Nicht nur extern lassen sich neue Fachkräfte finden, auch intern kann durch Upskilling und Reskilling viel erreicht werden. [...]
Der Fachkräftemangel in der IT-Branche hat massive Auswirkungen auf die Wirtschaft. Nach einer Schätzung des Digitalverbands Bitkom von Mitte November 2022 fehlen in Deutschland derzeit rund 137.000 IT-Experten. Die aktuelle Zahl liegt sogar noch über dem Vor-Corona-Jahr 2019 mit damals 124.000 unbesetzten IT-Stellen.
Der Bitkom-Präsident Achim Berg spricht deswegen von einem strukturellen Fachkräftemangel auf dem deutschen IT-Arbeitsmarkt.
Aber es kommt noch schlimmer. „Der Mangel an IT-Fachkräften wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen“, ist Berg überzeugt. Die aufwendige Suche nach neuen Mitarbeitern mache den Unternehmen immer stärker zu schaffen. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich auch in Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Das IAB geht davon aus, dass dem Arbeitsmarkt in Deutschland in den kommenden zwölf Jahren weitere 7,2 Millionen Arbeitskräfte verloren gehen werden. Das ist rund ein Siebtel des aktuellen Potenzials. Im Zeitraum zwischen 2035 und 2060 sollen dann noch einmal 8,9 Millionen Arbeitskräfte wegfallen.
Derzeit beträgt das Erwerbspersonenpotenzial, also die Summe aus Erwerbstätigen, Erwerbslosen und sogenannter „stiller Reserve“, in Deutschland 47,4 Millionen Arbeitskräfte. 2060 sind es laut IAB-Prognose nur noch knapp über 31 Millionen. Das hat Konsequenzen, die die Unternehmen in den kommenden Jahren deutlich spüren werden.
„Der Fachkräftemangel entwickelt sich zum Haupthindernis der digitalen Transformation.“
Achim Berg – Präsident des Digitalverbands Bitkom
Bei der immer länger dauernden Suche nach neuen Mitarbeitern sollte das interne Potenzial nicht vernachlässigt werden. Mit geeigneten Schulungsmaßnahmen lässt sich hier viel erreichen.
Drohende Verrentung
Einer der Gründe für die aktuelle Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist, dass in den nächsten Jahren viele der Babyboomer aus den 50er- und 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts in Rente gehen. Eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen oder älteren Menschen könne diese Entwicklung lediglich abschwächen, warnt das IAB. Bitkom-Präsident Berg weist zudem darauf hin, dass „der demografische Wandel dazu führt, dass signifikant weniger junge Menschen mit IT-Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt kommen“.
Zugleich würden mehr Ältere aus einschlägigen Berufen ausscheiden. „Der Fachkräftemangel entwickelt sich zum Haupthindernis bei der digitalen Transformation“, so Berg.
Zuzüge aus dem Ausland können die demografische Basis zwar stärken, die aktuellen Einwanderungszahlen reichen aber nicht aus, um den demografischen Effekt vollständig zu kompensieren. Wenn jährlich 100.000 Menschen nach Deutschland einwandern, dann sinkt das Erwerbspersonenpotenzial bis 2035 nur um 3 Millionen und bis 2060 um weitere 6,1 Millionen Arbeitskräfte auf 38,3 Millionen, so das IAB. Nur bei einer Nettozuwanderung von 400.000 Personen pro Jahr bliebe die Summe aus Erwerbstätigen, Erwerbslosen und stiller Reserve bis 2035 konstant.
Diese Zahl wurde in den vergangenen Jahren schon ein paar Mal überschritten, aber längst nicht immer. So gab es 2022 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts zwar 1,3 Millionen Zuzüge, gleichzeitig kehrten jedoch rund eine Million Menschen Deutschland den Rücken und wanderten aus.
Die meisten von ihnen zieht es in die Schweiz, nach Österreich oder in die USA. Unterm Strich ergab das laut Bundesamt nur noch ein Plus von 329.163 Personen im vergangenen Jahr. 2020 waren es sogar nur 220.000. Insbesondere die Zuwanderung von Personen aus anderen europäischen Staaten ging 2020 zurück. Sie sank von 214.000 Menschen 2019 auf nur noch 173.000 im Jahr 2020.
„Kluge Unternehmen wissen: Fachkräfte fallen nicht vom Himmel.“
Anja Piel – DGB-Vorstandsmitglied
2022 war wiederum geprägt von der Flucht vieler Menschen aus der Ukraine. Allein im März wurden über 430.000 Personen aus dem Kriegsland in Deutschland registriert. Im Folgemonat waren es immer noch fast 200.000. Seitdem nahm die Zuwanderung aus der Ukraine ab.
Zudem stieg die Zahl der registrierten Fortzüge. Das Statistische Bundesamt weist außerdem darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der Zurückkehrenden wahrscheinlich noch höher liegt, da sich viele Ukrainer vor ihrer Ausreise nicht bei den Behörden in Deutschland abmelden.
Gleich fünf Bundesministerien – das Bundesarbeitsministerium, das Bundesinnenministerium, das Bundeswirtschaftsministerium, das Bundesbildungsministerium und das Auswärtige Amt – haben aufgrund der schwierigen Situation Ende November 2022 ein neues Eckpunkteprogramm veröffentlicht, um in Zukunft wieder mehr Fachkräfte aus Drittstaaten nach Deutschland zu locken. Das Land soll weltweit als „modernes und attraktives Einwanderungsland“ beworben werden.
„Im Wettbewerb um Talente und helfende Hände bieten wir neue und vor allem einfachere Wege, um in Deutschland zu arbeiten“, kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil an. Sein Ministerium will nun „zeitnah einen Gesetzentwurf erarbeiten“.
Aufwendige Suche nach Arbeitskräften
Bis diese Maßnahmen wirken, wird es aber noch eine Weile dauern. Im Durchschnitt bleibt eine offene Stelle für IT-Fachkräfte derzeit nach Berechnungen des Bitkom-Verbands rund 7,1 Monate unbesetzt. Im Vorjahr waren es im Schnitt nur 6,6 Monate, also etwa zwei Wochen weniger. Das ist eine Steigerung der benötigten Zeit innerhalb eines Jahres um 7,6 Prozent.
14 Prozent der Unternehmen brauchen mit sieben bis neun Monaten sogar noch länger als der Durchschnitt. Bei 19 Prozent sind es zehn bis zwölf Monate und bei 4 Prozent mehr als ein Jahr, die sie bis zur Besetzung einer freien IT-Stelle einplanen müssen.
„Kluge Unternehmen wissen: Fachkräfte fallen nicht vom Himmel“, kommentiert Anja Piel die schwierige Lage der Firmen. Sie ist Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Piel fordert deshalb ein Umdenken in den Unternehmen.
Insbesondere ihre Weiterbildungsangebote müssten besser und fairer werden: „Qualifizierung darf nicht dazu führen, den eigenen Lebensunterhalt nicht mehr stemmen zu können.“ Weiterbildung müsse zur Regel werden und sollte nicht die Ausnahme bleiben. „Fachkräfteanwerbung im Ausland darf nicht die eigenen Anstrengungen ersetzen“, betont Piel.
Der Mitarbeiter, das unbekannte Wesen
Markus Skergeth, Geschäftsführer von Skilltree, stimmt dem zu. Das österreichische Unternehmen mit Sitz in Graz ist auf HR-Software (Human Resources) spezialisiert. Skergeth ist der Ansicht, dass Unternehmen bei ihrer Suche nach Fachkräften zu sehr nach außen orientiert sind. „Während ihnen sehr wohl klar ist, welche Skills ein neuer Mitarbeitender mitbringen sollte, ist der eigene Bestandsmitarbeitende ein eher unbekanntes Wesen.“
Viele Personalabteilungen betreiben nach Skergeths Aussage zwar ein aufwendiges Profiling und geben Zehntausende Euro für externe Headhunter aus, der eigene Mitarbeitende bekommt dagegen „erst dann wieder einen Wert, wenn er das Unternehmen wechseln will und beim Wettbewerber der rote Teppich ausgerollt wird“.
Laut einer von Skergeth initiierten Umfrage kennen die meisten Chefs lediglich einen kleinen Teil der Vorkenntnisse, die ein Mitarbeitender aus einem anderen Job mitbringt: „Nur knapp 30 Prozent wissen das ungefähr, 31 Prozent haben ein selektives Wissen über Skills von vorherigen Arbeitsplätzen und für 16 Prozent ist die Historie eines Mitarbeitenden völlig unbekannt.“
Skilltree hat daher eine Plattform entwickelt, die die Belegschaft und ihre Arbeitgeber besser miteinander bekannt machen soll. Mitarbeiter pflegen und ergänzen in einer Datenbank ihre eigenen Skills, sodass Führungskräfte ihre Talente und fachlichen Fähigkeiten mit den anstehenden Projekten und Aufgaben leichter abgleichen können.
Skergeth vergleicht die dabei verwendeten intelligenten Mechanismen mit Dating-Börsen wie Parship. „Statt charakterlicher Eigenschaften verwenden wir die fachlichen Qualitäten, um ein Matching vorzunehmen“, so der Skilltree-Geschäftsführer.
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