennen von Chancen – nicht die Technologie an sich. Die entscheidenden Faktoren sind die Einstellung und Kultur.

com! professional: Bei Bremsklötzen denke ich etwa an alte Mainframes. Sind solche Altlasten keine Hindernisse?

Al-Saleh: Veraltete IT-Systeme, insbesondere in großen Unternehmen, sind eine Herausforderung. Aber es gibt viele Möglichkeiten, diese alten IT-Systeme zu umgehen, ohne dass wir in kurzer Zeit alles ändern müssen. Wir haben Lösungen entwickelt, wie man Mainframes und die Cloud sinnvoll miteinander verknüpfen und klassische IT-Landschaften schrittweise modernisieren kann.

com! professional: Wir hatten bereits die Rolle der Cloud angesprochen. T-Systems rief Anfang dieses Jahres die Strategie „Cloud first“ aus – und vertieft hierfür die Zusammenarbeit mit Amazon und Microsoft. Glauben Sie nicht mehr an eine Cloud made in Europe oder Germany?

Al-Saleh: Ganz im Gegenteil. Unser Motto „Cloud first“ ist unabhängig von einer konkreten Plattform. Unsere Strategie war es von Anfang an, unseren Kunden die für sie richtige Cloud zu bieten. Daher haben wir mit Amazon Web Services, Microsoft, Google Cloud, unserer Open Telekom Cloud und modernen Private-Cloud-Lösungen ein Cloud-Ökosystem aufgebaut. Es gibt nicht eine Lösung, die für alle passt. Dennoch muss der Ansatz zunächst die Public Cloud sein.

com! professional: Und wie sieht es mit GAIA-X aus?

Al-Saleh: Wir gehören zu den Gründungsunternehmen von GAIA-X. Hier bauen wir gerade eine europäische Daten­infrastruktur – offen, transparent und souverän. T-Systems ist maßgeblich beteiligt. Das zeigt nicht zuletzt, dass unser CTO Max Ahrens gerade Vorsitzender des Board of Directors geworden ist.

„Digitalisieren Sie nur, wenn Sie damit Ihren Kunden oder Ihrem Geschäft direkt oder indirekt einen Mehrwert verschaffen.“

com! professional: Amazon, Google oder Microsoft aus den USA, Alibaba aus China. Europäische Unternehmen spielen doch eigentlich so gut wie keine Rolle mehr … Haben wir bei den digitalen Technologien nicht schon längst den Anschluss verpasst?

Al-Saleh: Richtig ist, dass amerikanische Anbieter den Cloud-Markt dominieren. Es ist realitätsfern zu glauben, dass wir bessere Clouds als die führenden Anbieter bauen können. Wir müssen uns auf Datenhoheit, Software-Unabhängigkeit und betriebliche Kontrolle über die Infrastruktur konzentrieren.  Europa ist gerade dabei, mit GAIA-X eine unabhängige Dateninfrastruktur aufzubauen. Diese wird sicherstellen, dass europäische Unternehmen ihre Daten kontrollieren  und so ganz unabhängig von der jeweiligen Cloud-Plattform neue Geschäftsmodelle entwickeln können.

com! professional: Immerhin wollen sich einige Amerikaner GAIA-X anschließen …

Al-Saleh: Warum nicht? Jeder kann beitreten, solange es zu unseren europäischen Bedingungen geschieht. So sichern wir europäischen Unternehmen Datensouveränität. Sie können selbst entscheiden, wo ihre Daten verarbeitet werden und mit wem sie diese teilen wollen. Das schafft zum einen Transparenz. Zum anderen aber ermöglicht GAIA-X den Zugriff auf innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz. Damit sind ganz neue digitale Geschäftsmodelle möglich, die die Wettbewerbsfähigkeit unserer Kunden sichern.

com! professional: Blicken wir einmal auf T-Systems. Vor drei Jahren starteten Sie eine umfassende Umstrukturierung. Wie weit ist diese trotz Pandemie vorangeschritten?

Al-Saleh: Wir kommen mit der Transformation voran. Auch wenn uns das Corona-Jahr 2020 gebremst hat. Wir haben diese Zeit gut genutzt und T-Systems konsequent zu einem reinen IT-Dienstleister umgebaut. Den Kern unseres Portfolios bilden heute Beratung, Cloud-Services, Digitallösungen und IT-Sicherheit. Außerdem konzentrieren wir uns auf Fokusindustrien, nämlich Automotive, öffentliche Hand, Gesundheit und Transport.

T-Systems: Gehört mit rund 28.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 4,2 Milliarden Euro zu den führenden IT-Dienstleistern (c) Deutsche Telekom/Nobert Ittermann

com! professional: Die Umstrukturierung geht auch mit einem Stellenabbau einher. Sie lassen in Zeiten des Fachkräftemangels Personal gehen, das Ihnen später womöglich fehlen wird – und neue Fachkräfte sind nur schwer wieder zu rekrutieren.

Al-Saleh: Zu unserer Transformation gehört zwingend auch ein Personalumbau. Einerseits, weil wir durch bessere Nutzung unserer Technologien Prozesse automatisieren und vereinfachen müssen. Andererseits, weil wir Expert*innen in neuen Technologiefeldern dringend benötigen, anderswo aber eher zu viel Personal haben. Das Personalmanagement ist bei T-Systems keine Einbahnstraße Richtung Stellenabbau.

com! professional: Und wie stellt sich T-Systems künftig konkret auf, um Kunden auf dem hindernisreichen Weg durch die Digitalisierung zu unterstützen?

Al-Saleh: T-Systems ist heute ein fokussierter Fullservice-Anbieter für Digitallösungen. Wir haben unser Portfolio aufgeräumt und konzentrieren uns ganz auf Cloud, Digitales und Security. So haben wir uns beispielsweise von End-User-Services getrennt und das Geschäft mit der Telekommunikation innerhalb der Deutschen Telekom verlagert.

com! professional: Welche Rolle spielt dabei Ihre Technologieberatungs-Tochter Detecon?

Al-Saleh: Mit Detecon bauen wir jetzt unser Portfolio für Advisory weiter aus. So kommt für unsere Kunden von der Beratung bis zur Umsetzung nun alles aus einer Hand. Gleichzeitig stoßen wir mit unseren Dienstleistungen in das Kundensegment des gehobenen Mittelstands vor, also Unternehmen mit drei bis fünf Milliarden Euro Jahresumsatz.

com! professional: Welche Folgen hat die Pandemie eigentlich für T-Systems? Was hat sich verändert?

Al-Saleh: Wir haben die Zeit nutzen können, etwa um zu definieren, wie wir künftig arbeiten. Mit dem Projekt „We.Work.New“ stellen wir alles auf aktivitätenbasiertes Arbeiten um. Die Aufgabe, die erledigt werden muss, bestimmt den Arbeitsort. Das kann das Großraumbüro, ein Besprechungsraum oder das Homeoffice sein. Dafür richten wir in Deutschland an zehn Standorten sogenannte Meet & Connect Hubs für unsere Mitarbeitenden und unsere Kunden ein.

Zur Person

Adel Al-Saleh verantwortet seit Januar 2018 als Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom die Großkundensparte und ist CEO des IT-Dienstleisters T-Systems. Der studierte Elektrotechniker und Betriebswirt arbeitete zuvor in zahlreichen Führungspositionen, unter anderem bei IBM.

*Konstantin Pfliegl ist Redakteur bei der Zeitschrift com! professional und schreibt auch für die Internet World Business, Telecom Handel und die Schweizer Computerworld. Er hat rund 20 Jahre Erfahrung als Redakteur für verschiedene Print- und Online-Medien. Er arbeitete als Redakteur unter anderem für die Fachpublikationen tecChannel und Internet Professionell sowie freiberuflich unter anderem für FOCUS Online.


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