Die Hotelkette Accor und der Elektronik-Händler Conrad haben ihn bereits, den Chief Disruption Officer. Warum es diesen Trend gibt und was das für den CIO heißt, erklärt Alexander Wink vom Headhunter Korn Ferry. [...]
Ein neuer Titel etabliert sich: der „Chief Disruption Officer“. Der französische Hotelier Accor hat im April 2016 Thibault Viort zu einem solchen ernannt, formal heißt er dort „Chief Disruption and Growth Officer“. Er soll vor dem Hintergrund der Digitalisierung neue Wachstumsfelder erschließen, nach Übernahme-Kandidaten Ausschau halten und Kooperationen mit Startups forcieren.
In Deutschland arbeitet – ebenfalls seit April vorigen Jahres – Ales Drabek bei Conrad Electronic als „Chief Disruption & Digital Officer“. Er kam von Metro-Konzern, dessen internationale Digitalisierungsstrategie er implementiert hatte.
„Der Titel ist nicht das Entscheidende“
„Das ist ein Trend“, bestätigt Alexander Wink, Senior Client Partner beim Personalberater Korn Ferry. Er besetzt diese Funktion auch in deutschen Konzernen. Wink sagt aber: „Der Titel ist nicht das Entscheidende. Da kursieren zurzeit sehr kreative Wortschöpfungen. Unter anderem auch deswegen, weil es diese Funktion in unterschiedlichen Ausprägungen in den USA bereits gibt.“ Eine einheitliche Sprachregelung zur Titulierung der Position gebe es bislang nicht. Letztlich seien diese Wortschöpfungen ein Spiegel der Umwälzung durch die digitale Transformation.
Der neue Funktionsträger verantwortet Fragen wie: Wo finden wir den Zugang zum Kunden? Mit welchen Inkubatoren müssen wir kooperieren? Von welchen Firmen müssen wir Partner werden? Welche sollten wir akquirieren? „Das erfordert Skills wie Technologieverständnis, Business Development und Partnermanagement“, erklärt Wink. „Ein Chief Disruption Officer agiert damit als General Manager auf der strategischen Ebene.“ Auf jeden Fall müsse er mit dem CIO kooperieren, sagt der Headhunter. Ebenso mit allen C-Level-Funktionen, die in die digitale Transformation eingebunden sind.
Als Gefahr für den CIO sieht Wink den Chief Disruption Officer nicht. „Der CIO trägt strategische und operative Verantwortung für alle IT-Themen eines Hauses“, sagt er. „Der Chief Disruption Officer ist eine strategische Funktion, die eine entscheidende Stellschraube für die Gesamtentwicklung eines Unternehmens ist. Darauf muss er 100 Prozent seiner Zeit verwenden. Das ist eine ganz andere Aufgabenbeschreibung als die des CIO – vielleicht eher mit einem heutigen Strategiechef vergleichar.“
Natürlich sei auch die Rolle des CIO im Wandel – das sei digitalisierungsbedingt jede Rolle. Wer Disruption verantwortet, ergänze die Arbeit anderer Entscheider. Nicht nur die des CIO. Auch beispielsweise die des Produkt-Verantwortlichen und des Chief Innovation Officer. „Es handelt sich beim Chief Disruption Officer um eine erweiterte Stabsaufgabe beim CEO“, resümiert Wink.
Chief Disruption, Chief Transformation, Chief Digital und andere Officer
Der für unsere Ohren noch ungewohnte Titel erklärt sich aus der Vorgehensweise US-amerikanischer Entscheider, erklärt Wink. Dass mancher hierzulande ein Chaos an Titeln rund um den Chief Disruption, Chief Digital, Chief Data, Chief Transformation, Chief Technology und sonstige Officer beklagt, kann Wink verstehen. Das sei einfach der unterschiedlichen Mentalität geschuldet: „Die Amerikaner fragen, was eine Person tun soll und leiten daraus den Titel ab“, sagt er, „sie gehen das pragmatisch an. Europäer formulieren erst den Titel und leiten dann die Aufgaben ab. Am liebsten haben sie das zusätzlich allgemeingültig. In der heutigen Zeit der Ambivalenz und permanenten Veränderung wird das für neue, teils auch alte Funktionen, aber kaum noch möglich sein.“
Für den Headhunter ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch in Europa mehr Entscheider als Chief Disruption Officer deklariert werden. Von der Ausbildung her verortet er Wirtschaftsinformatiker in dieser Funktion oder auch Ingenieure, die sich in einem zweiten Studiengang für BWL entschieden haben. „Erfahrungen in Telko oder der Semiconductor-Branche sind aufgrund der sich daraus ableitenden technologischen Kompetenz von Vorteil“, überlegt er.
„Die Suche nach Disruptions-Verantwortlichen ist global“
Angesichts des guten Ausbildungsniveaus stellt Wink Europa gar kein schlechtes Zeugnis aus. Er betont aber: „Die Suche nach Disruptions-Verantwortlichen ist global.“ Israel sei etwa ein guter Ort und natürlich das Silicon Valley.
Doch egal, wie der Titel des Kandidaten lauten mag und wo er herkommt, eines fällt dem Headhunter immer wieder auf: „Unternehmen übergehen oft das Human-Resources-Team.“ Er appelliert daher an Entscheider, einen klaren Recruiting-Prozess zu definieren und beispielsweise festzulegen, wer wen wann interviewt. Wink: „Es kann nicht sein, dass Kandidaten riesige Runden drehen müssen.“ In Zeiten eines so großen Wandels wie heute bleibe Unternehmen gar nichts anderes übrig, als auf Sicht zu fahren – und dabei sollten sie potenzielle Manager nicht aus den Augen verlieren, nur weil die internen Prozesse zu kurz greifen.
* Christiane Pütter schreibt für CIO.de und die Computerwoche.
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