Wie Digitalisierung die Effizienz frisst

Unternehmen müssen IT klimaneutral und ressourcenschonend betreiben – aber das allein reicht nicht. com! professional zeigt auf, was Sache ist. [...]

„Wir ersetzen Geräte viel zu schnell und zu häufig“

Volker Quaschning, Professor für das Fachgebiet Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin, erklärt im Gespräch mit com! professional, warum wir bei der IT-Beschaffung andere Kriterien anwenden sollten.

com! professional: Herr Professor Quaschning, Sie forschen seit vielen Jahren darüber, wie sich eine nachhaltige und klimaneu­trale Energieversorgung realisieren lässt. Welche Rolle spielt die IT dabei?

Volker Quaschning: Sie ist Fluch und Segen zugleich. Ohne IT werden wir die Energiewende nicht in der notwendigen Geschwindigkeit hinbekommen. Wir brauchen intelligente Netze und digitale Systeme, die uns beim schnellen Ausbau erneuerbarer Energien und beim Klimaschutz helfen. Auf der anderen Seite benötigt IT natürlich selbst sehr viel Energie und Ressourcen.

com! professional: Wie können Anwender und Unternehmen den zunehmenden Energieverbrauch ihrer IT zumindest bremsen?

Quaschning: Ich denke, da sind vor allem zwei Dinge wichtig. Auf der einen Seite sollten sie bei der Anschaffung mehr als bisher auf die Effizienz der Systeme achten. Oft spielen bei der Kaufentscheidung nur Preis und Leistungsdaten eine Rolle.

Das ist kurzsichtig, denn über die Nutzungsdauer kann sich der günstige Anschaffungspreis eines wenig energieeffizienten Geräts durch hohe Verbrauchskosten schnell relativieren. Leider ist es gar nicht so einfach, die notwendigen Informationen zu finden.

Ich habe selbst vor Kurzem auf einem großen Vergleichsportal einen Monitor gesucht und festgestellt, dass man die Suchergebnisse nicht nach der Effizienzklasse sortieren konnte. Zum zweiten muss der Restenergiebedarf, der sich nicht vermeiden lässt, möglichst schnell zu 100 Prozent durch erneuerbare Energien gedeckt werden.

com! professional: Was halten Sie von Siegeln wie dem Blauen Engel? Sollten Endanwender und Unternehmen bei der Wahl von IT-Produkten und -Services auf solche Kennzeichnungen achten?

Quaschning: Das ist schwierig. Bei einigen Siegeln ist viel Green­washing dabei. Der Blaue Engel hat einen ganz guten Ruf, aber wer weiß schon genau, welche Kriterien ein Gerät erfüllen muss, damit es die Auszeichnung erhält? Die Anzahl der Käufer und Käuferinnen, die auf solche Siegel achten, ist zudem sehr gering. Da ist es wesentlich sinnvoller, auf EU-Ebene verpflichtende Regeln und Grenzwerte einzuführen.

„Ohne IT werden wir die Energiewende nicht in der notwendigen Geschwindigkeit hinbekommen. Auf der anderen Seite benötigt IT selbst sehr viel Energie und Ressourcen.“

com! professional: Rechenzentren sollen zukünftig einen Teil ihrer Abwärme an Energieversorger abgeben müssen, um ihre Effizienz zu steigern. Was halten Sie von solchen Vorgaben?

Quaschning: Das ist sicher ein guter Weg. Es gibt ja auch schon solche Projekte, etwa mit Stadtwerken oder Industrieunternehmen.

Wärme lässt sich allerdings nicht sehr gut transportieren. Die Nutzung kann daher nur sinnvoll in räumlicher Nähe der Rechenzentren erfolgen. Bei Neubauten sollte die Möglichkeit der Abwärmenutzung bei der Standortwahl auf jeden Fall eine Rolle spielen. Im Bestand muss man sehen, was technisch machbar ist.

com! professional: Einer der Kritikpunkte an dem Referentenentwurf ist, dass es gar keine Abnehmer für die Abwärme gebe. Muss der Gesetzgeber vielleicht auch mehr Druck auf die Energieversorger ausüben?

Quaschning: Wir haben bei den Energieversorgern eine recht unübersichtliche Gemengelage. Jede größere Kommune hat ihr eigenes Stadtwerk, da wird es schwierig werden, einheitliche Regelungen zu finden. Wenn es aber eine Pflicht zur Wärmeauskopplung gibt, wird es früher oder später auch Energieversorger und Dienstleister geben, die Rechenzentren bei der Umsetzung unterstützen.

Das wird natürlich erst einmal Geld kosten, sich aber durch die Energieeinsparung langfristig amortisieren. Die Standortsuche für neue Rechenzentren mag auch etwas komplexer werden, aber daran wird es sicher nicht scheitern.

com! professional: Neben der Energiewende spielt auch der Ressourcenverbrauch eine immer größere Rolle. Viele für die Herstellung von IT-Produkten notwendigen Rohstoffe kommen aus politisch instabilen Regionen und werden unter für Menschen und Umwelt katastrophalen Bedingungen abgebaut. Wie lässt sich diese Situation verbessern?

Quaschning: Vor allem die Nutzungsdauer von Geräten muss länger werden. Smartphones werden alle ein bis zwei Jahre ausgetauscht – das ist verrückt. Man stelle sich vor, man würde alle zwei Jahre sein Auto verschrotten. Im IT-Bereich sind solche Produktzyklen leider gang und gäbe.

Dabei ist die Leistungsfähigkeit längst kein Argument mehr für den schnellen Austausch. Ein Laptop hält gut vier bis fünf Jahre, ein Mitarbeiter von mir hat seinen sogar zehn Jahre lang genutzt. Wir ersetzen Geräte viel zu schnell und zu häufig. Hier muss der Gesetzgeber Grenzen setzen.

com! professional: Bei vielen Smartphones und Laptops kann man nicht einmal mehr den Akku selbst wechseln. Brauchen wir Geräte, die besser repariert und erweitert werden können?

Quaschning: Auf jeden Fall, ich nutze beispielsweise ein Fairphone, wo dieser Ansatz bereits sehr gut umgesetzt wurde. Der Hersteller verwendet so weit irgend möglich Rohstoffe, deren Gewinnung ethisch und ökologisch vertretbar ist, und erleichtert durch den modularen Aufbau des Geräts Upgrades und Reparaturen.

Das verkleinert den ökologischen Fußabdruck bei der Herstellung und verlängert die Nutzungsdauer erheblich. Solche Konzepte müssen wir auch in anderen Geräteklassen hinbekommen.

com! professional: Auch bei längerer Nutzungsdauer wird die weltweit zunehmende Digitalisierung zu einer massiven Steigerung des Rohstoffverbrauchs führen. Was können wir dagegen tun?

Quaschning: Wir können die nächsten 5000 Jahre natürlich nicht so weitermachen, sondern müssen in eine Kreislaufwirtschaft kommen, die zu 100 Prozent recycelt. Sonst werden uns langfristig die Rohstoffe ausgehen – von den enormen Umweltschäden bei deren Gewinnung ganz abgesehen.

Das klingt zunächst utopisch, ist aber durchaus ein realistisches Ziel. Schon heute könnte man beispielsweise durch das Recycling alter Fotovoltaikmodule doppelt so viele neue herstellen, weil aktuelle Modelle beim Materialeinsatz wesentlich effizienter sind.

Der Idealfall wäre, dass wir ohne den Bezug weiterer Rohstoffe auskommen. Das wäre auch im Hinblick auf politische Abhängigkeiten eine ideale Situation.

com! professional: Die Politik setzt auf diesem Weg ja gerne auf die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie. Genügt das?

Quaschning: Wahrscheinlich nicht, das wird wohl nur über verpflichtende Recycling-Quoten funktionieren.

com! professional: Ich höre schon die Warnung, dass das unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährdet und Arbeitsplätze kostet …

Quaschning: Das Gegenteil ist der Fall. Aktuell wird IT zum größten Teil in Fernost gefertigt. Schärfere Recycling-Bestimmungen oder CO₂-Grenzwerte für die Produktion wären eine Chance für europäische Hersteller, wieder konkurrenzfähiger zu werden und Marktanteile zu gewinnen. Diese Chance sollte man wahrnehmen.

com! professional: Zumal der europäische Binnenmarkt einer der größten Märkte der Welt ist …

Quaschning: Ja, das wird häufig unterschätzt. Europa hat mehr Einwohnerinnen und Einwohner als die USA. Das Problem ist, dass Europa oft nicht in der Lage ist, gemeinsam strategisch vorzugehen.

com! professional: Wie bewerten Sie die Öko-Initiativen der großen IT-Provider und -Hersteller? Handelt es sich um Greenwashing oder um echte Bemühungen, die Nachhaltigkeit ihrer Produkte und Services zu verbessern?

Quaschning: Ich will das Engagement nicht kleinreden. Solange sich allerdings die Strategie nicht ändert, ständig neue Geräte mit geringer Lebensdauer auf den Markt zu bringen, hat man nur ein fragwürdiges Geschäftsmodell etwas grüner gemacht.

Deswegen benötigen wir innovative Unternehmen wie Fairphone, die mit wirklich nachhaltigen Produkten andere unter Druck setzen. Wir brauchen aber auch den Gesetzgeber, der Regeln für alle vorschreibt.

„Schärfere Recycling-Bestimmungen oder CO₂-Grenzwerte für die Produktion wären eine Chance für europäische Hersteller.“

com! professional: Wir leben in einem kapitalistischen System, in dem Profitmaximierung und Wachstum an erster Stelle stehen. Ist da nachhaltiges Wirtschaften überhaupt möglich?

Quaschning: Man muss die Kapitalismusdiskussion durchaus führen, aber damit werden wir unsere Gesellschaft nicht schnell genug verändern, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Dazu müssen wir in 10 bis 20 Jahren klimaneutral sein.

Deshalb sollten wir zuerst einmal den Ausbau erneuerbarer Energien massiv vorantreiben und eine Recycling-Wirtschaft etablieren. Unser Wirtschaftssystem können wir dann immer noch besser und gerechter machen.


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