Die geringfügigen Änderungen, die Broadcom als Reaktion auf den Druck der EU-Kommission versprochen hat, lösen die Bedrohung der europäischen Infrastruktur in keiner Weise. [...]
Der amerikanische Fortune-500-Konzern Broadcom hat, nachdem die EU-Kommission ihn zu seinen mutmaßlich wettbewerbswidrigen Praktiken am Cloud-Markt befragt hatte, geringfügige Änderungen seiner Lizenzpolitik versprochen. Diese erweisen sich bei näherer Betrachtung jedoch als reine Alibi-Maßnahme: die zentralen Probleme, die die europäische Cloud-Infrastruktur bedroht, adressieren sie nicht.
Broadcom hatte im Zuge seiner Übernahme der Software-Firma VMware alle Kundenlizenzen gekündigt, obwohl nahezu alle Cloud-Systeme Europas von VMware-Technologien abhängig sind. Dabei hat Broadcom mit dem 30. April 2024 eine derart kurze Kündigungsfrist gesetzt, dass den meisten Kunden nicht genügend Zeit für einen Umstieg auf einen Alternativanbieter bleibt.
Somit haben die meisten europäischen Cloud-Provider keine andere Wahl, als die neuen Lizenz-Verträge von Broadcom zu unterzeichnen, deren Preise um bis zu das Zwölffache erhöht wurden. Kunden werden des Weiteren zu einer mindestens dreijährigen Bindung verpflichtet. Viele unabhängige europäische Cloud-Provider können sich die neuen Summen nicht leisten und sind in ihrer Existenz bedroht.
Broadcoms neue Versprechungen stellen sich als Alibi-Maßnahmen heraus
Nun versucht Broadcom, die Wogen mithilfe von neuen Versprechungen zu glätten. Das Angebot, den Zero-Day-Patch-Support für Kunden mit bestehenden unbefristeten Lizenzen fortzusetzen, ist in seiner Beschränktheit eine Beleidigung.
Das Versprechen, kritische Softwarefehler im Produkt zu beheben, gilt außerdem nur für Kunden, die die neuen, verteuerten Lizenz-Verträge unterzeichnen und grenzt somit an Erpressung. Diese Versprechungen sind reine Alibi-Maßnahmen und lösen das zentrale Problem der massiven Teuerung bei massivem Zeitdruck nicht. Sie mindern nicht den Schaden, den Broadcom der unabhängigen Cloud-Infrastruktur Europas zufügt.
Broadcom besteht des Weiteren trotz gegenteiliger Beweise darauf, dass die neuen VMware-Preise niedriger seien als vor der Übernahme. Die neuen Lizenzbedingungen, die verpflichtenden Bündelungen, die veränderte Abrechnungsgrundlage und die Streichung diverser beliebter Produkte bedeuten, dass die Preise um das bis zu Zwölffache gestiegen sind. Das bestätigen nicht nur die Erfahrungen der CISPE-Mitglieder, sondern auch jene unzähliger anderer VMware-Kunden.
Wie eine Taxifahrt, die im Voraus bezahlt werden muss
In einem letzte Woche veröffentlichten Blog-Post versucht Hock Tan, CEO von Broadcom, Kunden, Partner und Investoren zu beruhigen. Broadcom versucht gezielt, die brutalen neuen Lizenzpraktiken als wettbewerbs- und innovationsfördernd darzustellen, da man ein Abonnement-Lizenzkonzept einführe.
Dies verschleiert die angesprochenen Hauptprobleme. Das Modell der Abonnement-Lizenzen stellte nie das Hauptproblem dar – die CISPE-Mitglieder sowie ihre Kunden nutzen es bereits. Auf das tatsächliche Problem des neuen Abonnement-Lizenzierungsmodells von Broadcom geht Hock Tan nicht ein.
Grundanforderung einer Abonnement-Lizenzierung ist es, flexible Pay-as-you-go-Modelle zu ermöglichen, die Kunden und Anbietern helfen, Ressourcen nach Bedarf zu skalieren. Die neuen Bedingungen von Broadcom stellen das Gegenteil dar und sind in ihrem Kern Cloud-feindlich. Sie zwingen die Partner, sich langfristig zu verpflichten und im Voraus für Kapazitäten zu bezahlen, die sie möglicherweise nie benötigen.
Anstatt nach tatsächlichem Verbrauch zu zahlen, wie es bei Cloud-Infrastrukturen und VMware stets üblich war, bestehen Broadcoms neue Bedingungen auf einer Vorausverpflichtung im Wert von drei Jahren. Berechnet wird diese Vorausverpflichtung anhand der Serverkerne, die hypothetisch genutzt werden könnten.
Für die betroffenen europäischen Cloud-Provider ist dies, als würde ein Taxibetreiber verlangen, dass man im Voraus für alle Fahrten zahlen müsse, die man in den nächsten 3 Jahren hypothetisch buchen könnte. Die unlauteren Lizenzierungspraktiken marktbeherrschender Softwareunternehmen wie Broadcom untergraben den grundlegenden Wert der Cloud: die Fähigkeit, Dienste flexibel bereitzustellen, wann und wo ein Kunde sie braucht.
Formelle Ermittlungen der EU-Kommission sind erforderlich
Broadcom hat seine geringfügigen Zugeständnisse als Beweis dafür angepriesen, dass man auf die Bedenken der Branche eingehe. Das am 14. April 2024 erfolgte Auskunftsverlangen der EU-Kommission an Broadcom war nach Ansicht der CISPE wohl der entscheidende Auslöser für die unbefriedigenden Beschwichtigungs-Maßnahmen.
Weder unsere Mitglieder noch die breitere Koalition von VMware-Kunden, mit denen wir zusammenarbeiten, haben von einer direkten Kontaktaufnahme oder einem Angebot von Broadcom berichtet, diese Bedingungen zu diskutieren oder auszuhandeln.
Die CISPE begrüßt die Aktivitäten der Europäischen Kommission. Monopolistischen Softwareunternehmen darf es nicht erlaubt sein, Märkte mithilfe von unfairen Lizenzierungspraktiken zu ihren Gunsten zu verzerren. Wenn marktbeherrschende Softwareanbieter mutwillig „Gewinner“ und „Verlierer“ auswählen können, indem sie entscheiden, wer ihre Software lizenzieren darf und wer nicht, ist dies eine klare Form der Diskriminierung – seien es Broadcom, Microsoft oder andere Anbieter.
Die CISPE fordert daher die Europäische Kommission und andere Regulierungsbehörden auf, jetzt zu handeln, um dem Missbrauch Einhalt zu gebieten, der Europas digitales Wachstum beeinträchtigt. Formelle Untersuchungen sind dringend erforderlich.
Die CISPE wird weiterhin gemeinsam mit ihren Partner-Organisationen in Europa, darunter dem französischen Branchenverband Cigref, zusammenarbeiten, um Lösungen und Alternativen für jene tiefgreifenden Probleme zu finden, mit denen alle ehemaligen VMware-Kunden nun konfrontiert sind.
Francisco Mingorance, Generalsekretär der CISPE
„Es ist uns klar, dass Broadcoms neue Versprechungen eine Reaktion auf die rechtzeitige und präzise Intervention der Europäischen Kommission sind. Diese Antwort von Broadcom ist beleidigend, unbefriedigend und hat die Wut unserer Mitglieder nur noch verstärkt. Was die europäische Digitalwirtschaft nun braucht, sind formelle Untersuchungen der Regulierungsbehörden, um eine Rückkehr zu fairen Lizenzierungsprinzipien auf dem gesamten Softwaremarkt durchzusetzen.“
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