Was passiert, wenn ein Informatiker eine neue Führungsrolle übernimmt und auf ein demotiviertes Team trifft? Wie es gelingen kann, als Führungskraft auch unter erschwerten Bedingungen erfolgreich zu werden, zeigt ein Praxisbeispiel. [...]
Die Zentrale eines großen IT-Produkthandels gibt einer seit Jahren schlecht und führungslos laufenden Filiale eine letzte Chance. Markus Holzer (Name geändert), Informatiker ohne Vertriebs- und Führungserfahrung, wird als neuer Vertriebs- und Niederlassungsleiter auserkoren. Er nimmt seine neue Führungsrolle an – mit dem Ziel, aus einer demotivierten Mannschaft ein leistungsfähiges Team zu formen. Das auch intern negative Image und eine hohe Fluktuation sind einige der Hürden, die er dabei überwinden muss.
Führungskraft unter Druck
Als kommissarischer Niederlassungsleiter für zunächst sechs Monate steht Holzer vom ersten Tag an unter enormem Druck. Knüpft doch das Unternehmen an seine neue Führungsrolle die klare Forderung nach einer endlich wieder funktionierenden Niederlassung, inklusive steigender Umsätze. Holzer setzt auf Mitarbeitermotivation. Damit will er die vorherrschende negative Grundeinstellung des Teams positiv beeinflussen und einen Haufen uninspirierter Angestellter, zu selbstständig arbeitenden und mitdenkend Mitarbeitern formen. Dazu passt er in seiner neuen Führungsrolle zunächst die Strukturen an. Das Erschließen neuer Marktanteile und Gewinnen neuer Kunden ist für ihn eine darauf aufbauende logische Folge.
Der Informatiker vertraut auf sein Bauchgefühl, dass das ganze Team mitmachen muss, um einen Veränderungsprozess überhaupt in Gang zu setzen. Er will jeden einzelnen Mitarbeiter motivieren, mehr Verantwortung zu übernehmen. Als Mannschaftssportler weiß er, dass nicht jedes Mitglied in einem Team ein Führungsspieler sein kann und muss. Aber wenn jeder auf seiner Position das Optimum leistet,statt sich nur auf den anderen zu verlassen, wird die Mannschaft und damit das Ergebnis besser.
Moderne Führung im Unternehmen einführen
Aus meiner Erfahrung als Executive Coach für Führungskräfte weiß ich, dass rund 50 Prozent aller Geschäftsführer und Topmanager die größte Führungsherausforderung darin sehen, ihre Mitarbeiter zu motivieren, um dringend erforderliche Veränderungen im Unternehmen aus dem Team heraus aktiv zu gestalten. Die Frage, die sich jede Führungskraft stellt, lautet: Wie kann ich aufgabenorientierte Mitarbeiter zu verantwortungsvollen, eigenständigen Mitarbeitern mit Begeisterung für ihren Job entwickeln?
Holzer kann zwei Pluspunkte für sich verbuchen. Sein Vorgesetzter, der Regionalleiter, steht konsequent hinter ihm und unterstützt ihn in jeder Hinsicht. Außerdem hat er von Anfang an einen Führungskräftecoach an seiner Seite. In dieser Konstellation geht er seine neue Führungsrolle an – bewusst und Schritt für Schritt, vom stillen Beobachter zum vorangehenden Veränderer. Denn er weiß natürlich, dass Mitarbeiter auf die Führungskraft schauen und ihre Reaktion immer auch eine Folgewirkung auf das ist, was ihnen vorgelebt wird. Die Erkenntnis: Nur wenn ich bereit bin, an mir zu arbeiten und Motivation lebe, kann ich der beste Coach für mein Team sein und es zum Erfolg führen. Er nimmt die Verantwortung für die Veränderung also selbst in die Hand. Diese Vorgehensweise ist mit Abstand der wirkungsvollste und effizienteste Weg, um die gewünschten Ergebnisse zu erreichen.
Wie in einem fremden Land
Damit dem neuen Chef die Selbstmotivation nicht abhandenkommt und um etwaige eigene Ängste zu überwinden, starten wir gemeinsam damit, detaillierte und realistische Zielerreichungskriterien zu entwickeln. Das Ergebnis ist ein starkes Zielbild, eine klare Landkarte, auf der jederzeit ablesbar ist, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind.
Als Coach frage ich den Niederlassungsleiter: „Wenn Sie in ein Ihnen völlig unbekanntes Land fahren, wie verhalten Sie sich dort?“ Holzer: „Ganz klar, ich kenne weder das Land noch die Leute und auch nicht die Spielregeln. Also halte ich mich erst einmal zurück, beobachte, wie alles funktioniert und spreche dann mit den Leuten.“ Genau darum geht es bei der Übernahme einer neuen Führungsrolle: Nicht irgendetwas voraussetzen, sondern wie in einem fremden Land beobachten, wahrnehmen und studieren, wie die Leute ticken und miteinander umgehen. Das fällt Holzer als Informatiker sogar erstaunlich leicht.
Guter Start
Dann beginnt Holzer, die Basis dafür zu schaffen, dass die Mitarbeiter ihr Misstrauen nach und nach ablegen. Um immer präsent zu sein, nimmt er sich eine Wohnung am Ort der Niederlassung, was Signalwirkung hat. Sein Regionalleiter übernimmt die offizielle Vorstellungsrunde vor seinem gesamten Team. Ohne große Reden zu schwingen, stellt sich Holzer dann menschlich, als Persönlichkeit, vor. Das ist für ihn – als typischen Informatiker – erst einmal ungewohnt, doch sobald er merkt, dass die erste Resonanz darauf positiv ist, gelingt es ihm immer besser. Als nächstes führt er lange Einzelgespräche mit allen Mitarbeitern. Er versteht seine Führungsrolle dabei als die des Zuhörenden, der erfahren will, wie seine Mitarbeiter ticken, welche Stärken, welche Vorstellungen und Erwartungen sie haben. Sein Fokus ist nicht, Leitlinien oder Ziele zu vermitteln, sondern echtes Vertrauen aufzubauen.
Die Ziele setzt Holzer mit dem Regionalleiter. Bei der Strategie für die Zukunft bindet er die Mitarbeiter ein, wo es sinnvoll ist. Das Team soll erkennen: Wir wollen das alle und sind alle verantwortlich.
Sicherheit und Orientierung geben
Um den Austausch unter den Kollegen zu fördern und alle bei jedem Thema von Anfang an mitzunehmen, wird einmal wöchentlich ein festes Treffen installiert. Das Ziel: Die Mitarbeiter sollen zusammen arbeiten und die Befähigung als Mannschaft annehmen, den Change-Prozess konkret anzugehen.
Im Gespräch mit mir fasst Holzer seine elementaren Erwartungen und Grundsätze in fünf bis sechs Basisregeln zusammen. Das sind die Regeln, die er in seiner Führungsrolle klar und deutlich kommuniziert. Sie gelten jederzeit und für alle. Ein paar Beispiele:
- Informationen als Bringschuld vereinbaren,
- Schulddiskussionen in Verantwortungsübernahme und Lösungsorientierung umwandeln,
- offene Fehlerkultur mit Lerneffekt,
- Meckerhaltung gegen das Vortragen konkreter Veränderungsvorschläge eintauschen.
Als Führungskraft lernt Holzer, jederzeit konsequent und klar gegenüber seinen Mitarbeitern zu sein. So wird er dauerhaft als klare und verlässliche Persönlichkeit wahrgenommen. Um zu erfahren, welches Bedürfnis nach starker oder lockerer Führung seine Mitarbeiter haben, fragt er sie konkret danach, in welche Führungsrolle er schlüpfen soll. Manche Mitarbeiter wollen tatsächlich klare Handlungsanweisungen.
Eigeninitiative und Mitdenken forcieren
Um die Eigeninitiative des Mitarbeiters zu stärken, fragt der Chef bei jeder zu übergebenden Aufgabe, wie und in welchem Zeitrahmen eine Mitarbeiterin oder Mitarbeiter bzw. das Team sie angehen wolle und vereinbart Rückmeldungen. Bei gutem Ergebnis gibt es Anerkennung. Bei nicht optimalem Verlauf kann im Zuge der Rückmeldung gemeinsam umgesteuert werden. Holzer erfährt, wie seine Leute arbeiten, ist in seiner Führungsrolle immer aktiver Teil des Prozesses, die Mitarbeiter fühlen sich ernst genommen. Als Führungskraft auf Augenhöhe weiß er, dass es viele Dinge gibt, die man delegieren kann, es aber Chefsache sein muss, Veränderung voranbringen und die Mitarbeiter zu mehr Eigenverantwortung zu motivieren. Nach diesen Grundsätzen gestaltet er seine Führungsrolle und die Mitarbeiter nehmen es dankend an.
Im wöchentlichen maximal zwei Stunden dauernden Gruppen-Meeting führt der Niederlassungsleiter eine Agenda ein. Gestartet wird mit positiven Entwicklungen. Es folgen Punkte, die nicht gut gelaufen sind und gemeinsam verbessert werden können. Dann tragen die Mitarbeiter abwechselnd Inhalte aus ihren Bereichen vor.
Der nächste Schritt ist für den neuen Chef, dass dem Team klar wird: Ich weise als Führungskraft den Weg, aber entweder legen wir ihn gemeinsam zurück oder gar nicht. Holzer hält seinen Leuten den Rücken frei, damit sie ihre Arbeitsergebnisse erbringen können. Alle sorgen dafür, dass die Reibungsverluste gering bleiben, sie sich aufeinander verlassen können, Offenheit und Transparenz gepflegt werden und Kleinkriege untereinander ausbleiben.
Das folgende Video zeigt in humoristischer Weise, wie eine Team-Kommunikation von Seiten des Vorgesetzten auf keinen Fall ablaufen sollte.
Anders führen lernen
In kritischen Situationen lernt Holzer, den Führungsgrundsatz „Fragen statt Ausbremsen“ zu beherzigen. Statt seinen Unmut zu äußern, erkennt er in den Antworten des Mitarbeiters, dass dieser fast immer in positiver Absicht gehandelt hatte, wenn auch mit „ungutem“ Ausgang. So kann er konstruktiv darauf hinwirken, dass der Mitarbeiter seine Handlungsoptionen erweitert.
Der kommissarische Leiter der ehemals schwachen Niederlassung wird statt nach sechs bereits nach vier Monaten zum dauerhaften Niederlassungs- und Vertriebsleiter ernannt. Zum Thema Motivation meint er: „In der Niederlassung tut sich was. Gerade in den kleinen Bereichen, in denen man schnell was bewegen kann, sind wir auf einem guten Weg. Ob es Kundenbindungsprogramme sind oder Produktverkauf gemacht werden soll, wir sind nicht mehr im letzten Drittel.“ Die Mitarbeiter entwickelten Verständnis dafür, was im Moment wichtig ist.
Was Holzer besonders auffällt: „Als typischer Informatiker habe ich eine klare und eher introvertierte Art, ich dachte immer als Vertriebsleiter mit einer klaren Führungsrolle geht das gar nicht. Aber das Gegenteil ist der Fall – die Art der Führung muss eben zu mir und meinem Stil passen.“ Was er vor allem gelernt habe, ist, dass er nicht immer alles selbst wissen muss. Es sei viel wichtiger, stattdessen die Mitarbeiter zu fragen. Sie wüssten es in der Regel besser als er. Außerdem trage das „Fragen statt Sagen“ zu einer deutlichen Motivation bei den Mitarbeitern bei. Der Manager hätte sich vorher nicht vorstellen können, dass ein lobendes „toll“ als Ausdruck einer positiv interpretierten Führungsrolle eine so motivierende Wirkung haben könnte.
*Gudrun Happich: Management-Beraterin, Diplom-Biologin und Autorin Gudrun Happich agiert mit ihrem Galileo Institut für Human Excellence seit rund 20 Jahren als Sparringspartnerin für Leistungsträger in Top- und Schlüsselpositionen.
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