Unternehmen müssen IT klimaneutral und ressourcenschonend betreiben – aber das allein reicht nicht. com! professional zeigt auf, was Sache ist. [...]
In Deutschland geht es wieder aufwärts – zumindest was die Emission von Treibhausgasen (THG) angeht. Nach dem pandemiebedingten Einbruch 2020 stieg der Ausstoß 2021 laut Umweltbundesamt (UBA) um rund 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente (CO₂e).
Vor allem Energiewirtschaft, Verkehr und Industrie waren für den Anstieg verantwortlich. Das Ziel der Bundesregierung, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, ist damit wieder ein Stück unrealistischer geworden.
Welchen Anteil die IT am Anstieg der deutschen THG-Emissionen hat, wird vom UBA nicht separat ausgewiesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Ausstoß in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat, ist allerdings sehr hoch, denn die Nachfrage nach digitalen Geräten und Services steigt unaufhörlich.
Allein die Zahl der Internetnutzer ist laut einer Online-Studie von ARD und ZDF seit 2010 um fast 30 Millionen angewachsen, 88 Prozent der Deutschen besitzen ein Smartphone, knapp 60 streamen regelmäßig Videoinhalte, in 90 Prozent der deutschen Unternehmen gehören Videokonferenzen mittlerweile zum Alltag.
Zumindest auf europäischer und globaler Ebene lässt sich der CO₂-Fußabdruck der ITK-Branche abschätzen. Schon 2018 war sie für 8 bis 10 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in der EU verantwortlich, bis 2030 könnten es sogar 20 Prozent sein.
Weltweit gesehen ist die Produktion und Nutzung von IT-Equipment ungefähr genau so klimaschädlich wie der Flugverkehr. Auch bei Ressourcenverbrauch und Abfall kennt der Trend bislang nur eine Richtung: nach oben. Dem WEEE-Forum (Waste Electrical and Electronic Equipment) zufolge ist die Menge an jährlich erzeugtem Elektroschrott von 2014 bis 2019 um 21 Prozent gestiegen.
Im Jahr 2021 wog der Elektroschrottberg mehr als 57 Millionen Tonnen und war damit schwerer als die Chinesische Mauer. Bis 2030 könnte die jährliche E-Waste-Masse sogar 74 Millionen Tonnen überschreiten.
„Das Einsparpotenzial der Digitalisierung wird leider durch die intensivere Nutzung digitaler Technologien aufgefressen“, sagt Tilman Santarius, Professor für Sozial-ökologische Transformation und nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin und am Einstein Center Digital Futures.
Er ist einer der Leitautoren des Reports „Digital Reset. Redirecting Technologies for the Deep Sustainability Transformation“, der im vergangenen Jahr vom Europäischen Forschungsnetzwerk „Digitalization for Sustainability“ (D4S) herausgegeben wurde.
Dabei ist der Wille, klimafreundlicher und ressourcenschonender zu wirtschaften, durchaus vorhanden. Viele IT-Hersteller haben ehrgeizige Initiativen für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit gestartet.
So will beispielsweise Intel laut seiner 2020 formulierten „RISE“-Strategie (Responsible Inclusive Sustainable Enabling) bis 2030 nur noch erneuerbare Energien nutzen, keine Abfälle mehr auf Deponien entsorgen und die Energieeffizienz seiner Client- und Server-Prozessoren verzehnfachen.
Dell hat sich verpflichtet, bis 2030 für jedes gekaufte Produkt ein gleichwertiges zur Wiederverwendung aufzubereiten oder zu recyceln und mehr als die Hälfte der Komponenten aus aufbereiteten oder nachwachsenden Materialien herzustellen.
SAP konnte nach eigenen Angaben bereits die Treibhausgasemissionen seiner Rechenzentren auf null senken und will bis 2030 entlang seiner gesamten Wertschöpfungskette Klimaneutralität erreichen (siehe dazu auch den Kasten „Die drei Stufen der Klimaneutralität“).
„Das Einsparpotenzial der Digitalisierung wird leider durch die intensivere Nutzung digitaler Technologien aufgefressen.“
Tilman Santarius – Professor für Sozial-ökologische Transformation und nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin und am Einstein Center Digital Futures
Auch die Anwenderunternehmen legen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz – zumindest auf dem Papier. Laut einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens IDC vom Dezember 2021 haben 38 Prozent der deutschen Unternehmen einen firmenweiten Nachhaltigkeitsansatz, weitere 40 Prozent einzelne Programme.
Helge Alsdorf, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen, und seine Kollegen kamen allerdings bei einer Befragung von mehr als 1500 kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) zu weniger positiven Ergebnissen. Zwar fanden mehr als 70 Prozent der Teilnehmer Nachhaltigkeit relevant, aber nur 11 Prozent hatten Green-IT-Praktiken tatsächlich eingeführt.
Die drei Stufen der Klimaneutralität
Viele Unternehmen werben bereits heute damit, klimaneutral zu sein, oder wollen es zumindest bald werden. Dabei muss man allerdings drei Stufen, die sogenannten Scopes der Klimaneutralität unterscheiden:
- Scope 1 – direkte Emissionen:
- Hierunter fallen alle Treibhausgase (THG), die bei der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens entstehen, etwa bei der Produktion, der Heizung der Bürogebäude mit Öl oder Gas sowie im Fuhrpark. In Rechenzentren sind es vor allem dieselbetriebene Notstromaggregate, die hier negativ zu Buche schlagen. Auch wenn klimaschädliche Kältemittel aus der Klimaanlage entweichen, zählt dies zu den direkten Emissionen.
- Scope 2 – indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie:
- Aus IT-Sicht macht dieser Bereich den größten Anteil an THG-Emissionen aus, denn er umfasst unter anderem die Klimabilanz des eingesetzten Stroms, sofern er nicht in eigenen Kraftwerken erzeugt wird. Aktuell wird nur rund die Hälfte des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien hergestellt. Oberstes Ziel muss es daher sein, Hilfsenergie für Kühlung und Heizung so weit wie möglich einzusparen und die Effizienz der IT-Systeme etwa durch Virtualisierung weiter zu steigern. Eigene Fotovoltaikanlagen können die Klimabilanz verbessern. Sie liefern genau dann am meisten Strom, wenn der Kühlungsbedarf am höchsten ist, nämlich an heißen, sonnigen Sommertagen.
Quelle: Greenhouse Gas Protocol, https://ghgprotocol.org
- Scope 3 – indirekte Emissionen aus der Wertschöpfungskette:
- Hierzu gehören Treibhausgase, die bei der Beschaffung von Grundstoffen und Hilfsmitteln (vorgelagerte Emissionen) sowie bei der Nutzung der vom Unternehmen verkauften Produkte und Services (nachgelagerte Emissionen) entstehen. Dieser Bereich ist besonders schwer zu berechnen – und noch schwerer zu minimieren. Die Emissionen in Scope 3 können hauptsächlich durch Änderungen in der Beschaffung und längere Nutzungszyklen reduziert werden.
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