Marco Porak, Generaldirektor von IBM Österreich, schildert im Gespräch mit der COMPUTERWELT, was wir aus dem Jahr 2021 für die Zukunft mitnehmen können, erklärt, wie sich die Corona-Krise und New Work auf uns auswirken und skizziert die wichtigsten IT-Trends für das kommende Jahr. [...]
Welche Lehren lassen sich aus dem Jahr 2021 im Allgemeinen und aus der Corona-Krise im Speziellen für die Zukunft mitnehmen?
Die letzten zwölf bis achtzehn Monate haben uns drei dringende technologische wie gesellschaftliche Handlungsfelder aufgezeigt, die zum Teil in enger Verbindung miteinander stehen. Die Corona-Krise, die Nachschub-Krise und – über all dem – die Klima-Krise.
Ausgelöst durch die schwierigen Rahmenbedingungen, die COVID-19 auf der ganzen Welt geschaffen hat, ist klar geworden, wie abhängig wir alle von funktionierenden Nachschub- und Lieferketten sind. Aber auch Zwischenfälle wie die Blockade des Suez-Kanals im vergangenen Frühjahr haben gezeigt, dass es in unserem vernetzten und komplexen Welthandel gar keine Pandemie bräuchte, um Engpässe in der Lieferkette auszulösen. Ein technisches Problem an einem der wichtigsten Knotenpunkte der weltweiten Logistik reicht aus, um zu enormen Verwerfungen und Rückstaus zu führen.
Für Unternehmen ist jetzt ein guter Zeitpunkt, die Erfahrungen des vergangenen Jahres und den daraus entstandenen Digitalisierungsschub zu nutzen, um sich durch Technologien wie Blockchain, IoT und KI auf Extremereignisse besser vorzubereiten, sich durch weitere Digitalisierung vom Wettbewerb zu differenzieren und so den Wirtschaftsstandort Österreich insgesamt voranzubringen – ohne dabei gleichzeitig auf die dringend notwendigen Innovationen zur Eindämmung der Klimakrise zu vergessen.
Wie wird sich die Corona-Krise Ihrer Meinung nach im kommenden Jahr auf die IT-Branche, auf Unternehmen bzw. auf unsere Gesellschaft auswirken?
Auch wenn im vergangenen Jahr allerorts sehr viel Bewegung in die Digitalisierungsinitiativen kam, gibt es noch immer genug zu tun – sowohl in der Wirtschaft als auch im öffentlichen Bereich. Viele Unternehmen nutzen künstliche Intelligenz für besseren Kundenservice (Stichwort Digitale Assistenten / Chatbots) und haben Ambitionen verstärkt, Applikationen und Prozesse in die Cloud zu verlagern, um schnell auf sich ändernde Marktbedingungen reagieren zu können. Diese Entwicklung wird auch im kommenden Jahr unvermindert weitergehen.
Eine der größten Veränderungen für die Gesellschaft ist wohl der anhaltende Wechsel ins Home Office. Persönlich glaube ich nicht, dass wir wieder zu hundert Prozent zurück ins Büro kommen. Es werden sich hybride Arbeitsmodelle entwickeln, die eine Mischung aus Arbeiten im Büro und Home Office sein werden, wobei das Verhältnis bestimmt je nach Branche unterschiedlich sein wird. Insgesamt werden Unternehmen weiter Wege finden müssen, mit den Effekten dieser neuen Arbeitsmodelle auf Mitarbeitende umzugehen.
Was waren Ihre beruflichen bzw. persönlichen Highlights im Jahr 2021?
Das Jahr 2021 war für mich eine einzige persönliche Veränderung. Anfang 2021 habe ich die Verantwortung für den gesamten Technologiebereich bei IBM Österreich übernommen. Dieser Bereich umfasst das Server-, Storage-, Software-, Cloud- und KI-Produkt-Geschäft sowie das Wartungs-Dienstleistungsgeschäft. Im Oktober folgte die Ernennung zum Generaldirektor und damit die Verantwortung für das gesamte operative Geschäft von IBM Österreich. Anfang November dann die offizielle Abspaltung des Managed Infrastructure Services Geschäfts der IBM in das eigenständige Unternehmen Kyndryl. Die so entstandene „neue IBM“ mit einem hochmotivierten Team ins Jahr 2022 zu führen ist eine der spannendsten Aufgaben, die ich mir vorstellen kann.
Welche Themen sollten Ihrer Meinung nach im kommenden Jahr auf der Agenda von IT-Managern ganz oben stehen und warum bzw. welche IT-Themen werden 2022 eine besonders wichtige Rolle spielen?
Im Jahr 2021 wurde meiner Beobachtung nach sehr vielen Unternehmen klar, dass der Ansatz, einen einzigen Cloud-Anbieter verwenden zu wollen, de facto gestorben ist. Eine aktuelle IBM-Studie untermauert dies: Nur drei Prozent der weltweit Befragten gaben an, im Jahr 2021 eine einzige private oder öffentliche Cloud zu nutzen. Im Jahr 2019 waren es noch 29 Prozent. Was kommt also als Nächstes?
- Hybrid Multi-Cloud-Ansatz: Unternehmen werden Workloads im Zuge der Modernisierung strategisch migrieren. Dabei wird zunächst eine Bestandsaufnahme der IT-Umgebungen vorgenommen, um zu entscheiden, welche Arbeitslasten und Anwendungen am besten für welche Cloud geeignet sind und welche auch im eigenen Rechenzentrum vor Ort bleiben sollten. Eine wesentliche Rolle spielt in Folge, die so entstehenden hybriden Cloud-Umgebungen integriert zu managen.
- Sicherheit steht bei wachsenden Cyberbedrohungen im Vordergrund: Einer der vielen Gründe, warum Unternehmen zunehmend einen hybriden Multi-Cloud-Ansatz wählen, ist die Minderung des Risikos einer Anbieterkonzentration angesichts zunehmender Cyberbedrohungen.
- Industrie-Clouds: Die Einhaltung von Compliance- und Sicherheitsanforderungen ist besonders wichtig für regulierte Branchen wie den Finanzdienstleistungssektor und den öffentlichen Bereich. Branchenspezifische Plattformen wie die IBM Cloud for Financial Services werden zunehmend eingesetzt, um Unternehmen die Verwendung von Cloud-Services zu ermöglichen und gleichzeitig die Compliance Protokolle einzuhalten.
- Quantum Computing: Unternehmen müssen sich schon jetzt damit beschäftigen, für welche Use Cases sie Quantum Computing in ihrer Branche einsetzen wollen. Es geht jetzt bereits um den Skill Aufbau im Unternehmen, um vorbereitet zu sein, sobald die sich rasant weiterentwickelnde Technologie ihre Vorteile ausspielen kann.
Die letzten beiden Jahre standen im Zeichen der Pandemie und beschleunigten die Digitalisierung und brachten uns Hybrid-Arbeitsmodelle. Nach der Pandemie gilt es die nächste – größere – Krise zu bewältigen, die Klimakrise. Wie schätzen Sie müssen sich Unternehmen in punkto Nachhaltigkeit umstellen? Welche konkreten Maßnahmen planen sie/plant Ihr Unternehmen für 2022 und darüber hinaus?
Die Bewältigung der Klimakrise ist die große Herausforderung unserer Generation. Alle Branchen sind aufgefordert ihre ESG-Strategie (Environmental Social Governance) zu formulieren und auch umzusetzen. Manchen Branchen wie die Finanzbranche beschäftigen sich – auch angetrieben durch entsprechende regulatorische Bestimmungen – bereits sehr intensiv mit dem Thema ESG. Aber nur wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten, können wir es schaffen, die Effekte der Klimakrise einzudämmen.
Was IBM betrifft, gab bereits im Jahr 1971 der damalige IBM-Vorsitzende und CEO Thomas J. Watson Jr. die erste Umwelt-Policy des Unternehmens heraus. Fünfzig Jahre später, im Jahr 2021, hat IBM eine aktualisierte Reihe von 21 umfassenden, freiwilligen Umweltzielen bekannt gegeben. Dazu zählen Ziele in Bezug auf erneuerbare Energien und der Verringerung bzw. Vermeidung von Treibhausgasemissionen bis 2030. Im November 2021 wurde IBM mit dem ersten Terra Carta Siegel von HRH The Prince of Wales für das Engagement für ökologische Nachhaltigkeit ausgezeichnet.
Basierend auf unseren eigenen Erfahrungen unterstützen und beraten wir auch unsere Kunden bei der Implementierung ihrer ESG-Strategien. Die IBM Environmental Intelligence Suite kombiniert Wetter-, Klima und operative Daten sowie ein umweltbezogenes Performance Management in einer integrierten Lösung. Unternehmen erhalten damit Auswertungen und Analysen, die sie dafür nutzen können, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, aber auch klimatische Risiken (wie zum Beispiel Überschwemmungen oder Wald- und Buschbrände) vorauszusehen, besser einzuschätzen und dementsprechend zu reagieren.
Wie gut ist ihr Unternehmen bzw. wie gut sind österreichische Unternehmen im Allgemeinen für New Work – also verteilte Teams, Home Office, hybride Arbeitsmodelle etc. – aufgestellt?
Bei IBM Österreich leben wir bereits seit 25 Jahren Desksharing und mobiles Arbeiten. Das heißt sowohl die Infrastruktur als auch die Unternehmensprozesse unterstützen bereits das Arbeiten von vielen Orten. Daher war der Umstieg ins Home Office für uns vergleichsweise problemlos. Viele Unternehmen traf der Umstieg härter und man hatte vorerst alle Hände voll zu tun, oft buchstäblich über Nacht die benötigte Infrastruktur und Rahmenbedingungen zu schaffen. Hybride Arbeitsmodelle sind für mich der nächste logische Schritt. Natürlich wird es je nach Branche Unterschiede geben, aber eine Mischung aus Home Office und Tagen im Büro wird für die meisten von uns die neue Arbeitsrealität werden.
Glauben Sie, dass sich die angespannte Situation beim Thema IT-Fachkräftemangel in den kommenden Jahren bessern wird? Was kann man in diesem Bereich tun?
Ich persönlich glaube, dass der War for Talents den Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Durch den Digitalisierungsschub, den wir gerade erleben, sehe ich in Zukunft sogar noch eine Verschärfung auf uns zukommen. Auch durch neue Technologien wie Quantum Computing, in denen die Skills überhaupt erst aufgebaut werden müssen – und zwar auf allen Ebenen der Organisationen.
Ich bin überzeugt davon, dass wir alle gefragt sind, an diesem Fachkräftemangel zu arbeiten: Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen, aber auch die Unternehmen in der Privatwirtschaft. Bei IBM investieren wir daher laufend in Schulungen. Im weltweiten Durchschnitt investieren unsere Mitarbeitenden im Rahmen unserer Lernplattform „YourLearning“ über 70 Stunden pro Jahr in die eigene Weiterbildung – Trend weiterhin steigend. Wir bieten aber auch Studenten bereits während des Studiums im Rahmen unseres Master@IBM-Programmes einen sicheren und strukturierten Einstieg ins Berufsleben an und begleiten sie bei der Erarbeitung der Master Thesis. Ergänzend dazu hat IBM im Oktober im Rahmen der „Skills 2030 Initiative“ angekündigt, gemeinsam mit 170 Partnern weltweit 30 Millionen Menschen bis 2030 in den wichtigsten Zukunftsfeldern auszubilden, und so auf den Arbeitsmarkt der Zukunft vorzubereiten.
Dieser Artikel ist Teil einer Interviewserie, für den die COMPUTERWELT rund 50 Top-Manager aus der IT-Branche befragt hat. Weitere Interviews lesen Sie in den nächsten Wochen auf itwelt.at.
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