Die Coronakrise stellt die nationale und internationale Wirtschaft vor enorme Herausforderungen. Trotz der Maßnahmen durch die Politik werden die Folgen des Lockdown und des partiellen Aussetzens globaler Handelsströme noch lange spürbar sein. Laut einer Untersuchung von WU, WIFO, IIASA und IHS könnte die Wirtschaft bis zu 3 Jahre brauchen, um sich zu erholen. [...]
Die Studie macht erstmals deutlich, wie sich – je nach Szenario bzw. Dauer des Lockdown – die Folgen der Coronakrise in Österreichs Wirtschaft bemerkbar machen. Mithilfe makroökonomischer Simulationsmodelle konnten WU Professor Jesus Crespo Cuaresma, Sebastian Poledna und Elena Rovenskaya (International Institute for Applied Systems Analysis) sowie Serguei Kaniovski (Österreichisches Wirtschaftsforschungsinstitut) und Michael Miess (Institut für Höhere Studien, WU, IIASA) verschiedene Szenarien der Auswirkungen der wirtschaftlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Krise in Österreich erstellen.
Das am IIASA entwickelte Modell zeigt deutlich, dass es bis zu drei Jahre dauern könnte, bis sich die österreichische Wirtschaft von dem durch die Einschränkungen verursachten Schock erholt und auf den ursprünglichen Wachstumspfad, wie er vor dem Ausbruch von COVID-19 bestand, zurückkehrt.
Rückgang des BIP mindestens um 4 Prozent
Bei einer Reduktion wirtschaftlicher Tätigkeiten bis Mitte Mai sagen die Modellsimulationen für das Jahr 2020 einen Rückgang des BIP um 4% voraus, bei einer Reduktion bis Mitte Juni um bis zu 6%. WU Makroökonom und Co-Autor Jesus Crespo Cuaresma erklärt: „Trotz der starken Erholungsdynamik mit Steigerungen der BIP-Wachstumsraten um etwa 2 Prozentpunkte über dem Benchmark in den Jahren 2021 und 2022 werden die BIP-Niveaus innerhalb unseres Betrachtungshorizonts unter dem Vorkrisentrend bleiben, was mittelfristig auf dauerhafte Auswirkungen der COVID-19-Krise hindeutet.“
Die Unterbrechung der Tätigkeit mehrerer Wirtschaftszweige in Österreich hat nicht nur nachteilige Auswirkungen auf die unmittelbar betroffenen Sektoren. Eine solche Produktionsunterbrechung wirkt sich auf die gesamte Wirtschaft aus, insbesondere über Wirkungsmechanismen entlang inländischer und internationaler Lieferketten, sowie durch eine Verringerung der Endnachfrage aufgrund von Einkommensrückgängen und höheren Arbeitslosenquoten. „Kleinere Volkswirtschaften wie Österreich, die über hochentwickelte Produktions- und Dienstleistungssektoren mit einem komplexen Netzwerk internationaler und inländischer Wirtschaftsbeziehungen verfügen, müssen daher mit einem spürbaren Multiplikatoreffekt der COVID-19-Pandemie-Krisenmaßnahmen rechnen“, so Crespo Cuaresma.
Langer Erholungsweg
Zwar werde laut Berechnungen mit dem Ende der Beschränkungen der Wirtschaftstätigkeit auch die Erholung der Wirtschaft beginnen, doch der Übergang zum bisherigen Wachstumspfad werde Zeit brauchen, so das Forschungsteam. „Erstens kann die Wiedereinstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zuvor entlassen wurden, nicht sofort erfolgen. Zweitens wird die Wiederaufnahme von Investitionen nach der Krise durch die finanziellen Umstände der Unternehmen begrenzt sein. Drittens wird die Nachfrage nach Konsumgütern und Vorleistungsgütern wahrscheinlich noch einige Zeit unter dem Trend bleiben“, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Nach dem Schock von 2020 und bis 2022 zeigen die Modelle zwar eine Erholung der Wirtschaft, dennoch ist auch Ende 2022 noch immer ein niedrigeres BIP-Niveau zu erwarten als ohne die COVID-19-Krise.
Auch wenn ein erheblicher Teil der Unternehmen auf Kurzarbeit zurückgreift, anstatt ihre Belegschaft zu entlassen, wird die Arbeitslosenquote im Jahr 2020 voraussichtlich auf über 10,5% steigen, sofern die Beschränkungen bis Mitte Mai in Kraft bleiben. 12% sind laut Simulation zu erwarten, sollten die Beschränkungen bis Mitte Juni andauern. Die Umsetzung der Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen und Menschen erfordert zusätzliche Finanzmittel. Diese zusätzliche Finanzierung würde laut Simulationen die Staatsverschuldung bis Ende 2020 um mehr als 4 Prozentpunkte auf fast 75% des BIP von derzeit 70,4% anwachsen lassen, wenn man davon ausgeht, dass die Beschränkungen bis Mitte Mai (d.h. 9 Wochen lang) in Kraft bleiben.
Wenn die Beschränkungen bis Mitte Mai und unter der Annahme von Sparmaßnahmen nach der Krise beibehalten werden, wird die Staatsverschuldung bis Ende 2022 voraussichtlich 70,4% des BIP betragen – ein ähnliches Verhältnis wie im Jahr 2019. Die Arbeitslosigkeit wird jedoch um mehr als einen Prozentpunkt über dem Vorkrisenniveau bleiben. Wenn die Beschränkungen bis Mitte Juni beibehalten werden, werden sowohl die Arbeitslosigkeit als auch die Staatsverschuldung bis Ende 2022 nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben.
Baugewerbe, Groß- und Einzelhandel, Transportwesen stark betroffen
Der Lockdown trifft einige Sektoren durch den anfänglichen Schock aufgrund einer zeitweiligen Einstellung der Geschäftstätigkeit und des langsamen Erholungsprozesses mehr als andere. Zu den Sektoren, die am stärksten betroffen sind, gehören das Baugewerbe, der Groß- und Einzelhandel, das Transportwesen, das Beherbergungs- und Gaststättengewerbe sowie Kunst, Unterhaltung, Freizeit und andere Aktivitäten. Unter Annahme einer neunwöchigen Betriebsstilllegung wird laut Modell ein Rückgang der Produktion um etwa 10 Prozentpunkte erwartet. „Die Produktion einiger Sektoren könnte unterjährig deutlich unter 10 Prozentpunkte fallen: Für den Bereich Beherbergungs- und Gaststättengewerbe wird bis zum Ende des zweiten Quartals 2020 ein Rückgang um bis zu 33 Prozentpunkte unter der Annahme einer neunwöchigen Abschaltung und um mehr als 50 Prozentpunkte prognostiziert, wenn die Beschränkungen bis Mitte Juni beibehalten werden. Dieser Produktionsrückgang wird durch die anschließende Ausweitung innerhalb unseres Simulationszeitraums von 3 Jahren nur teilweise kompensiert, sodass die sektorale Produktion insbesondere für Bauwesen, Handel, Transport und Gastgewerbe unter dem Trend bleibt“, so das Forscherteam.
Staatliche Maßnahmen dringend erforderlich
„Zusammenfassend zeigen unsere Projektionen, dass die anhaltende COVID-19-Krise schwerwiegende Auswirkungen auf alle Wirtschaftssektoren in Österreich haben wird. Dies macht jedenfalls ein staatliches Eingreifen für breite Segmente der österreichischen Wirtschaft erforderlich. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in prekären Beschäftigungsverhältnissen dominieren in einigen der am unmittelbarsten vom Abschwung betroffenen Sektoren wie z.B. im Tourismus und der Nahrungsmittelindustrie, die voraussichtlich am stärksten von den Auswirkungen der Krise betroffen sein werden. Um die Stärke und den Zusammenhalt der österreichischen Gesellschaft auch nach dieser Krise zu sichern, müssen diese identifiziert und explizit zielgerichtet gefördert werden“, so die Studienautoren.
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