Vorbehalte gegen Rise: Warum SAP am Scheideweg steht

SAP-Chef Christian Klein gab mit dem neuen Cloud-Produktbündel namens "Rise" die Marschroute vor. Der Umstieg der Kunden in die Cloud sollte beschleunigt werden. Doch die Kunden ziehen nicht mit. [...]

SAP-Vorstandschef Klein will den Umsatz mit der Cloud auf über 22 Milliarden Euro steigern (c) SAP

Mit den Quartalsergebnissen konnte das Dax-Schwergewicht die – aus mittelfristiger Sicht spürbar eingedampften – Markterwartungen immerhin weitgehend übertreffen. Dennoch hat die Aktie Mühe, das Kursniveau von vor dem großen Absturz im Oktober 2020 auf Dauer zurückzuerobern. Was Klein auf Trab hält, was Analysten sagen und wie sich die Aktie entwickelt hat.

Klein hatte nach der Amtsübernahme von Vorgänger Bill McDermott im Herbst 2019 einiges aufzuräumen, der US-Manager hatte viele Cloud-Unternehmen eingekauft, um SAP in dem Bereich besser aufzustellen, aber die Integration der Zukäufe in den Kernkonzern schleifen lassen. Der Prozess ist Kleins Angaben zufolge mittlerweile weitgehend abgeschlossen. Doch Schwächen hat der jüngste Dax-Chef in der Sparte mit Software zur Nutzung über das Netz weiterhin ausgemacht.

Übernahme von Signavio

So hob er Anfang vergangenen Jahres das Produktbündel „Rise“ aus der Taufe, weil es den Kunden einfacher gemacht werden sollte, auf die Cloud-Version der SAP-Kernsoftware S/4Hana umzusteigen. Denn SAP wuchs mit den eigenen Angeboten nicht mehr schnell genug, vor allem bei der Software zur Unternehmenssteuerung und zur Geschäftsprozessanalyse. So übernahm SAP vergangenes Jahr zudem den Berliner Anbieter Signavio für rund eine Milliarde Euro. Kunden sollen mit den Programmen Abläufe vereinfachen können und Geld sparen.

Doch die Walldorfer müssen wohl weiter Überzeugungsarbeit leisten, wenn es um die Cloud geht: Laut einer Umfrage der SAP-Anwendervereinigung DSAG von Mitte vergangenen Jahres sind die Vorbehalte gegenüber „Rise“ vor allem im deutschsprachigen Raum weiter beträchtlich. Zum Zeitpunkt der Befragung unter Mitgliedern wollten dort damals nur zehn Prozent die Nutzung des Produktbündels in Betracht ziehen. Immerhin war die Bereitschaft im wichtigen nordamerikanischen Markt etwas größer.

Doch 2025 will Klein mit SAP in der Cloud einen Umsatz von mehr als 22 Milliarden Euro erzielen, und in diesem Jahr dürften es erst gut 9 Milliarden Euro sein. Großzukäufe wie unter McDermott soll es dafür eigentlich nicht mehr geben. Doch die hatte auch Kleins Vorgänger immer wieder ausgeschlossen – bis sich eben doch wieder eine Gelegenheit bot.

Die Bilanz der Zukäufe ist ohnehin durchwachsen. Der Reisekostendienstleister Concur kam in der Pandemie schwer in die Bredouille – weil es wegen fehlender Geschäftsreisen kaum Spesen zum Abrechnen gab und die Umsätze nur fließen, wenn auch etwas abgerechnet wird. Den von McDermott einst vollmundig im Kampf gegen den US-Rivalen Salesforce in Stellung gebrachten Marktforscher und Datensammler Qualtrics brachte SAP vergangenes Jahr zum Teil in den USA an die Börse, auch weil die Amerikaner von der Firmenkultur her nicht so zum biederen Walldorfer Umfeld passten und mehr Beinfreiheit brauchten.

Große Konkurrenz bei Unternehmenssoftware

Ob Christian Klein nun Antreiber oder eher Getriebener ist, wird sich voraussichtlich in den kommenden Jahren zeigen, denn die Konkurrenz sitzt dem deutschen Vorzeigekonzern im Nacken. Der Status des Weltmarktführers für Unternehmenssoftware droht dem zweitwertvollsten deutschen Börsenkonzern jedenfalls wegen harter Konkurrenz abhanden zu kommen.

In der Domäne der Deutschen, den Programmen für die interne Betriebssteuerung (ERP – Enterprise Resource Planning) rund um Finanzen, Material oder Personal, baut etwa Erzrivale Oracle sein Angebot mit den Programmen Fusion und Netsuite aus. Auch Softwareriese Microsoft macht sich in dem Bereich zunehmend breit.

Bei der Steuerung von Vertriebsteams und von Kundenbeziehungen (CRM) ist der Cloud-Pionier Salesforce Platzhirsch. Die Kalifornier dürften mit ihren mittelfristigen Wachstumsplänen SAP beim Umsatz schon bald überrunden. In der Analyse und Verbesserung von Geschäftsprozessen setzen unter anderem die Münchener von Celonis dem Konzern zu. Das erst gut zehn Jahre alte Unternehmen wurde in einer Finanzierungsrunde im Sommer mit mehr als zehn Milliarden Euro bewertet.

SAP legt am 27. Januar seine Jahreszahlen vor. Üblicherweise halten die Walldorfer aber nicht lange mit Eckdaten hinter dem Berg, zumal das Unternehmen die Quartalserwartungen zuletzt im Großen und Ganzen schlagen konnte. Analysten gehen laut dem vom Unternehmen beauftragten Stimmungsbild davon aus, dass der Erlös im vierten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um knapp drei Prozent auf 7,75 Milliarden Euro zulegen konnte. Der Cloud-Umsatz als Teil davon sollte sogar um fast ein Viertel auf 2,52 Milliarden Euro angezogen haben.

Beim um Sondereffekte bereinigten Ergebnis vor Zinsen und Steuern hingegen steht wohl ein Rückgang um knapp 13 Prozent auf 2,42 Milliarden Euro ins Haus. Klein und Finanzchef Luka Mucic hatten ohnehin für den Jahresschluss höhere Kosten für Investitionen in Technik und Produkte avisiert. Erst 2023 dürfte die operative Marge wieder zulegen, hatte das Management mit den scharf gekappten mittelfristigen Zielen im Herbst 2020 angekündigt.

Experte hält SAP-Wachstumspläne für unwahrscheinlich

Die neuen Mittelfristziele im Cloud-Geschäft sind Experten zufolge ambitioniert und erfordern hohes Wachstum bis ins Jahr 2025. Michael Briest von der schweizerischen Großbank UBS rechnet vor, dass dazu im Schnitt ein jährliches Wachstum von 23 Prozent vonnöten wäre – 22 Milliarden Euro Umsatz zur Mitte des Jahrzehnts hält der Analyst daher für unwahrscheinlich.

Allerdings sieht der USB-Experte gute Startbedingungen mit „Rise“: Die vergangenes Jahr reingeholten Verträge dürften eine gute Erlösentwicklung auch 2022 nach sich ziehen. SAP werde wohl auch höhere finanzielle Anreize für den Vertrieb schaffen, um verstärkt Cloud-Programme zu verkaufen. Concur sollte sich zudem schrittweise erholen.

JPMorgan-Expertin Stacy Pollard sieht ganz allgemein gute Chancen für Software-Anbieter. Der digitale Wandel habe mit der Pandemie Fahrt aufgenommen, schrieb sie im Dezember in einer Branchenstudie. Der Branche insgesamt winke über Jahre prozentual zweistelliges Wachstum. Morgan-Stanley-Analyst Adam Wood rechnet bei SAP konkret dank der wachsenden Cloud-Abonnentenzahlen mit einem schnelleren Umsatzwachstum.

Die von der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX seit der letzten Zahlenvorlage erfassten Analystenstimmen ergeben ein positives Bild: Elf empfehlen den Kauf der Aktie, fünf das Halten der Papiere. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei gut 141 Euro – also rund ein Sechstel über dem aktuellen Kursniveau.

Kurzfristige Aktienentwicklung enttäuschend

Nach dem starken Rücksetzer im Herbst 2020, als Klein die mittelfristigen Margenversprechen von McDermott kassierte, konnte die Aktie sich peu a peu wieder festigen. Derzeit pendelt der Kurs um die Marke von 120 Euro. Vor dem Crash waren es im Oktober 2020 rund 125 Euro, bevor die Aktie in wenigen Tagen im Tief bis auf unter 90 Euro abtauchte.

Mit rund 150 Milliarden Euro Börsenwert ist SAP derzeit die Nummer zwei im Dax hinter dem Gaskonzern Linde. Zum Vergleich: US-Software-Konkurrent Oracle kommt bei der Marktkapitalisierung auf 231 Milliarden Dollar (204 Mrd Euro), Salesforce auf 224 Milliarden Dollar.

Langfristig ist SAP an der Börse immer noch eine Erfolgsgeschichte. Gegen Ende des vorigen Jahrzehnts 2010 war das Papier um die 35 Euro wert. Im September 2020 kletterte die Aktie auf ihr Rekordhoch bei über 143 Euro. (dpa/rs)


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