Turbo für digitales Lernen

Alles virtuell – geht denn das? Noch vor wenigen Monaten hätten wir alle darauf mit „Nein“ geantwortet. Aber die Corona-Krise hat eines gezeigt: Vieles ist möglich. Home Office, HomeSchooling, Arztbesuch per Videokonferenz oder Online-Fitness-Kurse. Auch für Weiterbildung und digitales Lernen ist damit ein neues Zeitalter angebrochen. [...]

Die Corona-Krise hat einen Boom bei digitalem Lernen ausgelöst - bestätigen alle großen Anbieter. (c) iStock

Seit Jahren wurde eLearning angepriesen – und dümpelte vielfach dahin. Die Corona-Krise kam, und vieles wurde auf einmal möglich. Damit wurde nicht nur Home-Office salonfähig, auch das Lernen am Computer wurde schlagartig nicht nur für Schüler und Lehrer ein Thema, sondern auch in der Weiterbildung. „Die aktuelle Corona-Krise hat uns massiv getroffen und wird uns wohl noch einige Wochen oder gar Monate begleiten. Wenn wir uns entscheiden, dieser Krise etwas Positives abzugewinnen, dann erkennen wir die steile Lernkurve in Sachen digitaler Bildung. Die Geschwindigkeit, in der in den letzten Wochen die Umstellung von offline zu online passierte, überraschte die gesamte Bildungslandschaft und stellte uns vor große Herausforderungen. Wir überholten uns selbst. Und alle spielten mit. So veränderten wir Lehren und Lernen nachhaltig“, beurteilt etwa Barbara Kluger-Schieder, Institutsleiterin am WIFI Wien die Entwicklung der letzten Monate.Österreichs größtes Erwachsenenbildungsinstitut musste – wie alle Bildungsanbieter – schnell reagieren, allein in Wien waren 1.100 Veranstaltungen von den Auswirkungen des COVID-19-Lockdowns betroffen. Die Kurse konnten aufgrund der Corona Krise nicht als Präsenztraining stattfinden und wurden neu geplant und organisiert. Der Großteil der Kurse konnte dabei laut Kluger-Schieder auf Distance Learning umgestellt werden: „Wir haben alles in Bewegung gesetzt, um Kurse in der gewohnt hohen Qualität weiterlaufen zu lassen und damit auch die geplanten Bildungsabschlüsse sicher zu stellen.“ Dafür gibt es übrigens eine eigene Innovationsabteilung am WIFI Wien.

Wie geht Distance Learning?

Distance Learning ist mehr als reines Online- oder E-Learning. Es bedeutet Lehren, Lernen, Begleiten, Zusammenarbeiten, Üben, Erarbeiten, Vertiefen und Überprüfen über räumliche Distanz hinweg. Dafür setzt das WIFI Wien eine große Vielfalt an digitalen Methoden ein, wie zum Beispiel die Lernplattform, den virtuellen Klassenraum, Lernstrecken, Videos, eBooks, Online-Peergroups, Online Tutoring oder Virtual Reality. Aber auch bewährte analoge Werkzeuge wie Skripten, Lerntagebücher oder Arbeitsblätter kommen zum Einsatz.

Barbara Kluger-Schieder, WIFI Wien

Zu den Online-Kurs-Highlights zählten Sprachtrainings, Computerkurse, Arbeitsrecht-Seminare, Ausbilderkurse und Unternehmertrainings. Blended Learning – die Kombination von Präsenzkursen und E-Learning – wurde im laufenden Kursjahr vor allem im Bereich Immobilienverwaltung, Buchhaltung oder Berufsakademie sehr gut angenommen. „Unser Innovationsteam prüft laufend, welcher Methodenmix zu welchem Kursinhalt passt, um den optimalen Lernerfolg zu garantieren“, betont Institutsleiterin Barbara Kluger-Schieder fest. Einen Überblick über die aktuellen digitalen Angebote bietet die Plattform www.wifiwien.at/distancelearning.  Auch die Trainer wurden in der Krise nicht sich selbst überlassen. Denn damit Distance Learning funktioniert, braucht es auch digital affine Trainer. 900 Trainer wurden kurzfristig in den virtuellen Klassenraum zu einem Train-the-Trainer-Workshop eingeladen. „Alle 3100 aktiven WIFI Trainer werden jetzt kontinuierlich über die WIFI Lernplattform und eine Hotline unterstützt“, ist Kluger-Schieder der kontinuierliche Kontakt zu den Lehrenden wichtig.

Kursteilnehmer schätzen Digital-Angebot

Die Kursteilnehmer haben das virtuelle Weiterbildungsangebot großteils positiv bewertet, geht aus einer aktuellen Umfrage unter 4550 Kursteilnehmern des WIFI Wien hervor. Für knapp 70 Prozent der Kursteilnehmer funktionierte die Umstellung der Präsenzkurse auf Distance Learning entsprechend ihrer Erwartungen positiv. Über die Hälfte der Befragten plant, auch in Zukunft Ausbildungen über Distance Learning zu absolvieren. Mehr als drei Viertel der befragten Kursteilnehmer sprechen dem WIFI-Trainerteam hohe Kompetenz im Einsatz der Möglichkeiten des Distance Learnings zu. Sechs von zehn Befragten meinen außerdem, dass die Unterstützung in der Corona-Krisensituation nicht besser hätte laufen können. Auch das Ausmaß der virtuellen Kurszeiten wird von knapp 75 Prozent als angemessen beurteilt. Rund 90 Prozent der Kursteilnehmer kennen die Möglichkeiten der WIFI-Lernplattform. Sie nutzen das Angebot, Inhalte und Unterlagen abzurufen und hochzuladen, erarbeiten die zur Verfügung gestellten Lerninhalte selbstständig und online unterstützt und kommunizieren über ein Nachrichtensystem mit anderen Teilnehmenden und Trainern.

Als größte Herausforderung beim Distance Learning in den vergangenen Wochen nennt die Hälfte der Befragten den fehlenden realen Austausch mit anderen Kursteilnehmern. Lernen ohne direkten sozialen Kontakt mit Kollegen und Trainern wird als sehr ungewohnt bezeichnet. Ein Problem war für 40 Prozent der Befragten die technische Ausstattung und die Internetverbindung. Sind die technischen und organisatorischen Hürden allerdings genommen, zeigt sich die Zustimmung zur neuen Art des Lernens: Zwei Drittel der Befragten schätzen die Unabhängigkeit von Zeit und Ort und für knapp ein Drittel ist die Möglichkeit zur Wiederholung des Lernstoffs ein entscheidender Vorteil. Von 20 Prozent wird die Chance, versäumten Lernstoff leichter nachzuholen, als Pluspunkt genannt. Weiterbildung online wird damit auch ab Herbst verstärkt forgeführt: 3000 Kursangebote, 150 Kursinnovationen und 80 reine Distance Learning Kurse wird es am WIFI Wien geben.

Zwang zur blitzschnellen Umstellung

Auch der zweite große Anbieter, das Berufsförderungsinstitut (BFI) hat sich schnell an die neue Situation angepasst: „Dank einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Blended Learning in den letzten Jahren ist es uns gelungen, die Teilnehmer der laufenden Kurse zur Gänze auf Heimunterricht umzustellen. Selbst in Bereichen, in denen Fernlernen nicht vermutet wird – etwa die Mechatroniklehre – konnte der Theorieunterricht auch in Zeiten von Corona weiterlaufen. Und auch in den neu startenden Produkten ist es uns in nur wenigen Tagen gelungen, mehr als die Hälfte unseres Kursprogramms auf Onlinebetrieb umzustellen“, berichtet Franz-Josef Lackinger, Geschäftsführer BFI Wien. Vor der Krise lag die Zahl der reinen E-Learning Angebote bei knapp 20 Kursangeboten. Diese Zahl wurde aber rasant ausgebaut. Basis ist die digitale Lernplattform Moodle und als Virtual-Classroom/Webinar-Tool wird nach Versuchen  mit BigBlueButton und Cisco WebEx mittlerweile auf Microsoft Teams gesetzt. Zusätzlich kommen je nach Kurs Lernapplikationen wie Knowledgefox zum Einsatz.

Franz-Josef Lackinger, BFI Wien

Lackinger zieht Bilanz: „Die Lesson learned schlechthin ist: Auch wenn Fernlehre vielerorts hervorragend funktioniert – dank der Flexibilität von Trainern und auch Teilnehmern – zeigt das erzwungene Live-Experiment auch sehr deutlich, dass der Präsenzunterricht in vielen Themenfeldern, und auch aus sozialen Gründen, noch viele Jahre nicht abgeschafft werden kann. Man stelle sich vor, ein KFZ-Lehrling kann plötzlich nicht mehr am Auto schrauben, die Fremdenführerin hat Betretungsverbot im Stephansdom oder die Mechatronikerin hat keinen physischen Schaltkasten für die Ausbildung vor sich. Viele praxislastige Ausbildungen wie diese können in absehbarer Zeit nicht per E-Learning kompensiert werden – wenngleich Blended Learning hier an Bedeutung gewinnen wird.“

Er nennt auch eindeutige Nachteile: „Bei reinen Online-Kursen fehlt die synchrone Möglichkeit des Nachfragens und Klärens kleinerer Unklarheiten. Reine Online-Kurse sind zudem sehr stark von der Organisiertheit, Disziplin, Konsequenz und Selbstmotivation der Teilnehmer abhängig. Dafür sind sie im Idealfall räumlich und zeitlich komplett flexibel.“

Massiver Ausbau im Herbst

Genauso wie am WIFI wird auch BFI das Angebot im Herbst ausgebaut, kündigt Lackinger im Gespräch mit transform! an: „Wir werden unser Angebot an reinen E-Learning-Angeboten gegenüber dem Frühjahr mehr als verdoppeln. Stand heute haben wir bereits über 50 reine E-Learning-Angebote – von Fremdsprachen online lernen und Projektmanagement bzw. Betriebswirtschaft bis zu Diplomlehrgängen und Zertifikatsausbildungen auf akademischen Niveau ohne Präsenz, wie etwa Digital Transformation Management. Darüber hinaus haben wir ein breites Portfolio an Bachelor- und Masterstudien, die wir in Kooperation mit der Hamburger Fernhochschule als reines Tele-Learning anbieten können.“ Auch das Blended Learning Angebot (Präsenzunterricht plus Online-Training) wird permanent erweitert und umfasst derzeit rund 50 Angebote.

Von Anfang an wichtig wurden sofort auch die Trainer in die Umstellung miteinbezogen, wie Lackinger erläutert: „Es gibt in unserem Haus zahlreiche Spezialschulungen zum Thema Train the Trainer: Das reicht von Methodik & Didaktik-Schulungen im digitalen Umfeld bis hin zu Hands-on-Schulungen mit den entsprechenden Wissensvermittlungswerkzeugen.“ Die Kursteilnehmer waren größtenteils zufrieden: „Die Resonanz der Teilnehmer war durch die Bank positiv. Vor allem das große Engagement der Trainer und das Eingehen auf die Bedürfnisse jedes Teilnehmers wurden sehr geschätzt“, zeigte sich Lackinger erfreut. Problematisch sei nur bei manchen Teilnehmern nur die eigene Infrastruktur, eigene Computer- und Internet-Ausstattung gewesen.

Christoph Jungwirth, BFI OÖ

Gut gerüstet für die Corona-Krise war man am BFI OÖ, das als Vorreiter in punkto digitale Weiterbildung gilt. Die eLearning Plattform Moodle wird bereits seit Jahrzehnten genutzt, seit zwei Jahren ist zudem Office365 und jetzt vor allem MS Teams im Einsatz. „Wir konnten sehr viele Kurse online begleiten bzw. weiterführen. Um das Ganze in Zahlen zu gießen hatten wir z.B. alleine in Microsoft Teams rund 1.200 aktive Kursteilnahmen. Wir haben während des Lockdowns einige eLearning Angebote am BFI etabliert und angeboten“, berichtet Christoph Jungwirth, Geschäftsführer des BFI OÖ. Für die Trainer wurde ein eigenes digitales Trainingsprogramm entwickelt. „Auch wenn derzeit wieder „Präsenz-Kurse“ möglich sind hat sich eine Video Konferenz Kultur am BFI etablieren können. Wir arbeiten mit Hochdruck am Ausbau unseres digitalen Angebots. Unser Credo ist allerdings weiterhin der Präsenzunterricht, den wir aber zukünftig mit einem flexiblen Blended Learning Anteil unseren Kunden anbieten werden“, so Jungwirths Einschätzung der Lage. Befragt zu dem Feedback der Teilnehmer zieht Jungwirth eine durchwachsene Bilanz: „Die Rückmeldungen sind nach einer Befragung, die von uns durchgeführt wurde, sehr durchmischt. Die Antworten polarisieren: Von „nur mehr eLearning“ bis  „kann ich nicht gebrauchen“  war alles dabei.“

Umstellung beim Enterprise Training Center

Die Corona-bedingte Umstellung ging beim auf IT-Kurse spezialisierten größten Anbieter Österreichs, dem Enterprise Training Center (ETC), blitzschnell, erinnert sich Geschäftsführer Michael Swoboda: „Das ETC Team schaffte es zwischen 9. und 13. März 2020 die technische Infrastruktur so hochzurüsten, dass wir am 16. März in der Lage waren, 25 zeitgleich laufende Seminare rein virtuell abzuwickeln. Der hohe Anspruch an die Audio- und Lab-Qualität war dabei die größte Herausforderung.“ Am 16. März waren damit 99 Prozent aller relevanten ETC Kern-Seminare, das sind rund 400 Seminarthemen, weiterhin verfügbar, aber eben „nur“ mehr im Virtual Classroom.“

Michael Swoboda, Enterprise Training Center (ETC)

Bereits lange vor der Krise wurde Wissen „online“ vermittelt. Seit 2012 wird von ETC die Option „ETC>live“ angeboten. Dabei können Teilnehmer wählen, ob sie im Seminarzentrum oder online live am Seminar teilnehmen möchten. „Bis März 2020 war „ETC>live“ eine sehr gute Service-Ergänzung und im Schnitt liefen pro Woche drei bis sechs Seminare, wo auch Teilnehmer virtuell mitmachen wollten.“ Die Covid-19-Herausforderung änderte das von einem Tag auf den anderen. Plötzlich war „ETC>live“ keine „Option“ mehr, sondern Notwendigkeit und neuer Standard. „Nach anfänglicher, kundenseitiger Unsicherheit war es aber eigentlich ein Jackpot, dass wir bereits acht Jahre tiefgehende Erfahrung damit hatten – denn wir konnten während der Corona-Lockdown-Zeit mehr als 3.000 Teilnehmer rein virtuell trainieren. Seit Anfang Juni kann man auch wieder bei ETC Kurse besuchen – aber auch heute noch entscheiden sich rund 65 Prozent für eine Virtual-Classroom-Teilnahme“, sagt Swoboda, der lieber von „Lernen-as-a-Service“ als E-Learning spricht. „Learning-as-a-Service mit Video-based-Trainings wird im Herbst weiter an Bedeutung dazugewinnen – und auch „ETC>live“ ist heute schon bei vielen Buchungen der bevorzugte Weg, zu lernen“, ist Swoboda überzeugt.

MOOCs: Kostenlos virtuell weiterbilden

Neben den professionellen, kostenpflichtigen Weiterbildungsangeboten sind im Netz auch zahlreiche kostenlose Tools für Lern- und Wissbegierige verfügbar. Das Online-Angebot hat durch die Krise ein deutliches Plus zu verzeichnen. Massive Open Online Course (MOOC), bezeichnet überwiegend in der Erwachsenenbildung verwendete Onlinekurse, die in der Regel große Teilnehmerzahlen aufweisen, da sie auf Zugangs- und Zulassungsbeschränkungen verzichten. MOOCs kombinieren traditionelle Formen der Wissensvermittlung wie Videos, Lesematerial und Problemstellungen mit Foren, in denen Lehrende und Lernende interagieren und in virtuellen Lerngruppen zusammenarbeiten. Seit 2014 gibt es mit https://imoox.at auch ein rein österreichisches MOOC Angebot, das von der TU Graz initiiert wurde und ein vielfältiges Angebot bereitstellt.

Dieser Beitrag ist leicht gekürzt auch in der Printausgabe von transform!, der Beilage zur COMPUTERWELT 12/2020 erschienen.


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