Künstliche Intelligenz – Fluch oder Segen?

Zwei Studien von PwC und adesso beschreiben den aktuellen Stellenwert von KI und hier speziell von ChatGTP in der österreichischen Bevölkerung und in deutschen Unternehmen. transform! sprach mit Andreas Hladky von PwC Österreich. [...]

Zu den größten Sorgen und Ängsten der Österreicher zählen, dass ChatGPT und KI verstärkt für Betrugsmaschen eingesetzt werden. (c) Midjourney – W. Franz
Zu den größten Sorgen und Ängsten der Österreicher zählen, dass ChatGPT und KI verstärkt für Betrugsmaschen eingesetzt werden. (c) Midjourney – W. Franz

KI und KI-Tools wie ChatGPT sind in der Alpenrepublik noch stark umstritten. Zwar erkennen die Österreicher und Österreicherinnen durchaus das Potenzial der Anwendungen, aber dennoch überwiegen Vorbehalte und Unsicherheiten. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Umfrage zu ChatGPT & KI von PwC Österreich.

ChatGPT ist aktuell noch mehr Hype als Realität: Rund 18 Prozent der Österreicher verwenden das KI-Tool oder haben es bereits genutzt. Dabei ist ChatGPT vor allem bei Jüngeren beliebt: Rund ein Drittel der Gen Z (12–28 Jahre) gibt an, das KI-Tool zu verwenden. Bei den Millennials (29–42 Jahre) sind es 22 Prozent, bei der Gen X (43–57 Jahre) elf Prozent und bei der Generation Baby-Boomer (58–76 Jahre) nur mehr sechs Prozent. Doch das Interesse der Österreicher ist geweckt und ChatGPT hat Zukunftspotenzial: Rund ein Viertel der Befragten, die das Tool bisher noch nicht nutzen, möchten das in naher Zukunft tun. Die Nutzer-Anzahl könnte sich also schon bald deutlich erhöhen.

ChatGPT als Schummelhelfer und Liebesflüsterer

ChatGPT erfüllt für die Österreicher und Österreicherinnen vielfältige Funktionen. Die derzeitig aktiven und potenziell zukünftigen Nutzer geben an, das KI-Tool bereits für die folgenden Anwendungszwecke zu nutzen oder zukünftig in Erwägung zu ziehen: Beruflich wie auch privat zum Übersetzen und Verfassen von fremdsprachigen Texten (75 Prozent), wie eine Suchmaschine als Google-Alternative (73 Prozent), um erfundene Texte für Unterhaltungszwecke zu verfassen wie Witze, Songtexte oder Geschichten (61 Prozent) sowie um berufsbezogene Texte zu verfassen (55 Prozent).

Auch Schüler und Studenten haben die Vorteile von ChatGPT für sich entdeckt. So wird das KI-Tool bereits für schulische Zwecke genutzt oder soll dafür zukünftig verstärkt verwendet werden: als virtueller Lehrer, der komplexe Sachverhalte einfach erklärt, um sich auf Prüfungen besser vorbereiten zu können (57 Prozent), zum Verfassen von schriftlichen Arbeiten wie Hausarbeiten und Referate (38 Prozent) sowie zum „Schummeln“ während Prüfungen (33 Prozent).

Die KI-Anwendung ist darüber hinaus sogar als „Liebesflüsterer“ begehrt, so die PwC-Studie: Rund ein Drittel der Befragten lassen sich von ChatGPT Nachrichten für ihre Liebsten verfassen oder haben dies zukünftig vor. Zu dieser Art Liebespost zählen zum Beispiel Liebesgrüße, -briefe, oder -gedichte. Bei rund einem Viertel der Gen Z und bei fast einem Fünftel der Millennials kam ChatGPT als Liebeshelfer bereits zum Einsatz.

Andreas Hladky, Digital Transformation Leader bei PwC Österreich, bringt es im Gespräch mit transform! auf den Punkt: „Offensichtlich ist, dass KI in der Gesamtbevölkerung angekommen ist. Davor hat man KI als völlig abstraktes Konstrukt gesehen, das man nicht versteht. Heute sind es Anwendungen wie ChatGPT, mit denen auch ältere Menschen spielen.“

Sorgen und Ängste

Obwohl die Österreicher vom Zukunftspotenzial von ChatGPT und KI überzeugt sind, überwiegen aktuell noch Vorbehalte: Fast zwei Drittel der Befragten sind der Meinung, dass KI-Anwendungen wie ChatGPT unsere Gesellschaft – vor allem im Arbeits- und Bildungsbereich – revolutionieren werden. Dennoch haben 67 Prozent nur wenig Vertrauen in KI-Anwendungen und empfinden deren zunehmenden Einsatz als beängstigend oder beunruhigend. Das Misstrauen ist mit 56 Prozent bei der Gen Z am geringsten und bei der Generation Baby-Boomer mit 81 Prozent am stärksten ausgeprägt.

Zu den größten Sorgen und Ängsten der Österreicher zählen, dass ChatGPT und KI verstärkt für Betrugsmaschen eingesetzt werden (78 Prozent) und auf unseriöse Informationsquellen zurückgreifen oder Falschinformationen darstellen (77 Prozent) könnten. Zudem haben die Befragten moralische und ethische Bedenken (67 Prozent). Sie sorgen sich auch um den Schutz ihrer Privatsphäre sowie persönlichen Daten und erachten ChatGPT und KI als potenzielle Bedrohung für gesellschaftliche Grundrechte wie die Meinungsfreiheit (67 Prozent). Darüber hinaus haben fast zwei Drittel der befragten Personen die Sorge, dass KI in ferner Zukunft übermächtig oder sogar unkontrollierbar werden könnte und dass sie durch ihren hohen Energieverbrauch eine zusätzliche Belastung für unsere Umwelt sein könnte (61 Prozent). Zu dem unter dem Begriff technische Singularität bekannte Phänomen sagt Andreas Hladky: „Man darf nicht vergessen, dass ChatGTP kein intelligentes Wesen ist, sondern nur ein Sprachmodell mit einer sehr hohen Trefferquote was Wahrscheinlichkeiten betrifft. Doch wenn man sich das Tempo in der Entwicklung von ChatGTP 2.5 zu jetzt ansieht und in die Zukunft extrapoliert, kann man erahnen, wie sich KI weiterentwickeln wird. Wir sollten auch über die positiven Seiten sprechen, wie etwa darüber, dass KI Brustkrebs vier Jahre vor seiner Entstehung erkennt, das Raum gibt für eine Präventionsmedizin, die unser angeschlagenes Gesundheitssystem retten kann.“

Die meisten Sorgen macht sich die Gen Z um unseriöse Informationsquellen und Falschinformationen (66 Prozent), bei der Generation Baby-Boomer ist hingegen die Angst vor Betrugsmaschen (87 Prozent) am größten. Das geringe Vertrauen in ChatGPT und KI lässt Forderungen nach strengeren Regulierungen laut werden: Rund acht von zehn Österreichern fordern, dass ChatGPT und andere KI-Anwendungen strenger reguliert, überwacht und regelmäßig überprüft werden sollten, um Datenschutz, Neutralität und Korrektheit zu gewährleisten.

Ein Jobkiller?

63 Prozent sind der Meinung, dass KI und KI-Anwendungen wie ChatGPT in Zukunft zahlreiche Arbeitsplätze in Österreich bedrohen und für einen Wandel in der Arbeitswelt sorgen könnten. Dabei glaubt rund ein Drittel, dass der eigene Arbeitsplatz ganz oder zumindest teilweise ersetzt werden könnte. Insbesondere bei der Gen Z bangt jeder und jede Zweite um den eigenen Arbeitsplatz. Bei den Millennials sowie der Generation Baby-Boomer ist es nur rund jeder und jede Dritte. Dennoch sehen viele Österreicher auch Vorteile im Einsatz von KI: 57 Prozent denken, dass dadurch mühsame und lästige Aufgaben wegfallen könnten und sich die Arbeit effizienter gestalten lassen könnte. 40 Prozent möchten, dass die Vorteile von KI genutzt und zukünftig verstärkt zur Arbeitserleichterung eingesetzt werden. „Menschen haben Angst, künstliche Intelligenz könnte künftig unsere Arbeit wegnehmen. Gleichzeitig fehlt es der Wirtschaft an Fachkräften und Talenten. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, Mitarbeiter die Angst vor der Automatisierung zu nehmen und da – wo sinnvoll – Aufgaben und Prozesse zu vereinfachen. Das bietet gleichzeitig eine Chance: Unternehmen können so Talente ›freischaufeln‹, die sich dann vermehrt der Lösung wirklich wichtiger gesellschaftlicher und umweltspezifischer Herausforderungen widmen können“, so Andreas Hladky.

Verbot von ChatGPT und KI im Bildungsbereich?

Fast drei Viertel der Österreicher sind der Meinung, dass sich der zunehmende Einsatz von KI-Anwendungen wie ChatGPT negativ auf den Bildungsbereich wie beispielsweise das Bildungsniveau junger Menschen auswirken könnte. Folglich 64 Prozent dafür, dass der Einsatz von ChatGPT und weiteren KI-Anwendungen an Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen verboten werden sollte. Für dieses Verbot sprechen sich rund 70 Prozent der Baby-Boomer und Gen X aus, hingegen deutlich weniger die Gen Z mit nur 54 Prozent.

„Die Österreicherinnen und Österreicher haben Vorbehalte, dass neue Technologien den Bildungsbereich durcheinanderbringen könnten. Damit teilen sie die Sorgen, die es auch in anderen Ländern gibt. Wir stehen uns jedoch mit unserer Technologieskepsis ein wenig selbst im Weg, denn moderne Bildungseinrichtungen nützen die Technologien, anstatt sie zu verbannen und stellen damit sicher, dass ihre Schüler und Studenten zukunftssicher ausgebildet werden“, so Andreas Hladky.

Im Gespräch mit transform! sagt der Transformationsexperte, dass es „fast schon fahrlässig“ sei, „mit welcher Lockerheit ganze Generationen völlig vorbei an der technologischen und besonders digitalen Wirklichkeit ausgebildet werden. Auf der einen Seite haben wir vor KI Angst, auf der anderen Seite wissen wir gar nicht, was KI überhaupt ist und was es kann, weil es uns niemand gesagt hat. Für Medien- und Technologie-Kompetenz müsste man dringendst ein Pflichtfach einführen, idealerweise schon sehr früh beginnend, sonst kommen wir in eine medieninkompetente Gesellschaft, in der Menschen sehr leicht manipulierbar sind.“

Was bringt ein Moratorium?

Bekanntlich haben sich Prominete der Technologie-Branche wie Elan Musk und Apple-Mitbegründer Steve Wozniak in einem offenen Brief für einen sechsmonatigen KI-Entwicklungsstopp ausgesprochen. „Ich bin bei diesem Thema zwiegespalten“, sagt Hladky. „Ich glaube einerseits nicht, dass jene, die an dem Thema forschen, sich verbieten lassen, ihren Job zu machen. Ich glaube auch nicht, dass der Sache geholfen ist, wenn es nach sechs Monaten weitergeht wie zuvor. Andererseits müssen wir uns überlegen, welche Auswirkungen KI auf ganze Branchen und Geschäftsmodelle haben kann. Ist es möglich, dass Riesen zu wanken beginnen? Kann es passieren, dass KI von Kriminellen in einem sehr großen Ausmaß missbraucht wird? Es geht auch um rechtliche Fragen wie jene der digitalen Identität. Wir brauchen auch im Web einen Persönlichkeitsschutz etwa gegen Deep Fake. KI hat ein enormes Transformationspotenzial, das sich nicht unbedingt in eine gute Richtung entwickeln kann. Ich glaube nicht, dass das Moratorium etwas bringt, aber wir müssen sehr dringend darüber nachdenken und sprechen, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen notwendig sind.“

Lehren aus der industriellen Revolution?

„Es reicht, 20 Jahre zurückzugehen“, so Hladky. „Ich würde Lehren aus den 2000er-Jahre ziehen, wo viele die revolutionäre Dimension des Internets nicht am Schirm hatten. Die Entwicklung wurde weggelächelt, nicht ernstgenommen. Das mangelnde Wissen war eklatant, was der Grund für die zahlreichen Fehleinschätzungen war. Nach der industriellen Revolution war die Gesellschaft eine andere als vorher. Das wird bei KI nicht anders sein. Was wollen wir als Menschen künftig eigentlich machen, und was soll die Maschine übernehmen? Wenn wir wieder wie beim Internet den Kopf in den Sand stecken, werden wir in Europa wieder nicht mitreden und entscheiden können, wie wir in Zukunft leben wollen.“

Was Unternehmen über ChatGTP und Co denken

Auch in der Wirtschaft ist das Interesse an KI unübersehbar: „Ich bin überzeugt, dass alle Unternehmen, große wie kleine, daran denken, KI einzusetzen. Es wird viel experimentiert, beispielsweise im Marketing oder in der HR-Abteilung. Man nutzt es, um Dokumente zusammenzufassen, Recherchen zu machen oder beim Bewerbungsprozess in der Kommunikation mit den Bewerbern. Es geht meist um Vereinfachung und Zeitersparnis“, so Hladky.

adesso hat Entscheiderinnen und Entscheider in deutschen Unternehmen zu diesem Thema befragt, und zwar zu ihren Erwartungen und Erfahrungen, Plänen und Prognosen in Sachen KI. Ein Ergebnis der Umfrage ist, dass die meisten Business-Verantwortlichen spüren, dass mit generativer KI ein fundamentaler Wandel auf sie zukommt. Eine überwältigende Mehrheit von 90 Prozent setzt sich bereits mit den Möglichkeiten von Modellen wie ChatGPT auseinander. 71 Prozent der Befragten geben der Lösung zudem in puncto Leistungsfähigkeit die Note „gut“ oder „sehr gut“.

Immerhin die Häfte kann sich vorstellen, die Anwendung direkt in die eigenen Abläufe zu integrieren. Ob dieser Begeisterung auch reale Use Cases folgen, werden die nächsten Monate zeigen, so die Studie. Was die möglichen Einsatzszenarien betrifft, liegt der Support für die meisten auf der Hand. Nicht ganz so kluge Chatbots sind in der Kundenkommunikation ja bereits im großen Maßstab im Einsatz. 53 Prozent planen hier in der nächsten Zeit Projekte. Auf den weiteren Plätzen folgen Rechercheaufgaben (46 Prozent), Erstellen von Inhalten für die interne Kommunikation (42 Prozent), Datenanalyse (40 Prozent) sowie Content für Webseiten oder Mailings (39 Prozent).

Trotz der Begeisterung für die Möglichkeiten, die sich durch Sprachmodelle wie ChatGPT ergeben, sehen 62 Prozent der Befragten die letzte Entscheidung in KI-gestützten Prozessen immer noch in der Hand von Menschen. Zudem wünschen sich 55 Prozent eine europäische Alternative mit vergleichbarer Leistungsfähigkeit, um so DSGVO-Konformität und Datensouveränität zu gewährleisten.

Die Technologie schürt nicht nur hohe Erwartungen bezüglich effizienterer Prozesse durch Automatisierung – 59 Prozent der Unternehmensentscheider glauben, dass ChatGPT ein Instrument sein kann, um den Fachkräftemangel zu lindern. Besonders überzeugt davon sind die Verantwortlichen in der Marketingabteilung: Hier stimmen 92 Prozent der Aussage zu.

Während Experten noch ausführlich über die Schwächen von ChatGPT diskutieren, überwiegt bei den Anwendern das Vertrauen: 52 Prozent glauben den Ergebnissen, die der Chatbot liefert. Genauso viele fühlen sich in der Lage, die Korrektheit der Antworten zu beurteilen. Ob sie mit dieser Einschätzung richtigliegen oder sie sich von der Selbstsicherheit, mit der ChatGPT alles beantwortet, blenden lassen, bleibt offen. Auch Sicherheitsbedenken bezüglich der Interaktionsdaten haben 55 Prozent nicht.

„Die Ergebnisse unserer Umfrage lassen nur einen Schluss zu: Anwendungen wie ChatGPT werden sich in kurzer Zeit in Unternehmen verbreiten“, erklärt Benedikt Bonnmann, Leiter des Geschäftsbereichs Data & Analytics bei adesso. „Die Verantwortlichen sind jetzt bereits geradezu euphorisch. Haben die KI-Anwendungen erst einmal ihre Kinderkrankheiten überwunden, sind den Einsatzszenarien kaum Grenzen gesetzt. Unternehmen, die sich frühzeitig mit dem Thema auseinandersetzen, werden langfristig erfolgreicher sein als die, die den Wandel ignorieren.“

Die Studien von PwC und adesso im Privat- und Unternehmensumfeld zeigen ein typisches Phänomen jeder größeren technologischen Transformation wie jener der industriellen Revolution: Der Wandel polarisiert – zu Beginn reichen die Reaktionen von Himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Sobald aber die Begeisterungs- beziehungsweise Verteufelungsphase vorüber ist, besteht die Chance, die Sache mit weniger Emotion, rein pragmatisch, zu beurteilen. Eines ist klar: Ohne Regulierung und ohne umfassendes Sicherheitskonzept wird es nicht gehen. Aber das hatten wir auch schon bei der Einführung der Dampfmaschine, Eisenbahn oder des Individualverkehrs.

Der Artikel erschien in der ITWelt.at-Sonderausgabe transform! 01/2023.


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