Wenn Identitäten keine Menschen mehr sind: Die übersehene Sicherheitslücke

Während KI-Systeme und Automatisierung boomen, wächst im Schatten eine unsichtbare Bedrohung: Non-Human Identities. Wer sie übersieht, riskiert Compliance-Verstöße, Angriffsflächen und Kontrollverlust über seine digitale Infrastruktur. [...]

Die Verwaltung und Absicherung von Non-Human Identities erfordert einen grundlegenden Wandel in der Sicherheitsstrategie von Unternehmen. Klassische, infrastrukturzentrierte Ansätze mit starren Zugriffskontrollen stoßen angesichts der dynamischen Natur maschineller Identitäten schnell an ihre Grenzen. (c) stock.adobe.com/Oksana

Digitale Identitäten sind längst mehr als nur Benutzername und Passwort. Laut Gartner entfallen mittlerweile über 60 Prozent aller digitalen Identitäten auf nicht-menschliche Entitäten. Diese Zahl wird weiter steigen, da immer mehr Systeme und Geräte miteinander kommunizieren und autonom agieren. Darunter fallen APIs, Container, Service-Accounts, kryptografische Schlüssel und zunehmend auch KI-Agenten.

Diese Non-Human Identities (NHIs) agieren ohne menschliche Kontrolle, oft mit weitreichenden Zugriffsrechten und bleiben dabei für klassische IAM-Systeme (Identity- und Access-Management) weitgehend unsichtbar. Viele Unternehmen wissen nicht, wie viele dieser Identitäten existieren, ob sie noch benötigt werden oder welche Berechtigungen sie haben. Die Folge: veraltete Zugriffsrechte und ungeschützte Schattenidentitäten, die eine wachsende Angriffsfläche im Verborgenen bieten.

Blindflug im Backend: Warum NHIs klassische Sicherheitsmodelle überfordern

Während moderne IAM-Systeme menschliche Nutzer gut erfassen, fehlen oft Mechanismen, um NHIs zu identifizieren und zu steuern. Die agilen, nicht-menschlichen Akteure stellen klassische Sicherheitsarchitekturen vor technische Herausforderungen.

Ein zentrales Problem bleibt die fehlende Transparenz rund um den Lebenszyklus und die Zugriffsrechte nicht-menschlicher Identitäten. Fehlt diese Übersicht, droht ein Kontrollverlust über sensible Daten. NHIs werden oft ohne robuste Authentifizierungsmechanismen wie Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA) eingerichtet, was ein ideales Einfallstor für Angriffe darstellt. Die technischen Begrenzungen vieler IAM-Systeme verschärfen die Situation. Traditionelle Lösungen sind auf menschliche Nutzer ausgerichtet, dynamische NHIs bleiben meist außen vor.

Nicht zuletzt wird die Bedrohung durch Schattenzugriffe häufig unterschätzt. NHIs können sich lateral durch Netzwerke bewegen, ohne aufzufallen, insbesondere, wenn keine Sicherheitsrichtlinien für deren Verhalten existieren. Autonome KI-Agenten, die zunehmend auf geschäftskritische Daten zugreifen, werden bislang kaum als eigenständige Sicherheitsrisiken betrachtet – ein gefährlicher blinder Fleck im Sicherheitskonzept. Die Konsequenz: Wer NHIs ignoriert, öffnet sein System für Cyberangriffe. Es ist höchste Zeit, auch diese „unsichtbaren Identitäten“ zu sichern.

Neue Antworten auf neue Identitäten: Wie Unternehmen jetzt handeln können

Die Verwaltung und Absicherung von Non-Human Identities erfordert einen grundlegenden Wandel in der Sicherheitsstrategie von Unternehmen. Klassische, infrastrukturzentrierte Ansätze mit starren Zugriffskontrollen stoßen angesichts der dynamischen Natur maschineller Identitäten schnell an ihre Grenzen. Um diesen modernen Herausforderungen zu begegnen, braucht es Sicherheitsmodelle, die nicht länger nur auf technische Infrastruktur, sondern vor allem auf Identitäten und ihr Verhalten fokussieren.

Ein Ansatz ist das Adaptive Identity Management (AIM). Sicherheitsmaßnahmen passen sich flexibel an Typ und Risikoprofil der Identität an. Solche adaptiven Modelle ermöglichen es, Zugriffe exakt an die jeweilige Identität und das Risiko der konkreten Anfrage anzupassen. Das stellt sicher, dass sowohl menschliche als auch maschinelle Identitäten nur auf die jeweils erforderlichen Ressourcen zugreifen, ohne unnötige Rechtevergabe und ohne die Gefahr übermäßiger Zugriffsmöglichkeiten. In Kombination mit Zero Trust wird jede Identität kontinuierlich überprüft, unabhängig von ihrer Herkunft. Identity-First Security und Zero Trust greifen hier ineinander: Jede Identität wird kontextbasiert geprüft, Vertrauen entsteht nicht mehr durch Zugehörigkeit zum System, sondern durch kontinuierliche Authentifizierung.

Umsetzungsstrategien für den sicheren Umgang mit NHIs

Um NHIs effektiv verwalten und überwachen zu können, setzen moderne Sicherheitslösungen auf automatisierte Erkennung und Klassifizierung in Echtzeit. Dabei kommen etablierte Modelle wie die rollenbasierte (RBAC) oder attributbasierte Zugriffskontrolle (ABAC) zum Einsatz, die gewährleisten, dass nur autorisierte Entitäten mit den jeweils richtigen Berechtigungen auf Systeme zugreifen.

Ebenso essenziell: ein durchgängiges Credential Management mit automatisierter Schlüsselrotation, Ablaufüberwachung und Logging. Protokollierung und Auditing müssen NHIs einschließen, um regulatorische Vorgaben zu erfüllen und Sicherheitsvorfälle nachvollziehbar zu machen. Lückenlose Nachverfolgbarkeit stärkt die Reaktionsfähigkeit und ermöglicht frühzeitiges Erkennen von Bedrohungen.

Dieser Paradigmenwechsel hin zu einer identitätszentrierten Sicherheitsarchitektur, die auf kontinuierlicher Authentifizierung und dynamischer Zugriffssteuerung basiert, erlaubt es Unternehmen, nicht nur ihre Systeme nachhaltig zu schützen, sondern ihre Sicherheitsstrategie zukunftssicher aufzustellen.

Branchen mit besonderem Handlungsdruck: Wo NHIs besonders kritisch sind

Non-Human Identities stellen in bestimmten Branchen ein besonders hohes Sicherheitsrisiko dar. Im Finanzsektor sind NHIs aufgrund des Echtzeithandels und der Zahlungsabwicklung besonders gefährdet. Strenge regulatorische Anforderungen wie die DSGVO und Geldwäschevorgaben erfordern eine kontinuierliche Überwachung und Echtzeit-Prüfung dieser Identitäten, um finanzielle und reputative Schäden zu vermeiden.

Im Gesundheitswesen, wo maschinelle Identitäten auf sensible Patientendaten und medizintechnische Geräte zugreifen, ist die Wahrung von Datenschutz und Systemintegrität entscheidend, um Sicherheitsvorfälle und Vertrauensverlust zu verhindern.

Auch im Bereich der IT-Security sind NHIs ein kritisches Element. Sicherheitsabteilungen müssen sicherstellen, dass maschinelle Identitäten, die für Firewalls oder Intrusion Detection Systems (IDS) verwendet werden, ausreichend geschützt sind, da unentdeckte Schwachstellen ein hohes Risiko darstellen.

In all diesen Branchen sind NHIs mehr als nur ein zusätzlicher Risikofaktor: Sie sind unverzichtbare Bestandteile der IT-Architektur, deren Absicherung entscheidend für die Aufrechterhaltung der Sicherheitsstandards ist. Unternehmen müssen proaktive Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass NHIs genauso geschützt werden wie menschliche Identitäten.

Digitale Identitäten ohne Gesicht brauchen echten Schutz

Non-Human Identities sind eine zentrale Herausforderung für moderne IT-Sicherheit. Die zunehmende Nutzung maschineller Identitäten zeigt, dass herkömmliche Sicherheitsansätze, die auf menschlichen Nutzern und statischen Systemen basieren, nicht mehr ausreichen. Vernachlässigen Unternehmen die Absicherung von NHIs, verlieren sie die Kontrolle über ihre Zugriffe und öffnen potenziell jede digitale Tür für Cyberangreifer.

In einer Welt, in der Identitäten zunehmend durch Maschinen repräsentiert werden, sind adaptive, identitätszentrierte Sicherheitsstrategien unerlässlich. Nur durch eine dynamische Sicherheitsarchitektur, die NHIs integriert, können Unternehmen ihre Resilienz langfristig sichern. Eine transparente Strategie mit kontinuierlicher Authentifizierung und präziser Überwachung schützt sowohl menschliche als auch maschinelle Identitäten in Echtzeit.

Die Frage ist nicht mehr, ob Unternehmen sich mit NHIs befassen sollten, sondern wie schnell sie handeln. Wer jetzt handelt, stärkt seine Sicherheitsinfrastruktur und schützt seine digitalen Ressourcen effektiv.

* Stephan Schweizer ist CEO von Nevis Security.


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