Mit KI zu weniger Streiks: der Schlüssel zu erfolgreichen Kollektivvertragsverhandlungen

Analysen der Unternehmensberatung Kearney belegen, dass transparente Daten, Analytics und KI bei Kollektivvertragsverhandlungen zu einer Win-Win-Situation für Unternehmen und Beschäftigte führen und das Streikrisiko minimieren. [...]

Wenn Unternehmen mittels Daten und KI die Mitarbeiterzufriedenheit proaktiv messen und so ihre Employee-Value Proposition differenzierter verbessern, könnten sie Streiks vielleicht sogar schon im Vorfeld verhindern. (c) shutterstock

Die berühmte Streikmüdigkeit der Österreicher scheint verflogen. So listet die Webseite des ÖGB für 2023 35 Protestaktionen auf, die bis zu Warnstreiks und unbefristeten Streiks reichen. Und im Herbst droht den Unternehmern neues Ungemach, wenn der Handel und die Sozialwirtschaft höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen fordern.

Einen völlig neuen Ansatz, die Gemüter zu beruhigen und drohende Streiks zu vermeiden, schlagen nun die Digitalexperten der globalen Unternehmensberatung Kearney vor. So soll der Einsatz von Analytics und KI zähe Kollektivvertragsverhandlungen vereinfachen und beschleunigen. Diese Methoden sorgen nicht nur für Transparenz auf beiden Seiten, sondern auch für einen ganzheitlichen Ansatz, in dem Lohn- und Arbeitsbedingungen gleichermaßen integriert sind. Optimierungstools oder KI-Modelle können dann in der laufenden Verhandlung die Folgen der Vorschläge beider Seiten simulieren und Tradeoffs bewertbar machen, um ein faires Verhandlungsergebnis für Arbeitgeber und Arbeitnehmern zu erzielen.

KI beschleunigt zähe Tarifverhandlungen

Bernhard Mutius, Principal Digital & Analytics bei Kearney, führt zwei Beispiele an, wo diese Methoden erfolgreich eingesetzt wurden: „Bei einer europäischen Fluggesellschaft wünschten sich die Mitarbeitenden flexiblere Teilzeitmodelle. Ursprünglich wollte die Gesellschaft genau das verhindern und auf ihren bisherigen starren Teilzeitangeboten beharren. Analysen zeigten dann, dass eine intelligente Steuerung der Teilzeit die Produktivität steigern kann, da so Peaks im Sommer und ruhigere Phasen im Winter durch eine smarte Verteilung der Arbeitszeiten besser aufgefangen werden können. Mit einem KI-basierten Optimierungsmodell hat Kearney eine maschinelle Zuweisung der Arbeitszeiten erarbeitet, mit der eine Steigerung der Kapazitäten von mehr als zwei Langstreckenflugzeugen erreicht werden konnte. Gleichzeitig wurden die Wünsche der Mitarbeitenden besser berücksichtigt, als es mit traditionellen Methoden möglich gewesen wäre“, so Mutius.

Beispiel Nummer zwei: Für eine führende Fluggesellschaft auf dem amerikanischen Kontinent haben Berater auf beiden Seiten Daten so transparent aufbereitet, dass in den Verhandlungen faktenbasierte Win-Wins erzielt wurden. Mutius: „Die Piloten forderten höhere Löhne. Unter anderem hat die Airline die Gehälter leicht erhöht, aber dafür den Piloten keine Verpflegung mehr zur Verfügung gestellt. Die Piloten wussten nicht, wie teuer ihre Verpflegung inklusive der Logistik für die Airline war – und sahen zudem kein Problem in der Abschaffung, da die meisten das Essen ohnehin nicht mochten. Darüber hinaus konnten die für die Piloten unattraktiven Abflugzeiten leicht angepasst werden. Ohne die Analyse der Berater wäre der Airline gar nicht bewusst gewesen, dass sich mit den neuen Abflugzeiten eine höhere Effizienz erreichen lässt.“

Bernhard Mutius, Principal Digital & Analytics bei Kearney: „Dort, wo komplizierte Vertragskonstrukte und viele unterschiedlichen Optionen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit mehrdimensionalen Auswirkungen existieren, kann KI tatsächlich gewinnbringend für Tarifverhandlungen eingesetzt werden.“(c) Kearney

Das Potential ist damit aber noch lange nicht ausgeschöpft. „Wenn Unternehmen mittels Daten und KI die Mitarbeiterzufriedenheit proaktiv messen und so ihre Employee-Value Proposition differenzierter verbessern, könnten sie Streiks vielleicht sogar schon im Vorfeld verhindern“, betont der Analyst. Natürlich könne laut Mutius KI am Ende nicht jeden Streik verhindern. Aber dort, wo komplizierte Vertragskonstrukte und viele unterschiedlichen Optionen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit mehrdimensionalen Auswirkungen existieren, dann könne KI tatsächlich gewinnbringend für Tarifverhandlungen eingesetzt werden.

Vertrauen gewinnen durch Transparenz

Diese ersten Erfolge in der Airline-Industrie sind nicht nur branchenspezifisch. Ähnliche Parameter gelten auch für Tarifverhandlungen bei der Bahn, beim Flughafenpersonal, in der Automobilindustrie oder im Gesundheitswesen. Doch damit Analytics und KI effektiv für beide Seiten eingesetzt werden können, müssen die Arbeitgeber das Vertrauen von Gewerkschaften und Betriebsräten gewinnen. Diese sehen insbesondere KI bislang überwiegend kritisch, befürchten sie doch vor allem die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch diese Technologien. Damit Arbeitnehmervertreter den Nutzen der KI in Verhandlungen einschätzen können, brauchen sie klare Informationen zu den zugrunde liegenden Daten und Algorithmen. Stehen beide Seiten hinter dieser Innovation, könnten künftige Tarifverhandlungen weniger emotional, dafür aber mit besseren Lösungen für beide Seiten abgeschlossen werden.


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