„Unsere Geschichten schreiben unsere Kunden“

Im Gespräch mit Susanne Soumelidis, Marketing-Expertin bei Nagarro Österreich, wird klar, wie vielseitig modernes Marketing agieren muss. Es erklärt, vermittelt, nimmt Ängste, übt mehr Business-Verantwortung denn je aus und sorgt dafür, dass Kunden da abgeholt werden, wo sie gerade stehen. Etwas viel auf einmal? Für Soumelidis genau der richtige Mix. [...]

Susanne Soumelidis, Marketing-Expertin bei Nagarro Österreich (c) Erich Reismann
Susanne Soumelidis, Marketing-Expertin bei Nagarro Österreich (c) Erich Reismann

Susanne Soumelidis, die ihre Wurzeln in der Südsteiermark hat und in Graz Sportwissenschaften und Anglistik studierte, ist, wie damals so viele, durch Zufall in die IT-Branche gekommen. Microsoft suchte jemanden für das Thema Data Management in Teilzeit. Daraus ist die Leitung des Digitalbereichs geworden: „Ich habe für die ersten Webseiten bei Microsoft Österreich gesorgt, wie das Internet aufgekommen ist“, sagt sie im Gespräch mit transform! Schließlich übernahm sie für sieben Jahre die Marketing-Leitung und wechselte 2018 ins Marketing des globalen Digitalisierungsberaters Nagarro, wo sie den PR-Bereich verantwortet.

Susanne Soumelidis kennt also die IT-Branche seit der Zeit, als das Tippen und Schicken von E-Mails etwas ungemein Neues und gleichzeitig das Höchste der Gefühle war. Heute übernimmt das auf Wunsch die KI. Sie hat aber nicht nur die technologische Evolution direkt am Pulsschlag miterlebt, sondern auch die oft fundamentalen Änderungen in der Art und Weise, wie IT-Unternehmen mit Menschen interagieren und kommunizieren. Und auch hier hat die KI eine rasant wachsende Bedeutung. Gründe genug, Resümee zu ziehen und das Markting einer Standortbestimmung zu unterziehen.

„Aus meiner Sicht war die Cloud-Einführung eine der größten Änderungen der letzten Jahrzehnte, weil man plötzlich keine Produkte mehr verkaufte, sondern Online-Services“, so Susanne Soumelidis. „Dies war zu Beginn mit viel Skepsis verbunden, etwa in den IT-Abteilungen, weil man um den eigenen Job fürchtete. Es war in erster Linie die Aufgabe des Marketings, den Kunden zu erklären, welche Möglichkeiten mit der Cloud verbunden sind. Die digitale Transformation fußt auf Cloud-Technologie – und auch Innovation wären ohne diese Basis nicht möglich.“ Der Erleuchtungsprozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen: „Der Anteil der Cloud-Nutzung in österreichischen Unternehmen liegt derzeit bei 45 Prozent. Man sieht: Es dauert.“

Der zweite Paradigmenwechsel kam laut Nagarros Marketing-Expertin mit der neuen Welt der Arbeit – und das lange vor Corona. „New World of Work ist ein Begriff, den das Marketing erfunden hat. Die vielen neuen Collaboration-Tools machen es möglich, von überall aus und zur gewünschten Uhrzeit zu arbeiten. So können bei Nagarro die 60 Marketeers aus zwölf Ländern als ein globales Team zusammenarbeiten.“ Als international agierendes Unternehmen „nehmen wir unser Credo ›Work form Anywhere‹ sehr ernst. Politische Grenzen haben für uns keine Bedeutung. Nagarro verfügt über 18.000 Spezialisten und Spezialistinnen. Sie werden dort eingesetzt, wo immer sie auch benötigt werden.“

Susanne Soumelidis weist zudem darauf hin, dass Menschen während der Pandemie es gelernt haben, „sich zu Hause irgendwie bequem zu machen“ und Verantwortliche sich nun in der Rolle sehen, die Mitarbeitenden per Verordnung zurück in die Büros zu holen. „Das ist nicht unser Weg. Bei Nagarro werden Anreize geschaffen, damit die Leute gerne zusammenkommen, wie etwa beim gemeinsamen Essen oder bei Abendveranstaltungen. Uns ist bewusst, wie wichtig die direkte Kommunikation und der persönliche Austausch sind.“

Die dritte Zäsur, die Soumelidis nennt, ist – wenig überraschend – die künstliche Intelligenz: „Die Technologie hat die IT-Abteilungen verlassen und ist ins Business gewandert. Ich kenne keinen Marketeer, der sich nicht schon mit ChatGPT auseinandergesetzt hätte. Und wieder braucht es das Marketing, das nicht nur die Ängste nimmt, sondern auch hier wieder die Visionen aufzeigt, die mit der Technologie verbunden sind – das aber auch durchaus kritisch. Wir zeigen also, wie Nagarro als IT-Dienstleister Unternehmen bei deren Reise verantwortungsbewusst begleiten kann.“

Die drei Beispiele Cloud, New World of Work und KI zeigen, welche Rollen Marketing im Rahmen der technologischen Evolution spielen kann: eine ist die des Vermittlers. Und diese Aufgabe erfüllen die Spezialisten und Spezialistinnen zunehmend mit den Werkzeugen des Storytellings. Die Inspirationsquelle liegt klar auf der Hand: „Unsere Geschichten schreiben unsere Kunden.“

Die gesamte Klaviatur bespielen

„Früher hat man von Functions und Features gesprochen. Wir haben gezeigt, was Produkte konnten und was nicht. Das war’s. Gleichzeitig waren wir alle neidisch auf die spannenden und unterhaltsamen B2C-Kampagnen von Konzernen wie Coca Cola. Heute ist es im B2B-Bereich der IT-Branche nicht anders. Wir müssen genauso unterhalten, wir müssen emotional abholen und wir müssen überzeugen“, sagt Soumelidis.

Fundamental verändert hat sich auch die Klaviatur, welche die Marketing-Spezialisten beherrschen müssen. Früher waren es Print, TV und Radio. Viel mehr gab es nicht. Dann kamen E-Mails, Blogs, Podcasts, Reels hinzu – heute gilt es, das gesamte Spektrum der Social Media rauf und runter zu spielen. „Wir müssen all jene Kanäle bedienen können, in denen sich unsere Kunden aufhalten, und die sind einfach überall zu Hause. Auf der anderen Seite sind Marketing-Abteilungen und Budgets nicht im selben Verhältnis größer geworden.“ Wie man diesen Spagat schafft? „Ich glaube, dass die Technologie hier eine wesentliche Rolle spielt. Sie kann schon sehr früh Unterstützung geben, etwa was das Sammeln der Daten betrifft, um den Kunden besser kennenzulernen und ihn genauer ansprechen zu können.“ Dabei gehe es nicht nur um die Business-Interessen, sondern auch um private Informationen, was früher die Sales-Mitarbeiter alleine abgedeckt haben. „Wann die Kunden Geburtstag feiern und ob sie Golf spielen oder nicht – dieses Wissen, diese persönliche Ansprache erwarten sich die Kunden heute selbstverständlich vom gesamten Unternehmen, selbst wenn sie immer weniger bereit sind, Informationen über sich selbst preiszugeben. Hier ist Marketing mehr gefordert denn je. Es gilt, eine Vertrauensbasis herzustellen, um als wichtiger Partner etwa in Digitalisierungsfragen wahrgenommen zu werden.“

Beziehungspflege deluxe

Hat sich das Verhältnis zu den Kunden durch die neuen Technologien verändert? War man früher eher gefühlsgesteuert, heute primär datengetrieben? Susanne Soumelidis: „Die klassische Marketingtheorie besagt, dass es sieben Kontakte braucht, bevor sich ein Kunde, eine Kundin für ein Produkt entscheidet. Ich glaube, dass es heute 15 bis 20 sind. Die aktuelle Beziehungspflege beginnt mit dem Dialog auf diversen Social Media-Plattformen und reicht bis zu Support-Aufgaben auf Basis von Anfragen oder Beschwerden, auf die man reagieren muss. Immer wieder geht es um diese Kontaktpflege, die einmal eher in die Breite geht, dann wieder eher in die Tiefe. Dank der technischen Möglichkeiten ist man heute viel näher am Kunden. Man kennt heute die Bedürfnisse wesentlich besser und kann darauf reagieren.“

Soumelidis weist darauf hin, dass zwar sehr viele Daten verfügbar sind, deren Verwendung jedoch nicht immer dem Wunsch der Marketeers entsprechen – besondern dann, wenn automatisiert wird. Sie bringt das Beispiel eines Reisekoffers, den man sich auf eine E-Commerce-Plattform angesehen hat. Obwohl man ihn bereits erstanden hat, verfolgt die ein- und dieselbe Werbung den Käufer weiterhin über Wochen und Monate.

Mit dem immer schneller fließenden Datenstrom haben sich auch die unternehmensinternen Anforderungen an das Marketing verändert. „Früher hat die Reichweite, die Opportunities to See gereicht. Heute fragt der Sales, wieviel Business Opportunities es gibt und wieviel Revenue man zum Gesamtumsatz beigetragen hat, wenn online verkauft wird. Kurz: Die Verantwortung des Marketings ist eine viel größere. Man ist auch viel näher an den Personen dran, die die Projekte umsetzen und die Kunden beraten. Das Marketing bildet quasi die erste Front.“

Nagarro Summer Vibes

Die Aufgabe des modernen Marketings – die Organisation und Monetarisierung der Beziehungspflege – wird durch einen Evolutionsschritt Nagarros unterstützt. Das Unternehmen hat sich schon vor einiger Zeit entschlossen, die klassische hierarchische Organisationsstruktur den Geschichtsbüchern zu übergeben und mit den Prinzipien der Fluidic Enterprise die Menschen – seien diese Mitarbeitende oder Kunden – in den Mittelpunkt zu stellen. „Diese durch globale Ausrichtung, hohe Agilität und Unternehmergeist geprägte Organisationskultur ermöglicht es uns, die Kunden mittels Thinking Breakthroughs dort abzuholen, wo sie gerade stehen und sie auf der Reise zu Digital-first-Organisationen zu begleiten.“

Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt die von Nagarro und Google Cloud organisierte Innovation Challenge, bei der heuer die Projekte der ÖBB Operative Services GmbH („Echtzeit Lagebild zum gezielten Einsatz von Security-MitarbeiterInnen“), Österreichischen Post AG („Die Post Knowledge Base als allwissende Kollegin“) und der Dectris AG, die mit dem Thema „Automatisierte KI-basierte Vorhersage von Proteinstrukturen“ überzeugte. „Die im Rahmen der Nagarro Summer Vibes verliehenen Awards und viele andere Projekte zeigen, wie vielfältig die Ideen da draußen sind und wie wir dabei helfen können, sie auf die Straße zu bringen. Das sind genau die Geschichten, die ohne den Einsatz von Technologie gar nicht möglich gewesen wären und die wir so gerne weitererzählen“, so Susanne Soumelidis.

Persönlicher Kontakt

Die wenigen genannten Beispiele zeigen, wie sehr sich das Bild des Marketeers in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert hat. Wer heute in das Metier einsteigen will, sollte sich bewusst sein, dass der Beruf – neben den Grundvoraussetzungen wie der Leidenschaft zu kommunizieren – ein gehöriges Maß an Kreativität und gleichzeitig große Technologieaffinität verlangt. „Ich weiß nicht, wie viele Tools ich in meiner Laufbahn schon lernen musste. Habe ich es gern gemacht? Nicht immer. Aber sehr oft habe ich die digitalen Werkzeuge schätzen gelernt, weil sie mir das Leben erleichtert haben.“ Dies gilt für den Einsatz von KI mehr denn je. „Es geht nicht darum, KI als Spielwiese zu nutzen, sondern die Technologie in einem Prozess zu verankern, damit ich effizienter arbeiten kann.“

Wird Susanne Soumelidis von der Vorstellung geplagt, eines Tages von einer KI ersetzt zu werden? „Ich habe in den 30 Jahren nie erlebt, dass irgendein digitales Tool den persönlichen Kontakt, der bei Nagarro so wichtig ist, ersetzen konnte. Auch die KI wird das meiner Meinung nach nicht ändern.“ Mit anderen Worten: Trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, veränderten Vorzeichen und sich schnell entwickelnder Technologielandschaft wird Marketing das bleiben, was es im Kern immer schon war: People Business.

Der Artikel erschien ursprünglich in der Ausgaben transform! 02/2024.


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