Fast alle Unternehmen setzen mittlerweile auf künstliche Intelligenz – doch nur wenige sind wirklich darauf vorbereitet, KI umfassend und sicher in ihren Betrieb zu integrieren. Zu diesem Ergebnis kommt der „State of AI Application Strategy Report 2025“ des Anbieters F5. ITWelt.at hat sich die Studie angesehen. [...]
Die Untersuchung basiert auf einer Kombination aus quantitativer Erhebung unter 650 IT-Entscheidungsträgern sowie vertiefenden Interviews mit 150 Verantwortlichen für KI-Strategien in Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 200 Millionen US-Dollar. Ziel war es, einen praxisnahen „AI Readiness Index“ zu entwickeln, der nicht technologische Reife, sondern die operative Einsatzfähigkeit von KI erfasst.
Der AI Readiness Index: Mehrdimensionales Bewertungsmodell
Im Zentrum der Studie steht ein Index, der auf sechs Dimensionen basiert: Der Reifegrad von generativer KI, AI-Agenten und agentischer KI wird jeweils in fünf Phasen (von Exploration bis Produktion) bewertet. Hinzu kommen die Breite der KI-Anwendung (gemessen an der Vielfalt eingesetzter App-Typen), der Anteil KI-gestützter Applikationen im Gesamtportfolio sowie die Modellvielfalt – also wie viele verschiedene KI-Modelle ein Unternehmen nutzt.
Die Einzelergebnisse werden normalisiert, gewichtet und zu einem Gesamtscore zwischen 0 und 100 skaliert. Daraus ergeben sich drei Kategorien:
- Hochgradig vorbereitete Unternehmen (Index 80–100)
- Moderat vorbereitete Unternehmen (Index 50–79)
- Wenig vorbereitete Unternehmen (unter 50)
Klare Verteilung: Nur 2 Prozent sind hochgradig vorbereitet
Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur zwei Prozent der befragten Unternehmen gelten als umfassend vorbereitet auf den KI-Einsatz. Die große Mehrheit (77 Prozent) befindet sich in einem mittleren Reifegrad, während 21 Prozent als wenig vorbereitet eingestuft werden.
Dabei zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang mit der digitalen Reife: Technologie- und Finanzdienstleister liegen vorne, während insbesondere Behörden und Bildungseinrichtungen hinterherhinken – oft gebremst durch veraltete IT-Infrastruktur und regulatorische Hürden.
Generative KI ist im Einsatz – aber nicht durchgängig
Rund 70 Prozent der moderat vorbereiteten Unternehmen setzen generative KI bereits produktiv ein, über die Hälfte hat erste KI-Agenten implementiert. Doch die Integration erfolgt häufig isoliert: Meist werden einzelne Teams oder Prozesse unterstützt, eine durchgängige End-to-End-Orchestrierung fehlt noch.
Die größten gemeldeten Vorteile betreffen Produktivität, Effizienz und Kundenerfahrung. Gleichzeitig bestehen zahlreiche Herausforderungen – etwa bei der Konsistenz von Sicherheitsrichtlinien über verschiedene Cloud-Umgebungen hinweg, bei der Einhaltung von Regulierungen oder beim Training großer Modelle.
Sicherheitsfokus nimmt zu
Ein Großteil der Unternehmen nutzt KI inzwischen auch für sicherheitsbezogene Zwecke – etwa zur Bedrohungserkennung oder zur Verbesserung der Datenverschlüsselung. Ganze 71 Prozent der Befragten setzen KI bereits zur Absicherung ihrer Systeme ein, 27 Prozent planen dies in naher Zukunft.
Dennoch bleibt die konkrete Umsetzung anspruchsvoll. Viele moderat vorbereitete Unternehmen stecken derzeit in einem Übergangsstadium: Sie experimentieren mit Maßnahmen wie Inline-Policy Enforcement, föderierter Kontrolle oder Tokenisierung – jedoch meist punktuell statt konsolidiert.
Ein zentrales Element strategischer Absicherung sind KI-Firewalls. Zwar planen 47 Prozent der moderat vorbereiteten Unternehmen deren Einführung innerhalb der kommenden zwölf Monate, doch bisher haben nur 18 Prozent entsprechende Schutzmechanismen produktiv im Einsatz.
Modellvielfalt als Schlüsselmerkmal
Ein besonders aussagekräftiger Indikator für die Einsatzbereitschaft ist die Vielfalt genutzter KI-Modelle. Laut Studie verwenden sämtliche befragten Unternehmen mehr als ein Modell – in der Regel eine Kombination aus kostenpflichtigen und quelloffenen Varianten. Der Anteil kostenpflichtiger Modelle liegt bei 58 Prozent, zu den beliebtesten Open-Source-Alternativen zählen Llama (Meta), Mistral und Googles Gemma.
Die am häufigsten genutzte Kombination ist ein hybrider Ansatz aus GPT-4 (bzw. GPT-4 Turbo) und einem Mistral-Modell. Interessant ist der Zusammenhang zur Governance: Unternehmen, die mehr kostenpflichtige Modelle nutzen, berichten von höherem Vertrauen in ihre Governance-Strukturen, während Nutzer quelloffener Modelle häufig über bessere Datenkennzeichnungsprozesse verfügen – offenbar als Gegenmaßnahme zu erhöhtem Risikoempfinden.
Wer ist bereits hochgradig vorbereitet?
Organisationen, die dem Top-Segment mit hoher KI-Bereitschaft angehören, zeichnen sich durch mehrere Faktoren aus:
- Sie verwenden KI durchgängig in einer Vielzahl unterschiedlicher Anwendungsbereiche, etwa für Sicherheitsüberwachung, Analyse oder personalisierte Kundenerlebnisse.
- Sie verfügen über etablierte Prozesse für Datenkennzeichnung und -sicherung.
- Sie setzen bereits jetzt Schutzmechanismen wie KI-Firewalls ein.
- Sie orchestrieren den Einsatz unterschiedlicher Modelle systematisch – meist über mehrere Cloud-Umgebungen hinweg.
Dabei verstehen diese Vorreiter KI nicht bloß als zusätzliches Tool, sondern als integrale Plattformfähigkeit – vergleichbar mit Analytik oder Infrastrukturmodernisierung.
Schwächen der Nachzügler
Im Gegensatz dazu sind Unternehmen mit geringer KI-Reife meist noch in der Pilotphase oder im Planungsstadium. Typisch ist ein KI-Einsatz in weniger als 25 Prozent der Anwendungen – oft beschränkt auf einzelne Experimente. Häufig wird nur ein Modell eingesetzt, meist ein kommerzieller Anbieter. Agentische KI oder fortschrittliche KI-Agenten kommen kaum zum Einsatz.
Nur 36 Prozent dieser Unternehmen haben generative KI im Produktiveinsatz. Zwar planen viele Projekte – 68 Prozent befinden sich in Pilotphasen – doch es mangelt an operativer Umsetzungsstärke, an Architekturabgleich und strategischer Einbettung. Das zeigt: Das Problem liegt weniger in fehlendem Interesse, sondern in der mangelnden Fähigkeit zur Skalierung.
Strategische Empfehlungen für den Aufstieg
Auf Basis der Analyse formuliert F5 fünf zentrale Handlungsempfehlungen, um die eigene KI-Bereitschaft zu verbessern:
1. Modellvielfalt ausbauen: Unternehmen sollten sowohl quelloffene als auch kommerzielle Modelle erproben und je nach Einsatzzweck kombinieren.
2. KI breiter einsetzen: Der Nutzen von KI beschränkt sich nicht auf Chatbots. Auch für Sicherheit, Betrieb oder Analytik kann sie Mehrwert liefern.
3. Governance verankern: Datenkennzeichnung (Data Labeling) ist ein grundlegender Bestandteil jeder KI-Governance – und sollte frühzeitig etabliert werden.
4. Sicherheitsinfrastruktur erweitern: KI sollte mit Firewalls, Observability-Tools und Richtlinienkontrolle verzahnt werden, um eine sichere Umgebung zu gewährleisten.
5. KI als Plattform denken: Statt isolierter Lösungen ist eine Plattformstrategie gefragt – vergleichbar mit Infrastrukturmodernisierung oder Business Analytics.
Regionale Unterschiede und branchenspezifische Trends
Während Nordamerika und Westeuropa weiterhin führend bei der KI-Adoption sind, holen Regionen wie der asiatisch-pazifische Raum und der Mittlere Osten spürbar auf. Die Studie zeigt, dass eine solide Cloud-Infrastruktur Voraussetzung für den nächsten Reifeschritt ist.
Branchenspezifisch dominieren Finanzdienstleister, Industrieunternehmen und der Gesundheitssektor die Kategorie der moderaten Vorbereitung. Hier wird bestehende Infrastruktur sukzessive modernisiert – jedoch in eher konservativem Tempo. Der öffentliche Sektor hingegen bleibt zurück – oft wegen regulatorischer Einschränkungen und fehlender Investitionen.
KI wird zur Infrastrukturfähigkeit
Besonders bemerkenswert ist die konzeptionelle Verschiebung in führenden Unternehmen: Sie betrachten KI zunehmend nicht mehr als Werkzeug für spezifische Use Cases, sondern als strategische Fähigkeit – vergleichbar mit Cloud- oder Netzwerkarchitekturen. Diese Haltung erlaubt nicht nur bessere Integration und Skalierbarkeit, sondern legt auch den Grundstein für robuste Sicherheits-, Compliance- und Observability-Strategien.
Damit wird deutlich: Es geht nicht allein um den Einsatz von KI, sondern um die Art und Weise, wie sie verankert, orchestriert und skaliert wird. Nur Unternehmen, die diesen Wandel vollziehen, können im Wettbewerb bestehen und Innovationen frühzeitig nutzen.
Das Fazit der ITWelt-Redaktion
Die F5-Studie liefert ein differenziertes Bild der globalen KI-Landschaft – und zeigt, dass operative Einsatzbereitschaft derzeit noch die Ausnahme ist. Besonders auffällig: Viele Unternehmen haben bereits Erfahrungen mit KI gesammelt, doch nur wenige verfügen über die organisatorischen und infrastrukturellen Voraussetzungen, um diese Technologien systematisch zu nutzen.
Die Handlungsempfehlungen der Studie sind praxisnah und konkret – und bieten Orientierung für Unternehmen, die nicht den Anschluss verlieren wollen. Wer jetzt gezielt in Governance, Modellvielfalt und Plattformstrategien investiert, könnte sich mittelfristig einen deutlichen Wettbewerbsvorteil sichern.
Die Studie kann hier heruntergeladen werden.

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