Acht Schritte für Manager, um ihre Unternehmenskultur für gute und schlechte Zeiten zu wappnen. [...]
Als Coach und Berater für Geschäftsführungen besuche ich viele Unternehmenszentralen. So unterschiedlich die Gebäude und die Branchen auch sein mögen, in nahezu allen finde ich im Eingangsbereich, spätestens aber in einem Besprechungsraum, ein Schild mit den Unternehmenswerten.
Meistens sind es fünf. Die hängen dort ganz friedlich und ergeben inhaltlich sehr viel Sinn.
Und die Inhalte wiederholen sich. Was auch keine Überraschung ist, denn am Ende geht es nicht um Technologie oder Produkte, sondern um die Menschen in den Unternehmen.
Die Top 7 der beliebtesten Unternehmenswerte sind:
- Respekt
- Vertrauen
- Ehrlichkeit
- Wertschätzung
- Zusammenarbeit
- Kooperation
- Transparenz
Wenn ich dann Mitarbeiter frage, wie es um diese Werte und die Unternehmenskultur steht, wird es interessant. Läuft es in dem Unternehmen gut, dann werden diese Werte positiv gesehen und laut Aussagen der Mitarbeiter „überwiegend“ eingehalten. Es herrsche eine gute Atmosphäre und die Unternehmenskultur sei gut, in manchen Unternehmen sogar sehr gut.
Doch wenn es schlecht läuft, wenn die Wirtschaft lahmt oder gar Geschäftsbereiche geschlossen werden müssen, sehen die Mitarbeiter die Kultur und die Werte ebenso den Bach runter gehen.
Ich habe auch schon Unternehmen besucht, die unglaublich erfolgreich waren und sich vor Aufträgen kaum retten konnten, während bei den Mitarbeitern aufgrund einer respektlosen und mitarbeiterverschleißenden Unternehmenskultur eher von Dauerfrust zu reden war. Die meisten blieben dennoch dort. Entweder weil sie für einen Arbeitgeberwechsel zu bequem waren oder weil sie fürchteten, dass es woanders auch nicht besser sei.
Unternehmenskultur – eine Definition
Was sind denn überhaupt Unternehmenswerte und Unternehmenskultur?
Es gibt dutzende von verschiedenen Definitionen, die beliebig kompliziert und akademisch sein können. Für mich gibt es eine einfachere, am Leben orientierte Definition:
„Unternehmenskultur ist das, was im Unternehmen passiert, wenn keiner hinschaut oder wenn es hart auf hart kommt.„
Wenn das Meer ruhig ist und nur ein leichter Wind geht, dann kann jeder ein Segelboot steuern und seinen Segel-Freunden in Ruhe die richtigen Kommandos geben. Wenn aber 9 Windstärken herrschen, dann ist es mit der Ruhe vorbei. Aus dem freundlichen Ton wird ein hysterischer Befehl. Der Hobbykapitän ist mit seiner Rolle überfordert und alle zuvor vereinbarten Regeln zum „respektvollen Umgang miteinander“ gehen im Chaos unter.
So kann es auch mit der Unternehmenskultur gehen.
Wird diese in „guten Zeiten“ festgeschrieben, dann hat kaum jemand Einwände gegen Transparenz oder Fairness. Bricht aber plötzlich der Umsatz um 40% ein oder ein Wettbewerber bringt ein sensationelles neues Produkt auf den Markt, dann gerät der faire Umgang schnell unter die Räder. Dann zeigt sich die wahre Unternehmenskultur.
Dies gilt ganz besonders in den Fällen, in denen die Autoren der Unternehmenskultur und die maßgeblichen Führungskräfte selbst noch keine stürmischen Zeiten durchgemacht haben.
Ray Dalio, auf den ich später noch eingehe, spricht davon, dass man mit zunehmender Erfahrung erkennt, dass „einmalige, dramatische, noch nie dagewesene Ereignisse“ oft gar nicht so einmalig sind. Sie kommen nur in anderen Verpackung. Er nennt sie „another one of those“. Das bedeutet nicht, dass man nicht aufmerksam sein muss. Man muss jedoch auch nicht panisch reagieren.
Feuerwehrleute trainieren ständig in realistischen Szenarien das Verhalten in lebensbedrohlichen Situationen, damit sie im Ernstfall ruhig bleiben können. Das würde Führungskräften auch gut tun.
Wie steht es um die Unternehmenskultur Ihres Unternehmens?
Die folgenden Fragen helfen Ihnen, sich ein Bild von Ihrer Unternehmenskultur zu machen. Noch mehr helfen sie, wenn Sie diese Fragen an Ihre Belegschaft richten und diese anonym und ehrlich antworten kann:
- Wie gehen Mitarbeiter miteinander um, wenn kein „kontrollierender“ Chef dabei ist?
- Wie gehen Mitarbeiter mit Lieferanten um, wenn Probleme auftauchen?
- Wie gehen Mitarbeiter mit Kunden um, wenn diese – zu Recht – massiv unzufrieden sind?
- Wie achten Mitarbeiter auf die Auswirkungen ihres Handelns, wenn keine Vorgaben beispielsweise zum Umweltschutz existieren?
- Wie achten Mitarbeiter auf die Auswirkungen ihres Handelns auf andere Menschen, auf die Gesellschaft, wenn es keine gesetzlichen Auflagen gibt?
- Wie sprechen Mitarbeiter über ihre Vorgesetzten, wenn diese nicht anwesend sind?
- Wie sprechen Mitarbeiter über das Unternehmen, wenn sie von Freunden gefragt werden, ob es Spaß macht, dort zu arbeiten?
„Gut„, mögen Sie sagen, „das leuchtet ein. Aber wie finde ich überhaupt heraus, wie unsere Unternehmenskultur wirklich aussieht oder wie sie eigentlich sein sollte?„
Sehen wir uns zwei Beispiele aus dem realen Leben an.
Das Beispiel Zappos: Fragen Sie Ihre Mitarbeiter
Als der 1999 gegründete Online-Händler für Schuhe und Mode Zappos immer weiter wuchs, fragte sich das Management, „Was können wir tun, um unsere Kultur trotz unseres Wachstums weiterleben zu lassen?„. Denn die Kultur des Start-ups war, wie eigentlich in allen Fällen, durch die Gründer und ersten Mitarbeiter geprägt worden. Doch irgendwann wurde das Unternehmen zu groß, oder es war vielmehr gerade dabei, zu groß zu werden.
Denn sobald sehr schnell zu viele neue Mitarbeiter dazukommen, ist es rein logistisch nicht mehr möglich, dass diese durch „abschauen“ erlernen, wie das Unternehmen tickt.
Also entschloss man sich, das „Zappos Culture Book“ zu schreiben. Doch diese Aufgabe vergab man weder an eine Werbeagentur, noch ließ man es durch das Top-Management oder ein paar handverlesene, besonders verdiente Mitarbeiter schreiben.
Nein – das Culture Book wurde von allen Mitarbeitern geschrieben. Ob Vorstand oder Praktikant, ob Call Center Agent oder Senior Manager, jeder konnte und sollte schreiben, was für ihn die Unternehmenskultur Zappos‘ ausmacht.
Das wichtigste daran: Es gab keine Zensur!
Überlegen Sie mal kurz, wie wohl ein solches Buch in Ihrem Unternehmen aussehen würde, wenn es keine Zensur und auch keine negativen Konsequenzen für kritische Aussagen gäbe. Würden Sie es gerne lesen, oder wäre es eher ein Horrormärchen?
Schrieb ein Zappos-Mitarbeiter über negative interne Erfahrungen, dann wurde dies ebenso aufgenommen wie der Lobgesang anderer Mitarbeiter. Nur diese schonungslose Offenheit und Transparenz ermöglichte es, auch wirklich zu erkennen, wie es um die Unternehmenskultur steht.
Anfangs wurde das Buch nur intern veröffentlicht. Aber die Gerüchte über die Existenz des Buches führten dazu, dass es später auch Lieferanten, Geschäftspartnern und dann der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde.
Zappos wurde 2009 von Amazon übernommen, hat aber seine Kultur beibehalten. Das Unternehmen gibt Außenstehenden auch heute noch mehrmals im Jahr die Chance, die Unternehmenskultur hautnah selbst in der Zentrale zu erleben.
Wer neu in das Unternehmen einsteigt, erlebt die Kultur sofort – so wie in jedem Unternehmen. Und es wird nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass man in den ersten Wochen prüfen soll, ob es einem bei Zappos wirklich gefällt. Wer in den ersten Wochen merkt, dass das Unternehmen doch nicht das richtige für ihn ist und wieder geht, bekommt sowohl sein normales Gehalt bezahlt als auch einen Bonus in Höhe von 2.000 US-Dollar. Einfach so.
Das Ziel ist absolut klar: Nur wenn das Unternehmen zum Mitarbeiter und der Mitarbeiter zum Unternehmen passt, sollte man dort arbeiten.
Wenn dies gegeben ist, werden alle Mitarbeiter ihre gesamte Arbeitsenergie auch tatsächlich auf die Arbeit verwenden, anstatt sich darüber zu beschweren, was ihnen am Unternehmen nicht gefällt oder diese Energie bei unnötigen internen Grabenkämpfen vergeuden.
Als 2015 das Zappos-Management beschloss, das gesamte Unternehmen auf eine andere Führungsmethode namens Holocracy umzustellen (damit wurde seit 2013 experimentiert), sendete der CEO Tony Hsieh eine ausführliche E-Mail an alle Mitarbeiter und machte ihnen ein klares Angebot:
„Wir stellen auf Holocracy um und wir wollen, dass Du dabei bleibst. Wenn dies aber nichts für Dich ist, dann bekommst Du 3 Monatsgehälter als Abfindung. Ohne Wenn und Aber.“
Das klingt ganz schön hart, insbesondere in deutschen Ohren. Die Wirklichkeit ist aber, dass dieses Vorgehen wesentlich ehrlicher und respektvoller ist, als die Reorganisationen (die in den meisten Unternehmen alle zwei Jahre stattfinden), denen Mitarbeiter nach dem Motto „friss oder stirb“ ausgeliefert sind.
Vor allem entsprach das Vorgehen der Unternehmenskultur, die alle Mitarbeiter bei Zappos kannten und schätzten!
„Ja, das passiert im Silicon Valley und in der Tech-Branche in den USA, da ticken die Uhren sowieso anders.„, sagen Sie? Dann blicken wir doch noch auf ein Unternehmen in einer Branche, die wir als deutlich konservativer kennen.
Einen Finanzdienstleister.
Das Beispiel Bridgewater Associates: Radikale Transparenz
Bridgewater Associates ist der weltweit erfolgreichste Hedgefond und verwaltet mehr als 150 Milliarden US-Dollar für institutionelle und öffentliche Institutionen.
Der Gründer, Ray Dalio, hat in den Jahren seit der Gründung 1975 nach eigenen Angaben so ziemlich jeden Fehler gemacht, den man als Unternehmer und Gründer machen kann. In seinem Buch „Principles“ legt er dies schonungslos offen – wie beispielsweise seine anfängliche Arroganz und sein Glaube, dass er der Beste sei und alles wissen würde. Er wurde eines Besseren belehrt, machte dramatische Fehler und er lernte daraus.
Seine zentrale Erkenntnis: In einem Unternehmen darf nur die Idee gewinnen, die sich als die beste herausstellt – und nicht die, die vom höchstrangigen Manager oder demjenigen mit der größten Klappe vorgebracht wird.
Mitarbeiter müssen sich uneingeschränkt gegenseitig vertrauen, sich schätzen und ohne Angst mit jedem anderem Kollegen ihre Meinung besprechen – auch und gerade dann, wenn man mit dem CEO redet.
Aus dieser Erkenntnis entstand eine Unternehmenskultur, die in einem Satz beschrieben wird:
„Meaningful work and meaningful relationships through radical truth and radical transparency.„
Sinngemäß übersetzt „Sinnvolle Arbeit und wertvolle Beziehungen durch schonungslose Offenheit und Transparenz.„
Die größte Herausforderung beschreibt er damit, dass die meisten Menschen mit dieser Offenheit und Transparenz nicht umgehen können. Die meisten neuen Mitarbeiter benötigen seiner Erfahrung nach 18 Monate, bis sie sich an diese Unternehmenskultur gewöhnt haben. 50% der neuen Mitarbeiter kommen gar nicht so weit – trotz eines sehr ausgefeilten Auswahlprozesses während der Einstellungsphase.
Unternehmenskultur muss nicht für jeden passen
Mancher Manager denkt, die Unternehmenskultur muss für jeden passen, um möglichst viele potentielle Mitarbeiter ansprechen zu können.
Das Gegenteil ist der Fall. Unternehmenskultur muss zum Ziel des Unternehmens passen, denn dann wird man auch die Menschen finden, die dieses Ziel verfolgen und die Unternehmenskultur leben wollen. „Wollen“ ist hier das entscheidende Stichwort.
Falls Sie den Eindruck haben, dass in Ihrem Unternehmen die Kultur nicht stimmt, dann fragen Sie sich als erstes, ob klar ist, wofür das Unternehmen steht und was es erreichen soll.
Erst dann können Sie sich darüber Gedanken machen, welche Kultur herrschen muss, um erfolgreich zu sein und welche Mitarbeiter dazu passen.
Lassen Sie Mitarbeiter zu Wort kommen, um die Kultur zu beschreiben, so wie sie ist und wie sie sein sollte. Haben Sie den Mut, dass endlich die Dinge auf den Tisch kommen, die sowieso jeder unter vorgehaltener Hand bemängelt.
Sorgen Sie vor allem dafür, dass die Dinge, die gut sind und das Unternehmen von anderen auszeichnet, für jeden präsent sind und gefördert werden.
8 Schritte, mit denen Manager eine Unternehmenskultur etablieren können
Wie sorgen Manager dafür, dass ihre Unternehmenskultur das Unternehmen stärkt und selbst in größten Krisen Bestand hat?
- Indem Sie selbst immer das vorleben, was sie von ihren Mitarbeitern erwarten.
- Indem Sie selbst die Einhaltung der Unternehmenswerte einfordern und auch nur die leichtesten Abweichungen davon sofort zur Sprache bringen und erneute Abweichungen nicht akzeptieren.
- Indem Sie den Mitarbeitern den Rücken stärken, die das Aufkommen von „Unkultur“ ansprechen und diese Mitarbeiter dann vor denjenigen schützen, die diese „Unkultur“ leben wollen.
- Indem Sie auf Warnsignale der Mitarbeiter achten, die ein Abdriften von der gewünschten Unternehmenskultur andeuten, wie z.B. das Abwandern sehr guter, angesehener und bislang sehr loyaler Mitarbeiter.
- Indem Sie verstehen, dass sämtliche internen Workshops, Teambuildings und an die Wände gehängte Beschreibungen der Unternehmenskultur sinnlos sind, wenn ein Manager des Unternehmens die Kultur wahrnehmbar nicht beachtet und keine Konsequenzen gezogen werden. Ein einziges Vorkommnis reicht dafür aus!
- Indem Sie dafür sorgen, dass Mitarbeiter eingestellt werden, die zur Unternehmenskultur passen und dieser „culture fit“ höher bewertet wird, als fachliche Exzellenz. Denn ein fachlich exzellenter neuer Mitarbeiter, der nicht zur Kultur passt, wird entweder scheitern oder das Unternehmen/das Team, in dem er arbeitet, nachhaltig negativ beeinflussen.
- Indem Sie regelmäßig Umfragen bei Kunden und Geschäftspartner durchführen lassen, mit denen Rückschlüsse auf die eigene Unternehmenskultur getroffen werden können, wie z.B. „Haben Sie als Kunde den Eindruck, dass unsere Mitarbeiter im Falle einer Reklamation alles tun, um Sie wieder zufrieden zu stellen?“.
- Indem Sie Kunden und Geschäftspartner mit einbeziehen, wenn Sie die Unternehmenskultur des eigenen Unternehmens beschreiben lassen.
Der erste Punkt in dieser Liste ist der am meisten vernachlässigte.
Das ist nicht nur meine Erfahrung, sondern auch die des Harvard Business Manager: „Da sich alle Kategorien gegenseitig beeinflussen, kann über die Veränderung von Abläufen, Spielregeln und gezeigten Werten langsam auch die innere Haltung der Mitarbeiter beeinflusst werden. Damit dies funktioniert, muss das Management die neuen Werte und Normen vorleben – und das geschieht nur selten.“
Also dann …
Legen Sie los und leben Sie vor.
*Axel Rittershaus: Seit 2008 fokussiert sich der ehemalige IT-Unternehmer und Bitkom-Hauptvorstand darauf, Führungskräfte und Mitarbeiter der IT-Branche als Coach und Trainer zu unterstützen. Er ist Autor des Fachbuchs „Führungspraxis für Ingenieure und IT-Experten“.
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