Die Unfähigkeit, die Unternehmenskultur zu ändern oder sich an den zentralen Kennzahlen wie Kundenzufriedenheit und Wertschöpfung auszurichten, gehören zu den Hauptgründen, warum die digitale Transformation oft versagt, sagen Experten. [...]
Fragt man CIOs nach ihren digitalen Transformationsprojekten, werden sie stolz über erfolgreiche Cloud-Migrationen und Analysemöglichkeiten sprechen, die sie näher an ihre Kunden bringen. Neue Daten deuten jedoch darauf hin, dass die Geschäftstransformationsprojekte hinterherhinken oder gar nicht existieren.
56 Prozent der von Forrester Research befragten 1.559 Business- und IT-Entscheidungsträger geben an, dass ihre digitale Transformation in vollem Gange ist, während 22 Prozent eine Transformation in Erwägung ziehen oder keine entsprechenden Pläne haben. 21 Prozent der Befragten betrachten hingegen ihre digitale Transformation als abgeschlossen, was darauf hindeutet, dass sich CIOs nicht im Klaren sind, was es bedeutet, einen ganzheitlichen Wandel zu bewirken. „Unternehmen werden niemals transformiert sein und sich immer verändern“, sagt Forrester-Analyst Ted Schadler.
Der Geschäftswandel wird nie abgeschlossen sein, weil keine Branche zukunftssicher ist. Digitale Disruption ist aufgrund der Geschwindigkeit des technologischen Wandels eine ständige Bedrohung. Neue Technologien wie künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Blockchain führen zu einer erheblichen Automatisierung und zum Abbau von Eintrittsbarrieren.
„Digitale Technologien und Geschäftsmodelle zu akzeptieren, ist der einzige Weg in einer Welt, in der Kunden eine mächtige Rolle spielen und Disruptoren die Nischen und Schwachstellen des Marktes schnell ausnutzen“, sagt Schadler in seinem Bericht „The Sorry State of Digital Transformation in 2018.“
Änderungen in kritischen Bereichen greifen zu kurz
Einige der größten Indikatoren dafür, dass die digitale Transformation hinterherhinkt, liegen laut Schadler in den Ergebnissen für bestimmte Bereiche, die für ein Unternehmen von zentraler Bedeutung sind. Zum Beispiel bemühen sich nur 34 Prozent der Finanzdienstleistungsunternehmen und Versicherer, das Marketing zu transformieren. Darüber hinaus verbessern nur 45 Prozent der Befragten in diesen Branchen den Kundendienst, was nach Ansicht von Schadler angesichts der hohen Akzeptanz von Smartphones und anderen mobilen, vernetzten Geräten zu wenig ist.
Die Zahlen sind für den Einzelhandel, die Mutter aller kundenorientierten Branchen, nicht viel besser. Die Befragten transformieren Marketing, Vertrieb und Kundenservice zu 43 Prozent, 46 Prozent bzw. 54 Prozent. Im Herstellungsbereich, der bei der Transformation der IT traditionell ein Nachzügler ist, sieht es am schlimmsten aus. Die Fertigungsunternehmen rüsten Marketing (32 Prozent), Vertrieb (32 Prozent) und Kundenservice (33 Prozent) nur geringfügig um.
„Eine weiteres Alarmzeichen ist, dass zu wenige CIOs neueste Technologien nutzen“, sagt Schadler. Nur 29 Prozent der Befragten investieren in das Internet der Dinge und nur 17 Prozent in KI. Auch Blockchain (11 Prozent) und Augmented Reality (10 Prozent) sind angesichts ihres Potenzials nach wie vor unterrepräsentiert. „Software, die Cloud und die neuen Technologien werden zu Geschäftsressourcen und nicht nur zu technologischen Voraussetzungen für das digitale Geschäft“, so Schadler. „Es ist Zeit, in jede von ihnen mehr zu investieren.“
Probleme bei der internen Abstimmung
Die Daten werfen ernste Fragen darüber auf, warum Organisationen sich so langsam auf neue Technologien einlassen und warum so viele CIOs die Transformation von Sales, Marketing und Kundenbetreuung vernachlässigen.
Probleme bei der internen Abstimmung sind laut Schadler eine der größten Herausforderungen. Beispiel: Während ein Teil der Organisation sehr erfolgreich Produkte lanciert, ist der andere Teil schwach bei der Generierung von Leads. Andere Unternehmen reagieren wiederum zu langsam auf Kundenbedürfnisse.
Schadler empfiehlt Unternehmen, Kundenwerte und -zufriedenheit zumindest auf jährlicher Basis zu quantifizieren und Messgrößen zu initiieren, in denen jede Einheit eines Unternehmens den Einfluss ihrer Rolle in der Wertschöpfungskette sehen kann. Es ist wichtig, den End-to-End-Prozess des Onboardings von Kunden zu messen. „Es ist keine Hexerei – man braucht dazu nur den Willen und die Abstimmung der Kommunikation“, sagt Schadler.
Der Hauptgrund für das Versagen der digitalen Transformation bleibt natürlich die Unfähigkeit, den Kulturwandel voranzutreiben. Manchmal wird die Notwendigkeit des Wandels im Management ganz einfach bewusst ignoriert. Zum Beispiel sagen nur 37 Prozent der 460 befragten CEOs, dass bis 2020 ein bedeutender oder tiefgreifender Kulturwandel notwendig sei, so die Gartner CEO-Umfrage von 2018.
Aber auch Organisationen, die die Notwendigkeit eines Kulturwandels erkennen, tun zu wenig in diese Richtung, weil sie die bedeutenden Veränderungen, die digitale Medien erfordern, nicht richtig bewältigen. Wie George Westerman und Thomas Davenport Anfang des Jahres in der Harvard Business Review geschrieben haben, gaben General Electric, Ford und Procter & Gamble jeweils Millionen für die Entwicklung digitaler Produkte, Infrastrukturen und die Markenbegleitung aus, sahen sich jedoch mit erheblichen Performance-Herausforderungen konfrontiert.
Nicht wissen, was funktioniert und was nicht
Jay Goldman, Mitbegründer der digitalen Arbeitsplatzberatungsfirma Sensei Labs, sagt, dass viele Transformationsprojekte das Ziel verfehlen, weil Unternehmen irgendwelchen Trends nachlaufen. Er sagt, dass die meisten Organisationen „Innovationen nach Kilopreis“ kaufen, weil der CEO gelesen hat, dass AR oder KI die nächste heiße Sache seien. „Die aktuellen Probleme werden nicht durch die Technologien von morgen gelöst“, sagt Goldman.
Eine weitere Falle, in die CIOs gerne tappen, ist die Schaffung von getrennten Innovationslabs, um mit neuen Technologien zu experimentieren. Vom Rest des Geschäftes getrennt, sehen die hier entwickelten Produkte selten das Licht der Welt oder scheitern an Fragen der Wertschöpfung. Goldman sagt, dies liegt daran, dass die bestehende Organisationskultur eine Menge „Antikörper“ produziert hat, die gegen derartige Veränderungen resistent sind. Letztendlich welken solche Lösungen dahin, weil den Managern die finanziellen Ressourcen fehlen, um sie zu skalieren. „Die Realität ist, dass man damit ein separates Geschäft geschaffen hat, ohne aber die Kultur des Kerngeschäfts verändert zu haben“, so Goldman.
Es ist üblich, dass Unternehmen KPIs erstellen, die den digitalen Erfolg messen, aber Goldman rät, sich auf etwas ganz Anderes zu konzentrieren: Fehlschläge. Die Logik dahinter: Wenn es nicht genügend Fehlschläge gibt, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht, bedeutet das, dass Unternehmen nicht schnell genug arbeiten. „Wenn mehr als 30 Prozent der Experimente erfolgreich sind, bedeutet das, dass die Messlatte nicht hoch genug angesetzt war“, sagt Goldman. Aber das ist leichter gesagt als getan, da CIOs, CMOs und andere Führungskräfte geschult sind, KPIs durch die Erfolgsbrille zu sehen.
„Um in einer digitalisierten Welt Schritt halten zu können, ist eine grundlegendere Neubewertung der Denk- und Verhaltensweisen von Unternehmen und der Einsatz von Technologien erforderlich, die eine Transformation der DNA des Unternehmens ermöglichen“, sagt Goldman abschließend.
*Clint Boulton ist Redakteur des US-Magazins CIO.
Be the first to comment