Telekommunikationskonzerne am Scheideweg

Europas Telekombranche muss sich zum Überleben radikal verändern. So lautet das Ergebnis einer A.T. Kearney-Studie. "Europäische Telekommunikationskonzerne sind an einem Scheideweg. Viele Unternehmen setzen auf die in vielen Märkten notwendige Konsolidierung und in einigen Märkten passiert diese bereits", sagt Florian Dickgreber, A.T. Kearney-Partner und Mitautor der Studie. [...]

Die meisten europäischen Führungskräfte von Telekommunikationsunternehmen legen den Schwerpunkt derzeit stärker auf die Senkung der Betriebskosten und gleichzeitig den Fokus auf die Bestandskunden, als um weitere Marktanteile zu kämpfen.  66 Prozent der befragten Manager sagten, dass die Branche „wesentliche Veränderungen“ brauche, um den anhaltenden Margendruck und die Nachfrage der Kunden nach mehr und zugleich billigeren TK-Dienstleistungen bewältigen zu können. Dabei sehen viele Vorstände für ihre Unternehmen die Zukunft als reine Anschlussanbieter oder die Gefahr, auf reinen Netzbetrieb reduziert zu werden. Ein kleinerer Teil der Studienteilnehmer glaubt, dass durch eine bessere Integration von Festnetz- und Mobilfunk, das Anbieten von Inhalten und Einbinden digitaler Dienste Dritter eine attraktive Zukunft liegt. Letztendlich müssen sich die Konzerne entscheiden, ob sie die Rolle eines einfachen “Daten-Versorgers” spielen möchten oder sich zum vollwertigen “Digitalen Navigator“ weiterentwickeln. Das ergab eine Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney mit über 60 Telekommunikationsvorständen in Europa.
 
Preisdruck und Investitionsbedarf austarieren
„Europäische Telekommunikationskonzerne sind an einem Scheideweg. Viele Unternehmen setzen auf die in vielen Märkten notwendige Konsolidierung und in einigen Märkten passiert diese bereits“, sagt Florian Dickgreber, A.T. Kearney-Partner und Mitautor der Studie. „Eine solche Konzentration – auch über Ländergrenzen hinweg –  schafft die notwendige Größe um neue Dienste erfolgreich anzubieten und gleichzeitig die Investitionsanforderungen mit der Rentabilität wieder besser in Deckung zu bringen. Erste Signale aus Brüssel und den Hauptstädten der Mitgliedstaaten stimmen verhalten positiv. Aber die Branche wird weitere Veränderungen in der Regulierung und neue, klarere brauchen, um nicht noch weiter aus der Telekom-Wertschöpfungskette gedrängt zu werden.“
 
Ganze 50 bis 70 Prozent der Arbeitsplätze der Branche und dringend benötigte Investitionen in die Infrastruktur stehen auf dem Spiel. Die TK-Konzerne müssen mehr digitale Mehrwertdienste anbieten – der Schwerpunkt liegt hier auf erfolgreicher Einbindung der Dienste Dritter –  und sich nicht länger vor der neuen Konkurrenz mit  Geräte-Anbietern wie Apple und Samsung oder den „Over-The-Top“-Playern wie Google, Facebook und Netflix scheuen. Innovativere Vertriebs- und Service-Angebote müssen diese neuen Produktangebote ergänzen. Internationale Beispiele in USA oder Asien weisen hier den Weg für die europäischen Spieler.ie Unternehmen müssen dem Ruf europäischer Verbraucher und Politiker nach innovativen und preiswerten Dienstleistungen auf der Grundlage neuer Netzgenerationen gerecht werden. Die Nachfrage für diese Dienstleistungen boomt: Der mobile Datenverkehr wird von 2014 bis 2018 voraussichtlich um 61 Prozent pro Jahr wachsen, der Datenverkehr im Festnetz um jährlich 20 Prozent. Aber der Druck auf die Konzerne, weiterhin die Preise zu senken und gleichzeitig zu investieren bedeutet, dass die finanziellen Aussichten der europäischen Telekommunikationsunternehmen bestenfalls gemischt sind.
 
Als Folge hat die Konsolidierung der Branche an Dynamik gewonnen – und sie beschränkt sich nicht alleine auf Netzwerk-Kooperationen oder Zusammenschlüsse unter Mobilfunkanbietern. Auch Festnetzanbieter, integrierte Telekommunikationsgruppen und Kabelunternehmen haben Transaktionen ausgelotet oder Angebote gemacht. Laut A.T. Kearney ist die Konzentration  dringend erforderlich, um verbesserte Ausgangsbedingungen für TK-Unternehmen, und größere und effizientere Märkte zu schaffen. Darüber hinaus seien grundlegende Änderungen an Geschäfts- und Betriebsmodellen erforderlich, um künftig die Geschäftsziele zu erreichen, wie zwei Drittel der von AT Kearney befragten C-Level-Führungskräfte der TK-Branche berichteten.
 
TK-Konzerne wollen Betriebskosten senken und Kundenumsätze steigern
 Europas TK-Konzerne passen derzeit ihre Kostenstrukturen an niedrigere Umsatzerwartungen an. Damit wollen sie weitere Investitionen in die europäische Breitbandinfrastruktur und qualitativ hochwertige Dienstleistungen sichern. Maßnahmen zur Kostensenkung werden über die Betriebskosten hinaus ausgeweitet und betreffen zunehmend auch die kommerziellen Kosten wie Kommissionen und Stützung der Telefone. Auch bei Investitionsprogrammen liegt der Fokus immer stärker auf Effizienz. Priorität liegt auf der Optimierung der Netze –  deren Performance ist als Erfolgsfaktor heute noch entscheidender. Dabei sind Themen wie Netzwerk-Outsourcing und -Kooperation zum Standard auf der CTO Agenda geworden. Die Investitionsanforderungen für Hochleistungsnetzwerke i werden den Konsolidierungsdruck auf die TK-Konzern weiter erhöhen und auch grenzüberschreitende Netzwerkbereitstellung und Betriebsmodelle erfordern.
 
Kosten sind jedoch nur eine Seite der Medaille. Ein Blick auf die Geschäftsmodelle zeigt, dass die meisten Betreiber jede Hoffnung aufgegeben haben, ihren Marktanteil organisch wesentlich zu erhöhen. Große Zuwächse i kann es nur noch über Zukäufe und und die Ausweitung des Produktangebots auf „Quad Play“ also Festnetz, Mobilfunk, Daten und Entertainment-Angebotewie IPTV  geben. Die meisten europäischen Märkte sind gesättigt, die Nachfrage verschiedenster Kundengruppen – von den Nutzern von Budget-Angeboten bis zum Premium-Kunden – abgedeckt. Folglich werden Konzerne ihren Fokus auf die bessere Adressierung der bestehenden Kundenbasis und das Schaffen neuer Dienstleistungen lenken. TK-Führungskräfte betonen, dass die Entwicklung neuer Geschäfte – allein oder in Zusammenarbeit mit Partnern – ein entscheidender Erfolgsfaktor sei.
 
Angesichts der beeindruckenden Erfolgsbilanz von OTTs herrscht unter den europäischen Telekommunikationsunternehmen viel Ernüchterung, über die Chancen mit ihnen zu konkurrieren. Ein Interviewpartner gab bei der Befragung an: „Der Kampf gegen die OTT-Spieler war von Anfang an verloren“. Aber nicht alle Führungskräfte sind so pessimistisch. Auch A.T. Kearney glaubt, dass die Betreiber von Telekommunikationsnetzen noch viele Möglichkeiten haben, um Erfolge zu erzielen. Sie können Dienstleistungen neu entwickeln oder vorhandene Services für ihre Kunden bündeln und angemessenen Datenschutz und lokale Datenspeicherung garantieren. Diese „digitale Navigatoren“ haben gute Chancen, erfolgreich zu sein.
 
TK-Konzerne brauchen mehr Spielraum  
In der Studie wurden Erfolgsgeschichten aus der ganzen Welt untersucht. Daraus ergaben sich zwei Faktoren, die für den Erfolg der europäischen Telekommunikationsbranche wesentlich sind: Strategie und Regulierung. Allerdings können CXOs nach Ansicht von A.T. Kearney ihre strategischen Optionen nur voll ausnutzen, wenn nationale und europäische Regulierungsbehörden ihnen endlich mehr Spielräume erlauben. Mehr Spielraum, um größere Unternehmen und Märkte zu schaffen. Mehr Konsolidierung würde erhebliche Kosten- und Investitionssynergien ermöglichen und somit Investitionen in die Verbesserung von Infrastruktur und Service sicherstellen. Die grenzüberschreitende Konsolidierung würde mehr große Spieler schaffen, die großen Kundenstämmen zuverlässige digitale Dienste – wie zum Beispiel das Überweisen von Geld oder die Vernetzung von Autos – anbieten könnte.
 
„Wenn der heutige Regulierungsrahmen so weiter bestehen bleibt, wird sich das drastisch auswirken“, warnt Florian Dickgreber. „Als Konsequenz könnten Netzbetreiber auf reine Zugangsbetreiber oder Großhändler reduziert werden. Umsätze und Steuereinnahmen werden sinken und Arbeitsplätze nach Kalifornien verlagern.“
 
Die Regulierungsbehörden sollten TK-Konzerne und Nicht-Telekom-Spieler gleich behandeln, gerade wenn es um Service-Bündelung, Quersubventionierung von Diensten und Partnerschaften geht. Die Regulierer sollten gleiche Standards für den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre anwenden. Dies würde Innovationen fördern und Kunden ermutigen, neue digitale Dienste zu benutzen. Die Freiheit, uneingeschränkt Preise zu bestimmen, ist Voraussetzung für die Fähigkeit der TK-Unternehmen, sowohl verschiedenste Service- und Inhalte-Bündel als auch Serviceeigenschaften anzubieten. Nur so werden die TK-Konzerne mit den OTT und deren innovativer Preisgestaltung und Content-Bündelung konkurrieren können.


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