Corona hat die Welt immer noch im Griff – und lenkt auch weiterhin die Themen, die die IT-Branche in den nächsten Monaten bewegen. [...]
Eine Videokonferenz mit den Kollegen – und statt des grauen Großraumbüros die heimische Schrankwand oder das letzte Urlaubsfoto im Hintergrund. Wenn es ein Thema gibt, das die IT-Abteilungen in den vergangenen eineinhalb Jahren auf Trab gehalten hat, dann ist das mit Sicherheit das Home Office.
„New Work“ dürfte auf absehbare Zeit eines der wichtigsten Themen für Unternehmen und speziell für die IT-Abteilungen sein – also neue Arbeitsmodelle und -formen wie Home Office, mobiles Arbeiten, flexible Bürogestaltungen oder Vertrauensarbeitszeit. „Das Rad ist nicht mehr zurückzudrehen“, konstatiert Marco Burk. Viele Mitarbeiter hätten sich an die Vorteile der Remote-Kultur gewöhnt und würden diese mittlerweile spätestens über den Arbeitsmarkt einfordern, so die Erfahrung des Vice President beim IT-Dienstleister CGI.
Und das belegen auch die Zahlen: 69 Prozent der Arbeitnehmer, die Home Office bei ihrer Tätigkeit grundsätzlich für möglich halten, wünschen sich auch nach der Corona-Krise mehr Home Office als zuvor.
Gekommen, um zu bleiben
„Unsere Arbeitswelt hat sich nachhaltig verändert, wir werden nicht zurückkehren zu alten Mustern“, ist die klare Einschätzung auch von Joachim Schreiner, Deutschland-Chef von Salesforce. Bei dem Cloud-Unternehmen hätten vor der Pandemie rund 20 Prozent der Mitarbeiter vollständig im Home Office gearbeitet. Der Anteil derer, die auch in Zukunft komplett im Home Office bleiben möchten, stieg laut Schreiner dabei nur geringfügig auf 22 Prozent. Jedoch: Die Zahl der Arbeitnehmer, die jeden Tag ins Büro kommen möchten, sei von 80 Prozent deutlich gesunken auf 15 Prozent. „Zwei Drittel unserer Beschäftigten werden daher zukünftig flexibel arbeiten und zwischen Büro und Home Office wechseln.“
Wenn man sich die Zahlen und Statements ansieht, dann verwundert es nicht, dass Unternehmenslenker in der Top-100-Umfrage von com! professional den Trend zu New Work – auch Modern Workplace genannt – als eines der wichtigsten Zugpferde für die IT in den kommenden Jahren nennen (siehe Grafik).
Auch wenn es sich bei New Work auf den ersten Blick um ein IT-Thema handelt, Stichwort mobile Geräte und deren Absicherung, so ist New Work vor allem auch ein Managementthema – und eine Sache des Vertrauens, so die Ansicht von Elisabeth Denison, Chief People Officer im Executive Committee des Beratungshauses Deloitte. „Im Kern geht es in der neuen Arbeitswelt um Vertrauen.“ Für die Einschätzung von Leistung sei dabei der Output entscheidend und nicht mehr der Input in Form von Stunden oder Anwesenheit. Führungskräfte sollten darauf vertrauen, dass die Mitarbeiter die ihnen übertragenen Aufgaben selbst organisiert lösen. New Work bedeutet Denison zufolge mehr Eigenverantwortung, Kooperation, Selbstverwirklichung und auch Sinnhaftigkeit. Viele Unternehmen seien mit ihren Mitarbeitern schon große Schritte in diese Richtung gegangen, „entscheidend ist, hier nicht den Anschluss zu verlieren.“
New Work auf Biegen und Brechen ist allerdings keine Lösung. Dirk Pothen bremst hier die Euphorie etwas. Das Vorstandsmitglied beim IT-Dienstleister Adesso vertritt die Auffassung, dass ein vollständiges Remote-Arbeiten zwar gehe – aber nur für eine gewisse Zeit. „Danach müssen wir sehr genau schauen, wo ist Präsenz erforderlich und wo ist mobiles Arbeiten nicht nur möglich, sondern auch die bessere Variante.“ Er plädiert daher für ein flexibles und an die jeweiligen Gegebenheiten angepasstes Modell, „sozusagen gesunder Menschenverstand vor Prozessregel“.
Auch Marcus Metzner, CMO beim Dienstleister Arvato Systems, sieht den Trend zu New Work einerseits als Zugpferd, andererseits aber auch als Bremsklotz für IT-Projekte. „Allen Beteiligten fehlt tatsächlich die Begegnung vor Ort“, so der CMO. Trotz der Vorteile von Videokonferenzen & Co.: „Gewisse Dinge lassen sich im gemeinsamen Austausch vor Ort noch einmal anders lösen.“ Das betreffe vor allem die Stimmung im Team, „die Verve eines Projekts“.
Bei allen Überlegungen pro und contra New Work sollte man auch die Kulturfrage auf keinen Fall vergessen. Sie ist nicht nur ein zusätzlicher, sondern ein zentraler Aspekt. Das Ziel muss es sein, kleine und große Veränderungen im Unternehmen gemeinsam anzustoßen. Es sei entscheidend, dass man als Team die Unternehmenskultur, die man haben wolle, gestalte und vorlebe, betont Jörg Messner, Managing Director beim Dienstleister Lufthansa Industry Solutions. „Das gilt für jeden Mitarbeitenden in einem Unternehmen, unabhängig von seiner Rolle.“
Dabei sollten Führungskräfte nicht übersehen, dass es auch Mitarbeiter gibt, die sich mit dem neuen Möglichkeiten und der damit einhergehenden Verantwortung schwertun. Hierzu führte Lufthansa Industry Solutions im vergangenen Jahr eine Studie unter mehr als 1.000 Arbeitnehmern aus verschiedenen Branchen durch. Demnach fühlen sich 29 Prozent der Befragten von den neuen Arbeitswelten überfordert. Es liegt an den Führungskräften, diese Mitarbeiter mitzunehmen, ihnen Unterstützung und Orientierung zu bieten und auch Berührungsängste abzubauen. Das kann durch Schulungen geschehen oder auch durch Teammitglieder, die das übrige Team motivieren und mit auf die Reise nehmen.
Cloud als Zugpferd Nummer eins
Rein auf die Technologie bezogen, ist und bleibt alles rund um die Cloud ein Top-Thema und das Zugpferd schlechthin für die IT. Interessant sei dabei, so Marco Burk von CGI, dass man in diesem Bereich nicht mehr nur von Pilotprojekten und initialen Cloud-Native-Lösungen spreche, sondern dass „mittlerweile zunehmend die Migration der gesamten Legacy-Applikationslandschaft auf flexiblere und skalierbarere Cloud-Plattformen in den Fokus rückt.“ Die gesamte Branche verlasse gerade die erste Phase, in der gern öffentlichkeitswirksame Apps, Piloten, Startup-Kollaborationen und insbesondere sogenannte Quick Wins umgesetzt wurden. Die Unternehmen landeten nun im herausfordernden Bereich der Migration, wo seit Jahrzehnten gewachsene Legacy-Landschaften warten. „Und diese lassen sich eben nicht mehr mit einer Stand-alone-Low-Code-Lösung aus dem App-Store effektiv ersetzen.“ Deshalb seien nun vielmehr Betriebsstabilität und insbesondere auch Gegenfinanzierungsmodelle die wichtigsten und spannendsten Diskussionspunkte, ergänzt Burk.
Neben der Cloud stehen zudem vor allem neue Technologien rund um intelligent Automation, smart Data und künstliche Intelligenz im Fokus. Die meisten Unternehmen haben festgestellt, dass sie viele ihrer Prozesse automatisieren müssen, um die erhöhte Geschwindigkeit, die in allen Geschäftsbereichen erforderlich ist, überhaupt mitgehen zu können.
Den anhaltenden Trend zur künstlichen Intelligenz als Zugpferd für die IT bestätigt auch Andreas Gentner: „Neben Cloud-Technologien sehen wir eine extrem hohe Relevanz von künstlicher Intelligenz – und das in allen Spielarten.“ In diesem Kontext werden laut Gentner, europaweiter Leiter des Industriebereichs Technology, Media und Telecommunications bei Deloitte, jene Daten immer wichtiger, die aus den immer zahlreicheren IoT-Anwendungen generiert werden.
Volker Gruhn, Aufsichtsratsvorsitzender des IT-Dienstleisters Adesso, meldet in Sachen KI eine höhere Nachfrage vor allem im Bereich des maschinellen Lernens – und unterstreicht, dass die spannendste Phase bei KI noch vor uns liege: „Erste Erfolge in Unternehmen sorgen für Lust auf mehr. Und die gewonnenen Erfahrungen helfen den Fachleuten dabei, die nächsten KI-Anwendungen sicherer und schneller zu entwickeln.“
Künstliche Intelligenz und damit einhergehende Technologien wie Predictive Analytics und Machine Learning sind aber nur ein paar der Faktoren, die dazu beitragen werden, dass die Abläufe in den 2020er-Jahren produktiver und nachhaltiger werden. Die Technologien sind mittlerweile ausgereift und mit der Cloud sind auch die Ressourcen und die notwendige weltweite Verfügbarkeit von Applikationen und Lösungen gewährleistet. Jörn Messner von Lufthansa Industry Solutions ist der festen Überzeugung, „dass Unternehmen zukünftig immer stärker nach Lösungen oder Teillösungen fragen, um sie in bestehende Architekturen zu integrieren“. Seine Kunden forderten zunehmend KI-Expertise ein, um diese Technologien in ihre Projekte einzubinden.
„In Sachen KI verlagert sich gerade die Perspektive: Viele Unternehmen haben bereits erste Erfahrungen mit KI-Lösungen gesammelt. Jetzt ist es an der Zeit, diese deutlich enger an das eigene Kerngeschäft anzubinden und den langfristigen Nutzen in den Blick zu nehmen“, bestätigt Marcus Metzner von Arvato Systems.
Ohne Chips läuft nichts
IT-Projekte mit oder ohne Cloud und KI – ohne die entsprechende Hardware kommt man nicht weit. In den Medien war in den vergangenen Monaten vermehrt von einem Chip-Mangel die Rede. Meist hört man in diesem Zusammenhang von großen Industrieunternehmen wie Automobilherstellern, dass sie darunter leiden. Der weltweite Engpass wirkt sich aber auch auf die großen Tech-Konzerne aus: Wenn diese Server, Smartphones & Co. nicht wie geplant produzieren können, dann betrifft das letztlich alle Unternehmen, unabhängig von der Branche.
„Deswegen“, so Jörn Messner, „mussten wir einige geplante Neuanschaffungen bereits verschieben.“ Als IT-Dienstleister sei man zwar weniger von den Engpässen betroffen – „allerdings stehen auch wir im Moment vor der Herausforderung, unsere Mitarbeitenden mit neuesten Notebooks und Smartphones auszustatten.“
Die aktuelle Belastung der Lieferketten habe eine hohe Relevanz für seine Kunden, erklärt Andreas Gentner von Deloitte. Wie gewichtig die Folgen sein können, zeigten die stillstehenden Bänder in der Automobilindustrie. Er gibt zu bedenken, dass neben solchen Engpässen das Thema Lieferketten eine weitere Facette habe, die zuletzt erheblich an Bedeutung gewonnen hat: „Immer mehr Unternehmen hinterfragen globale Handelsströme unter Nachhaltigkeitsaspekten. Veränderungen im Bereich Supply Chain sind jedoch komplex, erfordern eine gezielte Planung und nehmen Zeit in Anspruch.“
Nachhaltige IT
Generationengerechtes und nachhaltiges Leben spielt eine immer wichtigere Rolle – auch in den Unternehmen und speziell in der IT wird der von Gentner ins Spiel gebrachte Nachhaltigkeitsaspekt also immer wichtiger.
Auch laut Martin Wibbe muss das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Fokus der Unternehmen rücken. Dafür bedürfe es, so der CEO des Dienstleisters Materna, natürlich Investitionen: „Es geht darum, und da sind wir alle gefragt, den CO2-Footprint nachhaltig und organisationsweit zu reduzieren.“ Dazu gehörten etwa Projekte zum Einsatz einer modernen Maschinensteuerung über das Internet of Things (IoT). Damit werde es möglich, Produktionsprozesse und den Verbrauch an Rohstoffen zu optimieren sowie Schadstoffe zu reduzieren. „Dies geschieht zum Beispiel dadurch, dass sich Maschinen über das IoT gegenseitig steuern und in Echtzeit über den Verbrauch von Rohstoffen informieren.“
Einen Trend zur nachhaltigen IT sieht auch Florian Dreifus, COO bei SAP SuccessFactors in der Region Mittel- und Osteuropa: „Nachhaltigkeit gewinnt weiterhin an Bedeutung – und somit sämtliche Technologien, Lösungen und Services, die zur Entwicklung einer nachhaltigen Belegschaft, einer Sustainable Workforce, und Unternehmensausrichtung beitragen.“ Auch das Thema Umweltschutz spiele eine zentrale Rolle, „schließlich ist Klimaschutz für Unternehmen längst nicht mehr Kür, sondern Pflicht.“ Das habe zuletzt die Flutkatastrophe im Sommer eindrücklich gezeigt. „Wirtschaft und Industrie haben hier bereits die Weichen gestellt: Laut FutureScape-Studie des Beratungsunternehmens IDC werden 90 Prozent der Global-2000-Unternehmen bis 2025 recycelbare Ressourcen nutzen und sich neben CO2- auch Energieverbrauchsziele setzen“, fügt Dreifus hinzu.
Mangelhaftes Change-Management
Ein in Pandemie-Zeiten ebenfalls wieder beliebtes Stichwort ist das Change-Management. Denn kaum ein Ereignis hat so deutlich gezeigt wie die Covid-19-Pandemie: Ohne Veränderungen geht es nicht. Nur wenn man sich als Unternehmen stets wandelt und den aktuellen Gegebenheiten anpasst, wird man langfristig bestehen. Die gute Nachricht: Die Corona-Krise hat auch gezeigt, wie Unternehmen Veränderungen und Digitalisierungsprojekte erfolgreich umsetzen können, auch wenn es schnell gehen muss. Das funktionierte selbst in vielen noch eher traditionell gelenkten Firmendickschiffen.
Dennoch ist ein geordnetes Change-Management für Veränderungen wie die digitale Transformation mittel- und langfristig unverzichtbar. Der Wandel geht immer mit umfangreichen Organisations- und Prozessänderungen einher.
Vereinfacht gesagt handelt es sich bei Change-Management um einen Vorgang, in dem die Unternehmensführung und die Mitarbeiter sich sowohl auf absehbare als auch auf unvorhergesehene Änderungen einstellen. Es gilt, Strukturen, Prozesse und Verhaltensweisen eines Unternehmens zu überdenken und bei Bedarf tiefgreifend zu verändern.
Marco Burk von CGI zufolge ist das Unterschätzen des Change-Managements bei Einführung neuer Technologien und Prozesse nach wie vor ein Bremsklotz in der IT. Die reine Implementierung von Tools sei einfach nicht ausreichend. Mindestens genauso wichtig seien etwa Schulungen der Mitarbeiter sowie damit einhergehende Qualitätssicherungen. „Nur weil das Management ab sofort agiles Arbeiten fordert oder eine neue Intranet-App für die Prozessoptimierung einführt, verändern Mitarbeiter nicht gleich ihre komplette Arbeitsweise“, so seine Mahnung.
Fazit & Ausblick
Die Pandemie führt uns als Wirtschaftsstandort und Gesellschaft unsere Defizite in der Digitalisierung ziemlich deutlich vor Augen. Doch in den vergangenen Monaten ging ein Digitalisierungsschub durch Unternehmen jeder Größe und Branche. „Und auch wenn in den letzten Monaten vieles über das Knie gebrochen wurde, um den Laden überhaupt am Laufen zu halten: Ein Zurück zum Faxgerät wird es nicht geben“, so das Resümee von Adesso-Manager Volker Gruhn. „Viele unserer Kunden sahen, was mit Technologie und dem Mut zum Handeln innerhalb kurzer Zeit möglich ist. Diese Einstellung verschwindet nach der akuten Krise nicht.“
Die Praxis hat darüber hinaus eindrucksvoll gezeigt, dass sich zahlreiche IT-Vorhaben weitgehend auch in der Pandemie verwirklichen ließen. Und: „Wir haben im vergangenen Jahr sogar Projekte umgesetzt, bei denen sich die Teams nie persönlich getroffen haben“, unterstreicht Martin Wibbe. Auch wenn aber diese Projekte funktioniert hätten, „die zwischenmenschliche Komponente geht dabei doch ein Stück weit verloren.“ Projekt-Kick-offs, Meilensteine feiern, schwierige Gespräche führen oder auch nur den Feierabend gemeinsam ausklingen lassen – das alles sei zwar auch in digitaler Form möglich, letztendlich aber eine Herausforderung für die Beteiligten.
Eines steht im jeden Fall fest: Virtuelles Arbeiten wird in Zukunft einen größeren Stellenwert einnehmen als vor der Corona-Krise. Dennoch verspüren immer mehr Mitarbeiter den Wunsch nach persönlichen Begegnungen und direktem Austausch und Kontakt. Deswegen werden viele Unternehmen auch wieder zu dem ein oder anderen Präsenzformat zurückkehren. Anders lässt sich ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Menschen normalerweise auch kaum herstellen, was zum Beispiel im Kundenkontakt unerlässlich ist.
„Es wird hybrid weitergehen“, fasst Marcus Metzner von Arvato Systems zusammen. Zum einen habe man sich daran gewöhnt, digitale Tools zu nutzen. Zum anderen hätten Treffen vor Ort, ob mit Kunden oder im Team, ihre Daseinsberechtigung nicht verloren. Das wichtigste Ziel: Das Etablieren einer guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit. Hierfür brauche es den persönlichen Kontakt. „Hinzu kommt: Die Menschen sind rein digitaler Veranstaltungen müde geworden.“ Hier werde das Analoge zurückkehren, während Online-Formate ihren Reiz behalten – zum Beispiel hochwertige Webinare zu spezifischen Themen.
* Konstantin Pfliegl ist Autor bei com! professional.
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