Partnerschaft für den Planeten: Wie menschliche Expertise und KI eine grünere Wirtschaft einläuten können

KI birgt ein gewaltiges, bislang noch nicht vollständig ausgeschöpftes Potenzial zur Förderung der Nachhaltigkeit in allen Wirtschaftssektoren. Doch dieses Potenzial zu entfesseln, erfordert eine entschiedene Neuausrichtung: KI-Anwendungen müssen nicht nur dem Profit, sondern auch ökologischen Verbesserungen dienen. [...]

Es liegt in der Verantwortung der Unternehmen, die an vorderster Front der KI-Revolution stehen, Nachhaltigkeit zu einem unverrückbaren Pfeiler ihrer Technologiepläne zu machen. Nur durch diese symbiotische Zusammenarbeit können wir die drängenden ökologischen Herausforderungen unserer Zeit meistern und eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft für kommende Generationen sichern. (c) stock.adobe.com/mh.desing

Mit dem Klimawandel und der zunehmenden Ressourcenknappheit steht die Menschheit vor einer doppelten Herausforderung. Die Zeit drängt, eine nachhaltige, resiliente Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten, die den ökologischen Entwicklungen unserer Zeit gewachsen ist. Mit künstlicher Intelligenz (KI) hat sich die Menschheit einen technologischen Partner geschaffen, der eine zentrale Rolle bei der Bewältigung dieser globalen Probleme spielen kann.

Doch in vielen Unternehmen und bei politischen Entscheidungsträger:innen dominiert im aktuellen Diskurs die Frage, wie diese bahnbrechende Technologie unsere Wirtschaft effizienter und schneller machen kann und wie Konsument:innen und Bürger:innen vor KI-Missbrauch geschützt werden können. Natürlich hat auch diese Debatte ihren Mehrwert. Ich sehe jedoch ein weitaus größeres Potenzial und appelliere daher, diese weltverändernde Technologie auf ein ebenso weltveränderndes Phänomen anzusetzen. Dazu ist jedoch ein Umdenken in Politik und Wirtschaft notwendig.

KI in verschiedenen Branchen: Ein Blick auf das Potenzial

Dass KI Prozesse optimieren, datengestützt Ereignisse vorhersagen und Erkenntnisse aus großen Datenmengen bereitstellen kann, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Genau diese Kompetenzen können auch in umweltbelastenden Branchen und systemkritischen Sektoren eine transformative Kraft entfalten. Damit können diese Akteure nicht nur ihre Umweltauswirkungen reduzieren, sondern auch ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und das Vertrauen der Verbraucher:innen gewinnen. Eine Reihe von Entwicklungen ist bereits sichtbar oder in der Zukunft denkbar:

Kreislaufwirtschaft

Der weltweite Umsatz der Kreislaufwirtschaft betrug im Jahr 2022 rund 339 Milliarden US-Dollar. Prognosen zufolge wird sich dieser Wert bis 2026 mehr als verdoppeln. KI kann hierbei die Rückführung von Produkten in den Wertstoff-Kreislauf und die Wiederverwertung von Ressourcen in allen Industrien und Branchen optimieren. So findet KI insbesondere in der Abfallwirtschaft bereits Anwendung. Durch intelligente Sortiersysteme können Abfälle effizienter getrennt und recycelt werden, was heutzutage vor allem bei Leichtverpackungen zum Einsatz kommt. Mit zunehmender Bedeutung der Abfallstoffanalyse, um zum Beispiel wertvolle Roh- und Edelstoffe im Wirtschaftskreislauf zu halten, steigt auch das Interesse an KI-gestützten Bilderkennungsverfahren. Diese Verfahren können auch bei der Müllverbrennung eingesetzt werden, um beispielsweise die dafür voraussichtlich notwendige Temperatur zu prognostizieren und eine energieeffiziente Verbrennung zu ermöglichen.

Denkbar ist in Zukunft auch, die Lebensdauer von Produkten mit KI vorherzusagen und optimale Wiederverwendungswege zu ermitteln, damit Materialien im Wirtschaftskreislauf bleiben. Bei Verbrauchsgütern wie Elektronik und Geräten könnten mithilfe von KI-gestützter intelligenter Kennzeichnung der Standort, der Zustand und die Nutzungshistorie eines Produkts verfolgt werden, um den besten nächsten Verwendungszweck zu ermitteln, wenn der oder die ursprüngliche Besitzer:in das Produkt nicht mehr benötigt.

Energiewirtschaft

Die Potenziale des KI-Einsatzes für eine nachhaltige Entwicklung sind insbesondere im Bereich der Energiewirtschaft enorm. So kann KI die Effizienz von Wind- und Solaranlagen steigern, indem sie Wetter- und Betriebsdaten analysiert, um die Leistung basierend auf den Witterungsbedingungen zu maximieren. KI kann außerdem in intelligenten Stromnetzen (Smart Grids) eingesetzt werden, um den Energieverbrauch in Echtzeit zu steuern und Lastspitzen zu vermeiden. Durch die Analyse von Verbrauchsdaten können Lastverschiebungen vorgeschlagen werden, um den Energieverbrauch während Spitzenzeiten zu reduzieren und die Netzstabilität zu verbessern. Dies führt zu einer effizienteren Nutzung der Energieinfrastruktur und minimiert den Bedarf an zusätzlichen Kraftwerken.

Stadt- und Landwirtschaftsplanung

Es mag schwer vorstellbar sein, wie unsere Welt im Jahr 2050 aussehen wird, wenn 70 Prozent der globalen Bevölkerung in Städten leben. KI kann hier unterstützen, urbane Räume lebenswert zu gestalten und für eine nachhaltige Zukunft vorzubereiten. Für eine nachhaltige Städteplanung bietet KI bereits vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Sie kann Verkehrsströme analysieren und optimieren, um Staus zu reduzieren und den öffentlichen Nahverkehr effizienter zu gestalten. Durch die Auswertung von Umweltdaten können Stadtplaner:innen Grünflächen und urbane Landwirtschaft strategisch platzieren, um die Luftqualität zu verbessern und städtische Hitzeinseln zu minimieren.

Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Erstellung von digitalen Zwillingen einer Stadt oder einer Region. Dabei handelt es sich um eine datenbasierte virtuelle Kopie, die für die Stadtplanung sowie zur Optimierung von Barrierefreiheit, Veranstaltungsgenehmigungen oder der Müllabfuhr genutzt werden kann. Basierend auf solchen Modellen lassen sich auch geeignete Flächen für Solaranlagen oder Viehweideflächen identifizieren. So arbeiten Forscher:innen im Vereinigten Königreich daran, einen digitalen Zwilling ihres gesamten Landes anzulegen, um als Basis für eine umweltfreundlichere Viehwirtschaft zu dienen.

Ressourcenverwendung

KI hilft bereits dabei, Produktionsprozesse in der Industrie zu optimieren und den Materialverbrauch zu minimieren – diese Anwendungen können auch zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beitragen. So ist Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung von Maschinen, bereits seit Jahren im Einsatz. Diese KI-gestützte Überwachung von Anlagen trägt gleichzeitig dazu bei, die Lebensdauer von Geräten zu verlängern und somit den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Auch KI-optimierte Lieferketten, deren Einsatz allmählich zunimmt, erlauben präzise Vorhersagen über den Materialbedarf eines Unternehmens – das reduziert nicht nur Abfälle, sondern auch die Lagerhaltungskosten und den CO₂-Fußabdruck.

Auch die Nutzung natürlicher Rohstoffe in der Landwirtschaft lässt sich mit KI optimieren. KI-gestützte Systeme, die den Wasserbedarf von Pflanzen durch die Analyse von Bodendaten und Wettervorhersagen genau bestimmen, ermöglichen eine gezielte Bewässerung. Mit KI-Algorithmen lassen sich außerdem benötigte Mengen an Dünge- und Pflanzenschutzmitteln präzise bemessen, was die Umweltbelastung verringern kann.

Fazit

KI birgt ein gewaltiges, bislang noch nicht vollständig ausgeschöpftes Potenzial zur Förderung der Nachhaltigkeit in allen Wirtschaftssektoren. Doch dieses Potenzial zu entfesseln, erfordert eine entschiedene Neuausrichtung: KI-Anwendungen müssen nicht nur dem Profit, sondern auch ökologischen Verbesserungen dienen. Hier sind zum einen politische Entscheidungsträger:innen gefordert, die Forschung in diesem Bereich zu finanzieren und Anreize zu schaffen, damit die KI-Nutzung auf nachhaltige Lösungen ausgerichtet wird. Zum anderen liegt es in der Verantwortung der Unternehmen, die an vorderster Front der KI-Revolution stehen, Nachhaltigkeit zu einem unverrückbaren Pfeiler ihrer Technologiepläne zu machen. Nur durch diese symbiotische Zusammenarbeit können wir die drängenden ökologischen Herausforderungen unserer Zeit meistern und eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft für kommende Generationen sichern.

* Martin Weis ist Global Managing Partner AI Experience bei der Managementberatung Infosys Consulting.


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