Und Apple baut doch ein Auto

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Apple künftig Autos baut. Und zwar auf exakt dieselbe Art und Weise, wie man iPhones produziert. [...]

Es gibt Experten die sagen, Apple hätte das Projekt autonomes Auto aufgegeben, auf unbestimmte Zeit verschoben oder in ein Software-Projekt umgewandelt. Außerdem werden Ihnen dieselben Experten sagen, dass der Automobilmarkt ungefähr so gut zu Apple passt, wie Social-Media-Etikette zu Donald Trump. Um es kurz zu machen: Was diese Leute (in Bezug auf das Apple Car) erzählen, ist falsch. Apple tritt das Gaspedal beim selbstfahrenden Auto in Richtung Bodenblech. Und das aus gutem Grund.
Verwirrung um Project Titan
Steve Jobs wollte mit Apple das iCar verwirklichen. Doch eigentlich wollte das verstorbene Apple-Mastermind noch viel mehr – zumindest wenn man dem ehemaligen (1999 bis 2015) Apple-Vorstand Mickey Drexler Glauben schenkt. Demnach habe Jobs das Ziel gehabt, mit Apple die Autoindustrie zu revolutionieren.
Die Idee von einem Apple-Auto wurde lange Zeit als Spinnerei abgetan – bis sich Gerüchte über ein Geheimprojekt namens Project Titan verbreiteten. Angeblich seien mehr als 1.000 Entwickler mit dem Projekt zugange, hieß es damals. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Apple ein geheimes Auto-Testlabor im Silicon Valley betreibt, das ganz in der Nähe des Headquarters liegt. Das dahinter stehende „Fake“-Unternehmen hört auf den Namen SixtyEight Research. Im Oktober letzten Jahres machten schließlich erste Meldungen die Runde, dass hunderte von Entwicklern von Project Titan abgezogen wurden.
Von Tech- und Finanz-Experten wurden diese Ereignisse auf ganz verschiedene Art und Weise interpretiert. Einige sahen darin das endgültige Aus für Apples Autopläne, andere gingen davon aus, dass die Pläne weiterhin Bestand haben, die iPhone-Company aber einen zu großen Rückstand auf diesem Markt hat, den sie nicht mehr einholen kann. Vorwiegend hält sich jedoch die Annahme, dass Project Titan zu einem Softwareprojekt „umgemodelt“ wurde und Apple sich darauf konzentriert, ein Betriebssystem für Fahrzeuge zu entwickeln, aber keine eigenen Automobile. Auch jede dieser Annahmen ist falsch.
Was treibt Apples Interesse am Automarkt?
Apple hat vor kurzem erst einen großen Meilenstein erreicht: Das Unternehmen durchbrach die Marktkapitalisierungsgrenze von 800 Milliarden Dollar. Um weiter wachsen zu können, muss Apple nun allerdings in gigantische, neue Märkte einsteigen. Im Vergleich zu Smartphones werden Wearables und Smart-Home-Zubehör niemals einen bedeutenden Markt abbilden. Apples nächste Branche muss also wesentlich größer sein, als der heutige Markt für Smartphones. Dieser brachte es im Jahr 2016 auf ein Gesamtvolumen von circa 430 Milliarden Dollar. Aber welcher Markt könnte das sein? Was könnte größer sein als das Smartphone? Katy Huberty, Finanzanalystin bei Morgan Stanley, geht davon aus, dass der Markt für autonome Autos bis zum Jahr 2030 satte 2,6 Billionen Dollar schwer sein wird.
Die Beweise dafür, dass Apple ein tiefgehendes Interesse am Automobilsektor hat, gehen weit über Project Titan hinaus: Die Infotainment-Lösung Car Play erlaubt bereits jetzt den Anschluss des iPhones ans Fahrzeug. Darüber hinaus investierte Apple vor ungefähr einem Jahr eine Milliarde Dollar in das chinesische Uber-Äquivalent Didi Chuxing. Dieses Investment brachte Apple nicht nur einen Vorstandssitz bei Didi und den Zugang zu deren Fahrzeugdaten ein, sondern auch eine Beteiligung am (selbstfahrenden) Auto-Projekt der Chinesen. Im März diesen Jahres wurde schließlich bekannt, dass Didi für die Entwicklung eines KI-basierten, autonomen Fahrzeugs ein Labor ganz in der Nähe der Apple-Headquarters eröffnet.
Die Präsidentin von Didi ist übrigens Jean Liu, Tochter des Lenovo-Gründers Liu Chuanzhi und laut „TIME Magazine“ einer der 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Ihre Laudatio schrieb kein Geringerer als Apple-CEO Tim Cook.
Apples beispiellose Investition in Didi Chuxing und die enge Verbindung zwischen den Unternehmen legt nahe, dass Apple alles über die Technologie und das Kundenverhalten im Segment des Carsharing lernen will. Im Großen und Ganzen investiert Apple außerdem im großen Stil in Mobilität: Berechnungen von Analysten zufolge hat der iPhone-Riese seit 2013 bereits fünf Milliarden Dollar in automotive Forschung gepumpt.
Apple braucht ein Auto, kein Car-OS
Seit dem Launch des iPad im Jahr 2001 war es Apples Obsession, die User Experience auf mobilen Endgeräten zu transformieren. Das hat man geschafft, indem man Hardware, Software und Services für iPhone, iPad sowie seine Laptops kontrolliert hat.
In der Vergangenheit ging es beim Thema Auto in erster Linie um das Fahrerlebnis, dann um Dinge wie den Konsum von Inhalten. Mit dem selbstfahrenden Auto wird diese Priorisierung umgekehrt. Vollautonome Fahrzeuge werden zu batteriebetriebenen Wohnzimmern auf Rädern. Oder wie es Apple-COO Jeff Williams bereits im Jahr 2015 ausgedrückt hat: „Das Auto ist das ultimative, mobile Device.“
Wenn man während der Autofahrt nicht mehr auf Straße und Verkehr achten muss, gibt es auch nicht mehr viel anderes zu tun, als Musik zu hören, Filme und Serien zu schauen, in virtuelle Welten abzutauchen oder einen Videochat mit den Kumpels abzuhalten.
Genau wie auf dem Smartphone-Markt wird sich Apple auch einen Teil des Auto-Kuchens sichern und ein renditeträchtiges Business aufziehen, indem sie Hardware, Software und eine breite Palette von Services anbieten. Die erklecklichen Gebühren für alle abgerufenen Medieninhalte nicht zu vergessen.
Das vergessen die Apple-Car-Experten
Apple ist ganz groß darin, aus unangekündigten Produkten und Projekten ein Geheimnis zu machen. In Sachen selbstfahrendes, beziehungsweise autonomes Auto gab es bislang zwar noch keine offizielle Verlautbarung, aber die Hinweise darauf, dass die Jungs aus Cupertino ein Fahrzeug in Planung haben, verdichten sich weiter.
Im vergangenen Monat etwa tauchte Apple auf der Liste des kalifornischen Department of Motor Vehicles (DMV) auf, die Auskunft darüber gibt, welche Unternehmen eine Lizenz dafür erhalten haben, autonome Fahrzeuge zu testen. Demnach hat Apple die Erlaubnis erhalten, Testfahrten mit drei Fahrzeugen vom Typ Lexus RX durchzuführen. Vor einigen Wochen wurde eines dieser Vehikel erstmals auf öffentlichen Straßen abgelichtet.
Die „FAZ“ berichtete, dass Apple ein geheimes Testlabor in Berlin betreibe, wo vor allem deutsche Autoingenieure beschäftigt werden. Und ein Schweizer IT-Portal weiß zu berichten, dass Apple für sein eidgenössisches Forschungszentrum zehn Doktoranden der ETH Zürich verpflichtet habe, die Experten in den Bereichen visuelle Navigation, maschinelles Sehen und Robotik sind.
Ein weiterer Hinweis auf Apples Autopläne findet sich im aktuellen Supplier Responsibility Report des Unternehmens: Dort findet sich unter anderem der deutsche Zulieferer-Gigant Bosch. Apple kauft also bereits Auto-Komponenten.
Natürlich beweist keine dieser Fakten, dass Apple einen Tesla-Killer in der Mache hat. Und doch liegen die eingangs beschriebenen Experten falsch. Denn sie übersehen auch noch einige Dinge:
1. Die Vertragshersteller-Wahrscheinlichkeit
Die Reorganisation von Project Titan wurde von den Medien als Wendepunkt interpretiert, ab dem Apple nur noch die Software für autonome Autos schreibt, aber nicht mehr die Fahrzeuge selbst produziert. Ihre Annahme ist, dass Apple dasselbe Geschäftsmodell im Sinn hat, das Microsoft über Jahre im PC-Segment verfolgt hat: Software ja – Hardware lieber nicht. Alle Hinweise deuten jedoch darauf hin, dass Apple stattdessen seinen eigenen Ansatz verfolgen wird – nämlich Hardware, Software und Services bereitzustellen, die auf einem Device konsumiert werden, das für Apple von einem Dritthersteller gefertigt wird.
Wer dieser Dritthersteller sein soll? „Bloomberg“ berichtete, dass im Labor von SixtyEight Research ein Dutzend Ingenieure von Magna Steyr arbeiten. Der österreichische Konzern entwickelt und produziert ausschließlich Fahrzeuge im Auftrag anderer Hersteller und kooperierte bereits mit zahlreichen OEM-Größen wie Mercedes, BMW, Aston Martin, Audi, Fiat oder Peugeot. Derzeit arbeitet Magna Steyr unter anderem auch am ersten Elektroauto von Jaguar Land Rover – dem I-Pace. Die Unternehmensstruktur von Magna Steyr weist übrigens auch einige Ähnlichkeiten zu derer des chinesischen iPhone-Herstellers Foxconn auf.
Es sieht also ganz danach aus, als würde Apple eine Partnerschaft mit Magna Steyr anstreben, um in deren Rahmen Project Titan Wirklichkeit werden zu lassen.
2. Die Akquisitions-Option
Erst vor kurzem wurde öffentlich, dass Apple auf Bargeldbeständen in Höhe von mehr als 256 Milliarden Dollar sitzt. Wenn Apple also die fortschrittlichste Technologie für selbstfahrende Autos haben wollen würde, müsste es einfach nur deren Besitzer kaufen. Oder um es anders auszudrücken: Technologische Führerschaft ist für den iPhone-Konzern kein Problem, denn die kann man mit Geld kaufen. Und davon hat der Apfel-Konzern mehr als genug.
3. Beispiel iPhone
Wenn Sie am 9. Januar 2006 einen Blick auf Apples streng geheimes Smartphone-Projekt hätten werfen dürfen, wären Sie sehr wahrscheinlich zu dem Schluss gekommen, dass der Konzern aus Cupertino mit seinem Produkt viel zu spät dran, viel zu weit von den Marktführern entfernt ist und nicht der Hauch einer Chance auf die Marktführerschaft besteht. Ein Jahr später revolutionierte das iPhone dennoch den Handy-Markt und machte Apple zur dominanten Tech-Macht.
Apples iPhone-Historie macht klar, dass das Unternehmen gar nicht als erster mit seinem Produkt auf den Markt will. Immerhin wurde das iPhone ganze 15 Jahre nach dem ersten Smartphone ausgeliefert. Apple wird erst dann in den Markt für autonomes Fahren eintreten, wenn man verstanden hat, was mit der Technologie bislang falsch läuft und vor allem wie man diese Probleme lösen kann.
4. Die Zukunftsvision
Wenn wir an Autos denken, denken wir zuallererst an die heutige Automobilindustrie. OEM-Monolithen designen und bauen „Brand“-intensive Fahrmaschinen, die die Kunden aufgrund von Merkmalen wie Marken-Loyalität, -Image oder Nutzwert kaufen. Die Welt der selbstfahrenden Autos wird allerdings eine vollkommen andere sein. In Zukunft wird das ganze Auto-Zeug (Motoren, Reifen, Felgen, Lackierungen) für die Kunden nämlich deutlich weniger Relevanz haben. Diese Kunden der Zukunft wollen es ohnehin vermeiden, ein Auto selbst zu kaufen. Und die Kaufentscheidung wird beim Auto künftig vom Mobilitätserlebnis abhängig sein.
Die größte Vision für das Apple Car ist jedoch, dass Mobilität einfach zu einem Service wird, der von Siri bereitgestellt wird. Dann sagen Sie Siri einfach, dass Sie jetzt zur Arbeit gefahren werden wollen, die Ihnen daraufhin antwortet, dass ein Apple Car in zwei Minuten für Sie bereit steht. Oder Sie richten einfach eine tägliche Abholung ein. Dann gehen Sie raus, setzen sich auf die Rück-Couch im autonomen Apfel-Gefährt und sehen dabei zu, wie Ihr iCloud- und iTunes-Konto automatisch das Infotainment-System übernehmen. Das ist dann ungefähr so, als würden Sie in Ihrem iPhone sitzen. Und mit Ihrer Stimme spielen Sie Musik und Videos ab oder starten Anrufe. Die Kosten für die Fahrt werden direkt über iTunes abgerechnet oder ohnehin bereits monatlich abgebucht. Wer braucht da schon noch ein eigenes Auto? Die physische Beförderung Ihres Körpers wird zu einer von Apple kontrollierten Erfahrung. Telefongespräche oder Medieninhalte wandern nahtlos vom heimischen Lautsprechersystem zu den AirPods, zum iCar, zu Siri auf dem Schreibtisch im Büro und wieder zurück.
Für Apple ist das der ultimative Weg, um Ihr Konsumverhalten und Ihre Kommunikation möglichst nahtlos und nachhaltig auf täglicher Basis zu kontrollieren. Ein Apple Car wird das, was die Server des Unternehmens heute bereits sind: Hardware in Besitz von Apple, die die User mit Services versorgt.
Apple ist ins Smartphone-Geschäft eingestiegen, weil das der Markt ist, wo die Menschen Content konsumieren und Kommunikation betreiben. Und weil es ein riesiges Geschäftsfeld ist, das sie mit Hardware, Software und Services dominieren können. Genau aus demselben Grund wird Apple ins Geschäft mit den (autonomen) Autos einsteigen.
* Mike Elgan schreibt für unsere US-Schwesterpublikation computerworld.com.

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