Die Integration von künstlicher Intelligenz (KI) verändert die Arbeitswelt grundlegend. Eine neue Studie des Digital Education Council zeigt, dass Unternehmen weltweit KI als produktivitätssteigerndes Werkzeug einsetzen – doch gleichzeitig erhebliche Zweifel daran haben, ob Hochschulabsolventen ausreichend darauf vorbereitet sind. ITWelt.at hat sich die Studie angesehen. [...]
Die Untersuchung mit dem Titel „AI in the Workplace 2025“ beruht auf Befragungen von über 100 Arbeitgebern aus 29 Ländern und 18 Branchenclustern. Die teilnehmenden Organisationen beschäftigen insgesamt mehr als vier Millionen Mitarbeitende. Ziel der Studie ist es, ein umfassendes Bild davon zu zeichnen, wie Unternehmen KI nutzen, welche Kompetenzen sie künftig benötigen – und welche Rolle höhere Bildungseinrichtungen bei der Vorbereitung junger Talente spielen sollten.
KI im Arbeitsalltag angekommen – aber nicht überall
56 Prozent der befragten Unternehmen berichten, dass die Mehrheit ihrer Mitarbeitenden KI-Werkzeuge täglich nutzt. Dennoch bleibt die Verbreitung fragmentiert: In knapp einem Drittel der Organisationen nutzen nur einige Teammitglieder KI regelmäßig, und in weiteren neun Prozent sind es lediglich einzelne Mitarbeitende. Sechs Prozent sind sich über den Einsatzgrad nicht sicher. Diese ungleichmäßige Durchdringung deutet auf ein wachsendes Gefälle bei der Ausschöpfung von Produktivitätsgewinnen hin.
Produktivitätsschub durch KI – bei ungleicher Nutzung
63 Prozent der Arbeitgeber sehen den KI-Einsatz als „sehr hilfreich“ oder sogar „spielverändernd“ in Bezug auf die Produktivität. Dennoch gelingt es vielen Teams offenbar nicht, dieses Potenzial vollständig zu nutzen – sei es aus Mangel an Schulung, Guidance oder klaren Standards. Das könnte in der Folge zu einem neuen Produktivitätsgefälle führen, das weniger von Technologiezugang als von Kompetenzen im Umgang mit KI abhängt.
Zwischen Effizienzgewinn und neuen Risiken
Auch wenn die Mehrheit positive Effekte verzeichnet, bleibt die Bilanz gemischt: 52 Prozent berichten von spürbaren Verbesserungen wie schnelleren Abläufen oder reduzierter Routinetätigkeit. 36 Prozent nehmen zwar Fortschritte wahr, weisen aber auch auf neue Herausforderungen wie Fehleranfälligkeit und Kontrollbedarf hin. Nur zwölf Prozent sehen keine nennenswerten Auswirkungen – negative Erfahrungen wurden nicht genannt.
KI assistiert – noch ersetzt sie nicht
Der gegenwärtige Einsatz von KI konzentriert sich auf unterstützende Tätigkeiten: Informationssuche, Transkription und Zusammenfassung von Dokumenten, E-Mail-Entwürfe, Brainstorming oder Content-Erstellung gehören zu den häufigsten Anwendungen. Nur 39 Prozent der Unternehmen nutzen KI bereits zur Automatisierung von Prozessen. Insgesamt zeigt sich: KI agiert bislang eher als Werkzeug denn als Ersatz für menschliche Arbeit.
Agentic und Physical AI stehen in den Startlöchern
Die Studie betont, dass sich die nächste Phase der KI-Transformation bereits abzeichnet. Dabei stehen sogenannte „Agentic AI“-Systeme im Fokus, die Aufgaben weitgehend eigenständig planen und durchführen können. Hinzu kommt „Physical AI“, etwa in Form von Robotik oder autonomen Fahrzeugen. Beide Entwicklungslinien könnten viele Arbeitsabläufe grundlegend umgestalten – insbesondere in Logistik, Fertigung und Dienstleistung.
Arbeitsplatzveränderungen – Reduktion und Neubewertung
72 Prozent der Arbeitgeber erwarten, dass KI zu einem Rückgang der Beschäftigtenzahl führt. Besonders gefährdet sehen sie Berufe im Marketing, in der Datenanalyse und im Finanzbereich. Gleichzeitig rechnen 62 Prozent mit der Entstehung neuer Rollen. Dabei nennen viele Unternehmen ähnliche Funktionen: Prompt Engineers, KI-Strategen, Integrationsspezialisten oder Ethikbeauftragte. Die nächste Welle wird laut Studie spezifischere, branchenspezifische Rollen hervorbringen.
Zwischen Euphorie und Sorge
Die Chancen, die Unternehmen mit KI verbinden, sind vielfältig: Effizienzsteigerung, Automatisierung, Innovationsförderung, Kostensenkung und der Fokus auf höherwertige Tätigkeiten werden am häufigsten genannt. Gleichzeitig dominieren fünf zentrale Sorgen: Arbeitsplatzverlust, Denkfaulheit durch KI-Nutzung, ethische Risiken, Desinformation und fehlende Governance-Strukturen. Diese Spannungsfelder prägen die gegenwärtige Debatte rund um KI am Arbeitsplatz.
Fehlende Governance und Weiterbildung bremsen den Fortschritt
Ein zentrales Hindernis für die flächendeckende und verantwortungsvolle KI-Nutzung ist laut Studie das Fehlen klarer Richtlinien. 53 Prozent der Unternehmen geben an, keine umfassenden Governance-Prozesse etabliert zu haben. Nur ein Fünftel verfügt über konzernweite Regelwerke. In der Praxis orientieren sich viele Mitarbeitende an informellen Teamnormen oder individueller Erfahrung.
Lernen durch Ausprobieren statt gezielter Qualifizierung
41 Prozent der Unternehmen bieten derzeit keinerlei KI-bezogene Schulungen an. Gefragt sind praxisnahe Formate: On-the-Job-Training, Peer-Learning, interne Webinare sowie der Zugriff auf Best-Practice-Datenbanken gelten als bevorzugte Methoden zur Kompetenzvermittlung. Formale Weiterbildungsprogramme sind hingegen weniger verbreitet – obwohl fehlende Skills mit 53 Prozent zu den Hauptbarrieren für KI-Adoption zählen.
Hochschulen liefern nicht, was die Wirtschaft braucht
Die Erwartungen an Absolventen höherer Bildungseinrichtungen haben sich gewandelt: 51 Prozent der Arbeitgeber erwarten heute, dass Berufseinsteiger grundlegende KI-Kompetenzen mitbringen. Gleichzeitig zweifeln 53 Prozent daran, dass diese in der Lage sind, KI-Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und sinnvoll weiterzuentwickeln. Das Urteil über den Bildungssektor fällt hart aus: Nur drei Prozent der Unternehmen glauben, dass diese ihre Studierenden adäquat auf die neue Arbeitswelt vorbereiten.
Kritisches Denken vor Fachwissen
Auf die Frage, welche Kompetenzen in einer KI-getriebenen Arbeitswelt am wichtigsten sind, geben 92 Prozent der Unternehmen „kritisches und analytisches Denken“ an – noch vor dem Umgang mit KI selbst (62 Prozent) und kommunikativen Fähigkeiten (52 Prozent). Klassisches Fachwissen spielt mit 19 Prozent eine deutlich geringere Rolle. Dies unterstreicht den Paradigmenwechsel hin zu flexiblen, reflektierten und interdisziplinären Profilen.
Höhere Bildungseinrichtungen unter Reformdruck
80 Prozent der Arbeitgeber halten höhere Bildungseinrichtungen für zu langsam im Anpassungsprozess an neue Marktbedürfnisse. Der starre, oft mehrjährige Zyklus zur curricularen Weiterentwicklung steht dem rasanten technologischen Wandel entgegen. Auch aus Sicht der Studierenden besteht Nachholbedarf: 72 Prozent fordern laut einer begleitenden Erhebung des Digital Education Council mehr praxisorientierte KI-Kurse.
Was höhere Bildungseinrichtungen nun tun sollten
Die befragten Unternehmen formulieren konkrete Erwartungen an den Bildungssektor:
- Stärkere Praxisverankerung: Studierende sollen mehr Gelegenheiten erhalten, KI in realen Anwendungsszenarien zu erleben – etwa über Praktika, Fallstudien oder projektbasiertes Lernen.
- Förderung menschlicher Kompetenzen: Kommunikationsfähigkeit, Zusammenarbeit und ethisches Urteilsvermögen sollten gezielt geschult werden, da sie in einer KI-unterstützten Umgebung an Bedeutung gewinnen.
- Verankerung von Ethik und Governance: Aspekte wie Datenschutz, Fairness und transparente KI-Nutzung müssen integraler Bestandteil der Lehre werden.
- Förderung kritischer Denkfähigkeit: Hochschulen sollen Studierende nicht nur mit Werkzeugen, sondern auch mit der Fähigkeit ausstatten, deren Ergebnisse einzuordnen und weiterzuentwickeln.
- Systematische KI-Literacy: Gefordert ist ein Basisverständnis für KI-Anwendungen in allen Fachrichtungen, ergänzt durch fachspezifische Vertiefungen. Zudem müssten Lehrende selbst kontinuierlich geschult werden, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.
Alle Akteure sind gefragt
Die Studie betont, dass die Vorbereitung auf eine KI-geprägte Arbeitswelt nicht allein Aufgabe höherer Bildungseinrichtungen ist. Es braucht ein abgestimmtes Zusammenspiel von Arbeitgebern, Bildungseinrichtungen, Regierungen und den Individuen selbst:
- Unternehmen sollten in Weiterbildungen investieren, neue Arbeitsmodelle entwickeln und bei der Curriculumsentwicklung mitwirken.
- Regierungen sind gefordert, Rahmenbedingungen für eine beschleunigte Anpassung im Bildungswesen zu schaffen und Weiterbildungsangebote zu fördern.
- Höhere Bildungseinrichtungen müssen KI flächendeckend in ihre Lehre integrieren, agiler auf Veränderungen reagieren und eng mit der Wirtschaft kooperieren.
- Einzelpersonen sollten sich auf lebenslanges Lernen einstellen und gezielt Fähigkeiten entwickeln, die Maschinen nicht ersetzen können – insbesondere Kreativität, Urteilsvermögen und Kommunikation.
Das Fazit der ITWelt-Redaktion
Die Studie des Digital Education Council liefert ein klares Bild der gegenwärtigen Diskrepanz zwischen technologischem Fortschritt und Ausbildungsrealität. Während KI rasant in die Arbeitswelt Einzug hält, fehlt es vielerorts an Klarheit, Vorbereitung und Orientierung. Höhere Bildungseinrichtungen stehen unter Zugzwang, doch der Wandel kann nur gelingen, wenn alle Akteure Verantwortung übernehmen – und sich gemeinsam auf ein neues Verständnis von Arbeit und Bildung einlassen.
Die Studie kann hier heruntergeladen werden.

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