Test: Apple Watch 2

In den vielen Jahren als Redaktor ist mir kein Gerät wie die Apple Watch untergekommen. Ich trage meine seit dem ersten Verkaufstag – zuerst skeptisch, dann mit schnell wachsender Begeisterung. Heute würde ich den kleinen Computer am Handgelenk nicht mehr missen wollen. [...]

Doch das ist nur eine Hälfte der Geschichte, und die banale noch dazu. Denn bei jedem Gespräch über die Apple Watch werde ich irgendwann mit dieser einen, verzwickten Frage konfrontiert, die mich bis heute sprach- und ratlos macht: „Wozu brauche ich die?“
Die Frage hat es in sich. Bereits der Funktionsumfang ab Werk ist enorm, von den unzähligen Apps im Store ganz zu schweigen. Doch „wozu die Apple Watch gut ist“, muss jeder für sich entdecken; es gibt nur wenig Hilfe von aussen. Während die Vorzüge von Kameras, Computern, Toastern und anderen Strom-Junkies leicht zu beschreiben sind, windet sich die Apple Watch bei jedem Versuch wie ein glitschiger Aal aus meinen Händen. So auch bei dieser Einleitung.
Einige sehen in der Apple Watch einen Fitnesstracker. Andere eine Kamerafernsteuerung, einen Lichtschalter, eine Nachrichtenzentrale, eine Kreditkarte oder was auch immer. Nur selten decken sich zwei Anforderungsprofile. Ich verwende die Apple Watch zwar für viele Dinge, aber die Kernanwendungen sind profan: Benachrichtigungen, Timer, E-Mails, Freisprecheinrichtung und natürlich Apple Pay. Das klingt nach wenig; doch, was die Apple Watch so besonders macht, ist die Eleganz und Leichtigkeit, mit der diese Dienste förmlich auf dem Tablett serviert werden – Häppchen für Häppchen.
Und selbst diese einfachen Dienste provozieren die unvermeidliche Antithese: „Ich will nicht ständig erreichbar sein!“. Dabei bewahrt mich die Apple Watch genau vor diesem Schicksal. Denn wenn eine E-Mail eingeht, muss ich nicht mehr auf dem iPhone nachsehen. Stattdessen reicht eine minimalistische Drehung mit dem Handgelenk, um zu prüfen, ob sie eine genauere Betrachtung wert ist. (Meistens ist sie es nicht.) Das iPhone bleibt in der Tasche. Und in den Ferien wird die Synchronisierung zwischen Apple Watch und E-Mail-Client einfach abgeschaltet, damit wirklich Ruhe herrscht.
Die Erinnerungen an Aufgaben und Termine werden auf ein dezentes Klopfen am Handgelenk reduziert, das niemand stört. Wenn in der lärmigsten Strasse ein Anruf eingeht, wird dieser nicht mehr überhört, weil mich die Apple Watch anstupst. Und so weiter. Die Apple Watch wirkt wie ein persönlicher Diener, der einem die Informationen nachträgt oder sie unterdrückt – gerade so, wie es seinem Herrn in den Kram passt. Obwohl es sich herumgesprochen hat, sei es der Vollständigkeit halber erwähnt: Die Apple Watch funktioniert nur mit einem iPhone 5 oder neuer. Für Android-Anwender ist die Apple Watch hingegen so nützlich wie eine Plastikuhr, die aus einem Kaugummiautomaten gezogen wurde. Und jetzt wird es Zeit für die nüchternen Fakten.
Gehäuse und DisplayMit der Apple Watch Series 2 behält Apple den eingeschlagenen Kurs bei – zumindest beim Design. Das Gehäuse ist einen Millimeter höher geworden, doch davon abgesehen sind die beiden Generationen kaum zu unterscheiden.
Das ändert sich, sobald die «alte» und die neue Generation nebeneinanderliegen: Die Series 2 leuchtet mit 1000 Nits doppelt so hell. Davon ist in Räumen wenig zu sehen, weil die Helligkeit automatisch heruntergeregelt wird. Doch im Sonnenlicht liegen zwischen den beiden Modellen Welten: Die Strahlkraft des neuen Displays übertrifft den Vorgänger deutlich und erlaubt zu jeder Zeit eine komfortable Ablesung.
Tempo und watchOS 3
Der neue S2-Prozessor arbeitet rund 50 Prozent schneller als der Vorgänger: Apps öffnen sich nahezu augenblicklich und die Oberfläche zeigt sich durchs Band reaktionsfreudig. Allerdings ist dieser Temposchub nicht nur der neuen Hardware geschuldet. Das Update auf watchOS 3 sorgte bereits bei der Series 1 für eine deftige Motivationsspritze, sodass sich das Urmodell wie ausgewechselt anfühlt – und das im besten Sinn des Wortes. watchOS 3 wirft aber auch verschiedene Bedienkonzepte über den Haufen, die mit der ersten Apple Watch eingeführt wurden; selbst gestandene Anwender müssen in einigen Bereichen umlernen.
So zeigt ein Druck auf die Seitentaste nicht mehr die wichtigsten Kontakte, sondern das neue Dock. Es listet die zuletzt verwendeten Apps auf. Noch besser: Wichtige Apps von Drittanbietern lassen sich „festpinnen“, damit sie die Daten im Hintergrund aktualisieren und so noch schneller die gewünschten Informationen liefern. Andere Funktionen wie Time Travel wurden in ihrer Bedeutung herabgestuft und sind auf den ersten Blick verschwunden. Doch was vermeintlich weggenommen wurde, lässt sich in den Einstellungen reaktivieren, im Fall von Time Travel in der Apple-Watch-App auf dem iPhone in der Einstellung Uhr.
Beim unverzichtbaren Timer werden jetzt populäre Zeiten wie die Viertelstunde mit einem Tippen gestartet. Die Auswahl der Zifferblätter ist deutlich gewachsen, neue Kombinationen werden bequem am iPhone zusammengestellt. Die App Training wurde um Workouts für Rollstuhlfahrer erweitert. Und so weiter. Kurz, die Apple Watch fühlt sich heute sehr viel erwachsener an als bei ihrer Vorstellung vor zwei Jahren.
GPS inklusiveMit dem integrierten GPS-Modul beseitigt Apple einen der grössten Kritikpunkte der Series 1. Das iPhone muss nicht länger dabei sein, um beim Sport in der freien Natur die Strecke aufzuzeichnen. Dabei wird nicht nur das GPS-Signal hinzugezogen, sondern auch die Positionsdaten der bekannten Wi-Fi-Netze und sogar lokal gespeicherte Informationen. Allerdings ist die GPS-Auswertung der Apple Watch kein Selbstläufer, sondern muss von den App-Entwicklern durch ein Update unterstützt werden.Die Apple Watch übersteht jetzt Wassertiefen von bis zu 50 Metern. Die integrierte Training-App umfasst deshalb die neuen Kategorien Freiwasser und Beckenschwimmen. Beim Schwimmen erkennt die Apple Watch die Anzahl der Runden, den Schwimmstil und die zurückgelegte Distanz. Die Zeit wird natürlich ebenfalls gemessen. Alle diesen Daten bilden die Grundlage, um den Kalorienverbrauch zu berechnen.
Das Display wird im Wasser automatisch gesperrt, um Fehleingaben oder ein unerwünschtes Verhalten durch den Wasserdruck zu vermeiden. Zurück an Land, sorgt ein Drehen der Krone dafür, dass diese Sperre aufgehoben wird. Gleichzeitig spuckt der Lautsprecher das angesammelte Wasser mit einer Tonfolge aus dem Gehäuse aus.
WLAN
Die Apple Watch gibt herzlich wenig Anlass zur Kritik – und gerade deshalb stösst die vermasselte WLAN-Funktion besonders sauer auf. Der Hintergrund: Die sonst so smarte Uhr verbindet sich normalerweise via Bluetooth mit dem iPhone, weil das den Akku schont. Wenn diese Verbindung jedoch abreisst (dicke Mauern, zu grosse Distanz etc.), verbinden sich die beiden Geräte via WLAN – vorausgesetzt, sie tummeln sich im selben Netz.
Das besagt zumindest die Theorie. In der Praxis funktioniert dieser Wechsel zum WLAN so gut wie nie. Denn im Gegensatz zum iPhone versteht sich die Apple Watch nur mit dem 2,4-GHz-, aber nicht mit dem 5-GHz-Band. Sie verbindet sich auch nicht selbstständig, sondern schwimmt im Kielwasser des iPhones. Entscheidet sich dieses für das 5-GHz-Netz, bleibt die Apple Watch draussen. „Bluetooth oder nichts“, lautet die Devise – und das läuft fast immer auf „nichts“ hinaus.
Dieses Ärgernis kennen wir bereits von der ersten Serie – und es ist nicht nachzuvollziehen, warum Apple diesen Makel nicht ausgeräumt hat. Die meisten Anwender würden wohl liebend gerne ein wenig Akkulaufzeit opfern, wenn die WLAN-Funktion dafür zuverlässig funktioniert. Apropos:
Akkulaufzeit
Die Akkulaufzeit ist schwierig zu beziffern, weil sie direkt von der Art der Nutzung abhängt. Unter der Woche trage ich die Apple Watch von 6 Uhr bis ca. 23 Uhr. Während dieser Zeit aktiviere ich sie unzählige Male, um zu sehen, was los ist. Dazu kommen Timer, Wetterabfragen und andere einfache Aufgaben. Am Ende des Tages zeigt der Akku eine Restladung zwischen 25 und 45 Prozent.
Sie bringt mich also problemlos durch den Tag. Immer. Doch wenn beim Sport viel Musik gehört wird oder die Apple Watch für längere Telefongespräche verwendet wird, variieren diese Werte natürlich. Von den fünf Apple-Watch-Besitzern aus meinem Umfeld war die Akku-Laufzeit jedoch nie ein Thema. Und dass sie jeden Abend auf dem Nachttisch geladen wird, gilt bei allen Befragten als selbstverständlich.
Apple Pay
Keine Übertreibung: Meine Frau besteht unterdessen darauf, das Haushaltsgeld mit Apple Pay zu verjubeln, wann immer es möglich ist. Das kommt nicht von ungefähr, denn die Nützlichkeit ist mindestens so unbestritten wie der «Coolness-Faktor»: Durch zweimaliges Drücken der Seitentaste wird die hinterlegte Kreditkarte für eine Minute aktiviert. Innerhalb dieser Zeitspanne reicht es, die Apple Watch in die Nähe des NFC-Terminals zu halten, um den Bezahlvorgang abzuschliessen. Das dauert aufgerundet etwa eine Sekunde und erfüllt die anderen Leute in der Schlange nicht nur mit Erstaunen, sondern auch mit Erleichterung: Keine andere Bezahlweise reicht beim Tempo an Apple Pay heran – es geht also vorwärts.
Nur wer mit Apple Pay schon einmal bezahlt hat, weiss den Komfort zu schätzen. Das Portemonnaie bleibt, wo es ist. Kein ekliges Bargeld wird in die Hand genommen. Dabei wird nie nach der PIN gefragt, selbst wenn der Betrag in den vierstelligen Bereich rutscht, denn Apple Pay gehört heute zu den sichersten Bezahlungsmethoden überhaupt.
Fazit
Die Apple Watch Series 2 geht den Weg der konsequenten Weiterentwicklung. Die Resistenz gegen Wasser und das eingebaute GPS-Modul richten sich in erster Linie an die Sportler. Das hellere Display und das höhere Tempo kommen allen zugute. Mit watchOS 3 wurden ausserdem unzählige Kanten geschliffen, sodass die Bedienung noch einfacher geworden ist. Die etwas vermasselte WLAN-Funktion kostet die Apple Watch Series 2 die Höchstwertung. Dessen ungeachtet bietet sie iPhone-Besitzern den besten Einstieg in die neue Welt der Smartwatches.
*Der Autor Klaus Zellweger ist Redakteur von PCTIPP.


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