Der Chiphersteller Broadcom diversifiziert sein Angebot und steigt mit der VMware-Übernahme noch tiefer ins Geschäft mit Infrastruktursoftware ein. [...]
Broadcoms Entscheidung, VMware für 61 Milliarden Dollar zu übernehmen, könnte für den Enterprise-Softwaremarkt große Veränderungen bedeuten. Darauf lassen die Methoden von CEO Hock Tan schließen: Er hatte für Broadcom den Microchip-Markt durch den Zukauf vieler auf den ersten Blick wenig spektakulärer, aber für den Markt doch essenzieller Komponenten erobert. Dann senkte er die Kosten und hob Synergien, um schließlich seine Preissetzungsmacht zu nutzen und im großen Stil weitere Marktanteile zu erobern. Wie das Wall Street Journal spekuliert, wird er versuchen, dieses Vorgehen auf den Markt für Unternehmenssoftware zu übertragen.
Der Kauf von VMware, der am Donnerstag angekündigt wurde, katapultiert Broadcom tief in das Software-Business und dürfte nicht nur Unternehmen wie Oracle, Microsoft und IBM aufhorchen lassen, sondern auch viele Anbieter, die sich auf Nischenanwendungen spezialisiert haben. Broadcom hatte bereits CA Technologies und Symantec übernommen und damit seinen Einstieg ins Software-Business unterstrichen. Kommt der Abschluss der VMware-Übernahme planmäßig zustande, werden sich die Softwareerlöse nahezu verdreifachen und knapp die Hälfte der Unternehmensumsätze ausmachen.
VMware-Aktionäre erhalten 40-prozentigen Aufschlag
Broadcom will den Kauf jeweils zur Hälfte in bar und in Aktien begleichen. Der Chiphersteller übernimmt außerdem acht Milliarden Dollar Schulden von VMware. Damit beläuft sich der Kaufpreis auf 138 Dollar je Aktie, was die VMware-Aktionäre erfreuen dürfte: Sie erhalten einen Aufschlag von mehr als 40 Prozent auf den Kurs der VMware-Aktie (Stand vor dem Bekanntwerden der Übernahmegerüchte).
Derzeit sind die VMware-Aktien noch zu 40,2 Prozent in Besitz von Michael Dell und zu zehn Prozent in Händen des Private-Equity-Investors Silver Lake. Beide wollen der Transaktion zustimmen, sofern der VMware-Aufsichtsrat mitzieht. In einer Telefonkonferenz mit Analysten sagte Tan, VMware verfüge über die Eigenschaften, die Broadcom bei Übernahmen suche: „Das Unternehmen ist ein unverzichtbarer Anbieter von unternehmenskritischer Plattformtechnologie mit einem erstklassigen Kundenstamm und einem unglaublichen Innovationsdrang.“
Tan hatte Broadcom durch eine Reihe von Akquisitionen zu einer ersten Adresse im Halbleitermarkt ausgebaut. Das Unternehmen liefert unter anderem Wi-Fi-Chips für Apple-iPhones und Netzwerkkomponenten für große Rechenzentren. Seinen Ausflug ins Softwaregeschäft startete der CEO 2018 mit der Übernahme von CA Technologies für 19 Milliarden Dollar. Ein Jahr später kaufte er die Cybersicherheitssparte von Symantec für 10,7 Milliarden Dollar. Eine Übernahme von SAS Institute scheiterte, nachdem dessen Vorstand nach anfänglicher Zustimmung wieder einen Rückzieher machte.
Sichere Geschäfte mit Enterprise-Software
Broadcom verfolgt das Ziel Unternehmen aufzukaufen, die tief in die IT-Infrastruktur großer Unternehmen eingebunden sind und so eine gewisse Abhängigkeit ihrer Kunden schaffen. Strategie ist es, Synergien zu erschließen, die Kosten zu senken und Cross- und Upselling zu betreiben, um das Beste aus diesen Kundenbeziehungen herauszuholen. Das hatte Broadcoms Softwarechef Tom Krause im vergangenen November in einem Interview so erläutert. Nun sagte er, Broadcom werde sich darauf konzentrieren, die sich wiederholenden Umsätze („Recurring Revenues“) von VMware zu steigern. Man betrachte Unternehmen wie CA, Symantec und nun auch VMware nicht nur als starke Marken, sondern sehe aus einer operativen Perspektive und Bausteine in einem „viel größeren Spielplan“.
Die Übernahme von VMware soll bis Ende des Broadcom-Geschäftsjahres (31. Oktober 2022) abgeschlossen sein. Die Fusionsvereinbarung sieht eine sogenannte Go-shop-Klausel vor, die es VMware über einen Zeitraum von 40 Tagen erlaubt (bis zum 5. Juli), aktiv um bessere Angebote zu werben.
Obwohl Investoren und Analysten sich angesichts der Softwarepläne von Broadcom zunächst eher skeptisch gezeigt hatten, ist die Strategie des Unternehmens bislang durchaus aufgegangen. Die Softwaresparte erzielte hier laut Wall Street Journal im vergangenen Quartal einen operativen Gewinn von 1,31 Milliarden Dollar bei einem Umsatz von 1,83 Milliarden Dollar. VMware brachte es demgegenüber nur auf einen Betriebsgewinn von 783 Millionen Dollar bei Einnahmen von 3,53 Milliarden Dollar.
Kontakt zu Data-Center-Betreibern soll helfen
Broadcom hat in seinem letzten Quartal 1,9 Milliarden Dollar an Netzwerkeinnahmen erzielt – etwa ein Drittel seiner gesamten Chipeinnahmen. Tan steht hier in engem Kontakt zu Rechenzentrumsbetreibern, den er nun nutzen könnte, um die Geschäfte mit Infrastruktursoftware anzuschieben. VMware ist bekanntlich Pionier im Bereich der Virtualisierungssoftware, mit der Unternehmen nicht zuletzt eine bessere Auslastung ihrer Hardware realisieren können. Zudem spielt VMware im Markt für Hybrid-Cloud und Multi-Cloud eine Schlüsselrolle, in dem es darum geht, Rechenlasten zwischen privaten Rechenzentren und öffentlichen Cloud-Plattformen optimal zu verteilen und zu orchestrieren.
Es ist noch nicht so lange her, da wolle Broadcom-CEO Tan sein Unternehmen in eine ganz andere Richtung entwickeln. Sein feindliches Übernahmeangebot für den Mobilfunk-Chiphersteller Qualcomm in Höhe von 117 Milliarden Dollar wurde 2018 von der Trump-Administration vereitelt – aus Gründen der nationalen Sicherheit. Das war der Zeitpunkt, an dem sich Broadcom dem Softwaremarkt zuwandte.
Analysten halten es nicht für ausgeschlossen, dass die US-amerikanische Federal Trade Commission (FTC) noch versuchen könnte, auch diesen Deal zu blockieren. Immerhin könnte Broadcom seine Dominanz dazu nutzen, Kunden zum Kauf seiner anderen Produkte zu zwingen oder überhöhte Preise zu zahlen. Bereits im vergangenen Jahr hatte sich der Chipkonzern mit der FTC nur mühsam geeinigt, nachdem der Vorwurf laut geworden war, Broadcom habe den Markt für Chips in Set-Top-Boxen monopolisiert.
*Heinrich Vaske ist Editorial Director von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO sowie Chefredakteur der europäischen B2B-Marken von IDG. Er kümmert sich um die inhaltliche Ausrichtung der Medienmarken – im Web und in den Print-Titeln.
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