Weltweit leiden Hersteller an dem Mangel an Computerchips. Die USA sehen darin mittlerweile ein nationales Sicherheitsrisiko. [...]
Der globale Mangel an Halbleiter-Chips trifft auch die USA hart. So nennt das US-Wirtschaftsministerium in einem jüngst veröffentlichen Report alarmierende Zahlen: So sei der durchschnittliche Lagerbestand an Halbleiterprodukten von 40 Tagen im Jahr 2019 auf weniger als fünf Tage im Jahr 2021 gesunken. In einigen Schlüsselindustrien seien die Bestände sogar noch geringer. Ein Mangel, den die USA mittlerweile als Risiko für die nationale Sicherheit betrachten.
80 Milliarden für neue Chipfabriken
So appellierte US-Präsident Joe Biden erst vor einer Woche an den US-Kongress, die geplanten Milliarden-Subventionen für die amerikanische Halbleiterindustrie zu genehmigen. Im Rahmen des „CHIPS for America Act“ will die Regierung den Bau neuer Chipfabriken mit 52 Milliarden Dollar subventionieren. Bis 2025 sollen insgesamt knapp 80 Milliarden Dollar in neue Produktionsstätten fließen.
Allerdings warnen Experten vor der Annahme, dass neue Chipfabriken – erst kürzlich hatte Intel angekündigt in Ohio für rund 20 Milliarden Dollar zwei neue Chipfabriken zu bauen – das Problem kurzfristig lösen werden. Zumal die Probleme tiefer lägen und schon vor Beginn der Corona-Krise begannen. Corona habe die Schwierigkeiten lediglich verstärkt.
Ältere Halbleiterfabriken waren bereits vor 2020 an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt, bestätigt Alan Priestley, Vizepräsident und Analyst bei Gartner Research. „Covid hat das Problem noch verschärft, weil sich alle Nachfrageprognosen für die Industrie über Nacht in Schall und Rauch auflösten“, erklärt er. So zwang der Mangel an Computerchips die Automobilhersteller im vergangenen Jahr, die Produktion einzustellen und um fast 7,7 Millionen Autos zu drosseln. Dies führte wiederum zu einem massiven Fahrzeugmangel, als die Länder begannen, die weit verbreiteten Quarantänen aufzuheben, so dass die Menschen wieder reisen konnten.
Chipmangel auf breiter Front
Auch andere Branchen mussten ihre Produktion einstellen, obwohl der Markt für Unterhaltungselektronik während der Pandemie einen Aufschwung erlebte. Unternehmen und ihre Angestellten investierten vermehrt Desktops und Laptops für den Heimgebrauch, und die Verbraucher kauften eine Vielzahl von Geräten wie Fernseher, Spielsysteme, Kopfhörer und andere elektronische Geräte.
Damit wurden alle Prognosen über den Haufen geworfen und die Hersteller mussten ihre Produktionskapazitäten umschichten, so Priestley. „Als sich die Wirtschaft dann im Jahr 2021wieder zu erholen begann, fragten die Industrien, die zuvor keine Chips gekauft hatten, wieder Halbleiter nach und die Hersteller mussten ihnen sagen, dass sie warten müssen – denn sie produzierten diese Produkte zu dieser Zeit nicht.“ So dauert es laut Priestley allein drei bis vier Monate, bis mit der Herstellung eines anderen Chips begonnen werden kann, vom Auslieferungstermin ganz zu schweigen.
Es fehlen ältere Chipmodelle
Zudem sind die hochmodernen Chips, also etwa aktuelle CPUs und GPUs, die im 7nm-Prozess gefertigt werden, nicht das Problem. Engpässe gibt es vielmehr bei älteren Chips, die in Elektrofahrzeugen und selbstfahrenden Autos sowie intelligente Technologien, wie etwa Sensoren in Produktionsanlagen, Gebäuden und Produkten zur Datenerfassung und Automatisierung, zum Einsatz kommen. Andere Einsatzgebiete sind etwa Computerbildschirme, HF-Komponenten von Mobiltelefonen, analoge Operationen und die Energieverwaltung von Systemen. „Die Auslieferung eines neuen Laptops verzögert sich heute nicht wegen fehlender CPUs, sondern weil die Display-Controller Mangelware sind“, veranschaulicht der Analyst.
Abhilfe ist bis auf weiteres nach Meinung des Gartner-Analysts nicht in Sicht. Die bestehenden Halbleiterfabriken seien ausgelastet, so Priestley, und es ist für unwahrscheinlich, dass sie in absehbarer Zeit mehr ältere Chips produziert werden. Zumal viele Fabriken ihre Maschinen auf die Produktion neuerer Chips umgestellt hätten, also wahrscheinlich nicht auf die aktuelle Nachfrage nach älteren Prozessoren umrüsten werden.
Die Situation könnte sich im Gegenteil sogar noch verschlimmern, warnt Priestley: Viele Hersteller hätten angesichts des Chipmangels ihre Produktionskapazitäten drastisch erhöht und ihre Anlagen zu mehr als 90 Prozent ausgelastet. Damit führen sie auf Verschleiß, denn die Halbleitermaschinen müssten regelmäßig gewartet werden.
*Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN).
Be the first to comment