So können Marken eine digitale Identität aufbauen

Die Digitalisierung schreitet voran. Die Hälfte des Tages verbringen junge Generationen online und interagieren auf digitalen Kanälen mit Marken. Unternehmen, die verpassen, ihre Marke in ein digitales Pendant umzuwandeln, riskieren vergessen zu werden. [...]

Foto: MeganRexazin/Pixabay

*Von Thomas Latus, Gründer und CEO der mdulr.design GmbH, einer Agentur für digitales Produktdesign

Nur die Transformation hin zu einer ganzheitlichen Markenpersönlichkeit ermöglicht es, Kunden langfristig zu binden und sie zu loyalen Wiederkehrern zu machen.

Ein Blick hinter die Oberfläche

Sehr wenige Unternehmen unterscheiden sich heute noch durch ein funktional einzigartiges Produkt- oder Leistungsangebot. Wirklich differenzieren können sie sich nur durch eine digitale Identität, die sich an jedem Berührungspunkt mit Kundinnen wiedererkennen lässt.

Dies ist nicht nur eine Frage des visuellen Erscheinungsbildes. Um den Kern ihrer Marke zu verstehen und digital erlebbar zu machen, sollten Unternehmen hinter die Oberfläche blicken. Nur so können sie besser verstehen, was Menschen emotional antreibt und worin die Gemeinsamkeiten mit ihrem Unternehmen liegen.

Erwartungen und Emotionen

Menschen kaufen von Menschen. Daher ist es wichtig, dass Marken sich im digitalen Raum menschlich verhalten. Dabei reicht es nicht, Personas abzuleiten und die Kundenzentrierung im Blick zu haben. Auch die Marke muss das Persönlichkeitsprofil schärfen, um unverwechselbar zur Konkurrenz zu sein.

Damit weder Kundin noch Marke isoliert betrachtet werden, kann die Definition einer wechselseitigen Beziehung dazu verhelfen, eine Ebene auf Augenhöhe zu schaffen.

Es sollte also nicht nur der eigene Markenkern in digitale Produkte übertragen werden. Darüber hinaus ist es wichtig, das Beziehungsverhältnis zwischen Kundin und Marke zu definieren und zu verstehen. Daraus ergeben sich beiderseitige Erwartungen und Bedürfnisse.

Beziehungen sind sehr unterschiedlich und werden von Nähe, Gefühlen und Machtgefällen geprägt. Vom schnellen Flirt, über Geschäftspartner bis zu alten Freunden kann eine Beziehung sehr unterschiedlich ausgelebt werden, insbesondere auf der emotionalen Ebene.

Egal, ob online oder analog: Es ist wichtig, dass sich Kunden entlang unterschiedlicher Berührungspunkte konsistent angesprochen fühlen und das Gefühl haben zu wissen, was sie erwartet. Ähnlich wie in einer gefestigten Beziehung sollten Erwartungen durchweg erfüllt und sogar übertroffen werden, sodass daraus eine langfristige Bindung entstehen kann.

Im übertragenen Sinne könnte eine solche Beziehung wie folgt entstehen:

  • Der erste Flirt: die erstmalige, unverbindliche Suche im Onlineshop
  • Das erste Date: Der Nutzer entscheidet sich zur Wiederkehr und interessiert sich aktiv für Produkte. Beide lernen etwas übereinander (Stichwort Daten).
  • Die Beziehung: Nutzer wird Kunde, indem er durch personalisierte Angebote etwas im Online-Shop kauft und einen eigenen Benutzeraccount erstellt.
  • Die erste gemeinsame Wohnung: Marke und Kunde teilen Interessen und Präferenzen, was zukünftige Einkäufe durch konstante, personalisierte Angebotserstellung (z.B. per Newsletter) stark beschleunigt. Konkurrierende Online-Shops werden trotz günstigerer Preisgestaltung übersehen.
  • Die Eheschließung: Marke und Kunde fühlen sich auf Lebenszeit verbunden. Kunde entscheidet sich konsequent gegen alternative Angebote von anderen Shops und kauft selbstverständlich und loyal nahezu jedes empfohlene Produkt des verbundenen Online-Shops. Nach dem Apple-Motto: Ein „No-Brainer-Upgrade“.

Storytelling: Eine gemeinsame Ebene schaffen

Ein Gefühl von Zusammengehörigkeit zwischen Kunde und Marke entsteht durch Gemeinsamkeiten. Wie in einer Beziehung werden ähnliche Weltanschauungen, Werte, Bedürfnisse und geteilte Erfahrungen berücksichtigt. Gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen, die im Gedächtnis bleiben, entstehen in diesem Fall über viele Nutzungen sowie digitale und analoge Touchpoints hinweg. Die Kunden-Reise fühlt sich wie eine aufregende Erzählung an, in der er oder sie die Hauptrolle spielt.

Beispiel: Zalando erzählt in seiner App Geschichten rund um die Produkte herum. Dort gibt es außerdem Outfit-Inspirationen im Social-Media-Style, bei denen man konkrete Looks nachshoppen kann. So hebt sich Zalando von anderen Shops ab und bleibt Nutzern im Kopf.

Emotionale Prinzipien aus dem Marketing gelten also nicht bloß in der Werbung, sondern können auch eine Rolle in digitalen Erlebnissen spielen. Berührungspunkte müssen passgenau emotional berühren (z.B. durch fesselnde Storytelling-Methoden). Jede technische oder deskriptive Interaktion ist eine Verschwendung der Aufmerksamkeit, welche die Chance auf ein positives digitales Erlebnis und damit langfristige emotionale Bindung verpasst.

Dabei ist zwischen einem einzelnen Use-Case (UX) und einer gesamtheitlichen Orchestrierung der gesamten Kundenreise über Jahre hinweg (CX) zu differenzieren. Der Unterschied zwischen CX und UX liegt in der Reichweite der Kunden-Erfahrung.

UX zielt darauf ab, ein außergewöhnliches Erlebnis zu bieten, wenn ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung genutzt wird, und konzentriert sich dabei auf die Einfachheit und Effektivität der Nutzung. Im Gegensatz dazu umfasst CX die gesamte Interaktion auf der Kundenreise mit der Marke und deckt alle Berührungspunkte und Erlebnisse ab.

Marken sollten ihren Kunden im übertragenen Sinne also nicht nur ein leckeres 3-Gänge-Menü bieten, sondern einen hochwertigen Restaurantbesuch, der vom Empfang bis zum Ausgang in jedem Moment möglichst viele Sinne stimuliert und damit ein unverwechselbares Erlebnis schafft.

Marken unterscheiden sich nämlich heute nicht mehr allein durch ihren Unternehmenszweck bzw. Purpose, sondern eben durch das Gesamterlebnis. Da digitale Erfahrungen über verschiedenste Kanäle erlebbar sind, ist dies in der heutigen Zeit eine riesige Chance für Marken, immersive Erlebnisse zu schaffen, die Kunden zu loyalen Wiederkehrern machen.

Das Gefühl von Kontrolle, Sicherheit und Klarheit fördern

In der emotionalen Bindung kommt es nicht nur darauf an, Gefühle zu adressieren, sondern auch grundlegende Erwartungen zu erfüllen. So ist es wichtig, dass Menschen sich etwas (z. B. Marken) zugehörig fühlen und Freude bei der Benutzung von digitalen Produkten haben.

Noch wichtiger ist es allerdings, dass sie (insbesondere in unsicheren Zeiten) das Gefühl von Kontrolle, Sicherheit und Klarheit haben. Sie wollen wertgeschätzt, gehört und in ihrem persönlichen Status erkannt werden und sich entsprechend fair behandelt fühlen.

Es ist wichtig, dass Unternehmen Kunden glaubhaft das Gefühl geben, dass ihre Bedürfnisse und Wünsche berücksichtigt werden, um damit das Vertrauen in das Unternehmen, dessen Marken und Produkte zu stärken und die Loyalität zu erhöhen. Nachfolgend ein paar einfache Schritte, die Unternehmen noch heute angehen können:

  •     Sammeln und Verarbeiten von Kundenfeedback (In-App Feedback oder Umfragen)
  •     Optimierung der Produkte und Services, um Kunden-Zufriedenheit zu erhöhen
  •     Regelmäßige Überprüfung der Kunden-Bewertungen auf diversen Plattformen, wie z. B. Google
  •     Offene und ehrliche Reaktionen auf Kritik über Social-Media-Plattformen
  •     Identifikation von Trends innerhalb des Kunden-Feedbacks und Adaption der Produktstrategie

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine erfolgreiche Transformation der Marke in eine digitale Identität eine umfassende Betrachtung der Kunden-Bedürfnisse erfordert.

Neben hier nicht aufgeführten Aspekten wie Datensicherheit, Barrierefreiheit, Transparenz und Personalisierung, sind das Verständnis der Beziehung zwischen Kundin und Marke sowie das Schaffen einer gemeinsamen Ebene zentrale Elemente.

Wichtig ist auch, dass Unternehmen das Gefühl von Kontrolle, Sicherheit und Klarheit fördern und auf das Feedback ihrer Nutzer eingehen. Nur so können sie zu diesen langfristige Bindungen aufbauen und sie zu loyalen Kunden machen.


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