Test: Apple Watch Series 4

Mit der Series 4 ändert sich eine Menge – und (fast) immer zum Besseren. [...]

Sprung nach vorn: Apple Watch Series 4.

Die erste Apple Watch wurde im April 2015 auf die iPhone-Besitzer losgelassen. Heute, dreieinhalb Jahre später, sind wir bereits in der vierten Generation angekommen. Doch während sich bei den Vorgängern in erster Linie das Tempo und das System «watchOS» verbesserte, macht Series 4 einen gewaltigen Satz nach vorn – und das in fast jeder Hinsicht.

Grösser ist besser

Augenfällig sind die neuen Abmessungen. Series 4 ist in zwei Grössen erhältlich: 44 Millimeter und 40 Millimeter. Gegenüber den Vorgängern mit 42 Millimetern respektive 38 Millimetern scheint das nur eine marginale Änderung, aber sie hat es in sich – und das liegt vor allem am neuen Display. Dieses reicht nun deutlich weiter an den Rand und kommt mit abgerundeten Ecken, genau wie das iPhone X(s).

So wird die darstellbare Fläche massiv vergrössert – und zwar deutlich stärker, als es die neuen Gehäusemasse vermuten liesse. Oder anders ausgedrückt: Die kleine Apple Watch Series 4 zeigt mehr Inhalt auf dem Display als zuvor das grosse Modell.

Optischer Eindruck

Und das verändert die ganze Erscheinung. Ich habe zwar eher schmale Handgelenke; trotzdem war mir das alte 42-Millimeter-Modell immer etwas zu klein. Das neue 44er-Modell wirkt hingegen fast schon stattlich. Und nebenbei eine gute Nachricht für Jäger und Sammler: Alle alten Bänder passen weiterhin an die neuen Modelle, sodass sich die Investition in das Hermès-Band für einige Hundert Euro noch ein wenig länger amortisieren kann.

Komplikationen

Die Designer bei Apple haben die grössere Arbeitsfläche aber auch dazu genutzt, um die Komplikationen grundlegend zu überarbeiten. (Die «Komplikationen» sind die kleinen Informations-Häppchen, die über die Anzeige der Zeit hinausgehen.) Sie sind es auch, die jeder Apple Watch eine persönliche Note verleihen.

Das neue Aushängeschild ist dabei das Zifferblatt «Infograph», das ganze acht Plätze für Komplikationen anbietet, die jedoch nicht alle gefüllt werden müssen. Dabei wirkt das Zifferblatt fast immer quietschbunt; wem das nicht gefällt, der muss wohl ein anderes nehmen. Ausserdem weicht die anfängliche Begeisterung bald der Erkenntnis, dass man sich auch bei den praktischen kleinen Infos eine Überdosis einfangen kann. In solchen Fällen sollte Infograph einfach auf den Kern reduziert und dann langsam aufgebaut werden: Das zweite wichtige Zifferblatt für Informations-Junkies nennt sich «Infograph Modular». Es zeigt einen klaren, strukturierten Aufbau mit einer grossen Fläche in der Mitte, die für Komplikationen genutzt wird, die einen interessanten Verlauf zeigen: Sport, Wetter, Herzfrequenz.

Komplikationen mit Ebengenannten

Allerdings sind die neuen Komplikationen nicht ohne Tücke. So müssen sich gerade gestandene AppleWatch-Träger neu orientieren, weil ein Tippen auf ein Symbol oft nicht mehr die gleichen Informationen zeigt. Ein Tippen auf die Wetterprognose zeigt zum Beispiel nicht länger die 10-Tage-Vorschau; die sieht man erst beim zusätzlichen Dreh an der Krone.

Ausserdem sind zurzeit fast alle Komplikationen von Drittanbietern mit einigen der neuen Zifferblätter inkompatibel und werden gar nicht erst eingeblendet. Hier hilft nur, auf Updates zu warten.

Apropos Krone: Die ist jetzt mechanisch an die «Taptic Engine» gekoppelt, die bei Hinweisen dezent ans Handgelenk klopft. Dadurch fühlt sich die Krone beim Drehen genauso an, als würde sie mechanische Baugruppen bewegen – eine sehr schöne Ergänzung der Benutzerführung!

Tempo und Batterielaufzeit

Die S4-CPU bringt gemäss Apple die doppelte Leistung des Vorgängers, was sich vor allem beim App-Wechsel und dem Laden der App bemerkbar machen soll. «Soll» deshalb, weil ich beim Umstieg von Series 3 keine grossen Unterschiede festgestellt habe – es gibt keine Steigerung zu «absolut flüssig». Allerdings attestieren im Internet die Träger der Series 2 dramatische Verbesserungen, und die Besitzer noch älterer Modelle sowieso.

Die Angaben, die Apple zur Batterielaufzeit macht, wirken ein wenig kurios. So soll die Apple Watch im täglichen Gebrauch 18 Stunden durchhalten. Bei Workouts im Freien sollen es mindestens 6 Stunden sein; die Unterschiede sind der ständigen Erfassung des GPS-Signals und der Herzfrequenz geschuldet.

Als «normaler» Nutzer (Benachrichtigungen, Timer u.ä.) zeigt meine Apple Watch nach einem typischen 16-Stunden-Tag etwa 55 Prozent Restladung. Bei der Series 3 waren es zwar meistens etwa 10 Prozent mehr, aber durch den Tag reichte es immer. Doch das will für andere Träger nichts heissen.

Telefonie

Und dann darf natürlich die Telefonie nicht vergessen werden. Mit dem Modell «GPS + Cellular» und einem passenden Mobilvertrag funktioniert diese völlig losgelöst vom iPhone. Ohne LTE wird mit der Apple Watch telefoniert, indem das nahe iPhone eine Brücke schlägt, zum Beispiel im Auto mit der Apple Watch als Freisprech-Einrichtung.

Die Gesprächsqualität war noch nie richtig schlecht, aber jetzt macht die Telefonie mit der Apple Watch auch Spass. Die zwei neuen Lautsprecher sind doppelt so laut, was die Verständlichkeit deutlich erhöht. Das Mikrofon wurde ausserdem auf die andere Seite geschoben, um Störungen durch Rückkoppelungen zu verhindern.

In der Praxis führt das zu sehr klaren Gesprächen, wenn die Apple Watch vors Gesicht gehalten wird. Baumelt der Arm herunter, ist die Qualität immer noch «gut», aber ein wenig dumpf.

Sport und Gesundheit

Als die erste Apple Watch erschien, pries sie Apple aus allen Rohren: Timer, Fernsteuerung für die Kamera, Wetterfrosch … Was sich eben mit einer Smartwatch so anstellen lässt. Diese Möglichkeiten sind zwar immer noch da, aber der Fokus liegt heute auf den Themen Sport und Gesundheit.

Sport

Beim Sport hat sich nicht allzu viel getan. Auch Series 4 ist bis 50 Meter wasserdicht. Dazu kommt eine automatische Erkennung, wenn Sport getrieben wird – oder die Apple Watch zumindest davon ausgeht. Und so wird bereits ein Spaziergang mit dem Hund manchmal als sportliche Aktivität gewertet, was dem Ego des Stubenhockers schmeichelt.

Zu den eh schon zahlreichen Workout-Programmen gesellen sich nun auch Yoga und Wandern, damit der Kalorienverbrauch bei diesen Aktivitäten besser berechnet werden kann. Und wer sich für den Besten hält, tritt neu mit anderen AppleWatch-Besitzern in den Wettstreit.

Gesundheit!

Während die Neuerungen beim Sport sehr überschaubar sind, hat sich bei den Gesundheitsfunktionen viel getan. Die Apple Watch reagiert auf noch mehr Ereignisse und kann noch öfter zum Lebensretter werden.

Sturzerkennung

Die Sturzerkennung ist vermutlich die wichtigste Neuerung. Das Prinzip ist schnell erklärt: Die Sensoren der Apple Watch erkennen, wenn jemand eine typische, reflexartige Armposition bei einem Sturz einnimmt. Wer zum Beispiel nach vorn stürzt, reisst instinktiv die Arme nach oben, um den Sturz abzufedern. Die Apple Watch erkennt ausserdem, wenn der Träger zusammenbricht oder nach hinten fällt.

Die Algorithmen entwickelte Apple zusammen mit Stunt-Leuten. Dabei haben wir es im Test nicht geschafft, die Sturzerkennung durch die Simulation eines Sturzes auszulösen – und bewusst über etwas zu stolpern und hinzufallen, schien keine reizvolle Methode. Doch wenn es dazu kommt, zeigt das Display einen Hinweis mit der Möglichkeit, die Notrufnummer zu wählen:

Wenn sich der Arm nicht mehr bewegt, der Träger also vielleicht bewusstlos ist, wird nach einer Minute ein Countdown von 15 Sekunden eingeblendet. Verstreicht auch dieser ohne Interaktion, wird automatisch der Notruf des jeweiligen Landes gewählt. Gleichzeitig geht eine Nachricht zusammen mit den aktuellen Koordinaten an jene Person, die beim Einrichten der Apple Watch als Notfallkontakt hinterlegt wurde.

Bei dieser Einrichtung denken die meisten zuerst an betagte Menschen, die besonders sturzgefährdet sind. Allerdings könnten es genauso junge Wanderer oder überhaupt Outdoor-Sportler sein. Dessen ungeachtet wird die Sturzerkennung nur dann automatisch aktiviert, wenn der Träger mindestens 65 Jahre alt ist. Allerdings kann diese Funktion in jedem Fall manuell eingeschaltet werden, genauer: in der AppleWatchApp unter «Meine Uhr -› Notruf SOS».

EKGs in den eigenen vier Wänden

Die Apple Watch Series 4 ist das erste Consumer-Gerät überhaupt, mit dem sich auf die Schnelle ein Elektrokardiogramm (EKG) anfertigen lässt. Dazu ist auf der Rückseite der optische Herzsensor verkleinert und durch zwei Elektroden für einen elektrischen Herzsensor ergänzt worden. Dieser ist wiederum mit der Titan-Elektrode verknüpft, die in die Krone integriert ist.

Um ein EKG anzufertigen, wird einfach die zugehörige App geöffnet und der Zeigfinger für 30 Sekunden auf die Krone gelegt. Damit schliesst sich der Stromkreis und ein einkanaliges EKG wird angefertigt. Das Resultat lässt erkennen, ob das Herz in einem normalen Rhythmus schlägt oder ob es Hinweise auf ein Vorhofflimmern gibt. Bei Bedarf können die Messwerte auf Wunsch als PDF an den Arzt geschickt werden.

Doch die Sache hat leider einen Haken: Diese Funktion wird erst Ende Jahr nachgereicht und ist zuerst nur in den USA verfügbar. Apple nimmt die Sache sehr ernst und verhindert durch mehrere Massnahmen, dass die EKG-Erstellung in Ländern verwendet wird, in denen diese Funktion nicht zertifiziert ist.

Damit sieht es für die kleine Schweiz düster aus – aber nicht hoffnungslos. Für die USA bekam Apple bereits den Segen der zuständigen FDA (Food & Drug Administration). Eine mögliche Freigabe in Europa würde wiederum für den gesamten EU-Raum gelten. Bleibt also die Hoffnung, dass die Schweiz im Kielwasser der EU-Zertifizierung auch zum Zug kommt. Interessantes Detail am Rande: Die Zertifizierung bezieht sich nicht auf die Hard-, sondern auf die Software.

Zu schnell? Zu langsam?

Geblieben ist die Alarmierung durch die Apple Watch, wenn der Ruhepuls einen bestimmten Wert übersteigt, obwohl absolut keine körperliche Aktivität zu erkennen ist. Neu warnt die Apple Watch aber auch, wenn der Puls den voreingestellten Wert unterschreitet, zusammen mit der Aufforderung, ein EKG zu erstellen – wenn man denn kann. Die Apple Watch alarmiert aber auch, wenn sie ein Vorhofflimmern zu erkennen glaubt und empfiehlt, einen Arzt aufzusuchen.

Was bringts?

All diese Funktionen sind so ausgestaltet, dass sie ein gesunder Träger vermutlich nie zu sehen bekommt. Träger ab einem gewissen Alter oder mit einer medizinischen Vorgeschichte erhalten hingegen einige sehr interessante, nützliche und im Extremfall sogar lebensrettende Funktionen, um die Pumpe zu überwachen – und das allein kann die Anschaffung der Apple Watch bereits rechtfertigen.

Das ist neu

Die Apple Watch macht mit der Series 4 einen grossen Sprung in ihrer Evolution. Das grössere Display mit den runden Ecken ist eine Wucht und sorgt dafür, dass die neuen, schicken Komplikationen optimal zur Geltung kommen. Die neuen Zifferblätter bringen frischen Wind in die Gestaltung der Oberfläche und das neue Gold sieht hinreissend aus – ganz besonders in der Edelstahlausführung.

Während sich bei den Sportfunktionen nicht viel getan hat, wurden die Gesundheitsfunktionen massiv aufgebohrt. Das wird einen Teenager vermutlich nicht interessieren; doch wer schon älter ist oder an Herzproblemen leidet, kann die neuen Funktionen gar nicht überbewerten: Es fühlt sich fast so an, als würde man einen kleinen Schutzengel mit sich herumtragen. Bleibt nur die Hoffnung, dass es die EKG-Funktion möglichst bald in die Schweiz schafft.

Lohnt sich das Upgrade?

Das neue Display, das einmalige EKG und die Sturzerkennung machen die Series 4 sogar für die Besitzer einer Series 3 attraktiv – wobei das Display für das Gros der Käufer den Ausschlag geben dürfte: Es wirkt ein wenig so, als könnte die Apple Watch endlich durchatmen, nachdem sie jahrelang in einem engen Korsett gesteckt hat.

Series 4 macht aber auch die Series 3 günstiger, die im Sortiment verbleibt. Dort gibt es das günstigste 42-Millimeter Modell ab 329 Euro; das 42-Millimeter Modell der Series 4 kostet hingegen 459 Euro. Der Unterschied von 120 Euro ist es in meinen Augen definitiv nicht wert, um deshalb auf auf die Fortschritte der Series 4 zu verzichten.

Welches Modell?

Die Apple Watch Series 4 wird in zahlreichen Variationen angeboten – und alle bieten das EKG, die Sturzerkennung, dieselben Fitness-Programme und mehr.

Technisch gesehen gibt es nur einen einzigen Unterschied: Ohne iPhone sind die Modelle «GPS» im Freien von jeglicher Kommunikation abgeschnitten. Die Modelle der Reihe «GPS + Cellular» kosten jeweils 100 Franken mehr; sie funktionieren autonom, bis hin zur Telefonie ohne iPhone. Dazu benötigen Sie jedoch einen entsprechenden Tarif bei Ihrem Provider.

Fazit

Die Apple Watch Series 4 verkörpert das grösste und wichtigste Update in ihrer jungen Geschichte. Zurzeit gibt es keine andere Smartwatch, die ihr das Wasser reichen kann – wenn man einmal darüber hinwegsieht, dass sie nur zusammen mit einem iPhone funktioniert. Allein das grosse Display ist eine Versuchung für jeden gestandenen AppleWatch-Besitzer. Und wenn Sie auf der Suche nach Ihrer ersten Apple Watch sind, sollten Sie sich sowieso nicht mit weniger zufrieden geben.


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