DDoS-Attacken werden meist als Akt von Kriminellen gesehen. "DDoS kann aber auch eine Form der Versammlungsfreiheit darstellen", so Niels ten Oever, Head of Digital bei Article 19. Er unterstreicht, dass Menschenrechte im Internet ein heikles Thema und Spannungen mit Cybersecurity-Interessen vorprogrammiert sind. Im Rahmen der European Summer School on Internet Governance 2015 (Euro-SSIG) ist das nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, dass viele Fragen im Internet nicht geklärt sind. [...]
Bereits zum neunten Mal fand vergangene Woche im sächsischen Meißen die Euro-SSIG statt, die sich damit befasst, wie Regierungen, Zivilgesellschaft, Unternehmen und technische Experten gemeinsam Internet-Governance-Probleme lösen können. Denn beispielsweise prallen online ähnlich wie in der realen Welt Menschenrechts- und Sicherheitsgedanken aneinander. So verweist ten Oever darauf, dass DDoS das virtuelle Gegenstück einer Sitzblockade darstellen kann – beispielsweise bei den Anonymous-Aktionen vor einigen Jahren. „Es ist wichtig, Menschenrechte online zu schützen und andersdenkende Stimmen nicht exzessiv zu kriminalisieren“, betont der Menschenrechtsaktivist gegenüber dem Nachrichtenportal pressetext.
Freilich greift der Vergleich zum Sit-in nicht mehr, wenn bei einem DDoS-Angriff wenige Hinterleute heimlich fremde Computer als Teil eines Botnets missbrauchen. Das ist auch aus ten Oevers Sicht problematisch. „Da fehlt ja die Zustimmung“, betont er. Fraglich ist dann eher, ob Behörden aus den richtigen Gründen gegen die Hintermänner vorgehen, wenn es nur um das Ziel des DSoS-Angriffs geht. Jedenfalls zeigt das Beispiel, dass Analogien allein kaum ausreichen, den Cyberspace zu regeln. Genau das hat allerdings die NATO mit dem „Tallin Manual“ versucht, wie Duncan B. Hollis, Professor an der Temple University Schhol of Law, im Rahmen der Euro-SSIG darlegte.
Der Ansatz ist schon allein deswegen problematisch, weil im Internet eindeutige, rein militärische Ziele kaum auszumachen sind. Ebenso schwer zu beurteilen ist, ob und wann das Recht aus Selbstverteidigung greift. „Es ist ein Problem, den Urheber ausgereiften Cyber-Bedrohungen zu ermitteln“, erklärte Hollis. Für das globale Internet scheinen daher neue Lösungsansätze nötig. Ähnliches gilt im Bereich Cyber-Kriminalität, wie Tatiana Tropina vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht aufzeigte. So besteht trotzt Budapester Cybercrime-Konvention international wenig Einigkeit, was genau Cyber-Kriminalität ist. Von effektiven Ideen zur grenzübergreifenden Strafverfolgung ist die Welt entsprechend weit entfernt.
Zudem hat sich das Internet in den vergangenen zehn Jahren massiv gewandelt. 2005 war das, was User großteils sahen, das klassische World Wide Web. Heute wird dieses zunehmend durch Apps auf Smartphones und Tablets verdrängt. Das ist nicht unproblematisch, warnte Christoph Steck, Director Public Policy & Internet bei Telefónica. Denn Android und iOS sind eher abgeschottete Systeme. Nutzer können Daten und Inhalte oft schwer, Apps vielfach gar nicht mitnehmen, wenn sie das Betriebssystem wechseln. Das werfe die Frage auf, ob wir quasi auf ein „feudales Internet“ isolierter Betriebssystem-Burgen zusteuern – im Widerspruch zur Idee eines offenen Internets.
Die Euro-SSIG will also das Bewusstsein der Teilnehmer für die Vielfalt der Probleme im Bereich Internet Governance schärfen. Denn viele Interessenvertreter haben thematische Scheuklappen. Für Konsumentenschützer ist Preisdiskriminierung bei Online-Buchungen, wie sie aktuell Disneyland Paris vorgeworfen wird, ein wichtiges Thema. Regierungen legen ihren Fokus oft auf nationale Sicherheit. Viele Unternehmen interessieren sich für Probleme rund um neue Top-Level-Domains. Für Techniker ist oft vor allem wichtig, dass alles funktioniert. Die Veranstaltung propagiert daher den Gedanken, dass langfristig sinnvolle Lösungen nur durch einen Austausch in einem Multistakeholder-Zugang möglich sind. (pte)
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