Um Apples Ambitionen im Bereich Datenbrillen zu verstehen, braucht es einen Blick über den Tellerrand. Denn anstelle wie alle anderen unmodische Smart Glasses zu bauen, will Apple modische Brillen smart machen. [...]
Man kann sich schwer vorstellen, dass Apple Smart Glasses verkauft. Es ist aber ebenso schwer zu sehen, warum Apple dies nicht vorhaben sollte. Wenn Datenbrillen zu einer populären und weitverbreiteten Produktkategorie im Bereich Unterhaltungselektronik werden, ist Apple gegenüber seinen Aktionären fast schon verpflichtet, in diesem Markt mitzumischen. Denn Apple steckt in der Klemme: Die Rendite bei Smartphones schrumpfen, der Tablet-Markt hängt in den Seilen und auch um die Apple Watch steht es nicht besonders gut – Smart Watches schafften es nicht zur nächsten Mainstream-Plattform.
Als Konsequenz muss sich Apple anpassen und mit der künftigen Entwicklung im Bereich Consumer Electronics mithalten, um weiterhin den Markt zu beherrschen und sein Wachstum sicherzustellen. Auch die Wahl des Smartphones könnte in Zukunft durch den Einsatz von Smart Glasses diktiert werden. Wenn der Großteil davon nur mit einem Android-Smartphone funktioniert, könnte Apple Marktanteile verlieren.
Es ist unbestritten, dass Apple an Smart Glasses arbeitet. Bloomberg berichtete bereits im November 2016, dass Apple den Einstieg in den Markt für „digitale Brillen“ andenkt. Den im Bericht zitierten anonymen Quellen zufolge erwägt Apple bereits im nächsten Jahr den Verkauf von Brillen, die „Bilder und andere Informationen im Gesichtsfeld des Trägers zeigen und Augmented Reality unterstützen könnten“.
Die Financial Times wiederum hatte Anfang letzten Jahres gemeldet, dass Apple ein großes Team für die Themen Augmented Reality und Virtual Reality aufbaue und dazu Mitarbeiter von Microsoft und Lytro abgeworben habe. Dazu passt, dass Apple auch einige AR-Firmen aufgekauft hat. Die Company akquirierte PrimeSense, den Hersteller der Sensor-Technologie in Microsofts Kinect. Apple schnappte sich außerdem die AR-Startups Metaio, Faceshift, Emotient und Flyby. AR-bezogene Patente von Apple reichen bis in die letzte Dekade zurück. Außerdem postete der Tech-Blogger Robert Scoble Anfang Januar auf Facebook das Gerücht, dass Apple mit Carl Zeiss an Smart Glasses arbeite.
Wenn Smart Glasses Mainstream werden würden sich die ganzen Planungen, Überlegungen und Investitionen für Apple lohnen. Und Mainstream bedeutet in diesem Zusammenhang, dass fast alle Brillen smart werden.
Ein Brillenhersteller wird smart
Hinweise dafür, dass Augmented und Mixed Reality Mainstream werden, gibt es überall. Der größte davon ist kaum eine Woche her, als der französische Brillenglas-Spezialist Essilor in einem 46-Milliarden-Euro schweren Deal mit dem italienischen Brillenfertiger Luxottica (Ray-Ban, Oakley) fusionierte.
Bei der Bekanntgabe der Fusion erklärte Essilor-CEO Hubert Saginières den Medien laut FT-Bericht, Grund für die Fusion sei die Innovation bei „Connected Glasses“ und die Möglichkeit, diese „extrem schnell an die Verbrauchern in allen Märkten der Welt und über alle Netzwerke hinweg“ zu liefern. Der französische Hersteller stellte im vergangenen Jahr den Prototyp eines AR-Systems für Sehbehinderte namens MyEye vor, mit dem jeder Text gelesen, in Text umgewandelt und dann dem Brillenträger laut vorgelesen werden kann.
Was stimmt mit aktuellen Smart Glasses nicht?
Obwohl viele Unternehmen erforschen, was man mit der Technologie anstellen kann und was die Endkunden wollen, ist das Feld noch ziemlich offen für Apple und EssilorLuxottica. Man muss sich nur ansehen, was sich gegenwärtig auf dem Markt befindet. Da gibt es die sensationellen High-End-Mixed-Reality-Projekte wie Microsofts HoloLens und das Riesenprojekt Magic Leap.
Und auch auf der CES wurden Neuheiten in diesem Bereich gezeigt. Ein in San Francisco ansässiges Unternehmen namens Osterhaut Design Group (ODG), das bereits erfolgreich industrielle AR-Smart Glasses verkauft, stellte in diesem Monat ein Consumer-Modell namens R-8 für weniger als 1000 Dollar vor. Die Datenbrille lässt sich wie Bluetooth mit einem Android-Smartphone verbinden und besitzt zwei Augengläser mit 720p Auflösung, die gegenüber dem Brillenträger wie ein riesiger 90-Zoll-3D-Bildschirm wirken, der drei Meter vor ihnen zu schweben scheint. Die Brille besitzt außerdem zwei 1080p-Kameras.
Die R-8 ist ein gutes Beispiel dafür, was im Allgemeinen auf dem Markt passiert. Aktuelle Smart Glasses für Endanwender sind entweder zu leistungsfähig (und damit zu sperrig), zu teuer, zu ambitioniert oder zu eingeschränkt in ihrer Nutzung – beispielsweise fokussiert auf Leistungssport.
Egal, ob Sony SmartEyeGlass, GlassUp UNO und Factory 4.0, Epson Moverio BT-300, Jins Meme, Recon Jet, Optinvent Ora-2 Professional Smart Glass, CastAR, LaForge Shima, Oakley’s Radar Pace oder HiAR Glasses – sie alle fallen in eine dieser beiden diese Kategorien. Und sie sind alle zu schwer, um die ganze Zeit getragen werden.
Eine weitere neue Kategorie sind Smart Glasses, die die Gehirnwellen messen. Safilo Group, die Company hinter Dior- und Hugo-Boss-Brillen, fertigt diese normal aussehenden Brillen, die Gehirnwellen messen und diese Daten dann an eine App senden, mit deren Hilfe Nutzer ihre Stimmung überwachen können.
Last, but not least gibt es dann natürlich noch den bereits florierenden Markt für Business-taugliche Datenbrillen. Mit dem Glass C200 hat unter anderem auch der PC- und Smartphone-Riese Lenovo auf der CES ein Produkt für diesen Bereich vorgestellt. Und neben der bereits erwähnten R-8 präsentierte ODG in Las Vegas mit der R-9 auch ein Modell für den Enterprise-Bereich. Weitere bekannte Anbieter sind Vuzix (M100, M300, M3000) und Epson mit seiner Moverio-Reihe.
Warum der Markt weit offen für Apple ist
Für all diese sperrigen, albernen und teuren Smart Glasses mag es Nischen in Bereichen wie Gaming, Drohnen-Steuerung, Unternehmenseinsatz etc. geben. Sie werden aber nicht Mainstream und ändern damit nicht die Art und Weise, wie wir unsere mobilen Devices bedienen.
In einem gewissen Maße gilt dies allerdings für die Smart Glasses von Vue, die Tonübertragung mittels Knochenleittechnik sowie LED-Leuchten nutzen, um Informationen vom Smartphone zu übertragen und damit als smart gelten können. Sie verfügen weder über ein Display noch über Kameras. Dafür bieten sie ein Feature, dass sie massentauglicher macht als all die anderen Produkte: Sie könnten als normale Brillen durchgehen.
Sie zeigen außerdem ein Haupt-Feature von Smart Glasses, das fast jeder übersieht: Brillen sind der perfekte Platz für Audio-Interaktion via Mikrofon und Knochenleitung bereitzustellen. Und weil sie Platz für eine größere Batterie bieten, sind sie Ohrhörern für die Interaktion mit einem virtuellen Assistenten wie Siri, Alexa, Google Assistant oder Cortana überlegen. Außerdem können sie den ganzen Tag getragen werden und halten die Ohren frei. Allein aus diesem Grund kommt man in Zukunft nicht an Smart Glasses vorbei, die subtile Integration eines Display oder vielleicht einer Kamera wäre nur ein weiteres Extra.
Die seltsame Sache an Wearables ist, dass sie Modegegenstände sind, mit all den Möglichkeiten der Anpassung und Individualisierung, die Mode bietet. Die Tech-Branche hat gezeigt, dass sie nicht wirklich der Herausforderung gewachsen ist, überzeugende Modedesigns für Wearables zu bieten. Aber Luxottica ist ein Modeunternehmen und – machen wir uns nicht vor – Apple ebenfalls. Dies hat die Company mit ihrer Apple Watch bewiesen, für die es in einer schwindelerregenden Vielzahl von Typen, Ziffernblätter und Armbändern gibt.
Die Zeit ist reif für massentaugliche Smart Glasses. Diese müssen aber wie herkömmliche Sehhilfen und Sonnenbrillen aussehen und dort bestellt werden können, wo es auch reguläre Brillen gibt. An einem Markt für so hässliche, klobige und alberne Datenbrillen, wie es sie heute gibt, hat Apple sicher kein Interesse. Führt man sich aber vor Augen, dass zukünftige Smart Glasses wie normale Brillen aussehen werden, dass sie schon bald im Consumer-Bereich Mainstream werden und dass es sich dabei um Luxus-Mode-Gegenstände handelt wird, ist es klar, dass Apple sicher einen Teil dieses Markt für sich beanspruchen wird.
*Manfred Bremmer ist Redakteur der COMPUTERWOCHE. Der Artikel basiert auf einem Beitrag der US-Schwester-Publikation Computerworld.com.
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