„Wer dem KI-Hype blind folgt, riskiert bittere Enttäuschungen“

„KI ist mehr als ein Hype“, sagt der Technologieberater und Buchautor Thomas R. Köhler, der auf dem diesjährigen Sommerevent von T-Systems die Keynote gehalten hat. Die ITWELT.at konnte im Vorfeld ein Interview mit dem Experten führen. [...]

Thomas R. Köhler ist Unternehmer, Technologieberater und Buchautor. (c) Thomas R. Köhler
Thomas R. Köhler ist Unternehmer, Technologieberater und Buchautor. (c) Thomas R. Köhler

Herr Köhler, Ihre Vorträge konzentrieren sich derzeit auf einen „Realitätscheck für Künstliche Intelligenz“. Warum betrachten Sie die KI-Entwicklung eher nüchtern?

Tatsächlich erleben wir derzeit einen immensen Hype um das Thema KI – täglich erscheinen neue Pressemitteilungen und Modelle, die vermeintlich alles besser machen sollen. In der Praxis zeigt sich aber häufig: Selbst mit ausgefeiltem Prompting sind die Ergebnisse oft nur mittelmäßig, und die versprochene Innovation bleibt aus. Heute Morgen beispielsweise habe ich Google Gemini etwas Triviales gefragt – und die Resultate waren nutzloser als eine einfache Google-Suche. Genau dieser Hype sorgt bei vielen Unternehmen für Frustration, sobald sie merken, dass KI in ihrem Umfeld eben nicht „einfach so“ funktioniert.

Wo erleben Unternehmen aktuell die größten Stolpersteine bei der Einführung von KI?

Die Herausforderungen beginnen meist damit, dass die Resultate nicht das halten, was der Hype verspricht. Hinzu kommt das sogenannte Halluzinieren von KI – also die Erzeugung falscher Informationen, die kaum jemand mehr überprüft. Besonders kritisch ist das in zwei Bereichen: 

Erstens in der Softwareentwicklung. Hier wird oft angenommen, Entwickler könnten bald vollständig ersetzt werden – „Vibe Coding“ ist so ein Schlagwort. Dabei besteht die Gefahr, dass generierter Code Sicherheitslücken enthält, die niemand erkennt.

Und zweitens im Kundenservice. Klarna hat beispielsweise versucht, 700 Agenten komplett durch KI zu ersetzen und musste das Experiment rückgängig machen. Der Knackpunkt ist oft die fehlende Bereitschaft, einen menschlichen Filter beizubehalten. In Branchen, bei denen es auf Präzision oder Empathie ankommt, wie etwa bei der Telefonseelsorge, setzen wir aus gutem Grund keine Chatbots ein. Negative Beispiele aus Österreich und den USA zeigen, welche Risiken eine solche Automatisierung bergen kann.

Wie sollten Unternehmen mit diesen Risiken umgehen? Einfach keine KI einsetzen?

Im Gegenteil, es geht darum, ganz gezielt hinzuschauen, was funktioniert und was nicht. Unternehmen brauchen einen praxisorientierten Leitfaden und verlässliche Partner mit echter Projekterfahrung und Branchenkenntnissen. Wer im Bereich KI auf Experimentieren à la „Jugend forscht” setzt, geht ein hohes Risiko ein. Vertrauensvolle Partnerschaften und die Auswahl kompetenter Dienstleister sind essenziell, insbesondere wenn es um sicherheitskritische Anwendungen geht.

Welche Bedeutung hat die Unternehmenskultur im Kontext der KI-Implementierung?

Die Unternehmenskultur ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Angst vor KI – sei es um den eigenen Arbeitsplatz oder allgemein vor dem Unbekannten, dem „Uncanny Valley“ – ist nach wie vor groß. Umso wichtiger ist es, klar zu kommunizieren, dass KI nicht dazu dient, Mitarbeitende zu ersetzen, sondern sie zu unterstützen und die Arbeitsqualität zu erhöhen. Organisationen sollten konsequent positive Beispiele kommunizieren und ihre Teams auf dem Weg aktiv einbinden.

Sie bezeichnen KI als dritte Universaltechnologie neben Computer und Internet. Wo stehen wir Ihrer Einschätzung nach aktuell?

Wir stehen an einem Wendepunkt. KI wird Umbrüche auslösen wie einst Computer und Internet. Momentan sind wir aber noch in der Phase der Kinderkrankheiten. Es herrscht ein regelrechter Hype-Wettkampf; manchmal wird auch Unsinn verbreitet, wenn etwa behauptet wird, heutige GenAI-Modelle seien die Vorstufe einer echten Intelligenz. Das ist Marketing, keine Wissenschaft. Die sogenannte „Allgemeine Künstliche Intelligenz“ (AGI) wird, sofern sie kommt, auf ganz anderen Grundlagen basieren. Wir müssen den Menschen die Angst nehmen und realistisch aufzeigen, was heute machbar ist und wo man Gefahr läuft, sich zu blamieren, wenn man zu weit vorprescht.

Viele Unternehmen sorgen sich wegen regulatorischer Anforderungen wie dem EU AI Act. Überziehen wir aktuell mit der Regulierung?

Der EU AI Act ist gut gemeint, schießt aber weit über das Ziel hinaus. Mit rund 200 Seiten Regularien werden gerade für Startups große Markteintrittshürden geschaffen. Die auslegungsbedürftigen Vorschriften werden erst in einigen Jahren durch Gerichtsurteile klarer sein. Das bremst Innovation. Europa braucht einen „Best of All Worlds“-Ansatz, der unsere Werte schützt, aber auch amerikanischen Innovationsgeist zulässt – anderenfalls geraten wir international ins Hintertreffen.

Wie gelingt pragmatische Datensouveränität im KI-Zeitalter?

Entscheidend ist, den Wert und den Schutzbedarf der eigenen Daten sauber zu bewerten. Nur etwa 3 bis 5 Prozent aller Unternehmensdaten sind wirklich vertraulich und müssen kompromisslos geschützt werden, etwa durch lokale und vertrauenswürdige europäische Dienstleister. Für den Großteil der Daten kann man durchaus pragmatische Ansätze fahren. Es gilt: Identifizieren Sie, welche Informationen besonders schützenswert sind. Für diese ziehen Sie die Mauern hoch, beim Rest können Sie flexibler agieren.

Wie blicken Sie auf die digitale Zukunft Europas?

Ich bin grundsätzlich sehr optimistisch. Der aktuelle Umbruch bringt viel Neugründungs- und Innovationsgeist nach Europa. Die Diskussionen rund um digitale Souveränität, globale Wettbewerber und geopolitische Veränderungen wie die Präsidentschaft von Donald Trump oder Entwicklungen in China stärken den Willen zur europäischen Selbstbestimmung. Wer einen klaren Realitätscheck macht, vertrauenswürdige Partner wählt, die Organisation mitnimmt und Regulierung mit Augenmaß betreibt, hat hervorragende Chancen auf nachhaltigen Erfolg.

Man kann also durchaus optimistisch in die Zukunft schauen, aber eben nicht mit einem „Hurra, alles ist ganz toll“-Gefühl, sondern ausdifferenziert und mit einem klaren Blick für die Realität.

Weitere Informationen zu Thomas R. Köhler finden Sie hier und hier.


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