Unternehmen, die in Sachen IT aufholen wollen, müssen jetzt die richtigen strategischen Entscheidungen treffen. Die IT-Trends 2022 helfen dabei. [...]
Alphabet, Amazon, Apple, Microsoft, Saudi Aramco: Ein Blick auf den Branchenmix der fünf weltweit höchstkapitalisierten Unternehmen reicht aus, um zu erkennen, welchen zentralen Stellenwert moderne Technologien eingangs der 2020er-Jahre haben. Und die digitale Revolution geht weiter. Eine Befragung des Weltwirtschaftsforums hat ergeben, dass Unternehmen auch nach der Corona-Pandemie vorrangig die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen vorantreiben wollen. Sie wissen, dass sie Kundenwünsche nur dann zeitnah erfüllen können, wenn sie State-of-the-Art-Technologien einsetzen und IT-Trends frühzeitig aufgreifen. Und dass sie nur auf diese Weise neue Wachstumschancen erschließen und zugleich ihre Effizienz nachhaltig steigern können.
Was aber sind die entscheidenden Trends? Aus Sicht von Bain geht die Tendenz derzeit hin zu unbegrenzter Interaktion, vernetzter Intelligenz, selbstlernenden Datensystemen, grenzenloser Modularität, selbstoptimierenden DevOps und einer Zero-Trust-Architektur. Zum Teil finden sich entsprechende Anwendungen bereits im Einsatz. Dabei tun sich vor allem digitale Angreifer hervor, die ganze Wirtschaftssektoren wie Banken oder die Energieindustrie vor sich hertreiben. Sie haben erkannt, in welchem Umfang innovative Technologien die Welt in den 2020er-Jahren prägen werden.
Trend 1: Unbegrenzte Interaktion
Die Kundinnen und Kunden von morgen nutzen eine unbegrenzte Zahl an Endgeräten und interagieren mit Unternehmen über viele Kanäle. Apps sind dabei künftig lediglich ein Zugang unter vielen. Die Devices der Zukunft verstehen Sprache und Gesten sowie deren Kontext und reagieren auf Blicke ebenso wie auf Körpersignale. Darauf müssen sich Unternehmen einstellen und beispielsweise mit offenen Schnittstellen einen endgeräteübergreifenden Zugang sowie einen kontinuierlichen Datenaustausch gewährleisten. Da der Kundschaft nunmehr zahlreiche unterschiedliche Geräte zur Verfügung stehen, wird das Konzept der Kundenkanäle (Omnikanal) um Dimensionen komplexer. Nur mit einer dezentralen Verarbeitung von Daten (Edge Computing) können Unternehmen künftig noch die Informationsflut bewältigen und einen Mehrwert daraus ziehen, zumal die Geräte von morgen auch untereinander interagieren.
Trend 2: Vernetzte Intelligenz
Noch obliegen Einsatz und Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) meist kleinen Teams von Spezialisten. Doch in Zukunft wird KI Bestandteil einer jeden Kundeninteraktion und eines jeden Prozesses im Unternehmen sein. Künstliche Intelligenz verbindet fortan in Echtzeit alle strukturierten und unstrukturierten Informationen und ermöglicht damit Angebote und Services, die wirklich personalisiert sind. Dadurch werden digitale Technologien endgültig zum Herzstück nahezu aller Geschäftsmodelle, was wiederum eine Neudefinition des Begriffs Fachbereich erforderlich macht. Damit steht auch die Frage im Raum, wie sich IT und operative Einheiten in Zukunft abgrenzen beziehungsweise bestehende Übergänge aufgelöst werden.
Trend 3: Selbstlernende Datensysteme
Seit Jahren kämpfen Unternehmen damit, aus der Datenflut einen echten Mehrwert zu generieren. Innovative Technologien sind ihnen dabei nun behilflich. Sie erzeugen, bewegen, speichern und nutzen Daten in Echtzeit über verschiedene Systeme hinweg und lernen ständig hinzu. Bisher getrennte Daten fließen in einem Data Lake zusammen, wo neue Methoden für Struktur und Zugang, vor allem aber für eine sinnvolle Verknüpfung von Informationen sorgen. Mit Distributed Ledgers beziehungsweise Blockchain-Techniken gewinnt darüber hinaus eine alternative Form der Speicherung von Informationen weiter an Bedeutung.
Trend 4: Grenzenlose Modularität
Die IT der 2020er-Jahre kennt keine Grenzen mehr. Modulare Komponenten fügen sich zu Anwendungen zusammen und sind unendlich skalierbar. Vielfältige Schnittstellen lassen die Grenzen zwischen internen und externen Systemen verschwimmen, was IT-Anwendern die Arbeit erleichtert. Function-as-a-Service-Modelle gehören zunehmend zum Alltag. Dahinter steht eine dezentralisierte Multi-Cloud-Infrastruktur.
Trend 5: Selbstoptimierende DevOps
Agile Arbeitsweisen und DevOps, also die Verzahnung von Softwareentwicklung und IT-Betrieb, sind bereits in vielen Unternehmen Usus. Nun rollt die nächste Welle heran. Künftig sind DevOps nur noch ein Bestandteil einer übergreifenden XOps-Landschaft für sämtliche Anwendungen bis hin zur Steuerung und Absicherung (SecOps). Codes, die sich selbst modifizieren, nehmen Programmierern dabei einen Teil ihrer Arbeit ab. An die Stelle der gewohnten Sprints und iterativen Fortschritte tritt ein kontinuierlicher Optimierungsprozess.
Trend 6: Zero-Trust-Architektur
Die Anzeichen mehren sich, dass Cyberattacken in den kommenden Jahren ein noch größeres Ausmaß erreichen als bisher. Unternehmen müssen daher weiter aufrüsten. Am Ende steht eine sogenannte Zero-Trust-Architektur, bei der jeder externer Input argwöhnisch beäugt wird. So werden strikte Authentifizierungsprozesse sowie eine föderale Identität den Zugriff von außen erschweren.
Defizite trotz deutlicher Fortschritte
Gerade in puncto Sicherheit und bei DevOps hat es in jüngster Zeit vielerorts erhebliche Fortschritte gegeben. Doch in den Augen der meisten Verantwortlichen reichen diese noch nicht aus. Eine weltweite Bain-Befragung unter mehr als 200 IT-Führungskräften hat 2021 gezeigt, dass gerade einmal 14 Prozent ihr Unternehmen als Technologieführer betrachten. 39 Prozent bescheinigen ihrer Firma zumindest eine moderne IT-Architektur und ein zeitgemäßes Betriebsmodell. Knapp die Hälfte sieht dagegen Defizite. 22 Prozent der Unternehmen arbeiten noch mit einer herkömmlichen, eher schwerfälligen IT-Architektur, bei 25 Prozent fehlen grundlegende technische Fähigkeiten.
Jetzt die richtigen Weichen stellen
Die Flexibilität und Modularität moderner IT-Systeme ermöglichen es, solche Defizite Schritt für Schritt zu beheben und zu den Technologieführern aufzuschließen. Damit dies auch gelingt, sollten CIOs rasch Weichenstellungen vornehmen. Dies gilt besonders für die folgenden Aspekte:
1. Ambition: Die zentrale Frage lautet: Setzt ein Unternehmen auf inkrementelle Verbesserungen oder braucht es den viel zitierten Neustart auf der grünen Wiese? In der Praxis läuft der Aufbau neuer Geschäftsmodelle mit neuen Systemen oft parallel zur Weiterentwicklung der IT für das bisherige Geschäft.
2. Betriebsmodell: Der Ambition folgend können Unternehmen mit einer separaten IT und einem zeitgemäßen Betriebsmodell einen Neuanfang wagen oder nach und nach die bestehenden Systeme modernisieren.
3. Migration: Eine schrittweise Erneuerung der existierenden IT ist genauso denkbar wie der Aufbau einer modernen IT-Architektur und eine Migration am Tag X.
4. Fachkräfte: Unternehmen haben die Möglichkeit, die bestehende Belegschaft weiterzuentwickeln und zu ergänzen oder über Zukäufe beziehungsweise Partnerschaften mit IT-Dienstleistern ihr Know-how auf einen Schlag auszubauen.
5. Finanzierung: Im Grunde können Unternehmen die Modernisierung ihrer IT aus bis dahin erreichten Effizienzgewinnen oder über ein gesondertes Budget finanzieren. Doch angesichts der zentralen Bedeutung der IT wird der Gedanke der Selbstfinanzierung schnell fallen gelassen. Besser fahren Firmen, wenn operative Einheiten und IT zu einem Konsens kommen, was die erforderlichen Initiativen angeht, und dafür die jeweils notwendigen finanziellen Ressourcen bereitstellen.
6. Veränderungsgeschwindigkeit: Eine graduelle Modernisierung der IT dauert in der Regel je nach Ausgangslage drei bis sieben Jahre. Wer der Transformation Vorrang einräumt, kann es innerhalb von zwei bis drei Jahren schaffen.
7. Umsetzung: Den Umbau vorantreiben kann entweder ein dezidiertes Transformationsteam oder die bestehende IT-Abteilung. Je höher die Komplexität ist, desto eher empfiehlt sich die Bündelung von Kompetenzen in einem gesonderten Team.
Die Entscheidung, ob schrittweise umgebaut oder zumindest teilweise neu angefangen wird, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Dazu zählen die Wettbewerbsposition eines Unternehmens und der Veränderungsdruck am Markt ebenso wie die finanziellen und personellen Ressourcen. Auf dem Status quo zu verharren verbietet sich jedoch. Denn mit den genannten Trends wächst die Bedeutung einer modernen IT für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen noch einmal deutlich. Mit der richtigen technologischen Basis werden sie schneller, effizienter und wachstumsstärker. Von daher dürften technologiegetriebene Unternehmen auch in dieser Dekade das Ranking der Börsenwerte mit der höchsten Marktkapitalisierung anführen.
*Dr. Uwe Schmid ist Expert Associate Partner in der Praxisgruppe Informationstechnologie bei Bain & Company in Frankfurt am Main. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Beratungserfahrung, zudem war er elf Jahre in der Softwarebranche tätig. Seine Kernkompetenzen umfassen IT-Architektur, ERP, Strategie, Organisation und Governance sowie Agile Development und Digital.
*Thomas Nachtwey ist Partner bei Bain & Company in Düsseldorf. Er leitet die IT-Praxisgruppe in der DACH-Region und verfügt über mehr als 15 Jahre Berufserfahrung in der Managementberatung. Seine Kernkompetenzen liegen unter anderem in der Konzeption und Implementierung zukunftssicherer IT-Architekturen sowie in der Begleitung umfassender Business- und IT-Transformationen.
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