WHIM: Können Computer kreativ sein?

Im EU-finanzierten Projekt "What-if Machine" (WHIM) werden nicht nur fiktive Handlungsstränge erstellt, sondern auch ihre potenzielle Anwendbarkeit und Attraktivität beurteilt. Dies stellt einen gewaltigen Fortschritt im Bereich der künstlichen Kreativität dar. [...]

Wissenschaft wirkt nur selten kreativ, doch dies ändert sich nun durch das WHIM -Projekt. In diesem ambitionierten Projekt wird ein Softwaresystem entwickelt, das fiktive Ideen erfinden und bewerten kann. „WHIM ist die Antithese zur herkömmlichen künstlichen Intelligenz, die allein auf die Realität ausgerichtet ist“, sagt Simon Colton, Projektkoordinator und Professor für künstliche Kreativität am Goldsmiths College der Universität London. „Wir gehören zu den Ersten, die künstliche Intelligenz auf Fiktion anwenden.“

ERSTE KREATIVE MASCHINE

Das Projektakronym steht für What-If Machine. Dies ist auch der Name der weltweit ersten Software für fiktive „Ideenbildung“ (den kreativen Prozess, neue Ideen zu generieren, weiterzuführen und zu kommunizieren), die im Rahmen des Projekts entwickelt wurde. Diese Software erstellt fiktive Kurzerzählungen oder Handlungsstränge und verwendet dazu natürliche Sprachverarbeitungstechniken und eine Datenbank von Fakten, die aus dem Internet gewonnen wurden (als Sammlung „wahrer“ Fakten). Die Software kehrt diese Fakten dann um oder verändert sie, um „Was-wäre-wenn“-Ansätze zu erhalten. Das Ergebnis ist häufig absurd, wie zum Beispiel „Was wäre wenn eine Frau in einer Gasse als Katze aufwacht, aber immer noch Fahrrad fahren kann?“

WHIM ist mehr als nur eine Ideen erzeugende Maschine. Die Software versucht auch, das Anwendungspotential oder die Qualität der erstellten Ideen zu bewerten. Da die erzeugten Ideen letztendlich für den menschlichen Konsum bestimmt sind, wurden in Crowd-Sourcing-Experimenten direkte Rückmeldungen von Menschen eingeholt. Die WHIM-Forscher fragten beispielsweise Menschen, ob sie die „Was-wäre-wenn“-Ideen als neuartig einstufen würden oder ein hohes erzählerisches Potential in ihnen erkennen könnten, und sie baten sie auch um allgemeines Feedback. Durch Techniken, die von Forschern des Jožef Stefan Institute in Ljubljana entwickelt wurden, um Computer mit Lernfähigkeit auszustatten, erhält das System jetzt allmählich ein genaueres Verständnis von den menschlichen Vorlieben.

„Man könnte argumentieren, dass Fiktion subjektiv sei, doch es gibt Muster“, sagt Professor Colton. „Wenn 99 % aller Menschen einen Komiker lustig finden, könnte man sagen, dass er lustig ist, zumindest in der Wahrnehmung der meisten Menschen.“

NUR DER ANFANG

Das Erzeugen fiktiver Kurzerzählungen ist nur ein Aspekt des Projekts. Forscher der Universität Complutense Madrid arbeiten die Kurzerzählungen derzeit zu vollständigen Erzählungen aus, die sich eher für die Handlung beispielsweise eines Filmes eignen würden. In der Zwischenzeit versuchen Forscher des University College Dublin, Computern beizubringen, durch die Umkehr und Gegenüberstellung von Stereotypen, die aus dem Internet gewonnen wurden, Metaphern und Ironie zu verwenden, und Forscher der Universität Cambridge untersuchen die Auswertung des Internets zum Zweck der Ideenbildung genauer. Alle diese Arbeiten sollten zu besseren und umfassenderen fiktiven Ideen führen.

Obwohl die erzeugten fiktiven Ideen oft skurril sind, beruht WHIM auf solider Wissenschaft. Das Projekt bewegt sich auf dem wachsenden Gebiet der künstlichen Kreativität, einem faszinierenden interdisziplinären Fach, das sich an der Schnittstelle zwischen künstlicher Intelligenz, kognitiver Psychologie, Philosophie und den Künsten befindet.

WHIM könnte Anwendung in verschiedenen Bereichen finden. In einer Initiative bestehen Pläne, die Erzählungen in Computerspielen umzusetzen. In einer weiteren, groß angelegten Initiative werden Bestandteile eines Musicals mithilfe von Computern entwickelt: die Handlung, das Bühnenbild und die Musik. Der gesamte Prozess wird für eine Dokumentation gefilmt.

WHIM könnte nicht nur in den Künsten zum Einsatz kommen. Die Software könnte von Moderatoren auf wissenschaftlichen Konferenzen verwendet werden, um bei Diskussionsteilnehmern mit Was-wäre-wenn-Fragen nachzubohren und verschiedene Hypothesen oder Szenarien zu erörtern.

Das WHIM-Projekt wird von der EU mit 1,7 Mio. Euro unterstützt und läuft von Oktober 2013 bis September 2016. (pi)


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