Was Chefs vom Umgang mit ihren Kindern lernen können

Führung geht heute anders: Chefs sind Begleiter, Motivatoren, Vorbilder. Sind Manager auch Eltern, können sie viel vom Umgang mit ihren Kindern ins Business transferieren. Stichwort: familiäre Führungskompetenz. [...]

Das Fremd- und auch Selbstbild von Führungskräften und Managern hat sich verändert. Manager mit Führungsverantwortung und insbesondere Verantwortung für Mitarbeiter sind schon lange nicht mehr „nur“ Chefs. Ihr Aufgabenportfolio hat sich stark erweitert. Viele „menschliche“ Komponenten in der Führung werden ihnen abverlangt: Sie sind Kommunikatoren, Motivatoren, Begleiter, Kritiker, Vorbilder und Impulsgeber. Sie führen, fordern und fördern. Den „großen Zampano“ heraushängen zu lassen, kommt in den wenigsten Fällen noch wirklich an. Ebenso erwarten reflektierende Mitarbeiter und Stakeholder eines Unternehmens Authentizität statt äußerer Autorität als Zeichen von Führungsstärke.
Auch in Familien wird Elternsein heute anders definiert. Elternteile mit Erziehungsverantwortung sind schon lange nicht mehr „nur“ Familienoberhäupter. Sie übernehmen in der Erziehung ihrer Kinder ähnliche Aufgaben wie die von Führungskräften. Reines Hierarchiegehabe ist also auch in der Familie out. Verlässliches „Da-Sein“ läuft deterministischem „Da-Hin“ zunehmend den Rang ab.
Ein Vergleich des Denkens, Fühlens, Redens und Handelns von Führungskräften mit jenem ihres Elternseins ist somit erlaubt, möglich und sehr sinnvoll. Damit ergeben sich ganz konkrete Linien zwischen Management und Erziehung – Chef in einem Unternehmen sein und Eltern sein. Es geht bei dem Vergleich darum, dass Eltern als Führungskräfte ihre emotionalen und sozialen Kompetenzen aus beiden Lebens- beziehungsweise Wirkungsbereichen gewinnbringend miteinander verknüpfen und davon umfassend profitieren. Wegen der enormen Synergie-Effekte können ungenutzte Führungspotenziale gehoben und im jeweils anderen Bereich erfolgreich eingesetzt werden. Welche Verhaltensweisen im Umgang mit ihren Kindern können Eltern als Führungskräfte auf den Umgang mit ihren Mitarbeitern im Unternehmen übertragen? Zwei Szenarien verdeutlichen dies:
Eltern müssen nicht perfekt sein – Chefs auch nicht
Der Vater runzelt die Stirn. Er hat vergessen, wie das Parfum der Mutter heißt, das er ihr zu Weihnachten schenken will. Er fragt seine Tochter danach und schämt sich ein bisschen, weil er die Marke nicht mehr parat hat. Seine Tochter schaut ihn an. „No problem, Papa. Du hast so viel um die Ohren. Da darfst du schon mal was vergessen.“
Als Chef begleitet derselbe Vater ein Mitarbeiter-Team bei einem neuen Projekt. In einem Projekt-Meeting fehlt ihm eine Information, um einen technischen Aspekt zu verstehen. Er bekennt sich zu seinem fehlenden Fachwissen in dieser Thematik. Seine Mitarbeiter erläutern geduldig die technischen Details. Ein Mitarbeiter meint: „Chef, das ist kein Thema. Dieses Detail können und brauchen Sie ja gar nicht zu wissen. Es ist im Alltag ja unser und nicht Ihr Thema.“
Man muss kein Superman sein
Die Erkenntnis aus beiden Situationen ist, man muss kein Superman sein, um ein super Papa oder Chef zu sein. Offenheit im Umgang mit Unwissenheit oder Vergesslichkeit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern vielmehr von Stärke und Souveränität. Den „perfekten Chef“ gibt es nicht. Den „perfekten Vater“ ebenso wenig. Kein Mitarbeiter und auch kein Kind erwartet Perfektion. Im Gegenteil: Normal zu sein, das heißt, nicht alles zu wissen oder können, ist sympathisch und erleichtert den Umgang miteinander.
Darüber hinaus lässt dieses Verhalten den Rückschluss zu, dass der Chef seine Erwartungen an den Mitarbeiter ähnlich realistisch ansetzt – nämlich, dass dieser sein Bestes gibt, und nicht, dass dieser perfekt ist. Jeder hat somit die Chance, für sich stetig weiter zu lernen. Der weise Satz des Autors Martin Walser, „Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße“, könnte eine Philosophie für Unternehmen und für die Familie sein.
Vom Wert des Gewissens und der Authentizität
Die Mutter sitzt mit ihrem Sohn am Samstagnachmittag im Wohnzimmer. Beide genießen die Ruhe im Haus und lesen. Auf einmal legt der Sohn sein Magazin weg und fragt seine Mutter: „Sag mal, Mama, waren die Leute, als du ein Kind warst, auch so wie heute?“ Die Mutter schaut auf und hakt nach: „Wie meinst du das, Paul?“ „Na, im Moment habe ich den Eindruck, dass um mich herum Hauen und Stechen stattfindet. In der Schule haben echt viele Stress miteinander. Es geht irgendwie immer darum, der Beste, Beliebteste und so weiter zu sein. Ich finde das doof, weil ich oft das Gefühl habe, die sind dann gar nicht mehr echt, sondern verkaufen sich irgendwie als jemand, der sie gar nicht sind, sondern nur darstellen wollen.“
Die Mutter denkt nach und antwortet dann behutsam: „Ja, Paul, ich glaube, die Menschen waren im Prinzip immer so. Mir begegnet das immer wieder einmal im Privaten oder im Beruf. Heute scheinen sich aber mehr die Extreme auszubilden – entweder nett oder sehr arg, schwarz oder weiß. Meine Art zu denken, zu fühlen und zu handeln ist das nicht. Ich möchte gerne authentisch sein. Und darum lebe ich mit der Einstellung, dass die Menschen, die mir begegnen, nach unserer Begegnung zufrieden sind. Ich möchte nicht – im sprichwörtlichen Sinn – meine Seele verkaufen. Ich freue mich, wenn du auch deinen Weg findest, ein aufrichtiger, ehrlicher Mensch zu sein.“
In der Firma berichtet der Chefin ein Mitarbeiter, dass ein Kollege unlauter mit den Kunden umgeht. Dadurch macht er mehr Umsatz. Die Chefin bedankt sich für die Information. Nach einem Moment des Nachdenkens wendet sie sich an den Mitarbeiter, der unlautere Methoden verwendet: „Herr L., wir alle wissen, dass der Wettbewerb heute extrem hart ist. Ich bin weder naiv, noch sozial romantisch. Nichtsdestotrotz möchte ich eine lautere, ehrliche Unternehmerin sein. Ich möchte mir jeden Morgen gerne und mit gutem Gewissen ins Gesicht schauen. So lebe ich als Mensch und als Chefin. Unsere Unternehmensphilosophie ist und bleibt somit: Ehrlichkeit und Fairness dem Kunden sowie allen Stakeholdern gegenüber.“
Fairness und Gerechtigkeit sind hohe Führungsziele
Hier lautet die Erkenntnis: Fairness und Gerechtigkeit sind hohe Führungsziele. Trotzdem oder gerade weil wir in einer „Ellenbogen-Gesellschaft“ leben und arbeiten, wo der Kampf ums wirtschaftliche Überleben den Ton angibt, ist es wichtig, sich nicht mitreißen zu lassen in den Strom der Unehrlichkeit, des taktischen Vorgehens, Manipulierens, des Verwerfens von Werten und Tugenden. Methoden und Kalkül sind keine wirksamen Führungsmittel und keine Basis für ein ethisches Leben und Wirken.
Fairness und Gerechtigkeit sind hohe Führungsziele. Langfristiges Denken, Reden und Handeln weisen den Weg in die Zukunft und ermöglichen Zukunft. Alle sind in der Verantwortung: im Mikrokosmos Familie und Unternehmen sowie im Makrokosmos Wirtschaft und Welt. Kinder können uns anleiten zu leben, was wirklich wichtig ist, was am Ende des Lebens bleibt – gerade in dieser sich extrem schnell verändernden Welt.
* Stephanie Robben-Beyer ist Business Coach.

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