Was ist ein Digital Twin?

Digital Twins unterstützen den Entscheidungsfindungsprozess und helfen bei der Optimierung und Effizienzsteigerung von Unternehmensprozessen und -strukturen [...]

Mit digitalen Zwillingen lassen sich die Auswirkungen von Änderungen an bestehenden Systemen und Prozessen evaluieren, ohne dass es zu Störungen in deren realen Abläufen kommt (c) pixabay.com

Produkt- und Verfahrenstechniker verwenden seit mehr als 30 Jahren digitale Anlagenmodelle, Prozesssimulationen oder 3D-Renderings von CAD-Modellen (Computer Aided Design), um die Durchführbarkeit von Prozessen sowie die Funktionalität von Produktionsanlagen zu gewährleisten und zu validieren. Im Grunde ist der digitale Zwilling also kein neues Konzept, gewinnt jedoch auch außerhalb dieser Kernanwendungen zunehmend an Bedeutung und Dynamik. Immense technologische Fortschritte und Entwicklungen machten den Digital Twin der letzten Jahre zu einem wertvollen Entscheidungsfindungswerkzeug für Unternehmen der verschiedensten Branchen.

Digital Twin – Definition

Der Begriff des digitalen Zwillings bezeichnet grundsätzlich die digitale Darstellung physischer Aktivposten wie zum Beispiel Produktionsanlagen, Produkte oder Supply-Chain-Netzwerke während deren gesamten Lebenszyklen. Von der Produktentwicklung über das Prozessmanagement bis hin zur Optimierung der Lieferkette – digitale Zwillinge ermöglichen es Unternehmen, neue Konzepte digital zu testen oder Optimierungen an bestehenden physischen Einheiten zu simulieren.

Auf diese Weise sind sie in der Lage, die digitale Darstellung eines Assets zu perfektionieren, bevor überhaupt ein physischer Prototyp gebaut wird. Auch lassen sich anhand digitaler Zwillinge Auswirkungen von Änderungen an bestehenden Systemen und Prozessen evaluieren, ohne dass es zu Störungen in deren realen Abläufen kommt.

Digitale Zwillinge beschreiben

Eine einfache Möglichkeit, einen digitalen Zwilling zu beschreiben, ist der Vergleich mit unserer eigenen digitalen Repräsentation im Netz, also Online-Präsenzen von Menschen etwa in sozialen Netzwerken. Auch digitale Zwillinge sind die Abbildung einer physischen Einheit im digitalen Umfeld. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass Menschen innerhalb sozialer Netzwerke in der Lage sind, sorgfältig kuratierte Darstellungen ihres Lebens zu erstellen. Sie verschweigen oftmals negative Aspekte, die sie nicht teilen wollen.

Digitale Zwillinge hingegen ermöglichen es Unternehmen, die Gesamtheit ihres realen Produkts, Systems oder Prozesses sichtbar zu machen. Zielist es, vor allem negative Aspekte effektiv hervorzuheben, um eine optimale Leistung in der physischen Welt zu ermöglichen. Letztendlich besteht das Ziel von digitalen Zwillingen darin, eine risikofreie Umgebung zu schaffen, in der unendlich viele Szenarien – wahrscheinlich oder nicht – getestet werden können.

Vom Testen neuer medizinischer Verfahren oder Behandlungen an digitalen Patienten oder Organen bis hin zur Planung und Modellierung ganzer Städte – den Einsatzmöglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt. So ist es im medizinischen Umfeld möglich, durch den digitalen Zwilling eine effektive, effiziente und patientenzentrierte Versorgung zu gewährleisten.

Während der digitale Zwilling in Schlüsselindustrien ein virtuelles Modell eines Prozesses oder Produkts repräsentiert, bildet er im Gesundheitswesen einen einzelnen Patienten ab. Die Paarung der virtuellen und physischen Patienten ermöglicht die Analyse von Echtzeitdaten und die Überwachung der Reaktionen auf verschiedene Behandlungsansätze. Darüber hinaus lassen sich Auswirkungen auf Patienten durch Änderung deren Verhaltens und Lebensstils prognostizieren. Auf diese Weise können eventuelle Probleme und ungewünschte Reaktionen vermieden werden, bevor sie überhaupt auftreten.

Digitaler Zwilling in der Stadtplanung

Im Bereich der Städteplanung lassen sich mit einem digitalen Zwilling auf Echtzeitdaten basierende 3D-Modelle ganzer Städte erstellen. Mit diesen sind Städteplaner in der Lage, verschiedenste Tests, wie zum Beispiel die Prüfung der Gebietsabdeckung von Mobilfunknetzen, durchzuführen. Auf diese Weise lassen sich Gebiete mit schlechter Abdeckung visuell hervorheben und die Netze in den betroffenen Stadtteilen verbessern. Die virtuellen Städte erlauben es zudem, bestehende Gebiete im Vergleich zu laufenden und zukünftigen Ausbau- oder Renovierungsprojekten zu visualisieren. Auf diese Weise können Behörden zusammenarbeiten und ihre jeweiligen Projekte aufeinander abstimmen.

Digital Twins optimieren Supply Chains

Auch aus Perspektive der Lieferkette ist der digitale Zwilling einer der wichtigsten strategischen Technologietrends und hat bedeutenden Einfluss auf die Branche. Zwar lässt sich noch nicht sagen, dass die Technologie bereits auf breiter Basis Anwendung findet, dies dürfte sich jedoch in naher Zukunft ändern. Der digitale Zwilling durchläuft im Moment bedeutende Veränderungen und steht an einem kritischen Wendepunkt in Bezug auf seinLeistungsvermögen und seine technologische Reife. In der Folge werden immer mehr Organisationen auf den Einsatz digitaler Zwillinge setzen, um ihre Supply Chains von einer Kostenstelle in einen Wettbewerbsvorteil zu verwandeln. Von der Standortbestimmung für neue Produktionsanlagen oder Vertriebseinrichtungen, der Berücksichtigung und Integration von Unternehmensübernahmen und -fusionen bis hin zur Netzwerkoptimierung und daraus resultierenden Kostenersparnissen oder Emissionsreduzierungen – die Einsatzfelder sind vielfältig.

Digital Twin – Wert schaffen und Kapital schützen

Die Vorteile von digitalen Zwillingen sind jedoch nicht nur großen Organisationen vorbehalten. Auch Start-ups, für die der ROI jeder Kapitalinvestition von wesentlicher Bedeutung ist, können mithilfe digitaler Zwillinge sicherstellen, dass sich die getätigten oder geplanten Investitionen auszahlen. Ein Anbieter elektrisch betriebener und autonom fahrender Lkws mit Hauptsitz in Schweden nutzt digitale Zwillinge beispielsweise, um bei der Entwicklung und Platzierung von Fahrzeugladestationen verschiedene Herausforderungen zu berücksichtigen. Elemente wie die Kilometerzahl pro Ladung, die Entfernung zwischen den Ladestationen, der Gerätetyp und die damit verbundene Ladezeit werden in die Planung integriert und das Projekt so optimiert. Solche Prozesse haben einen neuen Begriff hervorgebracht: die digitale Entscheidungsfindung. Dahinter verbirgt sich die Praxis, informierte und strategische Entscheidungen auf der Grundlage der durch den digitalen Zwilling generierten Informationen zu treffen.

Digitale Zwillinge – Daten sind das A und O

Egal, ob es sich um die digitale Abbildung eines menschlichen Körpers, einer Stadt oder einer globalen Lieferkette handelt – die Erstellung einer genauen digitalen Darstellung eines hochkomplexen Gebildes erfordert Daten – viele Daten. Diese werden verwendet, um ein lebendes digitales Modell zu erstellen, welches es ermöglicht anhand fortschrittlicher Analyseverfahren, die Leistung oder das Verhalten eines physischen Assets, Systems oder Prozesses unter einer Reihe von Bedingungen vorherzusagen.

Digital Twins – die digitalen Entscheidungshelfer

Aus der Perspektive der Lieferkette erhalten Unternehmen auf diese Weise Antworten auf ihre dringendsten Fragen zu kontrollierbaren und unkontrollierbaren Faktoren gleichermaßen. Noch wichtiger ist, dass es ein digitaler Zwilling der Lieferkette durch die Berücksichtigung aller Interdependenzen und Einschränkungen ermöglicht, die optimale Lösung oder Maßnahme in jedem gegebenen Szenario zu finden. Beispielsweise kann eine Organisation bei der Simulation der Auswirkungen einer kostenlosen Next-Day-Delivery zu dem Schluss kommen, dass die zusätzlichen Einnahmen die Kosten überwiegen werden. Ebenso kann sie feststellen, dass die Kosten eines Lieferantenwechsels durch eine daraus resultierende Senkung der Importzölle relativiert werden und der Wechsel somit wirtschaftlich vertretbar ist.

Die von den digitalen Zwillingen gewonnenen analytischen Einblicke geben Entscheidungsträgern die Zuversicht und Sicherheit, dass die von ihnen geplanten Maßnahmen die gewünschten und erwarteten Ergebnisse liefern. Sie sind Mittel für Unternehmen verschiedenster Branchen, zukunftssichere Entscheidungen zu treffen und fortschrittliche neue Wege für ihr Geschäft zu beschreiten.

*Michael Wallraven ist Geschäftsführer und Regional Vice President der LLamasoft Deutschland GmbH. Als solcher verantwortet er die Go-to-Market and Growth Strategy für den deutschsprachigen Raum in Europa, hauptsächlich also Deutschland, Österreich und die Schweiz.


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