Für das Scheitern von IT-Projekten gibt es verschiedene Ursachen. Oft werden Interims-Projektmanager als "Ersthelfer" eingesetzt, um die Kuh vom Eis zu holen. Lesen Sie, wie die Troubleshooter vorgehen. [...]
Projekte scheitern oft, weil die Anforderungen unklar oder unvollständig formuliert sind und die User nicht ausreichend eingebunden werden. Negative Einflussfaktoren sind zudem komplexe Stakeholder-Konstellationen (IT- versus Fachseite), eine dezentrale Leistungserbringung, die mangelnde Synchronisation mit übergeordneten Organisations- und IT-Zielen sowie eine fehlende End-to-End-Betrachtung über die Auswirkungen, die die IT-induzierten Veränderungen innerhalb der Organisation haben.
Die vier Phasen des Scheiterns
Bevor ein Projekt endgültig kollabiert durchläuft es meist folgende Krisenphasen:
- Stakeholder- oder Leitungskrise
Auf der Führungsebene sorgen Konflikte oder die Überforderung Beteiligter dafür, dass grundsätzliche Entscheidungen zur Projektdurchführung oder- vollendung zu spät oder gar nicht fallen. Das Vertrauen in einen Projekterfolg geht verloren. - Strategiekrise
Dem Projekt fehlen klare Ziele und eine Vision. Das führt zu Fehlsteuerungen sowie Verzögerungen und Inkonsistenzen in Planung und Priorisierung. - Meilensteinkrise
Die fehlende oder fehlerhafte Strategie schlägt auf das operative Vorgehen durch; Termine werden gerissen, das Budget explodiert, die Qualität leidet, der Kunde wird nicht mehr mitgenommen. - Ergebniskrise
Leitung, Projektorganisation und Auftraggeber realisieren, dass die Projektziele in einer oder mehreren Dimensionen (Zeit, Budget, Qualität, Nutzerakzeptanz) nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erreicht werden können. Werden alle Zieldimensionen verfehlt, folgt unweigerlich der Kollaps.
Wenn ein Projekt in die Krise geraten ist, kann es oft doch noch vor dem endgültigen Abbruch bewahrt und in die Erfolgsspur zurückgeführt werden. Voraussetzung ist das strukturierte Vorgehen eines kompetenten Ersthelfers oder Interims-Projektmanagers. Solch eine Projektrettung lässt sich in folgenden acht Schritten vollziehen:
1. Gefahrenzone erkennen
e lassen sich die Symptome prüfen. Gespräche mit zentralen Akteuren geben weitere Detailhinweise. In einem zweiten Schritt gilt es, die verfügbaren Daten auswerten und Abweichungen zum Soll-Zustand zu messen. Bei IT-Projekten empfiehlt es sich, besonderes Augenmerk auf die Dimensionen Nutzeranforderungen und Nutzerschnittstellen zu legen.
2. Unfallstelle absichern
Besonders bei problematischen IT-Projekten ist für eine erfolgreiche Fortführung die Unterstützung durch das Management wichtig. Der Troubleshooter braucht von der Leitungsebene die Entscheidung, das Projekt fortzuführen. Dazu sollten zunächst die Erfolgsaussichten und Risiken des Vorhabens bewertet werden. Solch eine Untersuchung muss die Frage beantworten, ob sich die Fortführung des Projekts inhaltlich (strategische Analyse) und finanziell (Return on Investment) noch lohnt.
Gegebenenfalls sollte der Ersthelfer dem Management verschiedene Szenarien der Fortführung vorstellen, indem er Variablen wie Aufwand, Zeit oder Scope bezogen auf die Anforderungen variiert. Fällt die Bewertung positiv aus, ist das Mandat für die Rettung erteilt. Der Interims-Manager erhält nun Entscheidungsbefugnisse und kann auf die Projektorganisation durchgreifen.
3. Notruf absetzen
Wenn ein gefährdetes Projekt fortgesetzt werden soll, ist erforderlich, allen Stakeholdern innerhalb und außerhalb des Vorhabens vor Augen zu halten, dass etwas schiefgelaufen ist. Um den Beteiligten zu verdeutlichen, dass etwas Unerwünschtes geschehen ist und Änderungen nötig sind, sollte auf dialogische Formate zurückgegriffen werden, die – wie bei einem telefonischen Notruf – Rückfragen zulassen. Wichtig ist, sich auf wenige Kernbotschaften, beispielsweise eine Vision, zu konzentrieren und nicht nur das Problem aufzuzeigen, sondern auch einen Ausweg zu skizzieren. Vertrauen und inhaltliches Verständnis werden so begünstigt. Kommunikation ist die Grundlage für erfolgreiches Veränderungsmanagement.
4. Sofortmaßnahmen einleiten
Ist der Überblick geschaffen, taucht der Ersthelfer in die Detailanalyse der Problemursachen ein. Die oben angesprochenen Symptome bilden die Ansatzpunkte dafür. Dafür stehen ihm diverse Tools, die 5-W-Methode oder auch ein Fishbone-Diagramm zur Verfügung. Die Analyse kann vielfältige Ursachen ermitteln, die von persönlicher Überforderung bis zu ungenügender Ressourcenausstattung reichen. Sind die Ursachen erkannt, werden Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung definiert, abgestimmt und umgesetzt.
Dabei kann es sich etwa um eine punktuelle Erhöhung des Budgets oder Ressourceneinsatzes handeln, eine strukturierte Neuplanung, eine Fokussierung des Leistungsumfangs (Stichwort: Anforderungen und Nutzereinbeziehung) oder schlicht um den Austausch bestimmter Akteure. Gegebenenfalls kommt auch ein zeitweiser Project Freeze in Betracht, um die Organisation von Grund auf neu zu ordnen. Der Handlungsspielraum wird abnehmen, je weiter das Projekt in den oben beschriebenen vier Krisenphasen fortgeschritten ist.
5. Wiederbelebung
Ist die Lage sondiert und der Notruf abgesetzt, folgt im Erste-Hilfe-Ablauf die Wiederbelebung. In diesem Kontext heißt das, dass der Ersthelfer eine Fortführungsstrategie (Ziele und Maßnahmen) für das Projekt entwickeln muss. Je nachdem, welches Ergebnis der Auftraggeber erwartet und mitträgt, gilt es nun, entweder die eingesetzten Ressourcen zu erhöhen, um das ursprünglich angestrebte Ergebnis doch noch zu erreichen, oder aber das Projektziel zu beschneiden.
Bleibt das noch verfügbare Budget unverändert, wird die eine oder andere Anforderung unerfüllt bleiben (Output-Optimierung). Soll der volle Leistungsumfang doch noch erreicht werden, müssen Mittel nachgeschossen werden (Input-Optimierung), was die Kosten-Nutzen-Relation ins Negative verkehrt.
6. Schock bekämpfen
Parallel zur Wiederbelebung des Projekts muss der Ersthelfer kommunizieren, um jene Kontinuität aufrechtzuerhalten, die jedes Projekt auch in Krisenzeiten braucht. Das Veränderungsmanagement bietet einen breiten Baukasten an projektbegleitenden Kommunikationsmaßnahmen. Dem Interimsmanager obliegt dabei die Rolle des Change Agent.
Folgende Anforderungen an die Kommunikation sollten erfüllt sein:
- Adressatengerechtigkeit (so kommunizieren, dass die Perspektive des Empfängers eingenommen wird);
- Beteiligungsorientierung (den Mitarbeiter für Veränderungen gewinnen);
- Wechselseitigkeit;
- Rechtzeitigkeit;
- Realismus in Hinblick auf Erwartungen sowie
- Systematik.
Die Kommunikation muss gleichermaßen auf Fachseite, IT und Management ausgerichtet sein. Werden diese Prinzipien beachtet, ist der Grundstein für ein gelungenes, projektbegleitendes Veränderungsmanagement gelegt, das bei allen Beteiligten einen Schockzustand vermeidet.
7. Stabile Seitenlage herstellen
Nun, da der Patient wieder atmet, ist Stabilisierung oberstes Gebot. Der Interimsmanager beginnt mit seiner eigentlichen Aufgabe, der operativen Verantwortung für den Weiterverlauf des Projekts und der daran hängenden Tätigkeiten. Dazu gehören Neuplanung, Steuerung, Überwachung, Risiko- und Qualitätsmanagement, Projektkommunikation und -dokumentation.
Die Neuplanung sollte unter allen Umständen realistisch erfolgen, anhand der gewählten Strategie und unter Ausrichtung auf die Organisationsziele. Es empfiehlt sich, die zu Beginn im 1. Schritt „Gefahrenzone erkennen“ erdachten Diagnosemetriken zu einem konsistenten Monitoring-System auszubauen. Budget, Qualität, Termine, Nutzerakzeptanz sowie Zielerreichung sind eng zu überwachen. Anhand dieser Daten kann der Ersthelfer außerdem zielgerichtet coachen und optimieren. Zudem lässt sich auf Basis dieser Indikatoren ein aktives Risikomanagement vornehmen, das auftretende Risiken erkennt, dokumentiert und abschwächt.
8. In die weitere Betreuung übergeben
Ist ein stabiler Projektverlauf wiederhergestellt und die (partielle) Erreichung der Ursprungsziele wahrscheinlich, kann die Tätigkeit des Interimsmanagers enden. Er kann das Projekt wieder an die Linie übergeben oder an den Auftraggeber. Dazu müssen die Ergebnisse (Liefergegenstände und Parameter) beziehungsweise die Projektorganisation und ihre Prozesse zuvor so dokumentiert werden, dass ein nachfolgender Projektmanager am besten auch ohne mündliche Übergabe nachvollziehen kann, worum es geht. So kann er das Projekt weiterführen beziehungsweise das Ergebnis (Software, Architektur, Konzept) vervollständigen und in den Wirkbetrieb überführen.
Diese Dokumentation sollte auch eine Manöverkritik zum Projekt enthalten und daraus Handlungsempfehlungen ableiten, die neuerliche zu vermeiden hilft. Es ist sinnvoll, diese Manöverkritik abgestimmt mit dem Auftraggeber in Gestalt einer öffentlichkeitswirksamen Kommunikation von Erfolgen abzuhalten – etwa als Abschlussbericht, Präsentation oder Workshop. Auch nach einer Schieflage gilt es, über die Projektgrenzen hinaus zu zeigen, welche Bedeutung das Vorhaben im Unternehmen oder für den Kunden hat. Vor dem endgültigen Austritt des Interims-Projektmanagers ist es obligatorisch, dass eine Entlastung oder Abnahme durch den Auftraggeber erfolgt. Ein dedizierter Schlussworkshop mit allen Projektbeteiligten wird auch als guter gedanklicher Abschluss für das erfolgreiche Erste-Hilfe-Projekt dienen.
Die Eigenschaften eines guten Ersthelfers
Die beschriebene Struktur aus acht Erste-Hilfe-Schritten zur Rettung eines kriselnden IT-Projekts zu kennen, ist das eine, den geeigneten Interims-Projektmanager dafür zu finden, das andere. Hier braucht es eine pragmatische, lösungsorientierte und auch diplomatische Persönlichkeit, die den entscheidenden Instanzen und Projektakteuren jederzeit Bedarfe, Ergebnisse sowie verschiedene Lösungswege einschließlich der Risiken vermitteln kann.
Dazu muss der Ersthelfer beide Sprachen beherrschen: die der Fach- und der IT-Seite. So kann er zwischen den verschiedenen Abstraktionsniveaus vermitteln und die Komplexität reduzieren. Das allerdings setzt Erfahrungen in komplexen Projektumfeldern voraussetzt. Wichtig ist nicht, ob der Projektsanitäter extern oder intern rekrutiert wird. Entscheidend ist nur, dass er in einer Rolle akzeptiert wird und die Rahmenbedingungen der Organisation (Sprache, Prozesse, Hierarchien) versteht und annimmt.
Ob der Projektmanager eher mit klassischen oder mit agilen Methoden zu tun hatte, ist kein relevanter Faktor. Keiner der beiden Mindsets hat im beschriebenen Ablauf ausgesprochene Vor- oder Nachteile. Das Erste-Hilfe-Programm muss auf operativer Ebene mit Leben gefüllt werden: durch Planungs-, Dokumentations-, Kommunikations-, Monitoring-, Qualitäts- und Steuerungsmechanismen.
Diese können so gut aus der einen wie aus der anderen Welt stammen, solange sie planmäßig und zielorientiert angewendet werden. Was ein Interims-Projektmanager jedoch nicht mitbringen kann, sondern womit er vom Auftraggeber ausgestattet werden muss, sind die nötige Autorisierung beziehungsweise Mandatierung für sein Vorgehen sowie ausreichende Entscheidungs- und Durchgriffsbefugnisse.
Unterm Strich
Projekte scheitern in Phasen. Man sollte auf der Hut sein, sobald sich Dissonanzen im Projekt wahrnehmen lassen, und dann das oben beschriebene 4-Phasen-Modell als Quick Check nutzen. Zunächst ist zu hinterfragen, ob die Symptome so gravierend sind, dass sie zu einer projektgefährdenden Schieflage führen – nicht jede Terminverschiebung mündet bereits im Kollaps der Terminkette. Ist eine Schieflage aber erkannt und verifiziert, ist ein zielgerichtetes, methodisches Vorgehen unerlässlich, um im Projekt die Wende herbeizuführen: Mit den beschriebenen acht Schritten für die Erste Hilfe kann dies gelingen.
Wenn die Analyse ergibt, dass sich die Fortsetzung des Projekts lohnt, braucht unser Ersthelfer ein Mandat des Auftraggebers, inklusive Entscheidungsbefugnissen und Durchgriffsmöglichkeiten. Auf Methodik und Zielausrichtung zahlen dann die Ermittlung und Beseitigung der Problemursachen, eine mit den Organisationszielen synchronisierte Fortführungsstrategie sowie ein gelebtes Veränderungsmanagement inklusive Projektkommunikation ein.
Auch die persönliche Eignung des Interims-Projektmanagers ist wichtig. Er sollte gleichermaßen in IT- und Fachseite beheimatet sein und zudem über eine pragmatische und diplomatische Persönlichkeit verfügen, die ihm für seine Rolle die erforderliche Akzeptanz sichert. Die Erfahrung zeigt: Längst nicht jedes IT-Projekt, das in eine Krise gerät, muss scheitern. Aber in jedem Fall braucht es ein sinnvoll strukturiertes Vorgehen, um es zu retten.
*Bastian Witte ist als Consultant für Cassini Consulting in IT-Vorhaben des Bundes tätig. Seine fachlichen Schwerpunkte umfassen das IT-Programm- und -Projektmanagement sowie die Businessprozessanalyse und -optimierung.
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