Wie sich Unternehmen in der Cloud neu erfinden

Siemens, Ikea, Starbucks, 3M: So sorgen die großen Unternehmen für Innovation in der Cloud. [...]

Live Experten Diskussion am 19.10.
Live Experten Diskussion am 19.10. (c) Pixabay

Wie gelingt es, den Mehrwert aus der Cloud herauszukitzeln? Das ist die Gretchenfrage für viele Unternehmen, die derzeit überlegen, wohin ihre künftige Cloud-Reise führen soll. Diesen Pfad festzulegen scheint allerdings alles andere als einfach zu sein. Nachdem die Betriebe zuletzt vor allem einfache Workloads beispielsweise rund um Collaboration in die Cloud verlagert haben, geht es jetzt ans Eingemachte: Die Kern-IT mit ihren komplexen Business-Abläufen, die weit verzweigt durch verschiedenste Backend-Anwendungen laufen, in die Cloud zu hieven.

Doch hier beginnen die Probleme. Viele Unternehmen hätten ihre Cloud-Projekte verlangsamt oder sogar ganz gestoppt, berichten die Berater von Accenture. Einige seien in der experimentellen Phase stecken geblieben und wüssten nicht, wie es weitergehen soll. Wieder andere hätten keinen klaren Business Case identifizieren können, der für eine intensivere Cloud-Nutzung gesprochen hätte.

Auch die Cloud braucht einen Business-Case

Die meisten Betriebe erledigen Accenture zufolge im Schnitt 20 bis 40 Prozent ihrer Work­loads in der Cloud – zumeist die einfacheren, weniger komplexen Aufgaben. Das Problem dabei: Oft haben sie die erhofften Ergebnisse nicht erzielen können. Das macht es schwierig, einen Business Case für die nun folgenden Cloud-Vorhaben zu rechnen, die komplexer und damit natürlich auch aufwendiger sind.

Es gibt viele Gründe, warum es in der Cloud-Migration hakt. Accenture nennt Schwierig­keiten, sich in komplexen Altsystemen zurechtzufinden. Auch sei es nicht trivial, vorhandene Geschäfts- und Betriebsmodelle zu ändern. Dazu kämen Bedenken hinsichtlich Security und Compliance sowie Probleme beim Brückenschlag zwischen IT und den Fachabteilungen. Nach wie vor gebe es viele Vorurteile gegenüber der Cloud, zum Beispiel hinsichtlich der Sicherheit. Dabei könnten Cloud-Anbieter weitaus bessere Sicherheitsvorkehrungen anbieten, als dies Unternehmen in ihren Rechenzentren on-Premises möglich sei.

Tipp: Computerwelt Live Roundtable zum Thema „Cloud: Wo steht Österreich? am 19.10.

Darüber hinaus hält sich nach Ansicht der Accenture-Berater hartnäckig das Missverständnis über den langfristigen Wert der Cloud: Viele Verantwortliche in den Betrieben sehen die Cloud einfach als billige Alternative für ihr Rechenzentrum an. Das werde dem Betriebsmodell aber bei weitem nicht gerecht. Vielmehr bilde die Cloud die Basis, Prozesse und ganze Geschäftsmodelle neu zu denken und so die künftige Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Dafür brauche es neue Customer Experiences, einen intelligenten Umgang mit Daten und schnellere Entwicklungszyklen, sagt Tobias Regenfuß, verantwortlich für den Bereich Intelligent Cloud & Infrastructure in der DACH-Region von Accenture. „Cloud-Plattformen – insbesondere die von Microsoft, Amazon und Google – liefern die Basis für eine neue IT, die komplett anders entwickelt und betrieben wird. Das schafft echten Mehrwert.“

Accenture spricht an dieser Stelle von einem Cloud Continuum (PDF). Vereinfacht gesagt geht es dabei darum, die Cloud nicht nur als Projekt mit einem Startpunkt und einem Ziel zu verstehen, sondern als Basis für eine beständige kontinuierliche Transformation von Systemen, Prozessen und Geschäftsmodellen. Die Berater räumen ein, dass dies leichter gesagt als getan sei. Sie müssten dafür eine Reihe weiterer Aspekte im Cloud-Kosmos im Blick behalten und einschätzen können. Dabei handelt es sich um Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), Container und Robotic Process Automation (RPA), aber auch Architekturfragen wie Multi­-Cloud, Microservices und Serverless Computing sowie angrenzende Bereiche wie das Internet of Things (IoT) und Edge Computing.

Es gibt jedoch eine Reihe von Unternehmen, die die Cloud bereits als Plattform und Katalysator für die eigene digitale Transformation verstehen. Hier einige Beispiele:

Siemens: Mit Mindsphere eigene Plattform in der Cloud gebaut

Siemens hat sich schon 2012 auf eine strate­gische Zusammenarbeit mit Amazon Web Services eingelassen. Daraus hervorgegangen ist Mindsphere, eine cloudbasierte Plattform, die auf nativen AWS-Technologien aufsetzt und 2017 vorgestellt wurde. Das System kann Daten in Echtzeit von einer Vielzahl von Geräten und Sensoren in Anlagen, Systemen, Maschinen und Produkten verarbeiten, die über verschiedene Produktionsprozesse und Lieferketten verteilt sind. Die zugrunde liegende Architektur ist so zugeschnitten, dass Edge- und Cloud-Computing nahtlos zusammenarbeiten.

Getestet hat Siemens Mindsphere in einer ­Fabrik in Monterrey, Mexiko, die jährlich mehr als 28 Millionen Schutzschalter und Schalter für den US-Markt herstellt. Das Werk hatte Schwierigkeiten, die Gesamteffizienz der An­lagen zu überwachen, einschließlich ungeplanter Ausfallzeiten und ungleichmäßiger Qualität in der Produktion. Durch die Anbindung des Werks an die Cloud können die Mitarbeiter heute Probleme, wie zum Beispiel eine nicht funktionierende Maschine, in Echtzeit erkennen und sofort Maßnahmen einleiten.

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Die Siemens-Verantwortlichen haben in der Folge kontinuierlich an ihrer Cloud-Strategie gearbeitet. Im Jahr 2018 stellten die Münchner Mindsphere auf Microsoft Azure zur Verfügung. 2019 kündigten sie eine Kooperation mit Google Cloud an, um Fabrikprozesse zu optimieren und die Produktivität in der Fertigung zu ­verbessern. Durch die Kombination der Daten-Cloud und der KI-/Machine-Learning-Funktionen aus der Google Cloud mit dem Siemens-Portfolio Digital Industries Factory Automation können Anwender beispielsweise Produkte visuell prüfen oder den Verschleiß von Maschinen vorhersagen.

Siemens nutzt die Cloud in der gesamten Breite ihrer Möglichkeiten. Der Konzern kombiniert die Multi-Cloud inklusive der dort verfügbaren Services mit einer eigenen Plattformentwicklung. Damit optimiert Siemens nicht nur die eigene Produktion, sondern kann seinen Kunden in die Cloud verlängerte Lösungen mit Zusatzdiensten anbieten.

Carlsberg: Sensoren im Bierfass

Die Brauerei Carlsberg kämpfte vor einigen Jahren mit Problemen: Steigende Kosten und der sich wandelnde Kundengeschmack machten den Dänen zu schaffen. Die Verbraucher verlagerten ihren Konsum von Bier auf Wein, Spirituosen und neue Craft-Biere. Manche wandten sich auch ganz von alkoholischen Getränken ab. Das Management erkannte, dass sich Carlsberg in ein digitales, cloudbasiertes Unternehmen verwandeln musste, um den Umbruch zu bewältigen und das Unternehmen für künftiges Wachstum auszurichten.

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2016 startete Carlsberg das Programm „Sail ’22“ (PDF). Ziel war es, die Betriebskosten um ein Drittel zu senken und die Einsparungen in künftiges Wachstum zu reinvestieren. Der Bierbrauer verlagerte 100 Prozent seiner globalen Prozess-Workloads in die Microsoft Azure Cloud und baute darauf erste Innovationen auf. Ein neues leichteres Bierfass wurde mit IoT-Sensoren ausgestattet, um den Verbrauch in Echtzeit zu messen. Anhand dieser Daten ließen sich Marketingkampagnen zielgerichteter steuern. Als „intelligente Brauerei“ nutzt Carlsberg auch intern IoT-Sensoren, um Probleme während des Produktionsprozesses zu erkennen und automatisch Wartungsanfragen zu stellen. Über die Einrichtung eines neuen Servicedesks ließen sich zudem Prozesse standardisieren – inklusive der Anwendung intelligenter Tools und der Optimierung von Teamkonfigurationen.

Die Bemühungen von Carlsberg zeigten schnell Ergebnisse: Größere Systemvorfälle sind von durchschnittlich 13 pro Monat auf fünf zurückgegangen. Dank des variablen Kostenmodells der Cloud konnten die Dänen außerdem ihre Betriebskosten deutlich senken. Außerdem hat das Unternehmen mehr Fahrt aufgenommen. Neue Initiativen und Kampagnen ließen sich auf Basis der Cloud-Plattform innerhalb von Stunden und nicht erst nach Monaten starten.

„Der Einsatz von Self-Service und Bots, die auf Fragen in natürlicher Sprache antworten, geht weit über das hinaus, was wir vorher hatten“, sagt Carlsberg CIO Sarah Haywood. Die Mit­arbeiter könnten ihre Intelligenz auf die Dinge konzentrieren, die für die Kunden und Verbraucher einen Unterschied machen. „Wir haben die Lücke zwischen unserer Technologie und unserem Geschäft geschlossen.“

Ikea: Jeder Tag war auf einmal Black Friday

Wie wichtig eine funktionierende Cloud-Strategie gerade in einer Krise sein kann, hat Ikea kurz nach dem Corona-Ausbruch 2020 erfahren. „Stellen Sie sich vor, Sie hätten jeden einzelnen Tag Bestellungen über E-Commerce, die einem Black Friday entsprechen“, blickt Barbara Martin Coppola, Chief Digital Officer (CDO) von Ikea Retail, zurück. „Wir haben das E-Commerce-Volumen in sehr kurzer Zeit mehr als ver­doppelt.“ Zupass kam dem schwedischen Möbelbauer, dass bereits einige Jahre zuvor gemeinsam mit Google Cloud die Grundlage für die digitale Transformation gelegt worden war.

Als Corona zuschlug, musste es schnell gehen bei Ikea: Kapazitäten für E-Commerce wurden massiv erweitert und geschlossene Filialen zu Fullfillment-Zentren umgebaut. So sei Ikea in der Lage gewesen, seine tech­nische Infrastruktur sofort umzustellen und geschlossene Filialen in Fulfillment-Zentren umzuwandeln sowie kontaktlose „Click-&-Collect“-Dienste anzubieten. Durch den Einsatz von Google Cloud und anderen Serverless-Schlüsseltechnologien seien innerhalb von Wochen und Tagen Dinge erreicht worden, die normalerweise Jahre oder Monate gedauert hätten.

Die Ikea-Verantwortlichen wollen sich in Zukunft mithilfe der Cloud ständig neu zu erfinden. „Dank der Cloud sind wir in der Lage, eine echte Datenanalyse- und KI-Revolution zu erleben“, sagt Martin Coppola. On-Premises hätte das aus Kapazitätsgründen nicht funk­tioniert. „Das war ein sehr wichtiger Schritt auf dem Weg, Algorithmen in alles einzubinden, was wir tun“, sagt die CDO.

Starbucks: Immer die Customer Experience im Blick

Auch Starbucks lernte in der Krise dazu. Für die Kaffee-Kette ging es vor allem um Agilität und Speed – in Prozessen, aber auch in der Technologie. Nach dem Schock der Rezession 2008 führte Starbucks WiFi in den Filialen ein, ebenso wie mobile Zahlungsoptionen und Treueprogramme. Ein Großteil des Starbucks-Geschäfts ist bereits seit vielen Jahren cloudfähig. Das bildet die Grundlage, auch in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheiten weiter Innovationen zu entwickeln und zu wachsen.

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Starbucks setzt auf die Cloud, um Geschäft und IT-Abteilung in Einklang zu bringen, sagt Gerri Martin-Flickinger, Chief Technology Officer (CTO) von Starbucks. „Wir nutzen Daten, um beispielsweise das Erlebnis für unsere Kunden und Partner kontinuierlich zu verbessern.“ Da das Kundenerlebnis eine wichtige Kennzahl für ein Unternehmen wie Starbucks ist, hat das Unternehmen eine KI-gesteuerte Empfehlungs­plattform namens „Deep Brew“ auf der Cloud-Infrastruktur Microsoft Azure entwickelt. Diese Plattform unterstützt wöchentlich mehr als 100 Millionen Kunden und bietet personalisierte Empfehlungen im Laden und am Drive-in. KI-gesteuerte Espressomaschinen ermöglichten es den Mitarbeitern, sich auf die individuelle Zubereitung des Kaffees zu konzentrieren. Predictive Maintenance soll außerdem Ausfallzeiten von Espressomaschinen reduzieren und Reparaturen erleichtern.

Starbucks lässt auch Raum für Experimente. Beispielsweise läuft die App-Entwicklung im Stil eines Hackathons. Das Ziel ist, so viele ­Ideen wie möglich in kürzester Zeit zu ent­wickeln. Eine dieser Ideen ist die digitale ­Rückverfolgbarkeit von der Bohne bis zur Tasse über Blockchain, eine In-App-Funktion für Kunden und Lieferanten gleichermaßen.

3M: Agil bleiben, ohne aus dem Takt zu kommen

3M begann seine Cloud-Reise im Jahr 2016 und wählte AWS als Partner. Das Unternehmen begann mit einigen wichtigen Anwendungen und verlagerte nach und nach immer mehr in die Cloud. Dann brach die COVID-19-Pandemie aus. Krankenhäuser benötigten dringend Schutzausrüstung. 3M verzeichnete eine nie dagewesene Nachfrage nach seinen Atemschutzmasken. Agilität war der Schlüssel, um den Bedarf zu decken.

„Was wir erreichen wollten, war, die Richtung schnell ändern zu können, ohne den Takt zu verlieren“, sagte Michael G. Vale, EVP der Safety & Industrial Business Group bei 3M. Noch müsse man sich an den neuen Rhythmus gewöhnen, „aber ich denke, wir kommen voran“, sagt Vale. Bis Ende 2020 hatte das Unternehmen seine weltweite Produktion von N95-Atemschutzmasken auf mehr als 1,1 Milliarden Stück pro Jahr verdoppelt. Effiziente Liefer­ketten und eine integrierte Geschäftsplanung halfen dabei, aber ein entscheidender Faktor waren die Praktiken von 3M in der Cloud.

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In einer der Produktionsstätten war es beispielsweise schwierig, die Daten aus den Produktionssystemen zu erfassen, zu übertragen und zu nutzen. Die Verantwortlichen beschlossen, Big Data lokal zu verarbeiten und zu analysieren – mit Microsoft Azure SQL Edge. Ziel war es, Daten vom lokalen SQL-Server des Werks auf Azure SQL Edge zu übertragen, nachgelagerte Anwendungen in die Lage zu versetzen, die im SQL Edge-Gerät gespeicherten Daten zu nutzen und sie dann zur weiteren Verwendung in die Cloud hochzuladen. Mit dieser neuen Edge-Fähigkeit und den daraus resultierenden schnellen und optimierten Prozessen konnte 3M die Probleme in der Fertigungslinie vorhersagen und so die betriebliche Effizienz verbessern sowie Kosten einsparen.

Cloud-Migration: 5 Schritte zum Erfolg

Die Migration von Kernsystemen und Daten ist die Grundlage für eine erfolgreiche Cloud-Reise – aber das ist nur die Basis, laute das Fazit der Accenture-Berater. Danach müssen sich die Unternehmen immer wieder die Frage stellen, wie sie die Cloud nutzen können, um Wachstum und Mehrwerte zu generieren. Accenture empfiehlt für die Migration in die Cloud ein Vorgehen in fünf Schritten:

  1. Migrieren und skalieren: Nur wenn Unternehmen den Großteil Ihrer Prozesse in die Cloud migrieren, können sie deren vollen Geschäftswert ausschöpfen und ihre Effizienz, Belastbarkeit und Kundenorientierung stärken.
  2. Das Beste aus den Hyperscalern herausholen: Unternehmen sollten sich langfristig auf einen Cloud-Partner festlegen, um die Zusammenarbeit möglichst erfolgreich zu gestalten. Hyperscaler seien an langjährigen Kooperationen interessiert und oft bereit, selbst zu investieren, um die Partnerschaft in Gang zu bringen.
  3. Modernisieren und beschleunigen: Einfach nur die Cloud einführen – das macht einen Betrieb noch nicht zu einem Cloud-Native-Unternehmen. Um die gesamte Landschaft zu modernisieren, gilt es, zusätzlich Anwendungen und Services speziell für die Cloud zu entwickeln. „Ein Cloud-Native-Unternehmen zu werden ist ein bisschen so, als würde Ihre Unternehmens-IT eine neue Sprache lernen“, heißt es bei Accenture. „Wenn Sie ‚Cloud‘ sprechen wollen, müssen Sie die Technologie konsequent annehmen.“
  4. Ausführen und optimieren: Das Betriebsmodell einer Cloud-Umgebung ist ganz anders als das einer klassischen IT-Infrastruktur. Die Kapazitäten verwalten Unternehmen nicht mehr durch den Kauf und Betrieb physischer Hardware, sondern indem kontinuierlich Verbrauch, Kapazität, Leistung und Kosten überwacht werden. Das erfordert ganz neue Fähigkeiten und betriebliche Funktionen.
  5. Erneuern und wachsen: Die Cloud eignet sich ideal dafür, schnell mit neuen Ansätzen zu experimentieren. Unternehmen können neue Umgebungen sofort in Gang setzen und mehrere Ideen parallel erproben, um herauszufinden, welche am besten funktioniert. „Die Cloud ist ein Katalysator für Unternehmen, die sich neu erfinden wollen.“

* Martin Bayer ist stellvertretender Chefredakteur der Computerwoche


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