Traditionelle Führung und starre Hierarchien stoßen in der modernen Arbeitswelt an Grenzen. Gesucht wird ein positives Arbeitsumfeld. [...]
Viertagewoche, ortsunabhängiges Arbeiten, flachere Hierarchien und mehr Eigenverantwortung der Mitarbeiter – Digitalisierung und Corona–Pandemie haben die Arbeitswelt stark in Richtung Flexibilität verändert. Homeoffice, Vertrauensarbeitszeit und flexiblere Formen der Teamarbeit versprechen, dass Mitarbeiter ihr Berufsleben ihrem individuellen Rhythmus anpassen und so effektiver gestalten und auch mit ihrem Privatleben in Einklang bringen können. Das Schlagwort für all das lautet New Work.
„New Work mutiert ähnlich wie der Begriff Digitalisierung zu einem Sammelbecken für umfangreiche Veränderungen, die zunächst auf gesellschaftliche Trends und Werteverschiebungen zurückgehen“, berichtet Thomas M. Fischer, Geschäftsführer und Gründer der Managementberatung Allfoye, einem Unternehmen der All for One Group. „Dazu kommen Technologien, die neue Modelle für die Zusammenarbeit in Unternehmen ermöglichen. Diese wird schneller, effizienter und crossfunktionaler mit deutlich mehr Verantwortung bei den Mitarbeitern in den unteren Ebenen. Corona hat den Trend zur Flexibilisierung der Arbeit verstärkt. Firmen haben schnell darauf reagiert und digitale Workflows eingerichtet.“
Führungskräfte und Homeoffice
Es sieht so aus, dass Corona die Arbeitsmodelle dauerhaft verändern wird. Das zeigt beispielsweise die Studie „The New Remote Work Era: Trends in the Distributed Workforce“, für die im Auftrag von VMware in der EMEA-Region rund 3000 Entscheidungsträger aus Business, HR und IT befragt wurden. Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) gaben an, dass ihr Unternehmen die Vorteile ortsunabhängigen Arbeitens sieht und auch in Zukunft nicht mehr darauf verzichten will. Allerdings äußern die Führungskräfte hier durchaus Bedenken gegenüber den flexiblen Arbeitsmodellen.
40 Prozent befürchten, dass ihr Team nicht konzentriert bei der Arbeit bleibt, wenn es remote arbeitet. Mehr als ein Viertel (29 Prozent) ist der Meinung, dass die bestehende Managementkultur mobiles Arbeiten erschwert, und mehr als die Hälfte (57 Prozent) fühlt sich zunehmend unter Druck, außerhalb der normalen Arbeitszeiten online zu sein.
„Die Tage eines Command-and-Control-Macho-Führungsstils sind vorbei“
Wibke Laier ist Solution Sales Lead Azure Manufacturing bei Microsoft Deutschland. Im Interview mit com! professional beschreibt sie ihre Prinzipien einer empathischen Führung auf Basis von Vertrauen.
com! professional: Frau Laier, New Work, Digitalisierung und Corona stellen traditionelle Führungsprinzipien infrage. Wie sehen die neuen Anforderungen an Führungskräfte und die Unternehmenskultur aus?
Wibke Laier: Da Homeoffice noch lange sehr präsent sein wird, müssen Firmen eine Kultur schaffen, die durch Freiheit Innovation und Kreativität fördert. Dabei sollten Diversity & Inclusion als Kernpriorität in der Kultur verankert sein. Emotional und empathisch zu führen ist aktuell gefragter denn je. Ich selbst orientiere mich an den drei Führungsprinzipien Verletzlichkeit, Stärkenorientierung und Klarheit.
com! professional: Was verbirgt sich hinter diesen drei Führungsprinzipien?
Laier: Die Gedanken zur Kraft der Verletztlichkeit (Vulnerability) als Führungsprinzip stammen von der US-amerikanischen Autorin Brené Brown. Das heißt: Die Führungskraft muss nicht immer Antworten auf alles haben. Sie sollte sich das bewusst machen und dem Team offenlegen. Mein Ziel ist es, gemeinsam mit dem Team Antworten zu finden, Entscheidungen zu treffen und so gemeinsam zu wachsen. Die Tage des Command-and-Control-Macho-Führungsstils sind vorbei.
Bei der Stärkenorientierung geht es darum, die Mitarbeiter dort einzusetzen, wo sie richtig gut sind und das meiste Potenzial haben. Dann sind sie motivierter und auch bereit, bei Bedarf die Extrameile zu gehen. Ziel ist es, die Stärken der Mitarbeiter weiter auszubauen. Und Klarheit steht für Transparenz. Ich lege meine persönlichen Werte und Führungsprinzipien offen, teile die relevanten Informationen mit den Mitarbeitern, um ihrem Tun einen Sinn zu geben, gebe eine Leitlinie vor: Wo soll es hingehen? Welche Meilensteine wollen wir erreichen? Der Weg zwischen den Meilensteinen ist aber möglichst frei. Die Mitarbeiter können individuell entscheiden, wie sie das Ziel erreichen. Am Ende zählt das Ergebnis.
com! professional: Diese Freiheiten für die Mitarbeiter erfordern Vertrauen. Wie funktioniert Führung auf Basis von Vertrauen?
Laier: Wir bei Microsoft verfolgen hier den dreiteiligen Ansatz Model, Coach, Care. Die Führungskraft lebt als Vorbild die Werte des Unternehmens und geht als gutes Beispiel voran. Als Coach gibt sie nicht einen bestimmten Weg vor, um Ziele zu erreichen, sondern stellt viele Fragen, die dem Mitarbeiter helfen, den eigenen Weg zum Ziel zu finden. Das kann ein anderer Weg sein als der, den man selbst wählen würde. Andere Entscheidungen und Wege bewusst zuzulassen, fördert Diversität, und dies führt wiederum zu besseren Ergebnissen.
Care steht für emotionale Intelligenz, für Empathie und Verständnis für die Lage des anderen. Ich achte etwa darauf, dass die Mitarbeiter im Homeoffice nicht zu viel arbeiten. In einer High-Performance-Kultur kann man hier schnell abdriften. Ich schicke daher auch keine E-Mails vor 8 Uhr beziehungsweise nach 19 Uhr. Microsoft hat während der Corona-Zeit Mitarbeitenden, die Eltern sind oder Angehörige pflegen, sechs Wochen zusätzlichen bezahlten Urlaub angeboten. Zudem gibt es fünf Tage Wellbeing-Urlaub für jeden Mitarbeiter. Das gehört auch zum Thema Care.
com! professional: Viele (mittlere) Führungskräfte haben in Zeiten von Homeoffice und New Work aber Angst vor Kontrollverlust. Wie kann man hier entgegenwirken?
Laier: Bei Führung auf Basis von Vertrauen ist es das Ziel, Mitarbeiter zu Engagement und zum Weiterdenken zu ermutigen. Die Führungskraft muss aktiv loslassen, die Mitarbeiter als Unternehmer im Unternehmen sehen, ihnen Freiheit geben, zugleich aber auch Verantwortung. Es ist ein Geben und Nehmen. Wenn das entsprechend gelebt wird, entsteht Vertrauen automatisch. Dazu gehört auch eine offene Fehlerkultur. Unsere Mitarbeiter dürfen Dinge ausprobieren und Fehler machen. Bei Microsoft sprechen wir von einem Growth Mindset. Es geht um Offenheit für Neues und die Bereitschaft zum permanenten Lernen.
com! professional: Was macht diese Entwicklung mit den Mitarbeitern? Sind sie stärker als bisher gefordert?
Laier: Sie sind nicht stärker gefordert, aber anders. Sie müssen sich umstellen, da mehr Freiheit mit steigender Verantwortung einhergeht. Als Führungskraft muss ich sie abholen, klar kommunizieren, ihnen eine Umgewöhnungsphase zugestehen, sie mitgestalten lassen und sie bei der Selbstorganisation unterstützen. Microsoft achtet sehr auf das individuelle Umfeld seiner Mitarbeiter. Mein Mann und ich arbeiten beide in Vollzeit und haben kleine Kinder. Dank Vertrauensarbeitszeit- und -ort können wir Arbeit und Privatleben optimal miteinander vereinen. Ein flexibler Work-Life-Flow kommt jedem zugute.
com! professional: Welche Anforderungen stellt New Work an die Unternehmenskultur?
Laier: Es geht weg von Command and Control hin zu einer agilen Netzwerkorganisation, die maximale Kreativität und Innovation fördert, aber zugleich Eigenverantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters voraussetzt.
Ähnliche Resultate erbrachte eine Untersuchung, für die IDC im Auftrag von Unisys mehr als 1100 Führungskräfte und Mitarbeiter in 15 Ländern befragte. So befürchten 38 Prozent der Führungskräfte Probleme bei der Zusammenarbeit und Kommunikation, wenn ihre Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten. Dieser Meinung ist aber nur knapp ein Viertel der Beschäftigten. Ebenfalls 38 Prozent der Befragten aus dem Management sagen, wegen der Remote-Work zu wenig Einblick in die Arbeit ihrer Teams zu haben. Hier sind nur 7 Prozent der Mitarbeiter dieser Ansicht.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die traditionellen Denk- und Arbeitsweisen der Führungsebenen verändern müssen. Denn New Work, Digitalisierung und Corona stellen traditionelle Führungsprinzipien infrage.
Übersicht: Das macht Führung im Zeitalter von New Work aus
Eine moderne Unternehmensführung ist geprägt von Vertrauen, Empathie und flachen Hierarchien. Hier eine Übersicht der wichtigsten Prinzipien:
- Stärken im Blick: Gute Führungskräfte verstehen sich als Coach der Mitarbeiter. Sie unterstützen diese beim Ausbau ihrer Stärken und fördern und fordern sie individuell.
- Vertrauen: Moderne Führungskräfte lassen los und übertragen ihren Mitarbeitern Verantwortung für einzelne Aufgaben oder Projekte. Die Teamleitung kann in Projekten je nach Wissen und Kompetenz der Teammitglieder wechseln. Führungskräfte geben dabei die übergeordnete Richtung und die Leitlinien vor.
- Ergebnisorientierung: Das Management muss klare und attraktive Ziele für das Unternehmen, die verschiedenen Teams und individuell für jeden einzelnen Mitarbeiter definieren. Anreizsysteme belohnen das Erreichen des Ziels. Die Mitarbeiter sind an der Formulierung der Ziele beteiligt. Sie können individuell entscheiden, wie sie das Ziel erreichen. Am Ende zählt das Ergebnis.
- Freiräume schaffen: Dazu gehören Vertrauensarbeitszeit und -ort sowie eine positive Fehlerkultur.
- Soziale Kompetenz und Empathie: Homeoffice und fehlende Präsenzzeiten im Büro schränken die Kommunikation ein. Führungskräfte müssen daher empathisch sein, auf die Stimmung im Team achten und aktiv eventuelle Spannungen und Missverständnisse abbauen. Dazu ist es wichtig, neben dem fachlichen Austausch auch virtuell Gespräche über persönliche Themen zu führen.
- Rückhalt und positive Stimmung: Die menschenorientierte Führungskraft steht hinter den Mitarbeitern und achtet auf Stimmung und Wohlbefinden. Zufriedene Mitarbeiter sind leistungsstärker.
- Flexiblere Organisation: Unternehmen strukturieren sich nicht mehr nur funktional nach Bereichen wie Einkauf, Vertrieb oder Marketing, sondern denken in kundenbezogenen End-to-end-Prozessen. Das führt zum Abbau von Silos, fördert vernetztes Denken und ermöglicht projektbezogene Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg.
- Transparenz: Die Führungskraft legt ihre persönlichen Werte und Führungsprinzipien offen und teilt die relevanten Informationen mit den Mitarbeitern, um auch gemeinsam mit dem Team Antworten zu finden oder Entscheidungen zu treffen.
Empathie ist zentral
„Die neue Arbeitswelt ist geprägt vom stetigen Wandel durch Technologie oder aktuell die Pandemie. Traditionelle Führung mit starren Hierarchien oder Präsenzpflicht kommt mit diesem Tempo nur schwer zurecht“, erklärt Ines Gensinger, Head of Global Corporate Communications bei der Global Legal Entity Identifier Foundation (GLEIF), die die Transparenz bei globalen Finanztransaktionen verbessern will. Sie ist Mitautorin des Buchs „Netzwerk schlägt Hierarchie“, in dem es um Digital Leadership geht. „Wer Digitalisierung sagt, muss von Digital Leadership sprechen, einer neuen Führungskultur innerhalb der digitalen Transformation. Sie richtet den Fokus verstärkt auf die soziale Kompetenz und Empathie.“
Ines Gensinger hat die Kollegen aus ihrem Team zuletzt vor knapp einem Jahr persönlich getroffen. Der Kontakt läuft virtuell über Team-Meetings oder wöchentliche One-to-one-Gespräche in Videokonferenzen. „Genau wegen dieser räumlichen Distanz ist die soziale Empathie für Führungskräfte entscheidend, um die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter wahrzunehmen. Teams setzen sich ja meist aus unterschiedlichen Generationen zusammen.
Der Mix dieser Altersstrukturen und Erfahrungen ist ein wichtiger Indikator für erfolgreiches Zusammenarbeiten, aber auch für Unternehmenserfolg. Das führt aber dazu, dass die Anforderungen an mich sehr hoch sind, da jeder andere, für seine Generation typische Bedürfnisse hat“, beschreibt Gensinger ihre Aufgabe.
Sozial kompetent zu sein ist eines der fünf Persönlichkeitsmerkmale, die laut der internationalen Personalberatung Russell Reynolds eine Führungskraft in der digitalen Transformation auszeichnen. Die anderen vier sind: innovativ, disruptiv, mutig, entscheidungsfreudig. „Für mich gehört aber auch eine hohe Resilienz dazu. Also immer weitermachen und aus Fehlern lernen. Ebenso, anderen den Vortritt zu lassen und ihnen ermöglichen, zu wachsen“, sagt Ines Gensinger. „Es gibt hier keine universell richtige Antwort. Denn Führung ist auch immer eine Frage der Persönlichkeit.“
Der Chef von heute muss laut Gensinger mehr coachen als führen, mehr vertrauen als vorgeben und kontrollieren. In einem Team soll einer für den anderen einstehen und man sich gegenseitig unterstützen, Ziele zu erreichen. „Die Führungskraft sorgt für ein vertrauensvolles Umfeld, schafft Freiräume und gibt einen Vertrauensvorschuss. Die Formel ‚Können x Wollen x Dürfen‘ bringt nur ein Ergebnis, wenn das Dürfen nicht gleich null ist“, so Ines Gensinger.
Jürgen Klopp als Vorbild
Auch Thomas M. Fischer von Allfoye sieht Vertrauen statt Kontrolle als ein wichtiges Führungsprinzip an. „Ich muss loslassen, die passenden Aufgaben an meine Mitarbeiter übergeben und dann darauf vertrauen, dass diese zum Wohle des Unternehmens handeln. Und ich muss die Delegationsschmerzen aushalten und auch akzeptieren, dass die Mitarbeiter die Aufgabe anders lösen als ich und eventuell Fehler machen.“ Hier gilt die Devise: Je unkritischer die Konsequenz für die Firma, desto weitreichender die Freiheiten und Entscheidungsspielräume für die Mitarbeiter.
Ein Vorbild für moderne und menschenorientierte Führung stellt für ihn Fußballtrainer , dar, der für alle Beteiligten beim FC Liverpool den perfekten Rahmen für Höchstleistungen schaffe, vom Platzwart über den Trainerstab bis hin zu den Spielern. „Er steht hinter seinen Leuten, legt viel Wert auf Stimmung und Wohlbefinden, weil er weiß, dass Menschen, denen es gut geht, viel leisten können. Zudem führt er sehr viele Einzelgespräche, er fordert und fördert seine Mitarbeiter und Spieler sehr individuell.“
Das Ergebnis zählt
Natürlich gehört es auch zu den Aufgaben einer Führungskraft, die Leistung der Mitarbeiter zu kontrollieren. Dies dürfte bei Präsenz im Büro leichter fallen als bei virtueller Zusammenarbeit und Remote-Work. Doch letztlich zählt am Ende nicht die Anzahl der im Büro abgesessenen Arbeitsstunden, sondern das erreichte Ergebnis. „Die Ergebnisorientierung fängt immer beim Geschäftszweck des Unternehmens an: Was machen wir? Was wollen wir? Das Management muss auf dieser Basis klare Ziele für das Unternehmen, die verschiedenen Teams und individuell für jeden einzelnen Mitarbeiter definieren. Diese Ziele sollten realistisch zu erreichen sein und im Dialog gemeinsam mit den Mitarbeitern entwickelt werden“, betont Jens Wiesner, Gründer der Unternehmensberatung Wirksam sein. Er berät Firmen hinsichtlich der modernen, agilen und vernetzten Arbeitswelt.
„Führungskräfte müssen mehr kommunizieren als früher“
Tobias Dauth ist Professor für Internationales Management an der Handelshochschule Leipzig (HHL). Warum New Work kein Allheilmittel ist und welche Eigenschaften gute Führungskräfte heute auszeichnen, erklärt er im Gespräch mit com! professional.
com! professional: Herr Professor Dauth, ein Schwerpunkt Ihrer wissenschaftlichen Arbeiten liegt in der Top-Management-Team-Forschung und in Projekten im Kontext von New Work. Was verstehen Sie unter New Work?
Tobias Dauth: New Work ist ein breites Feld. Jedes Unternehmen kann New Work für sich anders interpretieren und umsetzen. Am Ende geht es darum, die Mitarbeiter mehr ins Zentrum zu rücken und Arbeit stärker an ihren Bedürfnissen auszurichten, um sie zu motivieren. Arbeit soll Spaß machen. Dahinter steht auch ein veränderter Arbeitsmarkt. Die Arbeitnehmer sind in Zeiten von Fachkräftemangel in einer stärkeren Verhandlungsposition. Ein Unternehmen soll sich kümmern, seine Mitarbeiter als Menschen sehen, die sich entfalten wollen, Verantwortung übernehmen und mitsprechen wollen. Hier setzt New Work an.
Auch Themen wie eine Organisationsstruktur mit flachen Hierarchien, neues Führungsverhalten, flexible Arbeitszeiten und -orte oder Technologien für Remote-Work und virtuelle Zusammenarbeit gehören dazu. New Work ist aber kein Allheilmittel. Nicht jeder da draußen kann und muss New Work umsetzen. Manche Ansätze von New Work sind zum Beispiel nicht hilfreich in Branchen mit sicherheitsrelevanter Infrastruktur. Hier sind klare Regeln und Hierarchien notwendig.
com! professional: Sie sagen, dass New Work auch das Führungsverhalten verändert. Inwiefern?
Dauth: Führungskräfte müssen in einer partizipativen Arbeitsorganisation Kontrolle und Entscheidungsmacht abgeben, ihren Mitarbeitern mehr Verantwortung überlassen und ihnen vertrauen. Da damit häufigere Abstimmungen notwendig sind, müssen sie mehr kommunizieren als früher und empathisch sein. Die Herausforderung liegt darin, jenseits von persönlichem Kontakt über Remote-Work und Videokonferenzen ein Wirgefühl und einen Gemeinschafts-Spirit aufzubauen. Dabei helfen virtuelle Jours fixes mit dem gesamten Team, einzelnen Mitarbeitern oder Online-Teamevents. Und Führungskräfte müssen die Werte und Prinzipien des Unternehmens authentisch vorleben. Wenn etwa die Firma bei ihren Mitarbeitern auf eine gute Work-Life-Balance achtet, sollten auch manche Führungskräfte in Teilzeit arbeiten oder ein Sabbatical machen.
com! professional: Welche Eigenschaften, Werte oder Skills zeichnen gute Führungskräfte heute aus?
Dauth: Eine Führungskraft muss in drei Feldern performen. Der erste Bereich ist die Umsetzungskompetenz mit klaren Ansagen und Leitlinien, was zu tun ist. Zweitens geht es darum, Empathie zu entwickeln und sich in die Situation der Mitarbeiter hineinzuversetzen. Und drittens ist es das Vertrauen in das Team, sich nicht selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Dahinter steckt das Selbstverständnis als Coach der Mitarbeiter, der sich darum kümmert, dass es ihnen gut geht und sie sich im Arbeitsalltag wohlfühlen.
Überspitzt gesagt sollte eine Führungskraft jeden Tag daran arbeiten, dass sie ein Stück weit überflüssiger wird und ihren Mitarbeitern innerhalb bestimmter Leitplanken großzügige Freiheiten einräumt.
com! professional: Dieser Kontrollverlust dürfte vielen Führungskräften Probleme bereiten, insbesondere durch die zunehmende Arbeit im Homeoffice.
Dauth: Das mag sein. Natürlich ist die Kommunikation bei Präsenz im Büro leichter und besser. Die Kombination von Präsenzarbeit und Homeoffice ist aber nicht unbedingt schlecht. Es ist ein Irrglaube, die Kontrolle sei besser, wenn die Mitarbeiter vor Ort sind. Das ist nur gefühlte Kontrolle und hat etwas mit Macht zu tun im Sinne von „Das ist mein Team“. Diese Bestätigung gibt es natürlich beim Remote-Arbeiten nicht. Damit muss eine Führungskraft klarkommen.Letztendlich zählt am Ende immer das Ergebnis, nicht die Anzahl der im Büro abgesessenen Arbeitsstunden. Der Output von Wissensarbeitern, die sich im Homeoffice befinden, lässt sich außerdem gut messen.
com! professional: Braucht es eine eigene New-Work-Governance mit klaren Regeln? Und wie könnte dieses Regelwerk aussehen?
Dauth: Jedes Unternehmen sollte für sich selbst festschreiben, was ihm rund um New Work wichtig ist, seien es flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte, bestimmte Werte oder Organisationsstrukturen. Führungskräfte sollten aber die Mitarbeiter abholen und klar kommunizieren, wohin die Reise geht. Es geht dabei eher um einige wenige Richtlinien, ein Zielbild als Rahmen, nicht um klare Regeln bis ins Detail, etwa zu Kernarbeitszeiten. New Work benötigt wegen des individualisierten Blicks auf die Arbeit eher ein Leitbild, innerhalb dessen sich Mitarbeiter und Führungskräfte flexibel bewegen können.
Im nächsten Schritt geht es darum, diese Ziele auf Arbeitspakete herunterzubrechen, Meilensteine zu setzen und ein Anreizsystem für die Mitarbeiter zu schaffen. Dazu Jens Wiesner: „Das Erreichen des Ergebnisses muss belohnt werden. Dann erhalte ich auch engagierte und motivierte Mitarbeiter. Die Führungskraft sollte hier als Coach Hilfestellung geben, die Mitarbeiter ermutigen, ihnen vertrauen, dass sie ihre Aufgaben besten Gewissens erledigen und Fehler als Chance zur Weiterentwicklung sehen.“
Das Problem: Durch die fehlenden Präsenzzeiten im Büro wegen Corona und die räumliche Distanz sind die Kommunikationsmöglichkeiten eingeschränkter. Gespräche laufen nicht mehr schnell mal so nebenbei auf dem Flur, in der Kaffeeküche oder in der Kantine. Daher fällt es auch schwerer, die aktuelle Stimmung zu ermitteln oder ein Wirgefühl im Team zu schaffen. „Der Teamleiter muss hier empathisch sein, auf die Stimmung im Team achten und aktiv eventuelle Spannungen und Missverständnisse abbauen. Dazu ist es wichtig, neben dem fachlichen Austausch auch virtuell Gespräche über persönliche Themen zu führen. Das können Einzelgespräche sein, virtuelle Kaffeerunden im Team oder ein Feierabendbierchen per Videokonferenz. Das sorgt für erlebte Gemeinschaft“, sagt Jens Wiesner.
Kultur und Struktur
New Work und flexible Arbeitsformen erfordern laut Wiesner auch eine organisationale Transformation als fortwährende Reise, die sich den wechselnden Anforderungen des Marktes, der Kunden, der Mitarbeiter oder anderer Interessengruppen stellen muss. Seiner Meinung nach sollte die Unternehmensstruktur der optimalen Arbeitsorganisation dienen. „Hierarchische Strukturen funktionieren in Zeiten des schnellen Wandels nicht mehr, weil der Chef kein Detailwissen mehr hat, vom Expertenstatus abgerückt ist und vor allem für die Organisation der Zusammenarbeit zuständig ist“, so Jens Wiesner. „Die Führung kann in Projekten je nach Wissen und Kompetenz der Teammitglieder wechseln. Es braucht aber eine Klammer, die das Miteinander gestaltet. Das ist die Führungskraft.“
Allfoye-Geschäftsführer Thomas M. Fischer fordert, dass Firmen im Rahmen von New Work ihre Organisation nicht mehr funktional nach Bereichen wie Einkauf, Vertrieb oder Marketing strukturieren, sondern in kundenbezogenen End-to-end-Prozessen denken und sich flexibler aufstellen. „Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen arbeiten dann projektorientiert kontextual zusammen, mit wechselnden Projektleitern, agilen Methoden mit Sprints, anderen Rollenkonzepten oder Steuerungsmethoden wie OKR (Objectives and Key Results), die Mitarbeiter in die Formulierung der Unternehmensziele einbeziehen“, erläutert Fischer.
Es gehe darum, ein attraktives Zielbild zu schaffen, um die Mitarbeiter mitzunehmen und sie zu einem klaren „Hin zu“ zu motivieren, so der Allfoye-Mann weiter: Wo soll es hingehen? Warum lohnt es sich, diesen Weg zu gehen? Wie kommen wir dahin? Was musst Du dafür tun? „New Work steht für Offenheit, neugierig sein, vernetztes Denken, den Abbau von Silos, die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und Vertrauen als Basis. Entscheidend sind die vier Elemente Unternehmenskultur, prozessuale Organisation, agile Methoden und moderne Technologien“, resümiert Thomas M. Fischer.
Veränderung auf allen Ebenen
Damit der Wandel hin zu New Work gelingt, muss die Veränderung auf allen Hierarchie-Ebenen stattfinden. Wenn das obere Management, Teile der Führungskräfte oder ganze Gruppen von Mitarbeitern nicht mitziehen oder zurückgelassen werden, findet Veränderung nur schleppend oder gar nicht statt. „Das Diktat von oben oder unten funktioniert genauso wenig wie das Überstülpen einer neuen Organisationsform, die nicht alle mittragen“, sagt Ines Gensinger.
Bei der Unternehmenskultur sieht sie drei Handlungsfelder: Mensch, Raum und Technologie. Erstens sei es wichtig, deutlich mehr Verantwortung an das Team abzugeben. „Nur wer Vertrauen zu seinen Mitarbeitern hat, wird die Herausforderungen der Digitalisierung und von New Work meistern. Dazu gehört, Mitarbeiter zu befähigen, ihre Ziele zu erreichen und Eigenverantwortung zu übernehmen.“ Zweitens gehe es darum, Freiräume zu schaffen im Sinne von Vertrauensarbeitszeit und -ort sowie einer positiven Fehlerkultur. Und drittens sind laut Gensinger für den Wandel hin zu New Work Technologien erforderlich, die eine Zusammenarbeit zu jeder Zeit und an jedem Ort ermöglichen.
Klare Regeln
Stellt sich die Frage: Bedarf es einer eigenen New-Work-Governance mit klaren Regeln? Falls ja, wie kann dieses Regelwerk aussehen? Die von uns befragten Experten sind sich einig: Ja, man braucht ein Framework mit klaren Werten und Regeln, das einen groben Rahmen bildet und Leitplanken setzt, jedoch nicht zu sehr ins Detail gehen soll und viele Freiräume lässt. Dazu gehören Punkte wie Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit, Regeln für den Arbeitsort (Anzahl der Tage im Homeoffice, nur zu Hause, jeden Tag im Büro und so weiter), Konzepte wie Shared Desk (nicht am Arbeitsplatz essen, Schreibtisch nach Arbeitsende aufräumen, in Ruhezonen Handy lautlos stellen) oder Vorgaben für die Projektleitung (Beispiel: Führungskräfte der ersten oder zweiten Ebene leiten keine Projekte).
New Work und die Mitarbeiter
All die beschriebenen Veränderungen betreffen natürlich nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die Mitarbeiter. Hier kann es durchaus große Unterschiede geben, je nach Alter, Mentalität oder Rolle im Unternehmen. Nicht jeder Mitarbeiter braucht Freiräume, will mehr Verantwortung oder kann flexibel arbeiten. Es gibt auch Personen, die klare Anleitungen einfordern, etwa neue Kollegen, und von 8 bis 16 Uhr arbeiten wollen. Das heißt: Die neue Arbeitswelt ist nicht nur agil und harmonisch. Hier geht es darum, die richtige Balance zwischen Alt und Neu zu schaffen und individuell auf die Bedürfnisse und Persönlichkeit der Mitarbeiter einzugehen.
Microsoft Work Trend Index: Das können Führungskräfte aus dem vergangenen Jahr Remote-Arbeit lernen
Microsoft hat im April 2021 seinen ersten jährlichen „Work Trend Index“ mit sieben Trends veröffentlicht, die Führungskräfte in Zeiten von New Work und der Arbeit im Homeoffice beachten sollten. Basis dafür sind eine Umfrage unter 30.000 Führungskräften und Beschäftigten aus 31 Ländern, Einblicke von Experten sowie die Auswertung anonymisierter Trends aus Microsoft 365 und LinkedIn:
- Flexible Arbeitsmodelle bleiben: 73 Prozent der Beschäftigten weltweit wünschen sich nach der Pandemie weiterhin die Möglichkeit zu Remote-Arbeit sowie mehr persönlichen Kontakt zu ihren Teams und Kollegen (67 Prozent). Hierzulande ist dieses Bedürfnis noch etwas ausgeprägter (70 Prozent), flexibles Arbeiten ist dafür weniger wichtig – nur 64 Prozent wünschen sich diese Möglichkeit auch weiterhin.
- Diskrepanz zwischen Führungskräften und Beschäftigten wächst: 61 Prozent der Führungskräfte weltweit geben an, dass es ihnen gut geht – 23 Prozentpunkte mehr als bei den Beschäftigten. Diese Diskrepanz zwischen Führungskräften und Beschäftigten spüren die Mitarbeiter – weltweit sagen 37 Prozent von ihnen und hierzulande 30 Prozent, dass der Arbeitgeber zu viel verlange. Die Menschen erwarten von ihren Arbeitgebern und Führungskräften, dass sie Empathie und Verständnis für die individuellen Herausforderungen der Beschäftigten entwickeln.
- Hohe Produktivität fordert ihren Tribut: Viele Beschäftigte schätzen ihre Produktivität als genauso hoch wie im letzten Jahr oder sogar höher ein. Doch diese Produktivität hat einen Preis: Weltweit sagt fast jeder fünfte Beschäftigte und hierzulande sogar fast jeder vierte, dass sich sein Arbeitgeber nicht für seine Work-Life-Balance interessiert. 54 Prozent fühlen sich überarbeitet, 39 Prozent erschöpft. In Deutschland sind es mit 55 beziehungsweise 42 Prozent sogar noch mehr.
- Generation Z ist besonders gefährdet: Die Generation Z, also die 18- bis 25-Jährigen, scheint besonders unter den Umständen der Corona-Pandemie zu leiden. 60 Prozent der weltweit Befragten und 63 Prozent der deutschen Beschäftigten aus der Gen Z sagen, dass sie im Moment kämpfen müssen und versuchen, die Situation einfach nur zu überstehen – statt sich zu entfalten.
- Netzwerke schrumpfen: Anonymisierte Trends aus Milliarden Outlook-E-Mails und Teams-Meetings zeigen eine überraschende Entwicklung: Durch die Umstellung auf Remote-Arbeit sind unsere Netzwerke geschrumpft. International berichten 40 Prozent der Beschäftigten, dass ihr Netzwerk kleiner geworden ist, in Deutschland ist es sogar fast jeder Zweite.
- Authentizität fördert das Wohlbefinden: Remote-Arbeit hat die Arbeitswelt menschlicher gemacht. So hat weltweit etwa jeder Fünfte die Familie oder Haustiere von Kollegen virtuell kennengelernt. Diese Interaktionen mit Kollegen können dazu beitragen, einen Arbeitsplatz zu schaffen, an dem sich die Menschen wohl damit fühlen, ganz sie selbst zu sein.
- Größeres Reservoir an Arbeitskräften: Durch die verstärkte Remote-Arbeit ist der Kreis potenzieller neuer Mitarbeiter heute größer. Die Zahl der Remote-Stellenausschreibungen auf Linkedin hat sich während der Pandemie verfünffacht.
Jens Wiesner unterscheidet grundsätzlich zwei Typen von Mitarbeitern: Bewahrer und Entdecker. Während die Entdecker offen für Neues sind und keine Routinejobs wollen, geht es den Bewahrern um Sicherheit und Regelmäßigkeit. „In der Produktion beispielsweise sind Bewahrer wichtig, da sie ihre Aufgaben exzellent und zuverlässig erledigen. Die Führung muss diese beiden Gruppen in ihrem Kontext sehen und jeweils passende Anreizsysteme schaffen, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.“
Fazit
Digitalisierung und Corona–Pandemie haben die Arbeitswelt stark in Richtung Flexibilität verändert und die Unternehmen herausgefordert. Diese haben jetzt die Chance, sich auf die Phase nach Corona vorzubereiten, ihre Führung, Kultur und Zusammenarbeit zu verbessern und New Work nach ihren individuellen Anforderungen umzusetzen. Ziel ist es, ein positives und inspirierendes Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter zu schaffen, um sie zu motivieren und an das eigene Unternehmen zu binden. Zufriedene Mitarbeiter sind leistungsbereiter und stellen damit einen wichtigen Faktor für den Geschäftserfolg von Unternehmen dar.
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