Den richtigen Cloud-Anbieter zu finden, ist schwierig. Schließlich unterscheiden sich die fünf größten Public Cloud Provider nicht nur in Sachen Preis. [...]
Beim Aufbau von IT-Infrastrukturen, die für das Arbeiten von zu Hause und das sogenannte „New Normal“ dringend benötigt wurden, haben Cloud-Technologien in den vergangenen Monaten eine entscheidende Rolle gespielt. Durch sie konnten Dienste wie Remote Access, Cloud Security oder SaaS-basierte Collaboration-Umgebungen mitunter sogar über Nacht bereitgestellt werden. Während Internet Service Provider zeitweise mit erhöhten Ausfällen zu kämpfen hatten, konnten sich Cloud-Provider in den ersten Monaten der Pandemie gut behaupten und hatten vergleichsweise wenige Ausfälle zu verzeichnen.
Selbstverständlich sind die Erkenntnisse über Zuverlässigkeit und Stabilität auch an Entscheidern und IT-Verantwortlichen nicht spurlos vorübergegangen. Die Pandemie hat die Diskussion über eine mögliche Cloud-Migration innerhalb vieler Organisationen erheblich beschleunigt oder erst in Gang gesetzt.
Klar ist, dass der Prozess zur Auswahl des passenden Cloud-Anbieters die jeweiligen geschäftlichen Anforderungen widerspiegeln muss – allerdings gibt es noch eine Reihe weiterer Faktoren, die Unternehmen prüfen sollten, bevor sie sich für einen Anbieter entscheiden.
Der Cloud Performance Report 2019/2020 von ThousandEyes hat die Leistung der größten Cloud-Anbieter – Amazon Web Services (AWS), Google Cloud Platform (GCP), Microsoft Azure, IBM Cloud und Alibaba Cloud – untersucht und dabei einige Schlüsselfaktoren identifiziert, die sich bereits in der Vergangenheit als besonders aussagekräftig erwiesen haben. Die untersuchten Faktoren für Cloud-Services sollten bei grundlegenden strategischen Entscheidungen zur Cloud-Migration in betroffenen Unternehmen in jedem Fall unter die Lupe genommen werden.
Cloud-Anforderungen: Auf die Verbindung kommt es an
Die Anforderungen an Unternehmen verändern sich derzeit grundlegend, weshalb IT-Infrastrukturen angepasst werden müssen. So übernimmt die Cloud mehr und mehr die Rolle des eigenen Rechenzentrums, während das Internet als Infrastruktur zur Bereitstellung von Cloud Computing und SaaS zum neuen Unternehmensnetz wird.
Betrachtet man die Cloud-Architekturen der verschiedenen Anbieter, so gibt es im Wesentlichen zwei unterschiedliche Ansätze der Netzwerkinfrastruktur: Einige Cloud-Anbieter greifen zum Transport des Datenverkehrs auf das Internet zurück. Andere Anbieter wiederum nutzen ihr jeweiliges privates Backbone für den Datenverkehr vom Benutzer zur Hosting-Region. AWS und Alibaba Cloud zum Beispiel verlassen sich vor allem auf das frei zugängliche Internet, während Google Cloud Platform (GCP) und Microsoft Azure eher auf private Backbones zurückgreifen. IBM Cloud ist der einzige Anbieter, der je nach Hosting-Region zwischen den beiden Möglichkeiten differenziert.
Das Problem: Das Internet besteht aus einer komplexen Kombination von ISP-Netzwerken und Services, die anfällig für Sicherheitsbedrohungen, DDoS-Angriffe und Ausfälle sind. Die Abhängigkeit vom Internet – und den damit verbundenen Unsicherheiten hinsichtlich der Performance – hat somit zur Folge, dass ein mögliches Risiko für Cloud-Investitionen entsteht. Basiert die übergeordnete Architektur des Cloud-Services auf einem privaten Backbone, ergibt sich für Kunden eine bessere Vorhersagbarkeit zur Performance. Diese Sicherheit kommt aber selbstverständlich nicht umsonst, sondern gegen eine zusätzliche Gebühr.
Entscheiden sich Unternehmen für Cloud-Anbieter, deren Services auf einem privaten Backbone basiert, ist allerdings nicht immer sichergestellt, ob sich aus der zusätzlichen Investition tatsächlich ein Vorteil ergibt. Aufgrund dieses Mangels an Leistungsnachweisen fragen sich viele Kunden, ob sich die zusätzlichen Kosten wirklich lohnen.
Je nach regionalen Übertragungswegen und geografischen Besonderheiten in der Netzwerkarchitektur der Anbieter kann die Antwort auf diese Frage unterschiedlich ausfallen. So haben zum Beispiel Untersuchungen und Tests gezeigt, dass der AWS Global Accelerator bei der Mehrzahl der Übertragungen die versprochene Leistung erbrachte. Trotz zahlreicher weltweiter Beispiele für Performance-Steigerungen ist der Global Accelerator jedoch keine Universallösung.
Der daraus gewonnene Nutzen war unter bestimmten Umständen marginal oder sogar noch schlechter als die Ausgangswerte einer regulären Internet-Verbindung. Der Weg über das frei zugängliche Internet kann in manchen Situationen schneller und zuverlässiger sein als der Global Accelerator.
Damit Unternehmen den für sie optimalen Cloud-Anbieter auswählen können, müssen sie sich vor allem zwei Fragen stellen:
- Welchen Ansatz verfolgt der gewünschte Cloud-Anbieter hinsichtlich des Transports der Daten in die Hosting-Region?
- Wie hoch ist die eigene Risikotoleranz?
Ein weiterer kritischer Indikator ist die interregionale Konnektivität, insbesondere für Unternehmen, die eine mehrstufige, multiregionale Infrastruktur einführen wollen. Mehrstufige Architekturen sind oftmals erforderlich und stellen für viele Unternehmen eine essentielle Voraussetzung bei der Errichtung ihrer Cloud-Architektur dar. Die geografische Ausdehnung kann sich andererseits jedoch schrittweise auf die Latenz innerhalb des Netzwerks auswirken und die Nutzererfahrung beeinträchtigen. Am besten lässt sich dieses Problem anhand eines Beispiels verdeutlichen:
Vergleicht man die einzelnen Cloud-Anbieter anhand der durchschnittlichen bilateralen Latenzzeit zwischen den Rechenzentren in London und Mumbai, ergeben sich durchaus folgende Unterschiede: Während Alibaba Cloud und AWS mindestens 10 Prozent besser abschneiden als das frei verfügbare Internet, performte GCP trotz eines eigenen Backbones 30 Prozent langsamer.
Um die besten Routen für Load-Balancing-Anwendungen auszuwählen, sollten daher die Netzwerkkonnektivität und die Latenzzeit über geografische Regionen hinweg berücksichtigt werden. Wenn man weiß, welche geografischen Routen im eigenen Fokus liegen und wie performant diese bei den jeweiligen Anbietern sind oder bei welchen Verbindungen Anomalien auftreten können, ist strategisch bereits einiges gewonnen.
Bei multiregionalen Infrastrukturen sollten Unternehmen somit auch darauf achten, wie die eigenen Anwendungen sinnvoll verteilt werden können. Auf diese Weise stellen sie sicher, dass sie sowohl den eigenen Mitarbeitern wie auch Geschäftskunden einen optimalen Service und die beste Performance bieten.
Cloud-Anbieter im Vergleich: Licht und Schatten
Haben Verantwortliche und Entscheider schlussendlich die wichtigen Aspekte, auf die es bei der Auswahl eines geeigneten Anbieters ankommt, identifiziert, ist es im nächsten Schritt sinnvoll, sich die dezidierten Ergebnisse des Cloud Performance Reports anzusehen. Hierbei wird je nach verwendeter Infrastruktur, der genutzten geographischen Besonderheiten und der gemessenen Performance unterschieden. Nachfolgend sind daher die wichtigsten Ergebnisse der einzelnen Anbieter aufgelistet:
- AWS weist allgemein eine geringe Latenz auf und konnte besser als im Vorjahr abschneiden. Die Kennzahlen zur Vorhersehbarkeit der Leistung haben sich deutlich verbessert, in Asien gab es zudem eine starke Verringerung der Variabilität um 42 Prozent. Im Vergleich zu Microsoft Azure und Google Cloud Platform hat AWS jedoch immer noch eine geringere Leistungsvorhersehbarkeit, da der Provider weitgehend das frei zugängliche Internet anstelle eines eigenen Backbones nutzt.
- Microsoft Azure überzeugt weiterhin durch die sehr gute Netzwerk-Performance. Diese hat ihren Grund in der Nutzung eines eigenen Backbones, das für den Datenverkehr der Kunden in der Cloud-Umgebung genutzt wird. Besondere Veränderungen im Vergleich der Daten zum Vorjahr ist eine 50-prozentige Verbesserung der Vorhersehbarkeit der Performance in Sydney, während in Indien ein Rückgang der Leistungsvorhersehbarkeit um 31 Prozent zu verzeichnen war. Trotz eines leichten Rückgangs gegenüber dem Vorjahr ist Microsoft Azure in Asien im Vergleich zu den anderen Cloud-Anbietern weiterhin führend bei der Vorhersage von Leistungszahlen.
- Bei Google Cloud favorisiert man weiterhin die Nutzung des eigenen Backbones beim Transport der Daten in der Cloud. Benutzer profitieren von einer starken Performance in den meisten Hosting-Regionen. Google weist weltweit aber immer noch einige signifikante Lücken auf, die noch nicht geschlossen wurden. So braucht der Datenverkehr aus Europa und Afrika etwa 2,5 bis 3-mal länger, um nach Indien zu gelangen, da Daten zunächst um die Welt reisen, anstatt eine direkte Verbindung zu nutzen. Google Cloud verringerte zudem die Transparenz des internen Netzwerks, so dass es schwieriger wurde, die Netzwerkpfade und -leistung zu analysieren.
- Alibaba Cloud bietet im Vergleich zu anderen Providern eine ähnliche Performance. Der Provider ähnelt AWS in Bezug auf Verbindungsmuster, Regionspositionen und sogar der einzelnen Benennung von Regionen. Wie AWS setzt Alibaba Cloud für den Großteil des Datenverkehrs stark auf das frei zugängliche Internet und nicht auf ein eigenes privates Backbone. Besonders ist hierbei, dass der Datenverkehr zwischen Regionen nicht zwischen einzelnen Rechenzentren von Alibaba Cloud stattfindet, sondern aus der internen Cloud austritt, das Internet durchquert und anschließend wieder in das regionale Cloud-Netzwerk eintritt.
- Die Performance von IBM Cloud ist mit der anderer großer Cloud-Provider vergleichbar. IBM verfolgt einen hybriden Ansatz beim Transport des Datenverkehrs, in dessen Rahmen die Nutzung des eigenen privaten Backbones und des frei zugänglichen Internets variiert, abhängig davon, auf welche Regionen der Zugriff erfolgt.
Cloud-Migration: Trotz COVID-19 geht es weiter
Spätestens seit dem Frühjahr 2020, als im Zuge der weltweiten Pandemie Unternehmen mehr denn je auf diese Technologie zählen mussten, sind die Vorteile durch die Nutzung von Cloud-Diensten unbestritten. Dabei blieben Ausfallspitzen in der Vergangenheit, wie zum Beispiel vor einem Jahr, als sich viele Unternehmen in Deutschland auf Homeoffice-Szenarien einstellten, glücklicherweise die Ausnahme . Die darauf folgende Optimierung der Infrastruktur und die damit verbundenen Investitionen der Cloud-Anbieter scheinen sich schlussendlich auch gelohnt zu haben, wenn man aktuelle Daten mit denen aus den vergangenen Jahren vergleicht.
Auch in Zukunft wird das Thema Cloud-Migration für Unternehmen von großer Bedeutung bleiben, um dem heutigen „New Normal“ mit vermehrtem Homeoffice und einer hohen Anzahl an Online-Kunden gerecht zu werden. Bei der Evaluierung ihrer Strategie müssen Entscheider und IT-Verantwortliche jedoch einige Schlüsselindikatoren betrachten, um eine ausgewogene und langfristig stimmige Entscheidung zu treffen. Anstatt sich bei der Auswahl eines Cloud-Anbieters auf Annahmen oder ein bloßes Bauchgefühl zu verlassen, ist es essentiell, die Leistung und weitere Faktoren der Anbieter zu vergleichen.
*Tobias Schneider ist Digital Experience Monitoring Sales Specialist bei ThousandEyes.
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