Russland baut im Zuge des Ukraine-Kriegs einen Eisernen Vorhang im Internet auf. Das Land blockt den Zugriff auf immer mehr westliche Internet-Services wie Twitter und Co. Zudem geben immer mehr internationale Player wie Apple, Microsoft etc. ihre Angebote in Russland auf. [...]
Für russische Bürger wird es immer schwieriger, sich via Internet aus anderen Quellen über den Ukraine-Krieg zu informieren. Zum einen stellen immer mehr westliche Unternehmen, wie die New York Times berichtet, ihr digitales Engagement in Russland ein. Darunter etwa TikTok, Netflix, Apple, Samsung, Microsoft, Oracle, Cisco und andere. Selbst Online-Videospiele wie Minecraft sind nicht mehr verfügbar.
Auch der multinationale Internet-Service-Provider Cogent Communications, der zweitgrößte Internet-Carrier in Russland, stellte seine Dienste ein. Mit Lumen Technologies – vormals CenturyLink – kappt nun der nächste große Internet-Backbone-Betreiber seine Verbindungen nach Russland. Das Unternehmen erklärte, dass es den Datenverkehr für Organisationen mit Sitz in Russland nicht mehr weiterleiten werde.
Backbone-Provider kappen Russland-Verbindung
„Das Leben in Russland hat eine Wendung genommen und Lumen ist nicht mehr in der Lage, auf diesem Markt weiter zu operieren“, so Lumen in einer als FAQ veröffentlichten Erklärung. „Die von uns angebotenen Business Services sind zwar extrem klein und sehr begrenzt, ebenso wie unsere physische Präsenz. Dennoch haben wir Schritte unternommen, um unsere Geschäftstätigkeit in der Region sofort einzustellen.“
„Wir haben beschlossen, das Netzwerk aufgrund des erhöhten Sicherheitsrisikos innerhalb Russlands abzuschalten“, heißt es in der Erklärung weiter. „Wir haben noch keine Netzwerkunterbrechungen erlebt, aber angesichts des zunehmend unsicheren Umfelds und des erhöhten Risikos staatlicher Maßnahmen haben wir uns zu diesem Schritt entschlossen, um die Sicherheit unserer Netzwerke und der Netzwerke unserer Kunden sowie die fortlaufende Integrität des globalen Internets zu gewährleisten.“
Bedeutung Lumens für Russland
Nach Angaben des Internet-Monitoring-Unternehmens Kentik ist Lumen der führende internationale Transitanbieter nach Russland. Zu den Kunden gehören die russischen Telco-Giganten Rostelecom und TTK sowie alle drei großen Mobilfunkbetreiber (MTS, Megafon und VEON) gehören. „Ein Backbone-Anbieter, der seine Kunden in einem Land von der Größe Russlands abschaltet, ist in der Geschichte des Internets ohne Beispiel und spiegelt die heftige globale Reaktion auf die Invasion in der Ukraine wider“, schrieb Doug Madory, Direktor Internet-Analyse bei Kentik, in einem Blog-Beitrag.
Offen ist, ob andere Internet-Backbone-Anbieter – von denen einige ihren Sitz außerhalb der Vereinigten Staaten haben – dem Beispiel von Lumen und Cogent folgen werden. Probleme für Russlands-Internetanbindung könnten zudem noch von anderer Seite drohen: So weist etwa Madory darauf hin, dass die russischen Telecos angesichts der anhaltenden Wirtschaftssanktionen Schwierigkeiten haben könnten, ausländische Transitanbieter für ihre Services zu bezahlen.
Eiserner Vorhang in digital
Zum anderen baut Russland einen digitalen Eisernen Vorhang auf, um eine freie Information über den Krieg, den Putin gegen die Ukraine führt, zu verhindern. So blockiert etwa der russische Regulierer Roskomnadzor Seiten wie Twitter, BBC News, Deutsche Welle, Radio Free Europe/Radio Liberty, Facebook, TikTok und andere.
Russland hat sich so in einen abgeschotteten digitalen Staat verwandelt, ähnlich wie China und der Iran. Diese Staaten kontrollieren schon länger das Internet streng und zensieren ausländische Websites und abweichende Meinungen. Das chinesische Internet und das westliche Internet sind beispielsweise im Laufe der Jahre fast vollständig voneinander getrennt worden, mit wenigen sich überschneidenden Diensten und wenig direkter Kommunikation. Im Iran verhängten die Behörden etwa 2019 während der Proteste gegen die Benzinpreise Internetsperren verhängt. Zudem verabschiedet das Land 2021 ein Gesetz zur Nationalisierung des Internets, das noch mehr Zensur ermöglicht.
Der digitale Eiserne Vorhang Russlands ist letztlich eine Niederlage für die einst im Westen vorherrschende Überzeugung, dass das Internet ein Werkzeug für die Demokratie ist, das autoritäre Länder zur Öffnung veranlassen würde. „Die Vision eines freien und offenen Internets, das auf der ganzen Welt funktioniert, existiert nicht mehr“, führt etwa Brian Fishman aus, ein Senior Fellow des New America Think Tank und ehemaliger Direktor für Terrorismusbekämpfung bei Facebook. „Jetzt ist das Internet klumpig.“ „Für die Menschen in Russland wird sich das wie eine Rückkehr in die 1980er Jahre anfühlen, denn plötzlich ist die Information wieder in den Händen des Staates“, fügt Alp Toker hinzu, Direktor von NetBlocks, einer Londoner Organisation, die die Internetzensur verfolgt.
Wie geht es weiter?
Die digitalen Sperren im Zuge des Ukraine-Kriegs stellen zwar einen Höhepunkt der Versuche der russischen Behörden dar, das einst offene und freizügige Internet zu beschneiden. Doch die Behörden in Putins Reich verschärfen bereits seit Jahrzehnten ihre Zensurkampagnen im eigenen Land und versuchen, ein so genanntes „souveränes Internet“ zu schaffen. Deshalb kommt der jetzige Aufbau eines digitalen Eisernen Vorhangs nur bedingt überraschend, wie unser Artikel „Geschichte der Internet-Zensur in Russland“ zeigt.
Im Zuge des Ukraine-Krieges werden nicht nur – wie oben angesprochen Websites – gesperrt. Es häufen sich auch die Hinweise, dass Russland eine Abkopplung vom restlichen Internet plant. So soll es künftig etwa nur noch russische Domain-Name-System-Server (DNS) geben, was eine Sperre internationaler Sites weiter erleichtert.
Des Weiteren sollen ausländische Hosting-Anbieter ihre Angebote auf russische Server transferieren. Sämtliche Angebote sollen künftig zudem über die TLD (Top-Level-Domain) .ru laufen. Denkbar wäre zudem auch eine Manipulation des Border Gateway Protocols (BGP), um Russland vom Rest des Internets abzukoppeln. Nicht umsonst untersucht die US-amerikanische FCC gerade BGP mit Blick auf die Cybersicherheit genauer.
*Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN).
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