Wie KI die Finanzfunktion verändert

Künstliche Intelligenz erobert die Welt – und die Wirtschaft. Und natürlich macht die Technologie auch vor der Finanzindustrie nicht Halt. Doch wie wirkt sich KI auf die Prozesse innerhalb eines Unternehmens aus? Wie können Banken, Versicherer oder Asset Manager von den Vorteilen profitieren? In einem aktuellen Whitepaper hat KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Zukunft der Finanzfunktion genauer unter die Lupe genommen. [...]

Um das Potenzial zu nutzen, müssen Unternehmen jetzt konkrete Use Cases entwickeln. Nur so lässt sich der Hype um generative KI aufrechterhalten und aus der faszinierenden Theorie auch in die praktische Arbeit übertragen. (c) stock.adobe.com/Sovandev

Die Arbeitswelt ist in Aufruhr. Künstliche Intelligenz (KI) hat sich ihren Weg gebahnt und ist im Begriff, die Art und Weise des Arbeitens zu verändern. Das Karriereportal Indeed hat seine eigene Plattform ausgewertet und festgestellt: Generative KI ist bereits in der Lage, mindestens 80 Prozent der Fähigkeiten in fast einem Drittel aller Stellenanzeigen „gut“ oder sogar „exzellent“ ausführen zu können. In der Finanzwirtschaft macht sich das besonders bemerkbar. Laut Indeed-Auswertung zählt der Bereich „Banking & Finance“ zu den Top Ten jener Jobs, in denen KI die in Stellenanzeigen geforderten Fähigkeiten besonders gut erledigen kann.

Die Arbeit in Finanzunternehmen wird sich durch den Einsatz von KI massiv verändern. So viel steht fest. Aber welchen Einfluss hat die Technologie auf die Zukunft der Finanzfunktion? Wie wird sich die Arbeit von Banken, Versicherern oder Asset Managern durch KI verändern? Und was sollten die Unternehmen bei der Implementierung unbedingt beachten?

Aus klassisch wird generativ: KI mit Kreation

Um diese Fragen zu beantworten, hilft ein Blick in den Rückspiegel. Vor gut anderthalb Jahren erlebte KI mit dem Durchbruch von ChatGPT ihren bisher größten Hype. Die Software von OpenAI hat die Technologie auf ein neues Level gehoben und die klassische zur generativen KI weiterentwickelt. Der Unterschied besteht im Wesentlichen in der Funktionalität und dem Anwendungsbereich: Während KI-Systeme entwickelt wurden, um Daten zu analysieren, darin wiederkehrende, einfache Muster zu erkennen und passende Ergebnisse zu prognostizieren, zielt generative KI darauf ab, auf Basis gelernter Daten und komplexer Muster selbstständig neue Zusammenhänge herzustellen und kreative Inhalte auf unbekannte Sachverhalte anzuwenden.

Kurzum: Generative KI ist in der Lage, auf Basis von Daten eigene Inhalte zu erstellen und auf diese Weise gewissermaßen kreativ zu arbeiten. Noch dazu sind ihre Anpassungs- und Einsatzmöglichkeiten nahezu unbegrenzt. So ermöglicht sie nicht nur die Automatisierung komplexer Aufgaben, die bisher menschliches Urteilsvermögen und auch kognitive Fähigkeiten erfordert haben. Sie ist auch in der Lage, Erkenntnisse aus der Analyse von Daten abzuleiten und in verständlicher Form aufzubereiten. Genau diese Vorteile können sich Finanzunternehmen innerhalb ihrer Finanzfunktionen zu Nutze machen – und aus Utopien realistische Szenarien entstehen lassen. Zum Beispiel bei der Geschäftsbewertung oder dem Erstellen von Berichten. So können beispielsweise hochkomplexe Geschäftsszenarien in wenigen Minuten entworfen und dabei auch noch unzählige Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Auch wird generative KI in der Lage sein, durch den Zugriff auf unterschiedlich strukturierte Datensätze selbstständig Geschäftsberichte zu erstellen. Lange war dies ein aufwändiger Abstimmungsprozess. Künftig könnte er innerhalb weniger Stunden vonstatten gehen.

Von Hype zu High-Performance

Um das Potenzial zu nutzen, sind die Unternehmen jetzt allerdings gefragt, konkrete Use Cases zu kreieren. Nur so lässt sich der Hype um generative KI aufrechterhalten und aus der faszinierenden Theorie auch in die praktische Arbeit übertragen. Aber welche Anwendungsfelder der Finanzfunktion sind überhaupt geeignet? Zum ersten von fünf Bereichen gehören Buchhaltung und Rechnungswesen. Der Automatisierungsrad kann hier mit der Hilfe von KI deutlich erhöht werden. So könnte die klassische KI beispielsweise Rechnungsdaten umfassend automatisch extrahieren, mit Bestell- und Liefernummern abgleichen oder Zahlungseingänge abfragen. Generative KI könnte diese Informationen sogar unstrukturierten Datensätzen wie etwa Freitexten entnehmen und verarbeiten. Zudem können generative Systeme Korrekturen vorschlagen und Mitarbeitende über Abfragesysteme dabei unterstützen, die richtigen Kontierungsentscheidungen zu treffen.

Ein zweites Anwendungsfeld ist die Finanzplanung und -analyse. Wie schon im Bereich Buchhaltung und Rechnungswesen kommt auch hier der Vorteil zum Tragen, dass generative KI aus unstrukturierten Daten die richtigen Schlüsse ziehen kann. Das gilt zum Beispiel für die Auswertung von Finanzberichten oder die Analyse von Investitionen. So kann generative KI bei der Recherche, Interpretation und Aufbereitung sowohl interner als auch externer Daten helfen. Im dritten Anwendungsfeld, Treasury und Cash Management, ist KI sogar schon allgegenwärtig, weil sie in Cash-Management- und Liquiditätsplanungstools bereits integriert ist. Hier kann sie die Genauigkeit von Cashflow-Prognosen erhöhen und Liquiditätsengpässe antizipieren. Auch hilft die Technologie, Betrugsmaschen im Zahlungsverkehr zu erkennen, indem sie Anomalien aufspürt und auffällige Zahlungen identifiziert. Im Bereich Trading ermöglicht es KI, automatisierte Handelssysteme zu steuern: Durch die Optimierung auf Basis aktueller Marktbedingungen wird die Orderausführung effizienter.

Risikomanagement und Compliance ist das vierte Anwendungsfeld, in dem KI unterstützen kann. Schließlich erfordern das Ermitteln und Bewerten von Risiken die Auswertung einer Vielzahl von Informationen. Richtig eingesetzt kann generative KI helfen, Gefahren früher und systematischer zu erkennen, um beispielsweise bessere Vorhersagen über Ausfallraten treffen zu können. Zudem kann KI bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität eine Rolle spielen: Bei Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, bei Betrugsprävention, bei der Einhaltung von Datenschutz und Datensicherheit sowie bei vielen anderen Compliance-Aufgaben – von der Analyse großer Datenbestände und Transaktionen in Echtzeit bis zum Erstellen von Berichten. Hier schließt sich auch das fünfte Anwendungsfeld an: die finanzielle Berichterstattung. Auch dabei trumpft generative KI mit der Fähigkeit auf, aus vorhandenen Informationen neue Inhalte zu generieren, und ist somit ein prädestinierter Assistent dabei, Finanzberichte zu erstellen, anzupassen oder zu überprüfen.

Eine mögliche technische Umsetzung

Eine Sache haben alle diese fünf Anwendungsbereiche gemeinsam: Im Kern der meisten KI-Modelle steht die Erfassung und der Abgleich von Daten aus unterschiedlichen Quellen. Daher sollte die Implementierung mit einem Prozess beginnen, in dessen Mittelpunkt ein sogenanntes Data Mapping steht. Eine technische Lösung sollte das Ziel verfolgen, Daten aus verschiedenen Beständen miteinander zu matchen und so Informationen aus unterschiedlichen Quellen und Bereichen in Einklang zu bringen. Um das zu schaffen, sollte eine KI eingesetzt werden. Diese könnte auf Grundlage der Datensätze Empfehlungen abgeben. Wichtig ist jedoch, dass das letzte Wort stets bei den Mitarbeitenden liegt. Aus deren Entscheidungen könnte die KI dann wiederum lernen.

So wird die Finanzfunktion zum Center of Excellence

Prozesse wie diese zeigen, wie KI die Arbeit der Anwendenden vereinfachen kann. Statt selbst aufwendig Datensätze analysieren zu müssen, erledigt diesen Schritt die Technologie – und gibt eine Empfehlung ab. Die Entscheidung jedoch bleibt beim Menschen. Diese Tatsache müssen Finanzunternehmen ihren Angestellten transparent kommunizieren. Deshalb ist es umso wichtiger, sie in die Implementierung von generativen KI-Anwendungen aktiv einzubeziehen. Das erhöht die Akzeptanz und damit den Erfolg. Allerdings setzt dieser Schritt ein Umdenken beim Management voraus. Statt wie bisher die Technologie vom Fachbereich zu trennen, müssen Chief Financial Officer (CFO) beide Welten miteinander vereinen und sich neben der fachlichen auch intensiv mit der technischen Perspektive auseinandersetzen. Denn diese beiden Felder sind mit zunehmender Digitalisierung immer schwieriger voneinander zu trennen.

Die Entwicklung der KI steht noch am Anfang. Dennoch ist bereits absehbar, dass sie die Finanzfunktion stark verändern wird. Richtig eingesetzt wird sie repetitive Prozesse automatisieren sowie Mitarbeitende bei zahlreichen Arbeiten unterstützen können, als Sparringspartner dienen und selbst anspruchsvolle Aufgaben selbst übernehmen. Investitionen in KI-Systeme können daher nicht nur zu massiven Kosteneinsparungen und Prozessbeschleunigungen führen, sondern auch zu einer höheren Ergebnisqualität. Die Finanzfunktion wird damit ihren stetig wachsenden Aufgaben gerecht und sich zu einem Center of Excellence entwickeln, in dem Menschen und Maschine Hand in Hand das Optimum aus verschiedensten Datensätzen herausziehen.

Das aktuelle Whitepaper KI in der Finanzfunktion von KPMG finden Sie hier.

* Jana Behr ist Partnerin im Bereich Financial Services bei KPMG, Lea Kölpin ist Managerin bei KPMG und berät Finanzunternehmen im Rahmen von IT-Transformationsprojekten und Tom Waldeck ist Senior Manager bei KPMG und berät ebenfalls Finanzunternehmen im Rahmen von IT-Transformationsprojekten.


Mehr Artikel

News

Schulungsbedarf in den Bereichen KI, Cybersecurity und Cloud

Der IT Skills & Salary Report 2024 unterstreicht den wachsenden Bedarf an Weiterbildung und Umschulung von Arbeitskräften, um mit dem technologischen Fortschritt Schritt zu halten. Künstliche Intelligenz steht bei Entscheidungsträgern ganz oben auf der Liste der Investitionsschwerpunkte, da hier die Team-Kompetenzen am niedrigsten eingestuft werden. […]

News

KI-gestützte Effizienzoptimierung im Lager

Die österreichische TeDaLoS GmbH, Anbieter von smarten Lagerstandsüberwachungssystemen, hat ein Kapital-Investment erhalten, mit dem das Unternehmen eine beschleunigte internationale Expansion und den Ausbau von KI-gestützten Lösungen zur Optimierung der Materialbewirtschaftung vorantreiben will. […]

Helmut Reich, Managing Director proALPHA Software Austria (c) Erich Reismann
Interview

ERP auf dem Weg zum Digital Twin

Die in einem ERP-System hinterlegten Daten spiegeln in der Regel die Wirklichkeit nur bedingt wider. Mit Hilfe der künstlichen Intelligenz soll sich das bald ändern. proALPHA entwickelt seine Kernapplikation im Zusammenspiel mit seiner schnell wachsenden ERP+-Familie in Richtung eines Digital Twin weiter. Das Ziel: die 1:1-Abbildung der realen Wirtschaftswelt. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*