Ohne ein effektives Change Management drohen digitale Transformationsprozesse in Unternehmen zu scheitern. Im Mittelpunkt stehen weniger technische und organisatorische Aspekte als die Frage: Wie bringt man Mitarbeiter dazu, sich verändern zu wollen? [...]
Change-Projekte in Unternehmen haben keinen guten Ruf. Die meisten bleiben hinter den Erwartungen zurück oder scheitern komplett, wie diverse Studien belegen. Die gute Nachricht: Ursachen für Fehlschläge und die Erfolgsfaktoren in der Praxis sind mittlerweile gründlich erforscht. IT-Verantwortliche können daraus ebenso lernen wie Business- und Projekt-Manager.
Diese FAQ gibt einen Überblick.
Was bedeutet Change Management?
Nicht selten beginnen die Probleme schon bei den Begrifflichkeiten. Das gerade im Kontext der digitalen Transformation arg strapazierte Schlagwort Change Management wird in der Praxis unterschiedlich verstanden und interpretiert. Einen eher engen Blick auf das Thema haben Projektmanager. Ihnen geht es darum, für ein bestimmtes Vorhaben Änderungen bezüglich Umfang, Zeitrahmen oder Budget durchzusetzen. IT-Infrastruktur-Verantwortlichen haben noch konkreter etwa die Genehmigung, das Testen und Installieren einer neuen IT-Komponente im Blick, sei es eine Cloud-Instanz oder auch ein aktuelles Software-Release.
Vereinigungen wie die Association of Change Management Professionals (ACMP), oder das Innovation and Organizational Change Management Institute (IOCMI) betrachten Change Management eher aus einer übergeordneten, organisatorischen Perspektive. Zwar arbeitet jede dieser Gruppe mit eigenen Konzepten, Frameworks und Fachtermini. Doch alle konzentrieren sich auf die menschlichen Aspekte organisatorischer Veränderungen und wie damit umzugehen ist. Davon zu unterscheiden sind klassische prozessbezogene Veränderungen, für die es ebenfalls eine Reihe von Frameworks gibt, darunter ITIL oder Prince2.
Eine brauchbare Definition für das auf organisatorische Veränderungen zielende Change Management gibt Sheila Cox vom amerikanischen Beratungsunternehmen Performance Horizons: „Organisatorisches Change Management stellt sicher, dass die neuen Prozesse, die aus einem Projekt entstehen, von den betroffenen Personen auch angenommen werden.“
Wann brauchen Unternehmen ein Change Management?
Organisatorisches Change Management kommt immer dann ins Spiel, wenn Unternehmen Programme oder Ereignisse anstoßen, die die täglichen Arbeitsprozesse beeinflussen. So kann etwa schon ein neues Software-Tool in der Buchhaltung dazu führen, dass sich die Arbeitsinhalte einzelner Mitarbeiter gravierend verändern. Die Akzeptanz für eine neue Herangehensweise kommt dann keineswegs automatisch mit der schicken neuen Benutzeroberfläche der Software.
In etlichen Fällen verändern sich auch die Rollen von Mitarbeitern. Viele IT-Spezialisten sehen ihren eigentlichen Wert in ihrer Rolle als Programmierer, Software-Architect oder Security-Experte. Werden sie aufgefordert, eine andere Rolle zu übernehmen, kann das zu Unbehagen und Zweifeln führen. Gerade mit herausragenden technischen Fähigkeiten scheitern beispielsweise nicht selten, wenn sie sich als Führungskraft beweisen sollen.
Grundlegende Veränderungen können auch die gesamte Organisation betreffen, wenn es beispielsweise um Zukäufe oder die Abtrennung von Unternehmensteilen kommt. In solchen Fällen ist in der Regel nur ein kleiner Kreis rund um das Topmanagement frühzeitig informiert und kann sich auf Veränderungen einstellen. Für den Großteil der Mitarbeiter gilt das nicht. Sie erfahren erst viel später von geplanten Einschnitten und entscheiden sich womöglich, das Unternehmen zu verlassen. Der Change-Management-Prozess wird damit nicht leichter.
Was gehört zu einem erfolgreichen Change Management?
In der Praxis haben sich verschiedene Erfolgsfaktoren für ein effektives Change Management herausgeschält. Dazu gehören:
- Der richtige Sponsor aus dem Management
Ein Sponsor ist erfolgskritisch für das organisatorische Change Management, darin sind sich Praktiker und einig. In seiner Verantwortung liegt es, anstehende Veränderungen zu begründen und die notwendigen Ressourcen zu beschaffen. Dazu braucht er die Unterstützung des Topmanagements.
Neben der strategischen Übersicht benötigt er ausreichend Detailkenntnisse, um beispielsweise zu erklären, warum bestimmte Lösungsansätze für ein Problem geeignet oder ungeeignet sind. Er muss die personellen Auswirkungen verstehen und zugleich bereit sein, auch Skeptiker zu überzeugen. Dazu gehören gute kommunikative Fähigkeiten ebenso wie eine gewisse Hartnäckigkeit. Stehen Stellenstreichungen oder -veränderungen an, sollte der Sponsor diese begründen können und betroffene Mitarbeiter in der Transitionsphase unterstützen.
- Eine Kultur, die Veränderungsbereitschaft belohnt
Bis zu einem gewissen Grad neigen alle Organisationen dazu, sich Veränderungen zu widersetzen. Vor allem wenn am gewohnten Vorgehen scheinbar nichts auszusetzen ist, fehlt die Bereitschaft zu Veränderungen mitunter komplett. Manchmal braucht es deshalb eine Art Weckruf. Der Berater und Autor Bart Perkins nennt als Beispiel die Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein. Erst nachdem die Anschuldigungen publik wurden, hätten sich viele Unternehmen ernsthaft mit dem Problem der sexuellen Belästigung beschäftigt und Maßnahmen eingeleitet.
Gute Change-Management-Teams nutzen die in der Organisation vorhandene emotionale Energie, um Veränderungen zu fördern. Sie kommunizieren Anekdoten aus der Unternehmensgeschichte, sprechen eine Sprache, die bei Mitarbeitern ankommt und heben jene Teile der bestehenden Unternehmenskultur hervor, die zu den geplanten Veränderungen passt. Außerdem rücken sie Mitarbeiter, die Veränderungsbereitschaft zeigen, in den Vordergrund ihrer Kommunikation. Ihr Ziel ist eine permanente positive Verstärkung, die sich mittel- bis langfristig auf die Kultur auswirkt und den Transformationsprozess befeuert.
- Individuelle Veränderungsbereitschaft
Nicht nur die Organisation, sondern jeder einzelne Mitarbeiter muss willens sein, sich mit neuen Informationen und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Erfahrungsgemäß bevorzugen die meisten Menschen den Status Quo. Veränderungen akzeptieren sie nur, wenn sie ihnen sinnvoll erscheinen und ihre Tätigkeit sowie ihre Arbeitsumgebung verbessern.
- Belohnungen und Konsequenzen
Grundlegende Veränderungen sollten durch passende Belohnungsmechanismen unterstützt werden. Individuelle Zielvereinbarungen mit messbaren Ergebnissen können den Change-Prozess vorantreiben. Denjenigen Mitarbeitern, die nicht mitziehen, sollten die Konsequenzen klar aufgezeigt werden.
Ein Beispiel für veränderte Anreiz- und Belohnungssysteme lieferte ein amerikanisches Beratungshaus, das seine Bekanntheit steigern wollte. Das Management hielt die Partner dazu an, auf Fachkonferenzen zu sprechen und Blog-Beiträge zu verfassen. Zwar entstanden daraus durchaus neue Geschäftschancen für das gesamte Unternehmen. Doch andererseits sank der Umsatz, den jeder Berater pro Kunde erzielte. An dieser „harten Währung“ aber wurden die Berater bis dato gemessen, sie wirkte sich direkt auf ihre Vergütung aus. Das Management sah sich daraufhin gezwungen, das Vergütungssystem anzupassen. Einige Partner hätten sonst das Unternehmen verlassen.
Welche Probleme gibt es in Change-Prozessen?
Drei Viertel aller Change-Projekte scheitern, behauptet Anand Narasimhan, Professor für Global Leadership an der Wirtschaftshochschule IMD in Lausanne. Dabei sei die Umsetzung gar nicht mehr das entscheidende Problem, erläutert er in einem Beitrag für das Fachmagazin „Harvard Business Manager“. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jean-Louis Barsoux hat er die Ursachen fehlgeschlagener Change-Initiativen erforscht. Eine Kernaussage lautet: Im Vorfeld von Transformationsvorhaben kommt es häufig zu grundsätzlichen Fehleinschätzungen: „Vor allem dann, wenn das Umfeld komplex und das Veränderungstempo hoch ist, neigen Unternehmen zu überhasteten Entscheidungen, mit denen sie das ganze Unterfangen in die falsche Richtung lenken.“ Unterm Strich geht es im ersten Schritt also nicht um die Frage, wie der Wandel gestaltet werden soll, sondern was überhaupt verändert werden muss.
Ist das Ziel anvisiert, gibt es weitere Hürden und Probleme. Einstellungen und Verhaltensweisen zu ändern, braucht Zeit. Das Change-Management-Team hat es dabei schwerer als etwa ein Projektteam, das eine neue Kernapplikation implementieren soll. Milestones und KPIs in solchen technischen Vorhaben sind in der Regel klar umrissen, Fortschritte relativ einfach messbar. Change-Management-Verantwortlichen müssen sich mit anderen Herausforderungen auseinandersetzen:
- Change Management ist nicht deterministisch
Anders als bei Computerprogrammen kann das Verhalten von Mitarbeitern durchaus unlogisch und nicht vorhersehbar sein. Change-Maßnahmen, die in einer Gruppe greifen, können in einer anderen fehlschlagen. Botschaften, die in einem Team ankommen, bleiben in einem anderen womöglich wirkungslos.
- Change Management braucht den persönlichen Kontakt
E-Mails, Videos und andere Massenkommunikationskanäle können eine Botschaft verstärken. Sie reichen aber nicht aus, um Mitarbeitern das Gefühl zu geben, das Unternehmen kümmere sich wirklich um ihre Anliegen. Das Change-Management muss den persönlichen Kontakt zu denjenigen suchen, deren Verhalten sich ändern soll. Manchmal hilft es Betroffenen schlicht, sich den Frust von der Seele zu reden, bevor sie die neue Realität akzeptieren können.
- Mittleres Management und Sachbearbeiter müssen ins Boot
Sachbearbeiter und das mittlere Management können entscheidend dazu beitragen, ob ein Change-Projekt erfolgreich verläuft oder zum Flop gerät. Sie kennen die operationalen Details und antizipieren häufig potenzielle Probleme und wahrscheinliche Reaktionen von Kunden. Das Einbinden dieser Gruppen mag zunächst mehr Aufwand für das Change-Team bedeuten. Es stärkt andererseits aber das Vertrauen und Engagement der Mitarbeiter. Kollegen, die ihre Vorschläge umgesetzt sehen, tun sich später leichter, das erzielte Ergebnis anzuerkennen.
- Kulturelle Unterschiede erschweren das Change Management
Besonders gravierend können sich unterschiedliche kulturelle Normen auswirken. Das Change-Team sollte sich mit lokalen Regeln und Verhaltensweisen vertraut machen, selbst wenn das Topmanagement global standardisierte Prozesse als Ziel ausgegeben hat.
Dazu gehören beispielsweise unterschiedliche Kommunikationsstile. Während etwa Angestellte in Deutschland, den Niederlanden oder den USA Probleme meist direkt ansprechen, kann das in anderen Kulturkreisen kontraproduktiv wirken. Kollegen aus Indien, Japan oder Pakistan pflegen einen eher indirekten Kommunikationsstil und legen großen Wert darauf, in Gesprächen nicht „das Gesicht zu verlieren“.
Große Unterschiede gibt es auch beim Umgang mit Terminen und dem Thema Pünktlichkeit. Letzteres ist etwa für Kollegen aus Spanien, Thailand oder Brasilien weniger wichtig als für den deutschen oder amerikanischen Business-Manager, der sein Meeting zielgerichtet durchziehen will. Ähnlich verhält es sich beim Umgang mit Hierarchien. Während sich etwa Mitarbeiter aus Australien, Kanada oder den USA wenig darum kümmern und sich beim Vornamen nennen, spielt die Position in der Unternehmenshierarchie für Kollegen aus Indien, Japan oder Saudi Arabien eine zentrale Rolle.
- Change Management wird erst im Nachhinein angeflanscht
Geht es um IT-Vorhaben mit tiefgreifenden Auswirkungen auf Geschäftsprozesse, gerät das Thema Change leicht aus dem Blickfeld. Zu vielfältig sind die großen und kleinen technischen Aufgaben, die damit verbunden sind. Das Team muss beispielsweise Schnittstellen zu anderen Systemen schaffen, Daten harmonisieren und viele organisatorische Probleme gleichzeitig lösen. Wird das Change-Management in solchen Szenarien nicht parallel dazu angestoßen, erkennen die Beteiligten dessen Notwendigkeit womöglich erst, wenn sich Widerstand von seiten der Endbenutzer formiert. Nicht selten streichen oder kürzen die Verantwortlichen auch schon mal das Change-Management-Budget, wenn die Projektkosten insgesamt aus dem Ruder zu laufen drohen.
- Change Management wird zu früh gestartet
Ein anderes Problem kann auftreten, wenn der Change-Management-Prozess beispielsweise für große IT-Projekte zu früh gestartet wird. Beginnt das Change-Team seine Arbeit, bevor über wichtige Systemdetails entschieden ist, bleiben die Aussagen entweder vage oder sie beschreiben lediglich, was die neue Software voraussichtlich leisten wird. Verzögert sich die Implementierung oder fehlen in Aussicht gestellte Funktionen, kommt es schnell zu enttäuschten Erwartungen und einer mangelnden Akzeptanz der Mitarbeiter.
- Rationale Argumente reichen nicht
Ein verbreiteter Fehler in Change-Vorhaben ist die einseitige Betonung rein rationaler Argumente für eine Veränderung. Allzu oft fehlt es Projektverantwortlichen an der Fähigkeit, Mitarbeiter auch emotional zu gewinnen. Dabei ist vielfach belegt, dass Menschen ihr Handeln viel eher ändern, wenn sie sich als Teil eines Ganzen begreifen und eine Vision teilen, die sie auch emotional anspricht.
Welche Tools helfen beim Change Management?
Software alleine löst zwar keine Probleme. Doch sie kann helfen, Change-Prozesse effizienter zu organisieren und Transparenz für die Beteiligten zu schaffen. Diesem Anspruch folgt mittlerweile eine Reihe einschlägiger Tools:
Freshservice
Bei Freshservice handelt es sich um ein Cloud-basiertes Tool, mit dem Unternehmen Change-Projekte managen können. Zum Funktionsumfang gehört ein ausgefeiltes Problem- und Incident-Management, das beispielsweise Support-Tickets verwaltet und repetitive Workflows automatisiert. Hinzu kommen ein Release-Management und diverse Reporting-Funktionen, die beispielsweise auf Engpässe hinweisen können.
Gensuite
Die Change-Management-Software Gensuite hilft Teams dabei, Risiken und Compliance-Vorgaben zu managen, die sich aus technischen, organisatorischen und personellen Veränderungen ergeben. Dazu bietet die Software diverse Identifikations-, Tracking- und Dokumentationsfunktionen. Veränderungen und Status-Updates lassen sich automatisiert an die Beteiligten kommunizieren. Mithilfe von Data Mining sollen sich der Compliance-Status ermitteln und potenzielle Probleme aufdecken lassen.
Intelligent Service Management
Die kalifornische Softwareschmiede Serviceaide offeriert Intelligent Service Management. Das System unterstützt Unternehmen dabei, Rollouts zu planen und Veränderungen umzusetzen. Um Change-Prozesse effizienter zu gestalten, greift es auf diverse Best Practices zurück. Nutzer können damit unter anderem die Kommunikation sowie Compliance-Maßnahmen planen und verwalten. Beim Rollout von technischen Systemen helfen Funktionen zur Prozessautomatisierung und eine Reihe hinterlegter Workflows, die sich in der Praxis bewährt haben.
Remedy Change Management 9
Von BMC Software stammt Remedy Change Management 9. Die Plattform erlaubt es Unternehmen, Auswirkungen organisatorischer Veränderungen auf das IT-Service-Management im Griff zu behalten. So erkennt die Software etwa potenzielle Konflikte aufgrund von Change-Maßnahmen und liefert den Verantwortlichen eine ausführliche „Impact-Analyse“. Zum Funktionsumfang gehören unter anderem Dashboards für diverse KPIs sowie prozess-spezifische Berichte.
Whatfix
Auch Whatfix unterstützt Unternehmen in Change-Prozessen. Insbesondere die Einführung neuer Anwendungssoftware soll sich damit verbessern lassen. Dazu bietet das Tool etwa interaktive Guides, die Endbenutzer dabei helfen sollen, das neue System zu verstehen und zu nutzen. Auch ein kontext-basierter Support gehört dazu, der sich an individuellen Bedürfnissen und Nutzungsdaten orientiert. Darüber hinaus stehen Change-Teams vordefinierte Genehmigungsprozesse und Compliance-Management-Funktionen zur Verfügung.
*Wolfgang Herrmann ist Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
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