Wie die EU das Internet reguliert

Gesetze sollen für mehr Wettbewerb und Verbraucherschutz sorgen. com! professional zeigt auf, welche Gesetze zur Anwendung kommen. [...]

„Gute Regeln allein reichen nicht“

Mit massiver Lobbyarbeit haben Google & Co. versucht, die Ausgestaltung von Digital Markets Act und Digital Services Act zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Max Bank, der als Campaigner bei Lobbycontrol zu Macht und Einfluss von digitalen Plattformen arbeitet, bewertet im Gespräch mit com! professional, welchen Erfolg sie dabei hatten.

com! professional: Herr Bank, wie bewerten Sie die aktuellen Gesetzesvorlagen zu Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) aus Sicht von Lobbycontrol?

(Quelle: Lobbycontrol )Max Bank: Beide Gesetze sind wichtige Schritte hin zu einer besseren Regulierung der mächtigen Internetplattformen. Der Digital Markets Act enthält sehr gute Regelungen, beim Digital Services Act wäre vor allem in Bezug auf personalisierte Werbung mehr drin gewesen.

Teile des EU-Parlaments hatten sich ja sogar für ein komplettes Verbot von Targeted Advertising ausgesprochen. Davon ist der Entwurf weit entfernt. Insgesamt kann man aber sagen, dass beide Gesetze ganz gut gelungen sind.

com! professional: Liegen die Unterschiede zwischen DMA und DSA auch daran, dass eine stärkere Regulierung der Gatekeeper im DMA Teilen der Wirtschaft nützt, während der DSA eher den Schutz der Verbraucher im Blick hat?

Bank: Ich denke, das kann man so sagen. Verlage sowie viele kleine und mittlere Unternehmen in der Internetwirtschaft profitieren von einem starken Digital Markets Act. Deshalb haben sie sich auch in großer Zahl im Gesetzgebungsprozess engagiert und ihr Know-how eingebracht.

Es gibt beispielsweise die Coalition for Competitive Digital Markets, die gezeigt hat, dass Interoperabilität technisch machbar ist. Eine solche Gegenstimme zu den Big-Tech-Konzernen, die immer versucht haben, die technische Machbarkeit in Zweifel zu ziehen, war außerordentlich wichtig.

„Vor allem das Europäische Parlament hat sich einem enormen Lobbydruck widersetzt und ist energisch für gute Regeln eingetreten.“

Beim DSA gab es dagegen eine Allianz der Online-Werbeindustrie mit den Verlegerverbänden. Letztere haben in Deutschland, aber auch europaweit sehr viel Einfluss, während sich Google & Co. noch schwer tun, einen direkten Draht zu den politischen Entscheidungsträgern aufzubauen.

Es ist daher kein Wunder, dass das ursprünglich angedachte Verbot von Targeted Advertising gekippt wurde.

com! professional: Wie groß war der Einfluss der Digitalkonzerne insgesamt auf die Gesetzgebung?

Bank: Zunächst einmal möchte ich den politischen Entscheidungsträgern ein großes Kompliment machen. Vor allem das Europäische Parlament hat sich einem enormen Lobbydruck widersetzt und ist energisch für gute Regeln eingetreten. Auch einige Mitglieder der Kommission waren sehr ambitioniert.

Was den DMA betrifft, war der Druck beim Thema Interoperabilität besonders hoch und teils auch erfolgreich. So wird die Kommunikation zwischen Messenger-Diensten nur schrittweise und sehr verzögert eingeführt, obwohl das technisch kein großes Problem ist.

Hier hat die Digitallobby eindeutig gesiegt. Ähnliches gilt für die Integration von Social-Media-Kanälen. Das Parlament hat zwar auf mehr Interoperabilität gedrängt, konnte sich aber gegenüber der Kommission nicht durchsetzen.

com! professional: Welche Big-Tech-Konzerne betreiben besonders viel Lobbyarbeit?

Bank: Nach unserer Beobachtung treten Google und Meta am aggressivsten auf. Apple positionierte sich vor allem gegen eine Öffnung seiner Dienste und argumentierte dabei mit seinem hohen Datenschutzniveau. Das hat politisch tatsächlich verfangen, obwohl das natürlich Unsinn ist.

Insgesamt zeigt sich Apple aber eher regulierungsfreundlich. Amazon verhält sich erstaunlich still und ist schwer wahrnehmbar. Auch in Verbänden und Denkfabriken ist das Unternehmen deutlich weniger aktiv als andere Big-Tech-Konzerne. Von den chinesischen Technologieunternehmen betreibt auf europäischer Ebene nur Huawei erkennbare Lobbyarbeit.

com! professional: Was sind die Hauptstrategien der Lobbyisten?

Bank: Von Google wissen wir das ziemlich genau, denn es gibt ein geleaktes Strategiepapier. Typisch ist beispielsweise die Unterstützung sogenannter Thinktanks, die dann scheinbar unabhängige Studien herausgeben.

So hat beispielsweise das European Centre for International Political Economy (ECIPE) eine von Google finanzierte Studie zum DSA veröffentlicht, in der der Thinktank behauptet, die neue Richt­linie bedrohe zahlreiche Jobs in Europa und hätte einen negativen Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt. Die dazu veröffentlichten Zahlen sind laut dem ehemaligen Chefökonomen der EU-Wettbewerbsdirektion Tommaso Valletti allerdings völlig haltlos.

Gerne wird auch mit der „chinesischen Gefahr“ gedroht, dass also chinesische Anbieter alles übernehmen würden, wenn sich die US-Konzerne wegen der Überregulierung aus dem europäischen Markt zurückziehen.

com! professional: Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) warnt vor Rechtsunsicherheiten im Bereich des Daten- und Privatsphärenschutzes, die durch den DSA verursacht würden. Wie sehen Sie das?

Bank: Wir haben uns hauptsächlich mit den Akteuren auf EU-Ebene beschäftigt, daher kann ich die Aussage des BVDW nicht beurteilen. Es ist aber eine übliche Lobbystrategie, Zweifel an der Rechtswirksamkeit von Gesetzen zu säen.

com! professional: Zum Zeitpunkt dieses Interviews sind die Entwürfe noch nicht final veröffentlicht. Was kann jetzt noch schiefgehen?

Bank: Es gibt sicher noch Detailänderungen, aber sie werden wohl minimal sein. Viel wichtiger ist, wie die Regelungen in der Praxis ausgelegt werden. Außerdem ist noch ungeklärt, welche Ressourcen die EU-Kommission zur Verfügung stellen wird und welche Rolle die lokalen Behörden in den Mitgliedsstaaten spielen.

Vor allem der Digital Markets Act steht und fällt mit einer ausreichenden personellen Ausstattung. Gute Regeln allein reichen nicht, man muss sie auch durchsetzen können, das haben die Erfahrungen mit der Datenschutz-Grundverordnung sehr deutlich gezeigt.

Aktuell sieht die EU-Kommission für den DMA im ersten Jahr nur 20 Vollzeitäquivalente, später 80 Vollzeitstellen vor. Im Vergleich dazu will Großbritannien mit einem deutlich kleineren Markt für seine Digital Market Unit über 200 Leute einstellen. Teile des DMA unterliegen zudem einem sogenannten regulatorischen Dialog – ein Einfallstor für Big-Tech-Interessen, vor dem wir, aber auch einige Mitgliedstaaten dringend gewarnt haben. Schließlich muss man bedenken, dass die Regelungen voraussichtlich erst im Mai 2024 wirksam werden. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Was Experten sagen

Insgesamt stoßen die EU-Gesetzesinitiativen zur Regulierung digitaler Märkte und Services auf positive Resonanz. „Mit diesen beiden Gesetzen, dem DSA und dem DMA, ist ein riesiger Schritt in Richtung fairere Märkte und bessere Online-Plattformen gemacht worden“, urteilt Matthias Kettemann, Leiter des Forschungsprogramms „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“ am Leibniz-Institut für Medienforschung – Hans-Bredow-Institut (HBI), und Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts an der Universität Innsbruck.

„Da die USA, China oder Russland aktuell keine ernst zunehmenden Regulierungsvorschläge machen, wird das einen Standard setzen, der weltweit gesehen und gehört wird und Vorbildwirkung haben wird in vielen Bereichen“, so Kettemann weiter. Der Experte bemängelt allerdings die Intransparenz des Gesetzgebungsverfahrens: „Die Tatsache, dass wir Wochen nach den entsprechenden Beschlüssen noch keine finalen Fassungen haben, über die wir diskutieren können – das ist ein schlechtes Vorgehen.“

Auch Tobias Keber, Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft an der Hochschule der Medien Stuttgart, findet die Stoßrichtung der Gesetze prinzipiell richtig, warnt aber vor einer „Hypertrophierung“ des europäischen Internetrechts: „Wir haben sehr viele Mechanismen, man muss sehr genau hingucken: Bleiben die auch insgesamt kohärent? Gibt es da nicht zum Teil systematische Brüche oder Widersprüche?“

„Der Digital Services Act ist das Auffangbecken für ausnahmslos alle digitalen Regulierungsprojekte geworden.“

Thomas Duhr – Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW)

Björn Steinrötter wiederum, Juniorprofessor für IT-Recht und Medienrecht an der Universität Potsdam, ist vor allem der „Marketingsprech“, mit dem die EU den Digital Services Act bewirbt, ein Dorn im Auge: „Mit Übertreibungen wie ‚Goldstandard‘ erweist man der Akzeptanz des DSA einen Bärendienst.“

Kritik kommt auch von Digitalkonzernen und Verbänden. So hat Apple beispielsweise im vergangenen Jahr einen Report veröffentlicht („Building a Trusted Ecosystem for Millions of Apps“), in dem das Unternehmen gegen eine Öffnung seines App-Stores argumentiert.

„Wir sind zutiefst besorgt über Vorschriften, welche die Privatsphäre und die Sicherheit untergraben könnten“, erklärte Apple-CEO Tim Cook auf dem „Global Privacy Summit 2022“. „Datenhungrige Unternehmen könnten unsere Datenschutzrichtlinien unterminieren und Nutzer gegen ihren Willen ausspionieren.“

Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) reibt sich vor allem am DSA: „Der Digital Services Act ist das Auffangbecken für ausnahmslos alle digitalen Regulierungsprojekte geworden, die manche Abgeordnete seit Jahren mit unterschiedlichem Erfolg beschäftigen.

„Es bleibt abzuwarten, inwieweit der DSA dazu beiträgt, Verbraucher:innen beim Online-Kauf besser vor unsicheren Produkten und unseriösen Angeboten zu schützen.“

Jutta Gurkmann – Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv)

Die tatsächliche Zielsetzung der Verordnung geht damit an dieser Stelle verloren“, moniert BVDW-Vizepräsident Thomas Duhr.

Ganz ähnlich sieht das Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco – Verband der Internetwirtschaft: „Grundsätzlich unterstützen wir eine horizontale Regelung in Form des DSA und stehen darin getroffenen zusätzlichen Verpflichtungen für Online-Plattformen offen gegenüber. Doch sollte es darum gehen, eine klare Linie beizubehalten und das Instrument nicht durch Spezialregelungen zu überfrachten.“

Es sei wichtig, dass die im DSA festgeschriebenen Verpflichtungen auch für kleine und Kleinstunternehmen umsetzbar blieben, oder diese davon ausgenommen würden, so Süme weiter. „Definitionen müssen nachvollziehbar und konkret sein.“

Dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) wiederum geht vor allem der Schutz der Verbraucher im Online-Handel nicht weit genug. „Es bleibt abzuwarten, inwieweit der DSA dazu beiträgt, Verbraucher:innen beim Online-Kauf besser vor unsicheren Produkten und unseriösen Angeboten zu schützen“, erklärt Jutta Gurkmann, Vorständin des vzbv.

„Es [sollte] darum gehen, eine klare Linie beizubehalten und das Instrument nicht durch Spezialregelungen zu überfrachten.“

Oliver Süme – Vorstandsvorsitzender des eco – Verband der Internetwirtschaft

Der vzbv kritisiert, dass die Betreiber von Online-Marktplätzen nicht zu regelmäßigen Testkäufen verpflichtet wurden. Dadurch hätte sich verifizieren lassen, ob Händler Verbraucherrechte, wie etwa das Widerrufsrecht, einhalten. Dass Betreiber von Online-Marktplätzen bei Sorgfaltspflichtverletzungen weiterhin nicht haftbar gemacht werden können, sei ein weiteres Manko des Verhandlungsergebnisses, so der Verband.

Fazit & Ausblick

Uneins, von Lobbyisten durchseucht und von Partikular­interessen zerrissen – die Europäische Union hat in den letzten Monaten wahrlich kein gutes Bild abgegeben. Gesetzesvorhaben wie der Digital Markets Act und der Digital Services Act zeigen jedoch, wie wertvoll die Gemeinschaft europäischer Staaten ist.

Einzelne Nationen, von den USA vielleicht einmal abgesehen, haben nämlich kaum mehr eine Chance gegen die riesigen transnationalen Digitalkonzerne. Das zeigte sich im vergangenen Jahr deutlich, als die australische Regierung ihr Mediengesetz auf massiven Druck von Google und Facebook hin abschwächen musste.

Es steht allerdings zu befürchten, dass DMA und DSA in der Durchsetzung ähnlich zahnlos bleiben wie die DSGVO. Aber wenn sich die Macht der Digitalkonzerne durch die Verordnungen tatsächlich nicht einhegen lassen sollte, dann bliebe eigentlich nur noch deren Zerschlagung.

Ein solcher Schritt dürfte jedoch nur in Zusammenarbeit mit den US-Behörden zu schaffen sein. Und ob es dazu jemals kommen würde, kann niemand seriös prognostizieren.

*Dr. Thomas Hafen ist freier IT-Journalist und schreibt, unter anderem, für com!professional.


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